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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.08.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 385/06
Rechtsgebiete: InsO, SGB III, ZPO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 36
InsO § 80
InsO § 81
InsO § 82
InsO § 304 Abs. 1 Satz 1
SGB III § 178
SGB III § 181 Abs. 2 Satz 1
SGB III § 216 b Abs. 10
ZPO § 850 e Nr. 2
ZPO § 850 e Nr. 2 a
1. Ist über das Vermögen eines Arbeitnehmers das Insolvenzverfahren gemäß § 304 InsO eröffnet worden, kann der Insolvenzverwalter vom Arbeitgeber die Abführung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens zur Insolvenzmasse verlangen. Die Berechnung des dem Schuldner verbleibenden unpfändbaren Arbeitseinkommens richtet sich nach den Pfändungsschutzbestimmungen gemäß §§ 850 ff ZPO.

2. Bezieht der Schuldner, der aufgrund eines dreiseitigen Vertrages zu einer

Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gewechselt ist, neben dem Transferkurzarbeitergeld gemäß § 216 b SGB III einen Aufstockungsbetrag zur Sicherung seines bisherigen Nettoentgelts, handelt es sich um ein einheitliches Arbeitseinkommen. Eines Zusammenrechnungsbeschlusses gemäß § 850 d Nr. 2 bzw. Nr. 2 a ZPO bedarf es nicht.


Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20.01.2006 - 1 Ca 4841/05 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.126,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2004 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte als Insolvenzverwalter über das Vermögen des C1xxxxxxxx T1xxx auf Abführung der pfändbaren Bezüge des Schuldners aus dem Zeitraum Dezember 2003 bis November 2004 in unstreitiger Höhe von 2.126,00 € in Anspruch.

Das zwischen dem Insolvenzschuldner und der Firma V2xxxxx D3xxxxxxxxx GmbH Werk D4xxx/W4xxxxxx bestandene Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag am 30.11.2003 gegen Zahlung einer Abfindung. Gleichzeitig wurde zwischen dem Schuldner und der Beklagten, einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, ab 01.12.2003 ein bis zum 30.11.2004 befristetes Arbeitsverhältnis begründet. Für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten wurden gemäß Interessenausgleich/Sozialplan V2xxxxx vom 28.03.2003 folgende Vergütungsleistungen vereinbart:

"a) Strukturkurzarbeitergeld in Höhe von 60 % bzw. 67 % der Nettoentgeltdifferenz des zuletzt bei V2xxxxx bezogenen Arbeitsentgeltes gemäß §§ 178 ff SGB III .

b) Das Strukturkurzarbeitergeld wird auf 90 % des Nettoentgeltes des Beschäftigen nach Maßgaben der folgenden Regelungen aufgestockt. ..."

Durch Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 12.12.2003 - 145 IN 1143/03 - wurde über das Vermögen des C1xxxxxxxx T1xxx das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss heißt es:

"Wer Verpflichtungen gegenüber dem Schuldner hat, wird aufgefordert, nicht mehr an diesen zu leisten, sondern nur noch an den Insolvenzverwalter."

Der Kläger informierte die Beklagte am 16.12.2003 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und forderte sie auf, die jeweils pfändbaren Bezüge des Schuldners abzuführen.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dazu nicht verpflichtet zu sein, weil der Schuldner neben dem Strukturkurzarbeitergeld einen Aufstockungsbetrag erhalte, dessen Höhe die Pfändungsfreigrenze nicht übersteige und ein Zusammenrechnungsbeschluss gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO nicht vorliege.

Demgegenüber ist der Kläger der Auffassung, bei der Ermittlung der Pfändungsfreigrenzen sei das Strukturkurzarbeitergeld auch ohne Zusammenrechnungsbeschluss zu berücksichtigen, weil Kurzarbeitergeld und Aufstockungsbetrag einheitlich abgerechnet und ausgezahlt würden.

Die dem Schuldner für die Monate Dezember 2003 bis einschließlich November 2004 erteilten Verdienstabrechnungen weisen jeweils einen bestimmten Überweisungsbetrag aus, der sich aus dem errechneten Kurzarbeitergeld und dem Aufstockungsbetrag zusammensetzt. Auf die eingereichten Verdienstabrechnungen (Bl. 39 bis 48 d.A.) wird Bezug genommen.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn C1xxxxxxxx T1xxx 2.126,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20.01.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, Teile des Entgelts des Insolvenzschuldners an die Insolvenzmasse auszukehren, weil weder das Strukturkurzarbeitergeld noch der Aufstockungsbetrag für sich genommen die Pfändbarkeitsschwelle gemäß § 850 c ff ZPO überschritten. Beides könne nur dann zusammengerechnet werden, wenn der Kläger, was unstreitig nicht geschehen sei, einen Zusammenrechnungsbeschluss gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO erwirkt hätte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er vor, eines Zusammenrechnungsantrags habe es nicht bedurft, weil es sich bei der von der Beklagten an den Schuldner ausgezahlten Vergütung um einen einheitlichen Gesamtbetrag handele, der nicht in einzelne und für sich losgelöst zu betrachtende Einzelposten aufzuteilen sei. Die Beklagte sei aufgrund des dreiseitigen Vertrages in die Funktion als Arbeitgeberin des Schuldners eingetreten. Auf welche Weise sie die an den Schuldner auszuzahlende Vergütung refinanziere, sei für die Frage der Berechnung der Pfändbarkeit unerheblich.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 20.01.2006 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund - 1 Ca 4841/05 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.126,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt unter Aufrechterhaltung und Bekräftigung ihres Rechtsstandpunktes ergänzend vor, in dem maßgeblichen dreiseitigen Vertrag vom 23.05./02.07.2003 sei ausdrücklich zwischen Kurzarbeitergeld und Aufstockungsvertrag differenziert worden und demgemäß von Vergütungsleistungen die Rede. Die erstinstanzliche Entscheidung habe daher richtigerweise zwischen dem Strukturkurzarbeitergeld als Leistung nach dem SGB einerseits und dem Aufstockungsbetrag andererseits differenziert. Die Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen und laufenden Geldleistungen nach dem SGB könne ausschließlich das Vollstreckungsgericht anordnen, so dass es eines Zusammenrechnungsbeschlusses bedurft hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

In der Berufungsverhandlung sind die Verdienstabrechnungen des Schuldners und ihre Zusammensetzung erläutert worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger 2.126,00 € nebst Zinsen zu zahlen.

I

Der Kläger hat gemäß §§ 304 Abs. 1 Satz 1, 80, 81, 82, 35, 36 InsO Anspruch auf den pfändbaren Teil der Vergütung des Schuldners. Die Forderungen des Schuldners gegenüber der Beklagten auf Arbeitsverdienst gehören gemäß § 35 InsO zu den Vermögensgegenständen, die vom Insolvenzverfahren erfasst werden und in die Insolvenzmasse fallen. Nur der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens verbleibt gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO beim Schuldner. Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist zur Insolvenzmasse zu ziehen. Arbeitseinkommen für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt als Neuerwerb gemäß § 35 InsO ebenfalls in die Insolvenzmasse (Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 36 Rdnr. 16). Die Berechnung des zur Insolvenzmasse gehörenden pfändbaren Arbeitseinkommens richtet sich gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nach den Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO (Nerlich/Römermann/Andres, InsO, Stand September 2005, § 36 Rdnr. 10; Eickmann, in HK-InsO, 4. Aufl., § 36 Rdnr. 10). Verfügt der Schuldner über mehrere Arbeitseinkommen oder hat er neben seinem Arbeitseinkommen Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB, kann gemäß § 850 e Nr. 2 bzw. Nr. 2 a ZPO eine Zusammenrechnung erfolgen. Über die Zusammenrechnung entscheidet entweder das Vollstreckungsgericht gemäß § 850 f ZPO oder das Insolvenzgericht gemäß § 36 Abs. 4 InsO (vgl. dazu Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 36 Rdnr. 31). Vorliegend ist der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens aus dem Verdienst zu ermitteln, der sich aus der Addition von Transferkurzarbeitergeld und Aufstockungsbetrag ergibt. Eines Zusammenrechnungsbeschlusses bedurfte es nicht, weil der Verdienst des Schuldners nicht in zwei getrennt zu behandelnde Vermögensgegenstände aufzuteilen ist.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der an den Kläger ausgezahlte Verdienst pfändungsrechtlich nicht in zwei verschiedene Forderungen aufgeteilt werden, die jeweils für sich betrachtet den Pfändungsschutzbestimmungen unterliegen. Einsammenrechnungsbeschluss ist weder zur Sicherstellung der Pfändungsschutzbestimmungen noch im Interesse der Beklagten als Drittschuldnerin geboten. Eine Zusammenrechnung kommt gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO nur in Betracht, wenn der Schuldner mehrere, jeweils selbständige Forderungen gegenüber einem oder gegenüber mehreren Arbeitgebern hat, weil neben Ansprüchen auf Arbeitsvergütung auch noch Ansprüche auf Versorgungsleistungen oder Betriebsrenten bestehen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 850 0e Rdnr. 3; Behr, Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen und/oder Sozialleistungen, JurBüro 1996, 234). Vorliegend sind die Ansprüche des Schuldners auf Kurzarbeitergeld bzw. Transferkurzarbeitergeld gemäß den §§ 178 ff SGB III a.F. bzw. § 216 b SGB III in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung und der Aufstockungsanspruch des Klägers keine getrennten Vermögensgegenstände, die es rechtfertigen, jede Leistung für sich nach den Regeln der Einkommenspfändung gesondert zu betrachten. Eine pfändungsrechtlich getrennte Behandlung ist nur dann erforderlich, wenn einerseits mit den verschiedenen Leistungen ein besonderer Schutz des Arbeitnehmers verknüpft ist und andererseits der Arbeitgeber den genauen Umfang und die Zusammensetzung der unpfändbaren Anteile nicht sicher kennt (vgl. dazu BAG vom 24.02.2002 - 10 AZR 42/01 - NJW 2002, 3121). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn im Rahmen einer Sicherungsabtretung zu prüfen ist, ob eine von der BfA gezahlte Rente und Arbeitseinkommen zusammenzurechnen sind. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 850 e Nr. 2 a ZPO erfordern im vorliegenden Fall einen Zusammenrechnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts. Gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO sind mit dem Arbeitseinkommen auf Antrag auch Ansprüche auf laufende Leistungen nach dem SGB zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Ein Zusammenrechnungsbeschluss war wegen des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen Kurzarbeitergeld und Aufstockungsbetrag entbehrlich. Es handelt sich um eine einheitliche Leistung, die nur wegen der unterschiedlichen Refinanzierung der Beklagten und zum Zwecke der Errechnung der vertraglichen Höhe des Vergütungsanspruchs aufgeteilt worden ist. In Wirklichkeit geht es um einen einheitlichen Betrag, der wirtschaftlich an die Stelle des Arbeitsentgeltanspruchs tritt. Pfändungsrechtlich macht die Unterscheidung keinen Sinn, denn gemäß § 216 b Abs. 10 SGB III finden auf das Transferkurzarbeitergeld die Vorschriften für das Kurzarbeitergeld entsprechende Anwendung. Daher gilt die Beklagte gemäß § 181 Abs. 2 Satz 1 SGB III zwangsvollstreckungsrechtlich als Drittschuldnerin. Das Transferkurzarbeitergeld ist daher gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar (Niesel, SGB III,3. Aufl., § 181 Rdnrn. 3 und 4). Die Beklagte ist nicht bloß Auszahlungsstelle einer Leistung, die dem Schuldner gegen die Agentur für Arbeit zusteht, sondern sie hat gemäß § 320 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Leistungen kostenlos zu errechnen und auszuzahlen und gilt im Rahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 181 Abs. 2 Satz 1 SGB III als Drittschuldnerin (Gagel/Bieback, SGB III, Stand Juli 2003, § 181 Rdnr. 14; GK-SGB III/Feckler, Stand Mai 2005, § 181 Rdnr. 10). Ist das Kurzarbeitergeld gemäß § 178 SGB III pfändungsrechtlich wie Arbeitsentgelt zu behandeln, kann es gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO nicht deshalb als laufende Geldleistung nach dem SGB behandelt werden, weil es neben dem Arbeitseinkommen in Gestalt des Aufstockungsbetrages gezahlt wird. Die dem Kläger insgesamt zustehende Vergütung in Höhe von 90 % seines letzten Nettoverdienstes unterliegt als einheitlicher Betrag der Pfändung. Eines weitergehenden Schutzes des Schuldners bedarf es nicht. Ebenso wenig ist die Beklagte schützenswert, denn sie kann den an den Kläger auszuzahlenden unpfändbaren Betrag ohne weiteres errechnen und bestimmen.

2. Es handelt sich auch nicht um mehrere Arbeitseinkommen i.S.v. § 850 e Nr. 2 ZPO, denn das Strukturkurzarbeitergeld und der Aufstockungsbetrag bilden eine Einheit. Der jeweils an den Schuldner ausgezahlte Gesamtbetrag bildete die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners i.S.v. § 850 e Nr. 2 Satz 2 ZPO. Das Kurzarbeitergeld und der Zuschuss sind zusammengenommen die aus dem dreiseitigen Vertrag resultierende Vergütung des Klägers und ergänzen sich zu einer Gesamtversorgung in Höhe von 90 % seines bisherigen Nettoverdienstes (vgl. dazu BAG vom 14.08.1990 - 3 AZR 285/89 - NZA 1991, 147). Es macht keinen Sinn, dem Schuldner pfändungsrechtlich zweimal die volle Freigrenze einzuräumen. Es treten keinerlei Schwierigkeiten auf, die nur durch einen Zusammenrechnungsbeschluss gemäß § 850 e Nr. 2 ZPO vermieden werden könnten. Die Beklagte kannte den monatlich an den Kläger auszuzahlenden Nettoverdienst und konnte den pfändbaren Betrag ohne weiteres ermitteln.

3. Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

II

Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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