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Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 19.11.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 131/02
Rechtsgebiete: MTV, KSchG, BetrVG, BGB
Vorschriften:
MTV § 2 Ziff. 2 c | |
MTV § 14 Abs. 4 | |
MTV § 14 Ziffer 4 | |
KSchG § 1 | |
KSchG § 9 Abs. 1 S. 2 | |
KSchG § 102 Abs. 1 S. 2 | |
BetrVG § 102 | |
BetrVG § 102 Abs. 1 | |
BGB § 626 Abs. 1 |
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
verkündet am 19.11.2002
In dem Rechtsstreit
wegen Kündigung
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung am 19.11.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke, die ehrenamtliche Richterin Schmidt und den ehrenamtlichen Richter Grande als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 12.12.2001 - 5 Ca 3790/01 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie um einen hilfsweisen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.
Der 1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern seit 1969 als Redakteur und zuletzt Leiter der Lokalredaktion ... der von der beklagten herausgegebenen ... Tageszeitung "..." beschäftigt. Vor der Wiedervereinigung war die "..." Parteiorgan der Bezirksleitung ... der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), das durch die Beklagte nach der Wende übernommen wurde. Gemäß § 2 des undatierten Arbeitsvertrages der Parteien (Bl. 24 - 28 d.A.) ist der Kläger zur Einhaltung der festgelegten Richtlinien, Grundsätze, Aufgaben und Zielsetzungen der Zeitung verpflichtet. In § 16 des Arbeitsvertrages ist ergänzend auf die für das Unternehmen einschlägigen bestehenden oder künftigen Tarifverträge für Redakteure an Tageszeitungen in ihrer jeweiligen Fassung Bezug genommen. § 14 Ziffer 4 des Manteltarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure (MTV) an Tageszeitungen bestimmt:
"Der Vertrag kann von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund gelten insbesondere grobe Verstöße gegen die vereinbarten Richtlinien (§ 2 Abs. 2 c)."
In § 2 Ziff. 2 c MTV heißt es:
"Bei der Anstellung sind festzulegen: Die Verpflichtung des Redakteurs auf die Innehaltung von Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung."
Die Beklagte hat "publizistische Grundsätze und Leitlinien der "..." für Verlag, Chefredaktion und Redaktion aufgestellt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 61 f. d. A.). Gemäß Nr. II Abs. 2 der Leitlinien bemüht sich die ... vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen mit totaritären politischen Systemen um Aufklärung und objektive Darstellung und Bewertung der jüngeren deutschen Geschichte, um die politische Gestaltung der Zukunft in Freiheit zu ermöglichen. Eine Befragung ihrer von dem ehemaligen SED-Parteiorgan übernommenen Mitarbeiter auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR führte die Beklagte in der Folgezeit nicht durch. Auch ein anonymes Schreiben aus dem Jahre 1992, das den Kläger und weitere Kollegen in einen Zusammenhang mit dem MfS brachte (Bl. 275 d.A.), nahm sie hierfür nicht zum Anlass.
Im April 2000 berichtete das Konkurrenzblatt der Beklagten, die ..., aus Anlass ihres 10jährigen Bestehens über ihre Entstehungsgeschichte, insbesondere über Demonstrationen für Pressefreiheit und gegen das "SED-Blatt `...`", die im Herbst 1989 stattfanden. In diesem Zusammenhang wurde die Berichterstattung der "..." über die Demonstrationen aus Januar 1990 angeprangert.
Im Frühjahr 2001 erhielt die Beklagte nach ihrer Behauptung Informationen, wonach in ihrem Unternehmen noch Redakteure mit MfS-Vergangenheit tätig seien. Im Zuge daraufhin eingeleiteter Recherchen führte am 19.07.2001 der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Kläger ein Gespräch, in dem es um dessen frühere MfS-Verstrickung ging. Unstreitig gestand der Kläger eine annähernd 30 Jahre zurückliegende Verstrickung in den 70er Jahren ein. Einzelheiten des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig (vgl. Gedächtnisprotokoll des Klägers über das anschließende Gespräch mit dem für ihn verantwortlichen Regionalredakteur ..., Bl. 174, 175 R. d.A. sowie Darstellung der Beklagten im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 26.04.2002 S. 3 - 5 = Bl. 142 - 144 d.A.). Im Anschluss an das Gespräch mit dem Geschäftsführer informierte der Kläger in einem weiteren Gespräch den für ihn verantwortlichen Regionalredakteur ....
Mit Schreiben vom 23.07.2001 (Bl. 49 d.A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Zur Begründung der Maßnahme heißt es in dem Schreiben:
"Es liegen dem Unternehmen hinreichende und gesicherte Informationen vor, wonach Herr ... früher für das MfS tätig war. Auf Nachfrage bestätigte Herr ... eine frühere Stasiverstrickung.
Um einer Berichterstattung von Dritten zuvorzukommen, hat sich das Unternehmen im Interesse der Glaubwürdigkeit der Zeitung zur Kündigung von Herrn ... entschlossen."
Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 31.07.2001, dem Kläger am gleichen Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2002. Zugleich stellte sie den Kläger unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung seiner Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung frei.
Mit seiner am 21.08.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Er hat geltend gemacht, dass die Beklagte zur Begründung der Kündigung sich auf die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe beschränken müsse. Diese Gründe könnten eine Kündigung nicht rechtfertigen. Auch soweit die Beklagte darüber hinaus im Rechtsstreit zu seiner MfS-Verstrickung vorgetragen habe, rechtfertige dies eine Kündigung nicht. Auf Befragen des Geschäftsführers ... habe er von sich aus und ohne weitere Vorhaltungen über eine nahezu 30 Jahre zurückliegende Berührung mit dem MfS berichtet. Dabei habe er auch einen Vorgang mit seinem Kollegen ...angeführt. Ziel des Gespräches sei es gewesen, einer von dem Geschäftsführer ... behaupteten angeblichen Drucksituation der Beklagten wegen MfS-Verstrickung ihrer Mitarbeiter zu begegnen. Mit dem Mitarbeiter ... habe er sich inzwischen gemeinsam dessen Opferakte angesehen; diese enthalte keine von ihm gefertigten Berichte über ....
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 31.07.2001 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.03.2002 gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen.
Der Kläger hat beantragt,
den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sich zur Begründung der Kündigung auf mangelnde persönliche Eignung des Klägers als Redakteur einer Tageszeitung berufen. Hierfür hat sie vorgetragen, dass der Kläger am 19.07.2001 in dem Personalgespräch mit ihrem Geschäftsführer zugestanden habe, in den 70er Jahren aktiv informeller Mitarbeiter des MfS gewesen zu sein. Dabei habe er mehrere schriftliche Berichte über den Mitarbeiter ... gefertigt und darüber hinaus eingeräumt, zwei weitere Personen bespitzelt und auch über diese Personen schriftliche Berichte gefertigt zu haben. Den Inhalt dieses Gesprächs habe der Kläger auch gegenüber dem verantwortlichen Regionalredakteur ... bestätigt und des Weiteren gegenüber dem Mitarbeiter ... eingestanden, ihn bespitzelt und hierüber Berichte gefertigt zu haben.
Die Beklagte hat gemeint, dass der Kläger damit die spezifischen persönlichen Anforderungen als Redakteur in ihrem Unternehmen nicht erfülle. Eine Weiterbeschäftigung beeinträchtige ihre in den publizistischen Grundsätzen und Leitlinien verfasste Tendenz und damit ihre Glaubwürdigkeit. Zumindest rechtfertige dies den Auflösungsantrag.
Mit Urteil vom 12.12.2001, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgegeben und den hilfsweisen Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass unabhängig vom Umfang der Information an den Betriebsrat das Vorbringen der Beklagten im Rechtsstreit eine mangelnde Eignung des Klägers für eine Tätigkeit als Redakteur nicht zu begründen vermöge. Es fehle insbesondere an konkreten Tatsachen für eine MfS-Verstrickung des Klägers, die die gebotene Einzelfallabwägung zu seinen Lasten ausfallen lasse. Die Tatsache allein, dass der Kläger überhaupt für das MfS tätig geworden sei, genüge nicht. Das Auflösungsbegehren der Beklagten sei unbegründet, da sie keine konkreten Tatsachen für ihre Befürchtung vorgetragen habe, dass eine gegen sie gerichtete Kampagne drohe.
Gegen das ihr am 31.01.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 28.02.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 26.04.2002 - am 26.04.2002 - begründet. Die Beklagte macht geltend, dass der Kläger in den Gesprächen mit ihrem Geschäftsführer und dem Zeugen ... am 19.07.2001 eine ganz erhebliche MfS-Tätigkeit offenbart habe. Neben dem Zeugen ... seien weitere Personen betroffen gewesen, von denen eine nach Angaben des Klägers einen Selbsttötungsversuch unternommen habe. Die frühere Verstrickung des Klägers habe sich auch in seiner Tätigkeit als Redakteur in einer einseitigen und offenkundig interessenorientierten Behandlung einschlägiger Themen niedergeschlagen. So habe er im Jahre 1992 über die MfS-Verstrickung des früheren Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse ... nur das Notwendigste berichtet und sich im Juni auf einer öffentlichen Veranstaltung gegenüber dem Vorstandsmitglied für die angeblich zu kritische Berichterstattung eines Kollegen entschuldigt; hierüber habe er in der ... vom 23.06.1992 berichtet. Weiterhin habe er über die Kandidatur zweier ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter des MfS bei der Bürgermeisterwahl in ... im Jahr 2001 ebenfalls nur berichtet, soweit es unvermeidbar war, und eine Unterrichtung der übergeordneten Regionalredaktion unterlassen. Damit zeige der Kläger, dass er zu seiner eigenen Stasi-Vergangenheit keine ausreichende Distanz habe und der u.a. auf die Aufarbeitung der Vergangenheit gerichteten Tendenz der von der Beklagten herausgegebenen "..." zuwider handele. Im Lichte der institutionellen Pressefreiheit, die insbesondere in § 14 Abs. 4 des MTV ihren Niederschlag gefunden habe, sei die Kündigung gerechtfertigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen; hierbei sei der besondere, grundrechtlich gebotene Tendenzschutz der Beklagten zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die gefährdete Glaubwürdigkeit der von der Beklagten herausgegebenen Tageszeitung. Das Stigma der Stasivergangenheit hafte dem Kläger dauerhaft an und stelle daher eine fortwährende Belastung für das Arbeitsverhältnis dar. Hinzu trete die in Bezug auf MfS-Fragen tendenzwidrige Haltung als Redakteur. Insbesondere im Hinblick auf ihre eigene Vergangenheit als SED-Organ sowie auf die insoweit kritische Berichterstattung ihres Konkurrenzblattes ... sei der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar.
Die Beklagte beantragt,
1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 31.03.2002 gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er stellt den Inhalt des Gesprächs vom 19.07.2001 und seine von ihm offenbarte MfS-Verstrickung abweichend dar (Bl. 174, 174 R d.A.). Auch seine Berichterstattung über einschlägige Themen sei nicht zu beanstanden. Er habe sich in 18 Jahren vor der Wende sowie in 12 Jahren nach der Wende bewährt.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst beigefügten Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.07.2001 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet. Auch die Voraussetzungen für die von der Beklagten hilfsweise begehrte Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegen nicht vor.
1. Die ordentliche Kündigung vom 31.07.2001 ist gemäß § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.
a) Die Beklagte hat die Kündigung gegenüber ihrem Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 KSchG allein damit begründet, dass im Hinblick auf eine frühere MfS-Verstrickung des Klägers im Interesse der Glaubwürdigkeit der Zeitung einer Berichterstattung von Dritten zuvorgekommen werden müsse. Dauer, Art und Intensität der Verstrickung des Klägers und ihre zeitliche Lage spielten keine Rolle. Hierüber hat die Beklagte ihrem Betriebsrat keine näheren Informationen zukommen lassen, obwohl solche vorhanden waren. Sie spielten offenbar keine Rolle. Ebenso wenig hat die Beklagte die Kündigung gegenüber ihrem Betriebsrat darauf gestützt, dass die frühere MfS-Verstrickung des Klägers auch heute noch auf seine Haltung Auswirkungen habe und tendenzwidrige Einstellungen in seiner Tätigkeit als Redakteur zu Tage träten. Maßgeblich war allein die bloße Tatsache einer früheren Verstrickung und die Erwägung, dass einer Berichterstattung von Dritten im Interesse der Glaubwürdigkeit der Zeitung zuvorgekommen werden müsse.
Die Beklagte ist im Rechtsstreit an diese Kündigungsgründe gebunden. Dem Nachschieben anderer Kündigungsgründe sind gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG nach ständiger Rechtssprechung des BAG kollektivrechtliche Grenzen gesetzt, sofern es sich nicht um eine bloße Konkretisierung des Kündigungsgrundes handelt. Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrates bekannt sind, die er aber dem Betriebsrat - aus welchen Gründen auch immer - nicht vor Ausspruch der Kündigung mitteilt, kann er im späteren Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nicht nachschieben (BAG vom 18.12.1980, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 44; BAG vom 26.09.1991, EzA § 1 KSchG personenbedingte Kündigung Nr. 10; KR/Etzel, 6. Aufl. § 102 BetrVG Rz. 185 e m.w.N.).
Das Vorbringen der Beklagten im Rechtsstreit zu Ausmaß, Art und Intensität der MfS-Verstrickung des Klägers sowie zu seiner angeblichen einschlägig tendenzwidrigen Tätigkeit als Redakteur stellt nicht eine bloße Konkretisierung des dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgrundes dar. Obwohl der Beklagten in der Person ihres Geschäftsführers die vom Kläger im Gespräch am 19.07.2001 mitgeteilten Umstände seiner MfS-Verstrickung bekannt waren, hat sie davon abgesehen, den Betriebsrat hierüber zu informieren. Insbesondere hat sie mit keinem Wort erwähnt, dass die Tätigkeit nach Einlassung des Klägers nahezu 30 Jahre zurücklag. Wollte die Beklagte unter diesen Umständen die Kündigung gerade auf Art und Ausmaß der MfS-Verstrickung des Klägers stützen, hätte sie dem Betriebsrat irreführend einen wesentlichen Gesichtspunkt, nämlich den erheblichen zeitlichen Abstand dieser Tätigkeit, verschwiegen. Der bloße Hinweis auf eine "frühere" Tätigkeit genügt in Anbetracht des Untergangs des MfS mit dem Beitritt der ehemaligen DDR im Jahre 1990 keinesfalls. Der Beklagten ist jedoch zuzubilligen, dass sie wegen der Befürchtung einer Berichterstattung durch Dritte und im Interesse der Glaubwürdigkeit ihrer Zeitung die Kündigung auf die Tatsache der MfS-Verstrickung des Klägers schlechthin gestützt hat. Das gleiche gilt auch in Bezug auf die im Rechtsstreit in zweiter Instanz erstmals behauptete nachhaltige tendenzwidrige Haltung des Klägers als Redakteur. Auch dieser Gesichtspunkt spielte bei der Mitteilung der Kündigungsgründe an den Betriebsrat keine Rolle, obwohl alle Umstände und Fakten bekannt waren. Noch in erster Instanz hat die Beklagte mit keinem Wort hierauf abgestellt.
b) Der damit allein für die Kündigung verwertbare Grund rechtfertigt sie nicht. Es handelt sich um einen Grund, der in der Person des Klägers liegt, weshalb die Maßstäbe der personenbedingten Kündigung zur Anwendung gelangen. Der Kern der Störung stammt aus der Sphäre des Klägers, so dass betriebsbedingte Gründe ausscheiden. Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt regelmäßig ein vertragswidriges steuerbares Verhalten voraus. Die frühere MfS-Tätigkeit des Klägers stellt keine Vertragspflichtverletzung im Verhältnis zur jetzigen Beklagten dar.
Eine frühere Tätigkeit für das MfS kann allerdings auch außerhalb des öffentlichen Dienstes je nach den Umständen des Einzelfalles eine ordentliche oder auch außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann eine bewusste Tätigkeit für das frühere MfS sowie die Weitergabe von Informationen oder Schriftstücken an das MfS je nach den Umständen auch ohne vorherige Abmahnung geeignet sein, die außerordentliche Kündigung eines im öffentlichen Dienst in einem sensiblen Bereich beschäftigten Arbeitnehmers nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Auch bei einem Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft kann eine frühere Tätigkeit für das MfS je nach den Umständen und dem Tätigkeitsbereich des Betreffenden einen wichtigen Grund zu einer außerordentlichen Kündigung darstellen. Das gilt etwa, wenn ernsthafte Störungen des Betriebsfriedens oder der betrieblichen Verbundenheit zu befürchten sind, weil der Arbeitnehmer frühere eigene Kollegen bespitzelt hat. Auch kann arbeitsplatzbezogen die frühere MfS-Tätigkeit einen gravierenden persönlichen Eignungsmangel darstellen und so einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bilden (BAG v. 25.10.2001 - 2 AZR 559/00 nv. (juris); Sächsisches LAG vom 23.02.1999 - 10 Sa 1251/97, AfP 1999, 392).
Die Eignung des Redakteurs einer Tageszeitung kann durch seine frühere MfS-Verstrickung infrage gestellt sein. Dabei kommt es sowohl auf die früheren Umstände der Verstrickung als auch auf die heutigen Gegebenheiten an; denn der Kündigungsgrund i.S. des KSchG ist stets zukunftsbezogen. Eine frühere Tätigkeit für das MfS führt nicht in jedem Fall zur Ungeeignetheit für eine Tätigkeit als Redakteur. Maßgeblich sind die näheren Umstände der inoffiziellen Mitarbeit sowie ihrer Beendigung und die im Weiteren gezeigte Haltung des Redakteurs (vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB Rz. 498 m.w.N.; vgl. auch BVerfG vom 08.07.1997, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 57; Sächsisches LAG, a.a.O., II 1 e d.Gr.).
Da die Beklagte davon abgesehen hat, dem Betriebsrat nähere Einzelheiten über Umfang und Ausmaß sowie zeitliche Lage der MfS-Verstrickung des Klägers mitzuteilen, kann sie die mangelnde Eignung des Klägers für eine Tätigkeit als Redakteur nach dem Vorstehenden nicht mit der bloßen Tatsache seiner früheren MfS-Verstrickung begründen, zumal der Kläger nach der Wende bereits 12 Jahre für die Beklagte tätig gewesen ist. Erst Ausmaß, Intensität und Art der Tätigkeit sowie die Umstände ihrer Beendigung und die in der Folgezeit gezeigte Haltung könnten den Schluss auf mangelnde Eignung des Klägers begründen.
Die Beklagte kann die ordentliche Kündigung auch nicht auf eine Drucksituation oder die Notwendigkeit stützen, ihre Glaubwürdigkeit als Herausgeberin der ... "..." erhalten zu müssen. Eine konkrete Drucksituation hat die Beklagte weder dem Betriebsrat näher dargelegt noch im Rechtsstreit vorgetragen. Die abstrakte Gefahr, dass im Konkurrenzblatt "..." oder von sonstiger Seite über eine MfS-Verstrickung von Mitarbeitern der Beklagten berichtet wird, vermag die Kündigung 12 Jahre nach der Wende nicht ohne Weiteres zu begründen. Der Bericht der ... über den Werdegang der "..." zur Zeit der Wende lag im Zeitpunkt der Kündigung bereits deutlich über ein Jahr zurück; er hatte zudem das 10jährige Bestehen der ... zum Anlass, so dass konkrete Anhaltspunkte für weitere Veröffentlichungen nicht ersichtlich sind. Die Frage der Glaubwürdigkeit mag sich zwar für die Beklagte als Herausgeberin der ... "..." stellen; dies beruht jedoch in erster Linie auf ihrer Vergangenheit als "SED-Blatt". Wenn die Beklagte nach der Wende ihre Tageszeitung auf dem Fundament eines vormaligen SED-Organs errichtet hat, ohne die übernommenen Mitarbeiter in den Folgejahren zu einer früheren MfS-Verstrickung zu befragen (trotz eines anonymen Schreibens im Jahre 1992), so kann sie im Jahre 2001 nicht plötzlich eine frühere MfS-Verstrickung ungeachtet von Ausmaß, Intensität und zeitlichem Abstand zum Kündigungsgrund erheben, weil diese ihre Glaubwürdigkeit gefährde. Eine derartige Bereinigung ginge selbst über die Maßstäbe hinaus, die nach der Rechtsprechung im öffentlichen Dienst gelten. Etwaige Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Tageszeitung, die aus deren Herkunft als SED-Parteiorgan sowie der Übernahme der Mitarbeiter ohne Befragung zu einer früheren MfS-Verstrickung herrühren, kann die Beklagte 12 Jahre nach der Wende nicht durch übermäßige und undifferenzierte Reaktionen unterdrücken. Insbesondere im Hinblick auf die über 30jährige Betriebszugehörigkeit des Klägers, davon 12 Jahre nach der Wende, vermag die bloße Tatsache einer früheren MfS-Verstrickung des Klägers ein ausreichendes Lösungsinteresse der Beklagten nicht zu begründen.
II. Auch der Hilfsantrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ist nicht begründet. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG kann der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Die umstrittene Frage, ob der Arbeitgeber den Auflösungsantrag nicht auf solche Gründe stützen darf, die wegen Nichtbeteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG einem Verwertungsverbot unterliegen (vgl. KR/Spilger, § 9 Rz. 58 a m.w.N.), kann dahinstehen. Selbst unter Berücksichtigung des Prozessvortrags der Beklagten ist der Auflösungsantrag nicht begründet.
a) Zur Frage einer gegen sie gerichteten Kampagne oder eines sonstigen Drucks von dritter Seite hat die Beklagte auch in der Berufungsinstanz nichts Weiteres vorgetragen. Allein die abstrakte Gefahr einer etwaigen Kampagne genügt auch zur Rechtfertigung eines Auflösungsantrages nicht. Das gleiche gilt in Bezug auf die Frage der Glaubwürdigkeit der ... "...", selbst wenn für die Beklagte als Tendenzunternehmen besondere Maßstäbe gälten (BVerfG vom 20.02.1990, EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 36). Soweit kann auf die Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen werden (S. 10 - 11 d. Entscheidungsgründe).
b) Ausmaß und Intensität der früheren MfS-Verstrickung des Klägers rechtfertigen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung nicht. Sie stehen insbesondere nicht deshalb einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit zwischen den Parteien entgegen, weil sie die Eignung des Klägers für seine Arbeit als Redakteur in Zweifel zögen. Hierfür hat auch das von der Beklagten im Rechtsstreit näher dargelegte Ausmaß der Verstrickung des Klägers nicht ein solches Gewicht, dass es angesichts der 12jährigen Tätigkeit des Klägers nach der Wende ausreichende Zweifel an seiner Eignung begründen könnte. Nach dem Sachvortrag der Parteien ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit des Klägers für das MfS im Zeitpunkt der Kündigung nahezu 30 Jahre zurücklag. Sie betraf den Kollegen ... sowie zwei weitere Personen. Näheres zum Ausmaß der Verstrickung des Klägers ist nicht bekannt. Insbesondere liegen keine schriftlichen Berichte vor. Betriebliche Misshelligkeiten zwischen dem Kläger und dem Kollegen ... hat die Beklagte nicht vorgetragen. Soweit sie behauptet, die Tätigkeit des Klägers habe zu dem Selbstmordversuch einer von ihm bespitzelten Person aus seinem Verwandtschaftskreis geführt, kann dies der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Aus dem Gedächtnisprotokoll des Klägers über das 4-Augen-Gespräch mit dem Zeugen ... ergibt sich nicht, dass der Kläger gegenüber dem Zeugen ... zugestanden hat, dass er in diesem Fall als Spitzel dem MfS Informationen zugetragen hätte, geschweige denn, dass solche Informationen zu dem Selbstmordversuch beigetragen hätten. Die Behauptung der Beklagten, der Zeuge ... habe die Schilderungen des Klägers seinerzeit so verstanden, dass der Kläger der Stasi zunächst Hinweise bezüglich seines Schwagers gegeben hatte und dieser daraufhin von der Stasi in die "Enge getrieben" worden sei, kann als wahr unterstellt werden. Allein auf den Umstand, dass der Zeuge die Schilderung des Klägers seinerzeit in diesem Sinne verstanden hat, lässt sich nicht die Feststellung gründen, dass es auch so gewesen ist. Damit verbleibt die MfS-Verstrickung des Klägers insgesamt weitgehend ohne klare Konturen und kann die Feststellung fehlender Eignung nicht tragen.
Schließlich vermag auch das Vorbringen der Beklagten zur Berichterstattung des Klägers nach der Wende über Stasi-Themen nicht die Feststellung zu rechtfertigen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht zu erwarten sei. Der in zweiter Instanz hierzu erstmals gebrachte umfangreiche Parteivortrag genügt hierfür auch unter Berücksichtigung eines besonderen grundrechtlichen Schutzes der Beklagten als Presseunternehmen nicht. Die Beklagte hat in der über 10jährigen Berichterstattung des Klägers als Lokalredakteur bzw. Leiter einer Lokalredaktion in der Vergangenheit keinen Anlass gesehen, den Kläger wegen seiner Tätigkeit abzumahnen oder auch nur zu rügen. Das Ergebnis der Tätigkeit des Klägers ist dabei für die Beklagte offensichtlich und darüber hinaus öffentlich. Der Vorwurf, im Jahre 1992 über die MfS-Verstrickung eines früheren Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse ... nur das Notwendigste berichtet und sich darüber hinaus später für die kritische Berichterstattung eines Kollegen entschuldigt zu haben, lag bei Ausspruch der Kündigung ca. 9 Jahre zurück und war durch Abdruck in der ... dokumentiert. Arbeitsrechtliche Konsequenzen hat ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers allerdings nicht gezeitigt. Der Regionalredaktion war der Vorgang der MfS-Verstrickung spätestens im März bekannt geworden, so dass die vom Kläger allein zu verantwortende Zeit sich auf wenige Wochen beschränkt. Auch nach Bekanntwerden des Vorgangs hat die Beklagte noch mehrere Monate verstreichen lassen, bis sie aufgrund einer Recherche speziell darauf angesetzter Redakteure umfangreicher berichtete. Eine Verfehlung des Klägers kann darin nicht erkannt werden. Auch der bloße Hinweis auf eine umfangreichere Berichterstattung durch das Konkurrenzblatt begründet nicht die Feststellung einer Tendenzwidrigkeit und Vertragspflichtverletzung des Klägers. Das gleiche gilt für die beanstandete Berichterstattung des Klägers über die Wahl des Bürgermeisters in ... im Jahre 2001. Auch hier lässt sich nicht mit dem Hinweis auf eine umfangreichere Berichterstattung des Konkurrenzblattes und eine nur knappe Berichterstattung der Volksstimme eine Vertragspflichtverletzung oder Tendenzwidrigkeit des Klägers herleiten. Der Beklagten steht es frei, eine stärkere und akzentuiertere Berichterstattung über Stasi-Verstrickungen öffentlich Bediensteter von ihren Redakteuren zu verlangen. Dass sie mit einem solchen Ansinnen in der Vergangenheit an ihre Redakteure herangetreten wäre, hat sie nicht dargetan. Wenn die Berichterstattung des Klägers sich daher im Vergleich zu derjenigen der ... durch Zurückhaltung auszeichnet, vermag dies auch vor dem Hintergrund seiner früheren Verstrickung angesichts der eigenen Untätigkeit der Beklagten die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen.
III. Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
IV. Gründe, für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht.
Ende der Entscheidung
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