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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 06.09.2005
Aktenzeichen: 3 Ta 135/05
Rechtsgebiete: RVG, BRAGO, BGB, ZPO


Vorschriften:

RVG § 55
RVG § 55 Abs. 2
RVG § 33 Abs. 3
RVG § 36
BRAGO § 23 Abs. 1 Satz 1
BRAGO § 23 Abs. 1 Satz 2
BRAGO § 65 Abs. 2 Satz 1
BGB § 779
ZPO § 269 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 3 Ta 135/05

Stuttgart, 06. September 2005

Im Beschwerdeverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer ohne mündliche Verhandlung am 06. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 08. August 2005 - 4 Ca 611/04 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Landeskasse richtet sich gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts, mit dem es deren Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung des Arbeitsgerichts vom 29. April 2005 zurückgewiesen hat.

Die Erinnerung hat sich gegen die nach § 55 RVG auf insgesamt 1.005,72 EUR zugunsten des Beteiligten zu 2 festgesetzte Vergütung insoweit gerichtet, als in ihr eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1003 RVG in Höhe von 242,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt also der Betrag von 280,72 EUR enthalten ist. Diese Gebühr hält die Landeskasse nicht für gerechtfertigt.

Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Kündigung eines befristet bis zum 02. November 2005 abgeschlossenen Arbeitsvertrags des Beteiligten zu 3 mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens. Diese hat mit Schreiben vom 22. November 2004 das Arbeitsverhältnis "außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin" gekündigt. Mit weiterem Schreiben vom 29. November 2005 hat sie das Vertragsverhältnis erneut, und zwar jetzt ordentlich zum 31. Dezember 2004, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin gekündigt. Gegen beide Kündigungen hat sich die Klage gerichtet.

Im Gütetermin ist für die Beklagte niemand erschienen. Deshalb hat das Arbeitsgericht auf Antrag des anwesenden Bevollmächtigten des Klägers einen Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer anberaumt.

Mit Schreiben vom 14.02.2005 (Fotokopie Bl. 47 der Akte) hat der Bevollmächtigte der Beklagten unter Hinweis auf ein am selben Tag mit dem Klägervertreter geführten Telefonat die Erklärung abgegeben, seine Mandantin nehme beide streitgegenständlichen Kündigungen zurück und stelle den Kläger insoweit klaglos. Er bitte um die Zustimmung des Klägers zur Kündigungsrücknahme. Er möge sich umgehend wieder zur Arbeit einfinden. Ferner rege er an, die Klage zurückzunehmen. Der Kläger war mit der "Rücknahme" der Kündigungen einverstanden und nahm seine Arbeit wieder auf. Mit am 18. Februar 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat er die Klage zurückgenommen.

Das Arbeitsgericht hat sich der Auffassung des Beteiligten zu 2 angeschlossen, wonach aufgrund dieses Sachverhalts eine Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000, Nr. 1003 VV RVG entstanden sei. Denn der Kläger habe mindestens auf einen Kostenerstattungsanspruch verzichtet, sodass nicht ein bloßes Anerkenntnis vorläge.

Die Landeskasse ist demgegenüber der Auffassung, der Kläger habe sein Klageziel voll erreicht. Die Voraussetzungen für eine Einigungsgebühr lägen deshalb nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat der eingangs erwähnten Beschwerde der Landeskasse nicht abgeholfen und sie hierher vorgelegt.

II.

Die im Hinblick auf §§ 55 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Landeskasse hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht bei der Festsetzung der Vergütung die beantragte Einigungsgebühr einbezogen. Die Voraussetzungen des Gebührentatbestands, wie er sich aus Anmerkung 1 und 2 zu Nr. 1000 VV RVG ergibt, sind vorliegend erfüllt.

Die gesetzliche Anmerkung 1 zu diesem Gebührentatbestand (Anmerkung 2 betrifft die Mitwirkung bei Vertragsverhandlungen; dass jedenfalls diese Anforderungen vorliegen, unterliegt nicht dem Streit) hat folgenden Wortlaut:

(1) Die Gebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Dies gilt auch für die Mitwirkung bei einer Einigung der Parteien in einem der in § 36 RVG bezeichneten Güteverfahren. Im Privatklageverfahren ist Nummer 4146 anzuwenden.

Die hierzu ergangene Rechtsprechung sowie die Literatur, die sich mit dieser Regelung befasst, beschränkt sich im Wesentlichen auf die Zusammenfassung die Begründung der entsprechenden Vorlage im Gesetzgebungsverfahren (BR-Drs. 15/1971 Seite 204). Diese hat folgenden Wortlaut:

Zu Nummer 1000

Die Einigungsgebühr soll an die Stelle der bisherigen außergerichtlichen Vergleichsgebühr des § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAGO treten. Die Höhe der Gebühr soll mit einem Gebührensatz von 1,5 unverändert bleiben.

Zielrichtung der Neugestaltung ist es, die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts weiter zu fördern und damit gerichtsentlastend zu wirken.

Die in Absatz 1 Satz 1 der Anmerkung umgestalteten Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr sollen ferner die bisher häufigen kostenrechtlichen Auseinandersetzungen über die Frage, ob ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB vorliegt, vermeiden. Die neue Fassung stellt sowohl durch die Änderung der Bezeichnung "Vergleichsgebühr" in "Einigungsgebühr" wie auch durch die neu formulierten Voraussetzungen klar, dass es nicht mehr auf den Abschluss eines echten Vergleichs ankommt, vielmehr soll es genügen, wenn durch Vertrag der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Ein vollständiges Anerkenntnis oder vollständiger Verzicht sollen jedoch nicht für den zusätzlichen Anfall einer Einigungsgebühr ausreichen. Diese Einschränkung ist notwendig, damit nicht schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf Weiterverfolgung eines Anspruchs die Gebühr auslösen kann. Satz 2 übernimmt im Ergebnis die Regelung des § 65 Abs. 2 Satz 1 BRAGO. ...

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll also jede Art einer vertraglichen Einigung eine Gebühr nach diesem Gebührentatbestand auslösen, die einen Streit beilegt, auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 779 BGB nicht erfüllt sind, wenn nur kein bloßes Anerkenntnis (bloße Erfüllung) oder kein bloßer Verzicht vorliegen. Dadurch, dass es nicht mehr auf den Abschluss eines echten Vergleichs im Sinne von § 779 BGB ankommt, sondern vielmehr genügt, wenn durch Vertrag der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass nicht schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf Weiterverfolgung eines Anspruchs die Einigungsgebühr auslösen kann (vgl. Kroiß: Das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz JuS 2004, 679, 680). Dass die Einigungsgebühr aber nicht an die Erfüllung bestimmter Formerfordernisse gebunden ist, ist der Regelung zweifelsfrei zu entnehmen. Auch ein Vergleich nach § 779 BGB ist grundsätzlich ohne Beachtung einer bestimmten Form wirksam, soweit er nicht formbedürftige Rechtsgeschäfte enthält. Auf das Vorliegen eines gegenseitigen Vertrags kommt es aber nicht an, wie Kroiß meint. Vielmehr reicht auch ein einseitig verpflichtender Vertrag aus, an den das Gesetz das Entstehen einer Einigungsgebühr knüpft.

Dass eine streitbeilegende Einigung zwischen den Parteien zustande gekommen ist, steht nicht im Streit. Eine solche liegt unzweifelhaft vor. Problematisch ist lediglich das Merkmal, dass sich die Einigung nicht im bloßen Anerkenntnis erschöpfen darf. Dies bedeutet, dass die Einigung mehr enthalten muss, als es der Fall wäre, wenn sich der Beklagte schlicht der Klageforderung beugt. Soweit der Beteiligte zu 2 darauf abhebt, dass Verhandlungen über die Art der Streitbeilegung geführt worden seien, ist dies allerdings für den hier streitigen Gebührentatbestand nicht von Bedeutung. Denn das Merkmal eines Anerkenntnisses ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Parteien zähe Verhandlungen auch über andere Lösungsmöglichkeiten geführt haben. Dieses Merkmal ist inhaltsbezogen. Bei dem Verhandlungsergebnis, das die Parteien des Ausgangsverfahrens erzielt haben, kommt es darauf an, dass der streitige Anspruch nicht schlicht außer Streit gestellt wird.

Die Lösung muss in der Frage gesucht werden, ob die Einigung Momente enthält, die eine über das bloße Anerkenntnis hinausgehende vertragliche Regelung erkennen lassen, sei es, dass der Kläger irgendwelche Zugeständnisse macht, die nicht ein teilweises Nachgeben im Sinne des § 779 bedeuten müssen, sondern nur weitere Modalitäten der Streitbeilegung betreffen, sei es, dass die Regelung hinter einem Anerkenntnis zurückbleibt, also Abstriche von der geforderten Leistung beinhaltet. Nach diesseitiger Auffassung (Beschluss vom 28. Juni 2001 - 4 Ta 32/01 - www.lagbw.de/Ta/4ta3201.htm) hat es schon nach altem Recht für die Annahme eines Vergleichs ausgereicht, dass eine Partei auch nur unwesentlich, und sei es auch nur wegen der Kosten, etwas von ihrer Rechtsposition aufgegeben hat. Hinter diesen Zustand darf die Auslegung der Nr. 1000 VV RVG nicht zurückfallen, wenn der Gesetzgeber beabsichtigt, zur Erleichterung der nicht streitigen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten das Entstehen einer Einigungsgebühr an weniger strenge Voraussetzungen zu knüpfen als bisher. Andererseits kommt es nicht auf ein bloß tatsächliches Verhalten an. Erklärt der Arbeitgeber innerhalb oder außerhalb der mündlichen Verhandlung, er "nehme die Kündigung zurück" und fordere den Arbeitnehmer zur Wiederaufnahme der Arbeit auf, und nimmt sodann der Kläger die Klage zurück, ist eine Einigung im Sinne der Nr. 1000 VV RVG nicht zustande gekommen. Der Kläger hat dann lediglich aus den Erklärungen des Beklagten eine ihm unter dem Gesichtspunkt des § 269 Abs. 3 ZPO ungünstige Folgerung gezogen. Ist es aber Gegenstand der Einigung, dass der Kläger sich mit der Rücknahme der Kündigung einverstanden erklärt und verpflichtet, die Klage wieder zurückzunehmen, was für ihn Kostennachteile bringt, kann dahingestellt bleiben, ob dann nicht bereits die Merkmale eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB vorliegen; jedenfalls kommt es zu einer Einigung über die nicht streitige Beendigung des Rechtsstreits, die sich nicht in der Erfüllung des Klageanspruchs erschöpft. Denn der Kläger erklärt sich mit einer Regelung einverstanden, die von einem bloßen Anerkenntnis des eingeklagten Anspruchs oder der schlichten Erfüllung abweicht. Es wird ein rechtlicher Zusammenhang hergestellt zwischen materieller Regelung des Anspruchs und der prozessualen Behandlung des Rechtsstreits. Dies reicht nach diesseitigem Dafürhalten für das Vorliegen einer Einigung im Sinne der Nr. 1000 VV RVG aus. Maßgeblich erscheint sonach, ob lediglich eine nicht auf einer vorgängigen Einigung beruhenden Abfolge von verschiedenen Handlungen vorliegt (Erfüllung oder Abgabe einer den Kläger klaglos stellenden Erklärung, sodann Klagerücknahme) oder ob sich die Parteien über den Anspruch und zugleich über die prozessuale Beendigung des Verfahrens durch Klagerücknahme einigen mit der Folge, dass der Kläger keinen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten geltend machen kann.

Ob im vorliegenden Fall auch eine vertragliche Regelung hinsichtlich der Annahmeverzugsansprüche des Klägers getroffen wurde, ist zwar im Hinblick auf die zitierte Erklärung der Beklagten anzunehmen, kann hier aber dahingestellt bleiben. Denn eine solche Regelung könnte zwar das vorliegende Ergebnis in dem Sinne bekräftigen, dass die Vereinbarung über das bloße Anerkenntnis hinausgeht. Denn hinsichtlich der Verzugsansprüche ist im Falle eines bloßen Anerkenntnisses noch keine Aussage getroffen. Eine Erläuterung seitens der Beteiligten zu 2 und 3 ist in diesem Zusammenhang vorliegend aber nicht erfolgt. Aber auch ohne einen solchen Inhalt ist eine Einigung im Sinne der Nr. 1000 VV RVG anzunehmen, weil vorliegend das Angebot der Beklagten auch die Rücknahme der Klage durch den Kläger beinhaltete, womit sich der Kläger einverstanden erklärt hat. Damit ist eine nicht formbedürftige vertragliche Einigung über die Beilegung des Rechtsstreits zustande gekommen. Ob er sich mit seiner Zustimmung zur Rücknahme vertraglich verpflichtet hat, mag fraglich sein, ist aber ebenfalls nicht erforderlich. Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung war, dass die Parteien den Arbeitsvertrag zu unveränderten Bedingungen fortsetzen, der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder aufnimmt und der Rechtsstreit durch Klagerücknahme mit der Rechtsfolge, dass kein prozessualer Kostenerstattungsanspruch besteht, beendet wird. Mehr ist nach dieser Bestimmung nicht mehr zu fordern.

Nach allem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Ende der Entscheidung

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