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Gericht: Landesarbeitsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 06.06.2007
Aktenzeichen: 2 TaBV 2/07
Rechtsgebiete: ArbGG, AGG
Vorschriften:
ArbGG § 98 Abs. 1 Satz 2 | |
AGG § 13 Abs. 1 |
LANDESARBEITSGERICHT SAARLAND Im Namen des Volkes ! BESCHLUSS
Verkündet am 6. Juni 2007
In dem Beschlussverfahren hat die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts Saarland durch ihren Vorsitzenden auf die mündliche Anhörung vom 6. Juni 2007 beschlossen: Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 22. März 2007 (1 BV 4/07) wird zurückgewiesen. Gründe: A.
Der Antragsgegner betreibt eine Vielzahl von Drogeriemärkten in Deutschland. Der Antragsteller ist der Betriebsrat, der für die Filialen der Region T. zuständig ist. Diese Filialen werden von dem Verkaufsbüro des Antragsgegners in S. betreut. Im Dezember 2006 teilte der Antragsgegner in einem Rundschreiben an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Filialen unter anderem folgendes mit:
"Die Fa. S. hat eine betriebliche Beschwerdestelle gem. § 13 AGG eingerichtet. Bitte richten Sie alle das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz betreffenden Beschwerden an das für Sie zuständige Verkaufsbüro."
Der Antragsteller ist der Auffassung, dass ihm bei der Einrichtung einer Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG zusteht. Er hatte deshalb den Antragsgegner aufgefordert, darüber Verhandlungen mit ihm aufzunehmen. Dem kam der Antragsgegner nicht nach. Der Antragsteller erstrebt deshalb die Bildung einer Einigungsstelle, die sich mit der Einrichtung der Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG befassen soll. Er hat beim Arbeitsgericht beantragt, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik "Einrichtung einer Beschwerdestelle gemäß § 13 Absatz 1 AGG" Herrn B., Richter am Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, zu bestellen und die Zahl der von den Beteiligten jeweils zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, dass dem Antragsteller bei der Einrichtung der Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG kein Mitbestimmungsrecht zustehe. Das sei offensichtlich im Sinne von § 98 Absatz 1 Satz 2 ArbGG. Vorsorglich hat der Antragsgegner darauf verwiesen, dass die von dem Antragsteller gewünschte Anzahl der Beisitzer überhöht sei.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Antragstellers stattgegeben, allerdings die Anzahl der von den Beteiligten jeweils zu benennenden Beisitzer auf zwei festgesetzt. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er sein Ziel, dass der Antrag zurückgewiesen wird, weiterverfolgt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts (Blatt 33 bis 36 der Akten) sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten im Beschwerdeverfahren verwiesen.
B.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Antragstellers zu Recht stattgegeben. Das Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Nach § 98 Absatz 1 Satz 2 ArbGG kann der Antrag auf Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und auf Festsetzung der Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle (§ 76 Absatz 2 Satz 2 und 3 BetrVG) wegen einer fehlenden Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle nur dann, wenn ihre Zuständigkeit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist; das muss bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar sein (dazu beispielsweise LAG München, Beschluss vom 20. Oktober 2005, 4 TaBV 61/05, abrufbar bei juris, mit umfangreichen weiteren Nachweisen; dazu außerdem der Beschluss der Kammer vom 14. Mai 2003, 2 TaBV 7/03). Das kommt etwa dann in Betracht, wenn dem Betriebsrat, der die Bildung einer Einigungsstelle erstrebt, in Bezug auf die Thematik, mit der sich die Einigungsstelle beschäftigen soll, offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.
Offensichtlich in einem bestimmten Sinne zu beantworten ist eine Rechtsfrage etwa dann, wenn sie von dem Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung in einem bestimmten Sinne entschieden ist und im Anschluss daran auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der arbeitsrechtlichen Literatur gegen die von dem Bundesarbeitsgericht vertretene Auffassung keine beachtliche Kritik mehr vorgebracht wird. Das Bundesarbeitsgericht hat sich - im Hinblick darauf, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erst am 18. August 2006 in Kraft getreten ist - mit der Rechtsfrage, ob dem Betriebsrat bei der Einrichtung der Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG ein Mitbestimmungsrecht zusteht, noch nicht befassen können. Auch eine Entscheidung eines Landesarbeitsgerichts dazu ist - soweit dies für die Kammer ersichtlich ist - bislang noch nicht ergangen. Bislang gibt es erst einige Entscheidungen von Arbeitsgerichten. Diese Arbeitsgerichte (Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 20. Februar 2007, 9 BV 3/07, abrufbar bei juris; Arbeitsgericht Frankfurt, Beschluss vom 14. März 2007, 17 BV 115/07; Arbeitsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 22. März 2007, 8 BV 2/07; Arbeitsgericht Siegburg, Beschluss vom 5. April 2007, 1 BV 58/07; Arbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 18. April 2007, 12 BV 46/07) verneinen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG in Bezug auf die Einrichtung der Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG - insbesondere unter Hinweis auf den Vorrang einer vorhandenen gesetzlichen Regelung (§ 87 Absatz 1 Satz 1 BetrVG) - und sind darüber hinaus der Auffassung, es sei offensichtlich im Sinne von § 98 Absatz 1 Satz 2 ArbGG, dass ein solches Mitbestimmungsrecht nicht bestehe. Jedenfalls die zuletzt genannte Auffassung teilt die Kammer nicht.
Gibt es noch keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung und haben sich auch die Landesarbeitsgerichte noch nicht mit der Rechtsfrage befasst, so kommt es für die Beurteilung, ob die Rechtsfrage offensichtlich in einem bestimmten Sinne zu beantworten ist, zwar auch auf die bislang ergangene Rechtsprechung von Arbeitsgerichten an, besonders wenn diese einheitlich ist, daneben aber auch darauf, ob sich in der arbeitsrechtlichen Literatur zu dieser Rechtsfrage bereits eine einheitliche Auffassung herausgebildet hat (insbesondere zu letzterem etwa Hessisches LAG, Beschluss vom 1. August 2006, 4 Ta BV 111/06, NZA-RR 2007, 199, und LAG Köln, Beschluss vom 16. Dezember 2005, 11 TaBV 48/05, abrufbar bei juris, sowie LAG Köln, Beschluss vom 13. Januar 1998, 13 TaBV 60/97, NZA 1998, 1018, jeweils mit weiteren Nachweisen). Eine solche einheitliche Auffassung hat sich aber noch keineswegs gebildet.
Allerdings wird in der arbeitsrechtlichen Literatur überwiegend die Auffassung vertreten, dass bei der Einrichtung der Beschwerdestelle kein Mitbestimmungsrecht bestehe, was insbesondere daraus folge, dass der Arbeitgeber mit der Einrichtung dieser Beschwerdestelle lediglich seine gesetzliche Verpflichtung nach § 13 Absatz 1 AGG erfülle, er also lediglich das Gesetz vollziehe. Das wird zum Beispiel von Gach/Julis (Beschwerdestelle und -verfahren nach § 13 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, BB 2007, 773, 774 f) - mit beachtlichen Argumenten, aber auch mit einigem Begründungsaufwand - vertreten, aber auch von einer Reihe weiterer Autoren (umfangreiche weitere Nachweise dazu ebenfalls bei Gach/Julis, BB 2007, 773, 774, Fußnote 22). Anders gesehen wird das aber von nicht wenigen anderen Autoren. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG wird - unter Hinweis darauf, dass Benachteiligungen durch Betriebsangehörige typischerweise das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer beträfen und dass gesetzliche Vorgaben für die Bestimmung der zuständigen Stelle im Sinne von § 13 Absatz 1 AGG nicht bestünden - beispielsweise bejaht von Schlachter (in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Auflage 2007, Randnummer 1 zu § 13 AGG). Ein sich aus § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG ergebendes Mitbestimmungsrecht bei der Einrichtung oder der Benennung der zuständigen Beschwerdestelle wird - wenn auch ohne nähere Begründung - außerdem bejaht von Perreng (in: Nollert-Borasio/Perreng, AGG, Randnummer 3 zu § 13 AGG) und von Kamanabrou (Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, RdA 2006, 321, 335). Mit näherer Begründung bejaht wird ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG von Ehrich/Frieters (Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei Errichtung und Gestaltung der "zuständigen" Stellen im Sinne von § 13 Absatz 1 AGG, DB 2007, 1026, 1027) und von Nägele/Frahm (Die Beschwerdestelle - Pflicht oder Kür, ArbRB 2007, 140, 142). Ehrich/Frieters sind der Ansicht, die personelle Besetzung der Beschwerdestelle unterliege der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG. Zum einen handele es sich bei der personellen Besetzung der Beschwerdestelle im weitesten Sinne um eine Maßnahme, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Organisation betreffe und berühre; es gehe dabei nämlich um die Frage, bei welcher Person oder Personengruppe die Arbeitnehmer von dem ihnen nach § 13 Absatz 1 AGG zustehenden Beschwerderecht Gebrauch machen könnten. Zum anderen werde ein etwaiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Regelung des Beschwerdeverfahrens - jedenfalls ein solches Mitbestimmungsrecht hatte auch das Arbeitsgericht Frankfurt in einer Entscheidung vom 23. Oktober 2006 (21 BV 690/06, abrufbar bei juris) bejaht - nicht selten leer laufen, wenn der Arbeitgeber die Beschwerdestelle einseitig mitbestimmungsfrei personell besetzen könne. Nägele/Frahm sind der Meinung, dass die Bekanntmachung der zuständigen Stelle durch den Arbeitgeber nach § 12 Absatz 5 AGG zwar kein Mitbestimmungsrecht auslöse, denn insoweit vollziehe der Arbeitgeber nur die gesetzliche Vorgabe, die Person zu benennen, die für die Entgegennahme von Beschwerden zuständig sei. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn der Arbeitgeber institutionalisierte Regeln für die Behandlung von Beschwerden und die Durchführung des Beschwerdeverfahrens festlegen wolle. Insbesondere die Einführung einer Beschwerdeordnung, also die Festlegung verbindlicher Regeln für die Behandlung von Beschwerden und die Durchführung des Verfahrens, löse das Mitbestimmungsrecht aus. Dies gelte - so führen Nägele/Frahm schließlich aus - schon dann, wenn der Arbeitgeber seine Handlungsobliegenheit nach § 13 Absatz 1 Satz 2 AGG delegiere, insbesondere an eine bestimmte Stelle im Betrieb, und zwar unabhängig vom konkreten Einzelfall.
Folgt man den zuletzt dargestellten Auffassungen, so kommt hier ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats deshalb in Betracht, weil der Antragsgegner für alle Fälle von Beschwerden nach § 13 Absatz 1 AGG eine bestimmte Beschwerdestelle eingerichtet hat, nämlich das Verkaufsbüro in S., von dem aus die Filialen der Region betreut werden; damit ist zugleich die Entscheidung getroffen, dass die Beschwerden nach § 13 Absatz 1 AGG unter der Regie des Leiters oder der Leiterin des Verkaufsbüros bearbeitet werden. Die angeführten Auffassungen, die in einem solchen Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG bejahen, sind jedenfalls bedenkenswert und damit vertretbar. Es lässt sich argumentieren, dass sich aus der gesetzlichen Regelung in § 13 Absatz 1 - und auch aus § 12 Absatz 5 AGG - nur ergebe, dass es bei jedem Arbeitgeber eine Stelle geben muss, die für die Entgegennahme von Beschwerden zuständig ist, dass hingegen nicht auch gesetzlich geregelt ist, welche Stelle im Betrieb diese Aufgabe wahrnimmt, so dass § 87 Absatz 1 BetrVG hinsichtlich der zuletzt genannten Frage keine Sperrwirkung in Bezug auf das Mitbestimmungsrecht entfalte. Weiter lässt sich argumentieren, dass mit der Einrichtung einer bestimmten Beschwerdestelle auch das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betroffen ist, weil die Beschwerdestelle sich mit diesem Ordnungsverhalten zu befassen hat. Ob eine solche Argumentation letztlich überzeugend ist oder ob ihr andere, gewichtigere Argumente entgegenstehen, ist im Rahmen von § 98 ArbGG nicht von Bedeutung. Im Rahmen dieser Vorschrift kommt es nur darauf an, dass eine solche Argumentation jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend oder unvertretbar erscheint. Das gilt um so mehr, als die Diskussion dieser Frage in der Rechtsprechung und in der arbeitsgerichtlichen Literatur gerade erst begonnen hat und keineswegs bereits abgeschlossen sein dürfte. Das wird auch daran deutlich, dass die meisten der oben angeführten Literaturstellen von den Arbeitsgerichten bei ihren Entscheidungen noch gar nicht berücksichtigt werden konnten, weil die betreffenden Beiträge erst zeitlich nach diesen Entscheidungen veröffentlicht wurden.
Es bleibt danach der einzurichtenden Einigungsstelle vorbehalten zu prüfen und zu entscheiden, ob das Mitbestimmungsrecht besteht und sie daher zuständig ist oder ob das nicht der Fall ist. Dem Antrag war daher stattzugeben. Auch die von dem Arbeitsgericht festgesetzte Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer ist nicht zu beanstanden. Im Regelfall ist die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei festzusetzen (näher dazu etwa das Hessische LAG, Beschluss vom 13. September 2005, 4 Ta BV 86/05, abrufbar bei juris, mit weiteren Nachweisen). Davon hier abzuweichen, besteht kein Anlass. Sollte die Einigungsstelle zu der Einschätzung gelangen, dass sie zuständig ist, dann wird sie sich auch mit der nicht einfachen Frage befassen müssen, von wem für den Betrieb die Befugnisse der Beschwerdestelle nach § 13 Absatz 1 AGG wahrgenommen werden sollen. Es ist zu erwarten, dass in Bezug auf diese Frage zwischen den Betriebspartnern erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen werden.
Ende der Entscheidung
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