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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 323/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Ist die Umgehung einer Betriebsvereinbarung infolge des Fehlens klarer betrieblicher Anweisungen mit an sich zulässigen Mitteln möglich, bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung in der Regel einer einschlägigen Abmahnung.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 3 Sa 323/07

Verkündet am 19.12.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 19.12.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen ... als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.05.2007 - 5 Ca 242(4)/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung mit dem Vorwurf, die Klägerin habe eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Gewährung von Sachbezügen gezielt unterlaufen.

Die Klägerin ist am ....1982 geboren und seit dem 01.09.1999 bei der Beklagten als Kauffrau im Einzelhandel tätig. Sie erhielt zuletzt durchschnittlich 1.700,00 EUR brutto monatlich.

Jeder Mitarbeiter der Beklagten verfügt über ein sogenanntes Mitarbeiterkonto (MK-Konto). Auf dieses wird seit November 2005 aufgrund eines Sanierungstarifvertrages an Stelle von Weihnachtsgeld jährlich ein sogenannter Sachbezug in Höhe von 1.000,00 EUR für die Mitarbeiter gutgeschrieben. In einer ergänzenden Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.04.2005, Ziffer 3, heißt es:

"Der Sachbezug kann nur mit Käufen in der K. Warenhaus AG verrechnet werden. Eine Barauszahlung ist in jedem Fall ausgeschlossen."

Ziffer 5 der Gesamtbetriebsvereinbarung führt weiter aus:

"Da die Barauszahlung des Sachbezugs bzw. der Wunschkarte steuerrechtlich nicht möglich ist, verfällt ein bei Austritt eventuell noch bestehendes Guthaben bzw. ein Wert auf der Wunschkarte ersatzlos." (Bl. 20 d. a.).

Die Gesamtbetriebsvereinbarung hing am Schwarzen Brett aus. Steuerlich handelt es sich um eine Sachzuwendung. Das Mitarbeiterkonto wird allerdings noch nicht mit der Gutschrift der Zuwendung, sondern erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ware zufließt, unter Berücksichtigung des Vorwegabzuges von 4 % mit dem steuerrelevanten Rabattzähler belastet. Jeder Mitarbeiter kann mit seiner MK-Karte eine sogenannte Wunschkarte erwerben. Alle Wunschkarten sind einheitlich. Es ist nicht erkennbar, ob diese Wunschkarte von Mitarbeitern oder unternehmensfremden Personen erworben wurde. Ferner ist nicht erkennbar, ob auf die Wunschkarte Gehalt, Bargeld oder Sachbezug "aufgeladen" wurde. Es besteht auch keine Möglichkeit, bei einer Bezahlung mit einer Wunschkarte zu erkennen, ob es sich bei dem Guthaben um Sachbezug handelt. Wunschkarten kann man unter Abbuchung des Betrages verwenden, aber auch verkaufen; bei Ebay versteigern, verschenken etc. Bei einem Umtausch/einer Rückgabe von Ware kann der Betrag nicht auf die Wunschkarte zurückgebucht werden. Es wird Bargeld ausgezahlt ohne Differenzierung, ob es sich um Mitarbeiterkäufe oder um Käufe unternehmensfremder Personen handelt.

Der Klägerin wurde für das Jahr 2006 zur allgemeinen Urlaubszeit - allgemein vorgezogen - ein Teil des jährlichen Sachbezuges in Höhe von 500,00 EUR auf das Mitarbeiterkonto gebucht. Am 22.05.2006 kaufte sie über ihr MK-Konto eine Wunschkarte in Höhe von 100,00 EUR. Am gleichen Tag kaufte sie an der Kasse 6 in der Abteilung Damenoberbekleidung um 9.28 Uhr zwei hellblaue Lederjacken Größe 38 á 50,00 EUR. Der Personalrabatt wurde nicht in Anspruch genommen. Im gleichen Atemzug tauschte sie um 9.28 Uhr an Kasse 7 die Kleidungsstücke zurück und erhielt den Kaufpreis in Höhe von insgesamt 100,00 EUR in Bargeld ausgezahlt.

Am 13.06.2006 kaufte sie über ihr MK-Konto eine Wunschkarte im Wert von 50,00 EUR. Am gleichen Tag kaufte sie an Kasse 6 um 12.29 Uhr eine Jeans in ihrer Kleidergröße im Wert von 50,00 EUR, ohne den Personalrabatt in Anspruch zu nehmen. Um 12.56 Uhr gab sie die Ware an Kasse 7 zurück und erhielt den Kaufpreis in bar ausgezahlt.

Am 15.12.2006 wiederholte sich diese Vorgehensweise. Die Klägerin kaufte einer Kollegin eine Wunschkarte im Wert von 250,00 EUR ab. Um 9.29 Uhr kaufte sie an Kasse 6 drei Kaschmirpullis im Wert von 249,85 EUR, ohne den Personalrabatt in Anspruch zu nehmen. Um 17.29 Uhr gab sie an Kasse 7 die Ware zurück und erhielt den Kaufpreis ausgezahlt.

Nachdem im Rahmen einer Revision diese Vorgehensweise der Klägerin sowie entsprechendes Vorgehen weiterer fünf Mitarbeiterinnen der Abteilung Damenoberbekleidung am 22.12.2006 entdeckt und ausgewertet worden war, wurde die Klägerin am 08.01.2007 hierzu befragt. Sie gab an, sich kaum oder nur noch äußerst vage an die Vorfälle zu erinnern. Sie schaue nur selten am Schwarzen Brett im Betrieb nach, habe die Gesamtbetriebsvereinbarung bestimmt einmal gelesen, könne sich jedoch nicht konkret daran und den Inhalt derselben erinnern.

Am 15.01.2007 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Dieser widersprach mit ausführlicher Begründung am 17.01.2007 sowohl dem Ausspruch einer fristlosen als auch dem Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung. Auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens wird verwiesen (Anlagenkonvolut B 2 - Bl. 38, 39 d. A.). Die Beklagte sprach sodann mit Datum vom 18.01.2007 die streitbefangene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Das Arbeitsgericht hat der hiergegen am 25. Januar 2007 eingegangenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das geschah im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin habe zwar objektiv gegen ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen. Jedenfalls bestehe insoweit der dringende Verdacht, dass sie die Gesamtbetriebsvereinbarung gekannt, aber durch den gezielten Kauf mittels Wunschkarte und anschließendem Umtausch gegen Barauszahlung des Kaufpreises bewusst unterlaufen habe. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sei jedoch vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen, zumal jegliche Anweisung zum Umgang mit von Mitarbeitern eingelösten Wunschkarten bei Warenrückgabe fehle.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil vom 23.05.2007 verwiesen. Gegen diese der Beklagten am 13.07.2007 zugestellte Entscheidung legte sie am 06.08.2007 Berufung ein, die am 03.09.2007 begründet wurde.

Die Beklagte ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ihres Erachtens rechtfertigt die Vorgehensweise der Klägerin auch ohne vorangegangene Abmahnung eine außerordentliche, jedenfalls eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin habe wissen müssen, dass ihr Verhalten illegal sei und das Arbeitsverhältnis gefährde. Durch ihr Verhalten habe sie das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört, indem sie gezielt die betrieblichen Regelungen umgangen habe, um in den Genuss einer Barauszahlung zu gelangen. Das stelle eine grobe Pflichtverletzung dar. Dadurch, dass sie eine objektiv existierende Handlungslücke ausgenutzt habe, um das Ziel der Beklagten, an Stelle von Bargeld Sachbezüge zu gewähren, dadurch den Umsatz im Betrieb zu steigern und Arbeitsplätze zu sichern, zu unterlaufen, habe sie das ihr entgegengebrachte Vertrauen in eine redliche Vorgehensweise massiv missbraucht. Das rechtfertige die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.05.2007, Geschäftszeichen 5 Ca 242 (4)/07 wird die Klage vollen Umfangs abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Gegenseite kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Hinsichtlich des Sachbezugs sei es nicht verboten gewesen, für mittels Wunschkarte gekaufte Waren bei Rückgabe ggf. Bargeld entgegenzunehmen. Auch die Kassiererinnen seien nicht angewiesen worden, insoweit zwischen Mitarbeitern und externen Kunden zu differenzieren. Daher sei Bargeld nicht verbotswidrig ausgezahlt worden. Angesichts dessen sei eine Abmahnung nicht entbehrlich. Wenn die Klägerin gewusst hätte, dass sie durch diese Vorgehensweise ihr Arbeitsverhältnis gefährde, hätte sie niemals Bargeld entgegengenommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II.

Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Die Kündigung der Beklagten vom 18.01.2007 ist sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigung unwirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Die Klägerin hat zwar ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in Bezug auf den Sachbezug jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verletzt. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ergibt sich aber, dass die Beklagte vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung hätte aussprechen müssen. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vorab auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Grundsätzlich kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes auch der dringende Verdacht einer Straftat oder einer sonstigen schwerwiegenden Pflichtverletzung einen an sich zur Kündigung berechtigenden Grund darstellen. Bei der Verdachtskündigung sind objektive Tatsachen, die für den Verlust des zur Fortsetzung des Vertragsverhältnisses notwendigen Vertrauens ursächlich sind, der Kündigungsgrund. Eine derartige Verdachtskündigung setzt u. a. einen schwerwiegenden Verdacht sowie eine Anhörung des Arbeitnehmers voraus (vgl. nur BAG vom 12.01.2006 - 2 AZR 21/05 - m.w.N., zitiert nach JURIS). Wegen der notwendigen Interessenabwägung ist ein verhaltensbedingter Grund jedoch in der Regel nur bei schuldhaftem, vorwerfbarem Verhalten anzunehmen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 14.2.1996, 2 AZR 274/95 - m.w.N. zitiert nach JURIS). Aber auch dann, wenn im Zusammenhang mit einer Pflichtverletzung ein etwaiger Irrtum für den Arbeitnehmer vermeidbar war, ist er für die Interessenabwägung nicht bedeutungslos, wobei es ggf. auf den Grad des Verschuldens ankommt (vgl. BAG, aaO).

2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist hier objektiv und subjektiv vom Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung auszugehen.

a) Die Beklagte hat ausweislich der Betriebsratsanhörung sowie ihres erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens die Kündigung ausdrücklich auch als Verdachtskündigung bezeichnet. Die Klägerin ist zudem vor Ausspruch der Kündigung angehört worden. Die erforderliche Anhörung ist am 08.01.2007 erfolgt. Damit reicht das Vorliegen eines dringenden Verdachtes einer schwerwiegenden Pflichtverletzung aus.

b) Es besteht zumindest der dringende Verdacht, dass die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Kaufverhalten vom 22.05.2006, 13.06.2006 und 15.12.2006 gezielt die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Gewährung von Sachbezügen unterlaufen hat, um an Stelle des von der Beklagten gesetzten Verwendungszwecks des "Sachbezugs" Bargeld zu erhalten.

Die Klägerin hat u.a. am 22.5.2006 innerhalb von 1 Minute über eine von ihren Sachbezügen aufgeladene Wunschkarte Ware gekauft und sofort wieder umgetauscht. Schon dieses Vorgehen spricht nach Ansicht der Kammer eindeutig dafür, dass die Klägerin unter Verwendung ihres Sachbezuges tatsächlich keine Ware kaufen wollte, sondern das Ziel hatte, den Sachbezug zu Bargeld zu umzuwechseln. Für eine entsprechende Willensrichtung sprechen auch die Käufe vom 13.06.2006 und vom 15.12.2006. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Wunschkartenkauf, Warenkauf und Umtausch spricht bereits für sich. Zu berücksichtigen ist ferner die Art der Ware, ihr exakter Wunschkartenpreis und der nicht in Anspruch genommene Personalrabatt. Auffällig ist auch, dass die Klägerin für ihre Vorgehensweise keine anders lautende plausible Erklärung abgegeben hat. Sie hat damit durch ihr Verhalten objektiv Ziff. 3 Abs. 2 der Gesamtbetriebsvereinbarung unterlaufen, die ausdrücklich vorgibt, dass Sachbezüge nur mit Käufen verrechnet werden können und eine Barauszahlung in jedem Fall ausgeschlossen sein sollte.

Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die immerhin seit sieben Jahren bei der Beklagten beschäftigte Klägerin zumindest allgemein wusste, dass der von der Beklagten gewährte Sachbezug den Verwendungszweck der Verrechnung mit Warenkäufen hatte und dass eine Barauszahlung gerade nicht gewünscht war. Ansonsten hätte die Beklagte die Sachzuwendung auch sofort als Vergütung direkt an die Arbeitnehmer auszahlen können. Die Klägerin hätte anderenfalls auch nicht den umständlichen Weg der Scheinkäufe wählen müssen. Gegen ihre Pflichten, die erhaltenen Sachbezüge nur mit Käufen in der K. Warenhaus AG verrechnen zu lassen, hat die Klägerin verstoßen. Nach Auffassung der Kammer belegt das von der Klägerin gewählte Vorgehen, dass die Klägerin das bestehende Barauszahlungsverbot bewusst zu umgehen suchte.

3) Allerdings rechtfertigt dieser Vorgang für sich allein genommen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegend nicht. Vor Ausspruch einer allein auf diesen Vorfall gestützten Kündigung hätte es vielmehr nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer vorherigen Abmahnung bedurft.

a) Eine Abmahnung ist nur entbehrlich, wenn es sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen ist. Dies gilt sowohl für Störungen im Leistungsbereich als auch für Störungen im Vertrauensbereich (KR-Etzel, Rd.-Ziff. 403 zu § 1 KSchG m. w. N.). Eine Abmahnung ist dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer weiß oder wissen muss, dass der Arbeitgeber das gezeigte Verhalten unter keinen Umständen hinnehmen wird (Erfurter Kommentar - Ascheid/Oetker, 7. Auflage, Rd.-Ziff. 304 zu § 1 KSchG m. w. N.). Eine vorherige Abmahnung ist in der Regel aber insbesondere dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig( BAG vom 14.2.1996- 2 AZR 274/95, zitiert nach JURIS). Aber auch dann, wenn ein etwaiger Irrtum für den Arbeitnehmer vermeidbar war, ist er für die Interessenabwägung nicht bedeutungslos (BAG a.a.O).

b) Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beklagte ihr Vorgehen unter keinen Umständen hinnehmen, vielmehr das Arbeitsverhältnis ohne jegliche "Vorwarnung" beenden würde. Es wäre daher vor Ausspruch einer Kündigung zunächst eine Abmahnung erforderlich gewesen.

aa) Wie auch erstinstanzlich bereits zu Lasten der Klägerin berücksichtigt, ist durch das Verhalten der Klägerin, auch wenn sie keinen Personalrabatt in Anspruch genommen hat, der Beklagten unter Berücksichtigung der ihr entgangenen Brutto-Gewinn-Kalkulation infolge der Barauszahlung des Sachbezuges ein Schaden entstanden. Daran besteht kein Zweifel.

bb) Entlastend zugunsten der Klägerin ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Umgehung des Verbots der Barauszahlung von Sachbezügen durch Verwendung von Wunschkarten objektiv möglich und bei isolierter Betrachtung der Wunschkartenverwendung ohne Berücksichtigung des Verwendungszwecks der Sachzuwendung an sich zulässig war. Bis zur aufgedeckten Vorgehensweise der Klägerin und ihrer Kolleginnen existierte keinerlei Anweisung der Beklagten gegenüber ihren Mitarbeiter/innen und gegenüber den Kassierer/innen, dass - anders als bei unternehmensfremden Kunden - eine Barauszahlung an Mitarbeiter beim Umtausch von Waren, die mittels Wunschkarte bezahlt wurden, nicht zulässig ist. Die Beklagte hat insoweit eine einheitliche Vorgehensweise im Betrieb zugelassen, bei einem Umtausch von Ware, die zuvor mit einer Wunschkarte bezahlt worden war, Bargeld auszuzahlen. Es wurde nicht differenziert, ob diese Wunschkarte von Mitarbeitern oder von unternehmensfremden Personen erworben bzw. verwendet wurde. Insoweit hätte es nahegelegen, eine Kassieranweisung aufzustellen, wie bei einer Warenrückgabe nach einem Mitarbeiterkauf mit einer Wunschkarte zu verfahren ist und dass an diese keine Barauszahlung erfolgen darf. Eine diesbezügliche Anweisung hat die Beklagte im Laufe dieses Verfahrens mittlerweile auch erlassen und mittels Rundschreiben bekannt gegeben, dass Mitarbeiter bei einem Rücktausch der Ware den Kaufpreis auf die Wunschkarte zurückbuchen lassen müssen. Eine derartige Klarstellung existierte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung jedoch unstreitig nicht.

cc) Zugunsten der Klägerin ist - neben ihrer siebenjährigen Betriebszugehörigkeit - zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht nachweisen konnte, die Klägerin jemals und darüber hinaus noch in nahem zeitlichen Zusammenhang ggf. wiederholend explizit darauf hingewiesen zu haben, dass eine Barauszahlung von Sachbezügen "in jedem Fall" ausgeschlossen ist. Ob die Klägerin jemals die ausgehängte Gesamtbetriebsvereinbarung tatsächlich und vollständig zur Kenntnis genommen hat, ist nicht feststellbar, vor allen Dingen nicht nachweisbar. Sie hat auch kein diesbezügliches Anschreiben erhalten, deren Kenntnisnahme sie ggf. abzuzeichnen hatte. Ob sie die Aushänge zur "Sachzuwendung zum Weihnachtsfest 2003 und 2004" zur Kenntnis genommen hat und so verstehen musste, dass auch keine Barauszahlung über den Umweg der Wunschkarte möglich sein sollte, konnte ebenfalls seitens der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht substantiiert dargelegt werden. Die erwähnte E-Mail vom 11. Mai 2006, gerichtet an die Personalleiter, die ggf. an die Mitarbeiter weitergeleitet worden sein soll, enthält keinerlei Aussage zur Frage der Auszahlung von Bargeld. Das Musterrundschreiben der Beklagten vom 10. Mai 2006 an alle Mitarbeiter (Anlagenkonvolut B1 - Bl. 43 R d. A.) erwähnt ebenfalls keinerlei Auszahlungsverbot. Nichts hätte nach Ansicht der Kammer nähergelegen, als die Mitarbeiter gezielt, nachweisbar und wiederholend auf das Verbot jeglicher Barauszahlungen an Mitarbeiter anlässlich aus Sachbezügen gekaufter Waren hinzuweisen, wenn die Beklagte das Verbot und eine etwaige Umgehung derart hoch gewichten wollte, dass jeglicher Verstoß auch ohne vorangehende Abmahnung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen sollte.

Mit einer derart harten Reaktion der Beklagten angesichts der Regelungslücken sowie der möglichen Informationslücken musste die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Handelns angesichts dessen nicht rechnen.

dd) Zu berücksichtigen ist letztendlich auch, dass ein klarstellendes, Weisung gebendes Handeln der Beklagten bereits vor den Käufen der Klägerin nahegelegen hätte, weil sie bereits im Frühjahr 2006 eine gleichgelagerte Vorgehensweise von Mitarbeitern in anderen Filialen in Rheinland-Pfalz entdeckt hatte. Das hatte zu Kündigungsschutzprozessen vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern geführt. Letztendlich hat auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 27.02.2007, Az. 3 Sa 666/06, aus Anlass einer dieser Kündigungen ausdrücklich festgestellt, dass die Ausnutzung der Möglichkeit einer Umgehung des Barauszahlungsverbotes ohne klarstellende Reaktion der Beklagten noch keine Kündigung rechtfertige. Nichts hätte näher gelegen, als schon bei Entdecken der Umgehungsmöglichkeiten im Frühjahr 2006 die klarstellende Anweisung in die Filialen zu geben, die die Beklagte nunmehr mit dem Rundschreiben 2/07 erstmals gegenüber allen Mitarbeitern aufgestellt und bekannt gemacht hat.

ee) Angesichts all dieser Umstände musste die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als sie das Barauszahlungsverbot von Sachbezügen umgangen hat, nicht davon ausgehen, dass eine Hinnahme ihres Verhaltens durch die Beklagte offensichtlich und in jedem Fall ausgeschlossen war. Dass die Beklagte insoweit ein diesbezügliches Verhalten in jedem Fall für rechtswidrig halten würde, war für sie nicht ohne weiteres erkennbar. Die Klägerin konnte nicht wissen, dass die Beklagte ihr Verhalten unter keinen Umständen hinnehmen würde. Eine Abmahnung war daher vorliegend nicht entbehrlich. Da eine solche vor der Kündigung nicht ausgesprochen wurde, hätte die Beklagte nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Klägerin aus Anlass ihrer Vorgehensweise zunächst abmahnen müssen. Insoweit ist auch davon auszugehen, dass eine diesbezügliche Abmahnung erfolgversprechend gewesen wäre. Die Klägerin hat zuletzt noch einmal in der Berufungsverhandlung zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Barauszahlung nicht veranlasst und nicht entgegengenommen hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass sie damit ihr Arbeitsverhältnis aufs Spiel setzen würde.

4. Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben und sowohl die ausgesprochene außerordentliche als auch die ausgesprochene fristgemäße Kündigung für rechtswidrig erklärt. Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

Ende der Entscheidung

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