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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.05.2002
Aktenzeichen: 10 TaBV 154/01
Rechtsgebiete: BetrVG
Vorschriften:
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2 | |
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 |
Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Beschluss
Geschäfts-Nr.: 10 TaBV 154/01
Verkündet am: 24.05.2002
In dem Beschlussverfahren unter Beteiligung
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm aufgrund der mündlichen Anhörung vom 24.05.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schierbaum sowie die ehrenamtlichen Richter Rump und Konermann
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rheine vom 14.11.2001 - 3 BV 29/00 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I
Im vorliegenden Beschlussverfahren nimmt der Betriebsrat den Arbeitgeber auf Unterlassung der Überschreitung eines in einer Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeitguthabens in Anspruch.
Der Arbeitgeber stellt Sattelauflieger unterschiedlicher Bauart her. In seinem Betrieb in A1xxxxxxxx/H2xxxxxx beschäftigt er über 1000 Mitarbeiter.
Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der im Betrieb in A1xxxxxxxx/H2xxxxxx gewählte Betriebsrat.
Auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter finden die Tarifverträge für die Metallindustrie NRW Anwendung. Die Arbeitszeit beträgt 35 Stunden, zum Teil bis zu 40 Stunden pro Woche. Von den ca. 355 Angestellten arbeiten viele 40 Stunden pro Woche.
Die Arbeitszeit der Angestellten ist im Betrieb in einer zwischen den Beteiligten am 23.02.1999 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung "Arbeitszeitregelung für Angestellte" geregelt. Auf die Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung (Bl. 6 ff.d.A.) wird Bezug genommen.
Im Betrieb des Arbeitgebers wurde in der Zeit seit Dezember 1999 durch eine Vielzahl von Angestellten das jeweilige nach der Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 höchst mögliche Zeitguthaben von 150 Arbeitsstunden teilweise erheblich überschritten. In der Zeit von Dezember 1999 bis zum 01.09.2001 wurden insgesamt 2304,39 Stunden gekappt.
Bereits mit Schreiben vom 26.05.2000 (Bl. 9 d.A.) wandte sich der Betriebsrat gegen diese Überschreitung des Arbeitszeitguthabens.
Auch in der Folgezeit wurde das jeweilige Zeitguthaben von Angestellten von 150 Stunden überschritten und entsprechende Überstunden gekappt. Ferner leisteten Angestellte in zahlreichen Fällen eine tägliche Arbeitszeit von mehr als 10 Stunden.
Mit dem am 19.12.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag machte der Betriebsrat daraufhin einen Unterlassungsanspruch geltend.
Durch Beschluss vom 14.11.2001 hat das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Arbeitgeber habe die Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999, die eine Sollarbeitszeit und den Rahmen für zulässige Überstunden festlege, durchzuführen. Die Überschreitung der Kappungsgrenze sei nach der Betriebsvereinbarung unzulässig. Die über 150 Stunden hinausgehenden Überstunden seien auch vom Arbeitgeber betrieblich veranlasst. Die Einhaltung der Betriebsvereinbarung sei dem Arbeitgeber nicht unmöglich.
Gegen den dem Arbeitgeber am 22.11.2001 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Arbeitgeber am 21.12.2001 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 28.01.2002 mit dem am 28.01.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Arbeitgeber ist unter anderem der Auffassung, die Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 verbiete kein Zeitguthaben von mehr als 150 Stunden, sondern regele lediglich individualrechtlich den Verfall der über 150 Stunden hinausgehenden Überstunden. Die Ableistung von mehr als 150 Stunden sei nur dann betriebsverfassungswidrig, wenn es sich um betrieblich veranlasste Überstunden handele. Bei freiwillig geleisteten Überstunden, die über die Kappungsgrenze hinaus gingen, liege aber ohne Beteiligung des Betriebsrats keine Verletzung des Mitbestimmungsrechtes vor. Nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung solle jeder einzelne Arbeitnehmer dazu beitragen, dass der vorgegebene Arbeitszeitrahmen eingehalten werde. Nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung müsse zwischen betrieblich veranlassten und freiwillig geleisteten Überstunden differenziert werden.
Im Übrigen sei dem Arbeitgeber die Einhaltung der Kappungsgrenze unmöglich.
Auch bei der Überschreitung der Arbeitzeitgrenze von 10 Stunden täglich, handele es sich um Einzelfälle, die keinen kollektivrechtlichen Bezug hätten.
Der Arbeitgeber beantragt,
die Anträge des Betriebsrates zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen des zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrates wird auf die Schriftsätze vom 03.04.2002 und 23.05.2002 Bezug genommen.
II
Die zulässige Beschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses und sieht gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. von der Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab. Der Vortrag der Beteiligten im zweiten Rechtszug gibt Anlass lediglich zu folgenden ergänzenden Hinweisen:
Dem Betriebsrat steht grundsätzlich ein Anspruch auf Unterlassung von mitbestimmungswidrigen Maßnahmen zu, wenn der Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus § 87 BetrVG verletzt. Dieser Anspruch setzt auch keine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG voraus (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 23.07.1996 - AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 87 Rz. 596 und § 23 Rz. 99 f.; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 8. Aufl., § 87 Rz. 316; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl., § 235 Rz. 93 m.j.w.N.).
Dem Betriebsrat steht grundsätzlich auch ein Anspruch auf Durchführung von abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zu (BAG, Beschluss vom 28.09.1988 - AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG, Beschluss vom 23.06.1992 - AP Nr. 20 zu § 23 BetrVG 1972; Fitting, a.a.O., § 77 Rz. 227).
Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrates ist begründet, weil der Arbeitgeber in der Vergangenheit ständig gegen die Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 verstoßen und das bei der Überschreitung des Arbeitszeitguthabens von 150 Stunden bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG verletzt hat.
Dass in zahlreichen Fällen in der Vergangenheit seit Dezember 1999 das nach der Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 höchst zulässige Zeitstundenkonto von 150 Stunden durch Angestellte des Arbeitgebers überschritten worden ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. In zahlreichen Fällen haben Angestellte im Betrieb des Arbeitgebers auch über das gesetzlich höchst zulässige Maß von 10 Stunden täglich hinaus gearbeitet. All diese - unzulässigen - Arbeiten hat der Arbeitgeber ohne Einschaltung des Betriebsrates entgegen genommen. Damit hat er gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr,.2, 3 BetrVG verstoßen. Auch bei einer Gleitzeitvereinbarung wie in der vorliegenden Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 fallen Überstunden im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG an, wenn das maximal zulässige Zeitguthaben überschritten wird (LAG Hessen, Beschluss vom 09.10.1997 - NZA-RR 1999, 88; Däubler/Kittner/Klebe, § 87 Rz. 98 m.w.N.).
Diese Überstunden sind mitbestimmungspflichtig.
Die Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 kann auch nicht in der Weise ausgelegt werden, dass die Ableistung von mehr als 150 Stunden lediglich dann betriebsverfassungswidrig wäre, wenn es sich um betrieblich veranlasste Überstunden handele, freiwillig geleistete Überstunden, die über die Kappungsgrenze hinaus gingen, seien nicht mitbestimmungspflichtig. Dies ist unzutreffend. Die Betriebsvereinbarung vom 23.02.1999 regelt in § 3 Ziff. c) und d) ausdrücklich, dass eine Überschreitung des Zeitguthabens von 150 Stunden lediglich unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates möglich ist. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss kann insoweit Bezug genommen werden.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates entfällt auch nicht deshalb, weil die Überstunden von Angestellten freiwillig erbracht werden. Auch die Duldung von freiwillig geleisteten Überstunden durch den Arbeitgeber unterliegt dem Mitbestimmungsrecht. Auch das Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer beseitigt das Mitbestimmungsrecht nicht (BAG, Beschluss vom 27.11.1990 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG, Beschluss vom 16.07.1991 - AP Nr. 44 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Fitting, a.a.O., § 87 Rz. 144; Däubler/Kittner/Klebe, a.a.O., § 87 Rz. 98; Hanau/Kania, ErfK, 2. Aufl., § 87 BetrVG Rz. 34 m.w.N.). Der Betriebsrat hat auch bei Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes nicht nur mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber die Überstunden ausdrücklich angeordnet hat, sondern auch dann, wenn er diese nur duldet, indem er sie entgegennimmt. Der Arbeitgeber ist Herr seines Betriebes. Er kann und muss seinen Betrieb organisieren. Dementsprechend liegt es auch in seiner Macht und Verantwortung zu entscheiden, ob er Überstunden in seinem Betrieb zulässt oder nicht. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn dem Arbeitgeber die Verlängerung der Arbeitszeit im Einzelfall verborgen bleibt.
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Duldung/Entgegennahme der über das Zeitkonto von 150 Stunden hinausgehenden Stunden auch um einen kollektiven Tatbestand. Es geht nicht um die Gestaltung konkreter Arbeitsverhältnisse. Dies zeigt allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber trotz ständiger Proteste des Betriebsrates und trotz des vorliegenden Verfahrens der Arbeitgeber sich nicht imstande gezeigt hat, die Überschreitung des Zeitkontos von 150 Stunden abzustellen. Auch nach Verkündung des erstinstanzlichen Beschlusses sind unstreitig in zahlreichen Fällen wieder Überstunden gekappt worden.
Hieraus ergibt sich zudem, dass auch eine für den allgemeinen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben ist. Für diese besteht nämlich eine tatsächliche Vermutung, wenn in der Vergangenheit ständig Mitbestimmungsrechte verletzt worden sind (BAG, Beschluss vom 29.02.2000 - AP Nr. 105 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Besondere Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass eine weitere Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht in Betracht kommt, hat der Arbeitgeber nicht vorgetragen.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch dem Unterlassungsantrag des Betriebsrates stattgegeben, soweit die Entgegennahme von Arbeitsleistungen betroffen ist, die eine tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden überschreiten. Dies ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 1 ArbZG. Danach kann die tägliche Arbeitszeit von Arbeitnehmern höchstens auf bis zu 10 Stunden täglich verlängert werden. Eine darüber hinausgehende Entgegennahme von Arbeitsleistungen ist gesetzeswidrig.
Auch dem Antrag des Betriebsrates, dem Arbeitgeber für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen, hat das Arbeitsgericht zu Recht entsprochen. Dieser Antrag folgt aus § 890 ZPO. Die Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO ist auch bereits im Erkenntnisverfahren möglich und zulässig (LAG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.1988 - DB 1989, 536; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Gloege, ArbGG, 4. Aufl., § 85 Rz. 27). Die Möglichkeit der Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO wird auch nicht durch die Regelung in § 23 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen oder eingeschränkt. § 23 Abs. 3 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung (Fitting, a.a.O., § 23 Rz. 108; Wiese/Oetker, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 23 Rz. 166; Däubler/Kittner/Klebe/Trittin, a.a.O., § 23 Rz. 135 m.w.N.).
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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