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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.06.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 24/06
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO, ArbGG, BGB, SGB III


Vorschriften:

KSchG § 1 a
KSchG § 1 a Abs. 1
KSchG § 1 a Abs. 1 Satz 1
KSchG § 1 a Abs. 1 Satz 2
KSchG § 1 a Abs. 2
KSchG § 4 Satz 1
ZPO § 313 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 519
ZPO § 520
ArbGG § 64 Abs. 2 Buchst. b
ArbGG § 64 Abs. 6
BGB § 133
BGB § 151 S. 1
SGB III § 144
SGB III § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 4 Sa 24/06

Verkündet am 26.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter, den ehrenamtlichen Richter Held und den ehrenamtlichen Richter Hillengaß im schriftlichen Verfahren nach der Sachlage am 26.06.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 - 6 Ca 6330/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte nach § 1 a KSchG zur Zahlung einer weiteren Sozialabfindung verpflichtet ist.

Der am 07.12.1964 geborene Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 02.11.1983 in deren Betrieb F. in der Abteilung Lager beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers belief sich zuletzt auf € 2.414,50. Der Kläger war Mitglied des im Betrieb Fellbach errichteten Betriebsrats.

Im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen schloss die Beklagte am 24.11.2004 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Gegenstand der Betriebsänderung war u.a. die Verlagerung der bislang in F. geführten Produktion nach A.. Diese Maßnahme hatte für 36 Arbeitnehmer, darunter die in der Abteilung Logistik (Logistik, Versand und Lager) tätigen Arbeitnehmer eine Verlegung des Arbeitsorts von F. nach A. zur Folge. Gegenüber allen diesen Mitarbeitern sprach die Beklagte Änderungskündigungen aus, verbunden mit dem Angebot, in die neue Betriebsstätte nach A. zu gleichen Arbeitsbedingungen zu wechseln. In Ziff. 3.1 des Sozialplans vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat, dass Mitarbeiter, gegenüber denen eine Änderungskündigung ausgesprochen wurde, keine Abfindung erhalten sollten. Nachdem der Betriebsrat jedoch geltend machte, es sei für die meisten Arbeitnehmer unzumutbar, nach A. zu wechseln, erklärte sich die Beklagte bereit, für die betroffenen Mitarbeiter eine Sozialabfindung in Höhe von insgesamt € 335.000,00 zur Verfügung zu stellen. In einer Protokollnotiz vom 24.11.2004 vereinbarten die Betriebsparteien folgende Regelung:

"Die Firma wird den zu kündigenden Mitarbeitern in der Kündigungserklärung entsprechend § 1 a KSchG bei Verstreichenlassen der Klagefrist und der Nichtannahme der geänderten Arbeitsbedingungen eine Abfindung zusagen. Die Frist zur Erklärung über die Nichtannahme der angebotenen geänderten Arbeitsbedingungen beträgt drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Die anzubietende Abfindung bemisst sich wie folgt:

Die Abfindung des einzelnen Mitarbeiters errechnet sich nach seiner persönlichen Punktzahl multipliziert mit dem Wert eines Punktes. Der Wert eines Punktes beträgt € 51,02.

Die persönliche Punktezahl wird entsprechend den Bestimmungen im Sozialplan vom 24.11.2004 ermittelt."

Mit Schreiben vom 26.11.2004 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche Änderungskündigung zum 31.05.2005 aus. Das Kündigungsschreiben hat folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr S.,

hiermit kündigen wir Ihr Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31. Mai 2005 und bieten Ihnen ab 01. Juni 2005 eine entsprechende Position an der neuen Betriebsstätte der R.F. GmbH in A. zu den gleichen Arbeitsbedingungen und Konditionen an. Im Übrigen verweisen wir auf den geschlossenen Interessenausgleich und Sozialplan der R.F. GmbH vom 24. November 2004.

Bitte geben Sie uns innerhalb der nächsten drei Wochen Bescheid, ob Sie das Angebot der geänderten Arbeitsbedingungen annehmen.

Wir sagen Ihnen bei Verstreichen lassen der Klagefrist und Nicht-Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen eine Abfindung zu. Die Frist zur Erklärung über die Nicht-Annahme der angebotenen geänderten Arbeitsbedingungen beträgt drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Die anzubietende Abfindung bemisst sich wie folgt:

Die Abfindung des einzelnen Mitarbeiters errechnet sich nach seiner persönlichen Punktzahl multipliziert mit dem Wert eines Punktes. Der Wert eines Punktes beträgt 51,02 Euro. Ihre persönliche Punktzahl wurde entsprechend den Bestimmungen im Sozialplan vom 24. November 2004 mit 257 Punkten ermittelt.

Freundliche Grüße"

Mit Schreiben vom 13.12.2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er das Angebot, nach A. zu wechseln, nicht annehme. Eine Kündigungsschutzklage legte der Kläger nicht ein.

Mit der Lohnabrechnung Mai 2005 rechnete die Beklagte einen Abfindungsbetrag von € 13.112,14 (brutto) ab und zahlte den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger aus. Mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 15.06.2005 machte der Kläger geltend, gemäß § 1 a Abs. 2 KSchG betrage die Höhe der Abfindung 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Hieraus ergebe sich eine Gesamtabfindung von € 26.559,50 und ein Differenzbetrag von € 13.447,36. Mit Schreiben vom 21.06.2005 ließ die Beklagte den Anspruch zurückweisen.

Mit seiner am 23.06.2005 eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung einer weiteren Abfindung von € 13.447,36 brutto geltend gemacht. Er hat vorgetragen, er könne nach § 1 a Abs. 2 KSchG eine gesetzliche Abfindung von € 26.559,50 beanspruchen. Die gesetzliche Regelung etabliere einen Mindestabfindungsanspruch. Biete der Arbeitgeber in einem Kündigungsschreiben eine Abfindung mit einem geringeren Faktor als dem gesetzlich vorgesehenen an, so habe der Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist gleichwohl einen Abfindungsanspruch in Höhe des Faktors 0,5. Dies gelte auch dann, wenn ein Sozialplan eine niedrigere Abfindung vorsehe, der Arbeitgeber sich jedoch gleichwohl des Instruments des § 1 a KSchG bediene.

Es sei zwar unbestritten, dass der Arbeitgeber durch die Regelung des § 1 a KSchG nicht daran gehindert sei, dem Arbeitnehmer ein Angebot für eine Abwicklungsvereinbarung zu unterbreiten. Hierbei unterliege der Arbeitgeber keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Abfindungshöhe. Eine solche vertragliche Vereinbarung komme jedoch nur dann zustande, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch rechtsgeschäftliche Willenserklärung ein entsprechendes Angebot unterbreite und der Arbeitnehmer die Annahme dieses Angebots erkläre. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Die Beklagte habe sich in der Protokollnotiz vom 24.11.2004 gerade nicht dazu verpflichtet, eine Abwicklungsvereinbarung anzubieten. Sie habe vielmehr das Verfahren nach § 1 a KSchG eingeschlagen. Wenn der Arbeitgeber das Junktim des Verzichts auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage nutze, müsse er die gesetzliche Mindestabfindung zahlen.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über die bereits bezahlte Abfindung i.H.v. EUR 13.112,14 brutto hinaus als Abfindung weitere EUR 13.447,36 brutto, nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2005 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Arbeitsvertragsparteien seien durch § 1 a KSchG nicht daran gehindert, nach Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers eine Vereinbarung zu treffen, nach welcher der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichte. Eine solche vertragliche Regelung sei im vorliegenden Fall getroffen worden. Sie habe den zu kündigenden Arbeitnehmern zugesagt, entsprechend § 1 a KSchG bei Verstreichenlassen der Klagefrist und der Nichtannahme der geänderten Arbeitsbedingungen eine Abfindung zu zahlen, wobei sich die Abfindung des einzelnen Mitarbeiters nach seiner persönlichen Punktzahl errechne. Da die Zahlung einer Sozialplanabfindung nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, dass der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebe, hätten die Parteien im Rahmen der Sozialplanverhandlungen geregelt, dass diejenigen Arbeitnehmer, die eine Änderungskündigung erhalten, grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Abfindung haben. Andererseits sei mit der Protokollnotiz den betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben worden, einen sozialen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß dem Sozialplan zu erhalten. Dieser Sachverhalt sei dem Kläger als Mitglied des Betriebsrats bekannt gewesen.

Mit Urteil vom 24.11.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 1 a KSchG seien nicht erfüllt. Es ergebe sich aus dem Kündigungsschreiben, dass die Beklagte keine Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten habe zusagen wollen. Berücksichtige man die Stellung des Klägers als Betriebsrat, so habe dieser erst recht nicht davon ausgehen dürfen, die Beklagte habe mit ihrem Angebot in der Kündigungserklärung den gesetzlichen Anspruch gemeint.

Gegen das ihm am 27.02.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.03.2006 Berufung eingelegt und diese am 24.03.2006 begründet. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus, es fehle für den Abschluss eines Abwicklungsvertrages sowohl an einem entsprechenden Angebot des Arbeitgebers als auch an einer Annahme durch den Arbeitnehmer. Er habe in seinem Schreiben vom 13.12.2004 keine Annahmeerklärung abgegeben. Aus dem schlichten Verstreichenlassen der Klagefrist könne keine Annahmeerklärung hergeleitet werden. Er habe auch umgehend nach Erhalt des ausbezahlten Teilbetrags mit Schreiben vom 15.06.2005 den ausstehenden Differenzbetrag geltend machen lassen.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.11.2005, Aktenzeichen 6 Ca 6330/05 wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über die bereits bezahlte Abfindung in Höhe von EUR 13.112,14 brutto hinaus als Abfindung weitere EUR 13.447,36 brutto, nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2005 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie wiederholt ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Kläger habe ihr Angebot gemäß Kündigungsschreiben vom 26.11.2004 mit der Zahlung der Abfindung angenommen. Der Kläger habe gerade keine Kündigungsschutzklage erhoben und habe sich insoweit den zugesicherten niedrigeren Abfindungsanspruch sichern wollen. Die Vorgehensweise der Betriebspartner entspreche einer freiwilligen Betriebsvereinbarung im Sinne der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 31.05.2005 zur "Turboprämie".

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen. Mit Zustimmung der Parteien hat die Kammer den Rechtsstreit im schriftlichen Verfahren entschieden.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein weiterer Abfindungsanspruch nach § 1 a Abs. 2 KSchG in Höhe von € 13.447,36 brutto zusteht.

1. Nach § 1 a Abs. 1 Satz 1 KSchG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gekündigt, der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Klagefrist keine Kündigungsschutzklage erhoben und der Arbeitgeber die in Satz 2 der Vorschrift genannten Hinweise, insbesondere den Hinweis auf den Abfindungsanspruch gegeben hat.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 a Abs. 1 KSchG liegen im Streitfall dem ersten Anschein nach vor. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 26.11.2004 wegen der Verlagerung der Produktion von F. nach A., also wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gekündigt. Es hindert die Entstehung des gesetzlichen Abfindungsanspruchs nicht, dass die Beklagte dem Kläger zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in A. angeboten hat. Da der Kläger das Angebot mit Schreiben vom 13.12.2004 vorbehaltlos abgelehnt hat, führte die Änderungskündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Somit findet § 1 a KSchG grundsätzlich Anwendung (allgemeine Meinung, vgl. nur Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Auflage, Rz 1167 d). Unstreitig hat der Kläger bis zum Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG keine Kündigungsschutzklage erhoben. Schließlich enthält das Kündigungsschreiben den Hinweis, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist, und - jedenfalls sinngemäß (zur Auslegung sogleich 2.) - den weiteren Hinweis, dass der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann.

b) Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 a Abs. 1 KSchG erfüllt, so beträgt die Abfindung nach Absatz 2 der Vorschrift 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Unstreitig würde sich die dem Kläger zustehende Abfindung hiernach angesichts einer Beschäftigungsdauer von 22 Jahren und eines Bruttomonatsgehalts von € 2.414,50 auf € 26.559,50 belaufen. Ausbezahlt hat die Beklagte im Mai 2005 jedoch nur einen Betrag von € 13.112,14. Der Differenzbetrag beläuft sich somit auf die geltend gemachten € 13.447,36.

2. Der Kläger hat jedoch deswegen keinen Anspruch auf Zahlung des genannten Differenzbetrages, weil die Beklagte dem Kläger im Kündigungsschreiben vom 26.11.2004 in Wirklichkeit keinen Hinweis im Sinne des § 1 a Abs. 1 Satz 2 KSchG erteilt hat. Infolge dessen hat der Kläger keinen Anspruch auf die gesetzliche Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr, sondern lediglich einen Anspruch auf die - niedrigere - Sozialabfindung nach den Bestimmungen des Sozialplans vom 24.11.2004, auf die die Beklagte im Kündigungsschreiben hingewiesen hat. Dies ergibt die Auslegung des Kündigungsschreibens vom 26.11.2004.

a) Die Vorschrift des § 1 a KSchG ist durch das Gesetz über Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 3002) in das Kündigungsschutzgesetz eingefügt worden. Die Frage, in welchem Verhältnis der gesetzliche Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG zu abweichenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien über die Zahlung einer Abfindung besteht, ist bereits vor Inkrafttreten der Vorschrift am 01.01.2004 aufgeworfen worden. Sie steht in einem gewissen, letztlich aber keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der intensiv diskutierten dogmatischen Streitfrage, ob § 1 a KSchG als gesetzliche Ausgestaltung eines rechtsgeschäftlichen Abfindungsanspruchs oder aber als gesetzlicher Abfindungsanspruch zu qualifizieren ist.

aa) Nach der Entwurfsbegründung (Drucksache 15/1204, S. 9) soll § 1 a KSchG im Falle einer betriebsbedingten Kündigung den Arbeitsvertragsparteien ein Verfahren für eine einfache, effiziente und kostengünstige vorgerichtliche Klärung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeboten werden. Als einen Vorteil des angebotenen Standardverfahrens hat der Gesetzgeber angesehen, dass dem Arbeitnehmer die Sorge genommen werde, keine angemessene Abfindung zu erhalten. Der Gesetzgeber hat des weiteren darauf hingewiesen (Drucksache 15/1204 S. 12), die Arbeitsvertragsparteien seien auch nach geltendem Recht nicht gehindert, nach Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers eine Vereinbarung zu treffen, nach welcher der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichte. Die (Anm.: durch § 1 a KSchG) formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgesetzte Abfindungshöhe solle es den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die außergerichtliche Option wahrzunehmen.

bb) Die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur zieht aus dem in der Entwurfsbegründung beschriebenen Zweck der Vorschrift, den Arbeitsvertragsparteien ein standardisiertes Verfahren zur Vermeidung eines Kündigungsschutzprozesses zur Verfügung zu stellen, den Schluss, die Vorschrift verbiete abweichende Parteivereinbarungen über eine geringere oder höhere Abfindung nicht (KR-Spilger, 7. Aufl. § 1 a KSchG Rz. 46 ff; APS-Ascheid, 2. Aufl., § 1 a KSchG Rz. 3; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rz. 1167 f; HK-Fiebig, 2. Aufl. § 1 a KSchG Rz. 19 ff.; KSchR-Kittner, 6. Aufl., § 1 a Rz. 10; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1677; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Bader, NZA 2004, 65, 72; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Quecke, RdA 2004, 86,96; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; Wolff, BB 2004, 378, 380; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; Däubler, NZA 2004, 177, 179; Raab, RdA 2005 1, 7; a.A. Meinel, DB 2003, 1438, 1439; einschränkend auch Preis, DB 2004, 70, 72).

Dem ist zuzustimmen. Die außergerichtliche Streitbeilegung wäre erheblich erschwert, wenn die Arbeitsvertragsparteien keine Gestaltungsspielräume für Abwicklungsvereinbarungen mehr hätten. Wie in der Gesetzesbegründung jedoch an mehreren Stellen hervorgehoben, wollte der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien eine "einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess" zur Verfügung stellen. Die Vorschrift sollte daher das arbeitsrechtliche Instrumentarium zur einvernehmlichen Beilegung von Bestandsstreitigkeiten um eine weitere Möglichkeit erweitern. Die anderen Instrumente zur gütlichen Streitbeilegung wie der Aufhebungsvertrag und Abwicklungsvertrag haben also auch nach Inkrafttreten des § 1 a KSchG ihren Zweck und Anwendungsbereich.

cc) Die entscheidende Frage ist somit, ob das Vorgehen der Parteien dem Verfahren nach § 1 a KSchG zuzuordnen oder aber als vertragliche Abfindungsvereinbarung zu betrachten ist. Hierbei kommt der Erklärung des Arbeitgebers maßgebliche Bedeutung zu. Schlägt der Arbeitgeber das Verfahren nach § 1 a KSchG ein, so schuldet er die gesetzliche Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr, wenn der Arbeitnehmer die Klagefrist verstreichen lässt. Bietet er hingegen die Zahlung einer - höheren oder niedrigeren - Abfindung auf vertraglicher Grundlage an, so kommt nur eine vertraglich begründeter Abfindungsanspruch in der angegebenen Höhe in Betracht, nicht aber ein Anspruch nach § 1 a KSchG, gleichgültig, ob man diesen mit der überwiegenden Auffassung als gesetzlichen Anspruch oder als Ausprägung eines rechtsgeschäftlichen Anspruchs (so vor allem Preis, a.a.O.) versteht. Nimmt der Arbeitnehmer das vertragliche Abfindungsangebot des Arbeitgebers nicht an, so scheidet Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG aus, weil der Arbeitgeber das standardisierte Verfahren nach § 1 a KSchG nicht eingeschlagen hat. Ein vertraglicher Abfindungsanspruch entsteht mangels Annahmeerklärung des Arbeitnehmers nicht.

b) Die Auslegung des Kündigungsschreibens vom 26.11.2004 ergibt, dass die Beklagte dem Kläger ein Abfindungsangebot auf vertraglicher Grundlage unterbreitet hat.

aa) Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Der Wortlaut des Kündigungsschreibens lässt noch keine abschließende Beurteilung zu, welchen der beiden oben angeführten Wege die Beklagte einschlagen wollte, weist aber bereits deutlich auf ein vertragliches Abfindungsangebot hin. Wie oben ausgeführt enthält das Kündigungsschreiben zwar alle Angaben, die für die Entstehung eines Abfindungsanspruchs nach § 1 a KSchG erforderlich sind. Allerdings ist bemerkenswert, dass die Beklagte den Hinweis auf den Abfindungsanspruch nicht entsprechend der gesetzlichen Vorgabe formuliert hat, der Arbeitnehmer könne bei Verstreichenlassen der Klagefrist "die" Abfindung "beanspruchen". Vielmehr hat die Beklagte formuliert: "Wir sagen Ihnen bei Verstreichenlassen der Klagefrist und ... eine Abfindung zu". Weiter heißt es, die "anzubietende Abfindung" (sprachlich richtig: "angebotene Abfindung") des einzelnen Mitarbeiters errechne sich nach seiner persönlichen Punktzahl, die sich im Fall des Klägers auf 257 Punkte belaufe. Der Wert eines Punktes betrage € 51,02. Von der gesetzlichen Abfindungsberechnung (0,5 Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr) weicht diese Berechnung unübersehbar ab.

bb) Nach der Ermittlung des Wortsinnes sind in einem zweiten Auslegungsschritt die Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung verstehen durfte. In diesem Zusammenhang spielen die Gründe, die zu der oben angeführten Formulierung des Kündigungsschreibens geführt haben, eine maßgebliche Rolle. Die von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer, darunter der Kläger, sollten nach Ziff. 3.1 des Sozialplans vom 24.11.2004 keine Sozialabfindungen erhalten, sondern nur diejenigen Leistungen, die durch einen Umzug in die Umgebung der neuen Betriebsstätte anfallen. Offenbar wollte die Beklagte damit einen gewissen Druck ausüben, um die Arbeitnehmer zu einem Umzug nach A. zu bewegen. Da der Betriebsrat jedoch eine Veränderung des Arbeitsorts für unzumutbar hielt (Entfernung rd. 350 km), verständigten sich die Betriebsparteien darauf, den Arbeitsplatzverlust auch für die von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmergruppe sozial abzumildern. Sie vereinbarten in einer Protokollnotiz, dass die Beklagte den zu kündigenden Mitarbeitern in der Kündigungserklärung "entsprechend" § 1 a KSchG bei Verstreichenlassen der Klagefrist und der Nichtannahme der geänderten Arbeitsbedingungen eine Abfindung zusagen werde. Die anzubietende Abfindung bemesse sich nach dem Sozialplan. Ersichtlich betrifft diese Protokollnotiz diejenigen Arbeitnehmer, gegenüber denen die Beklagte zwei Tage später eine Änderungskündigung aussprach.

Die vereinbarte Regelung hat offenkundig Kompromisscharakter. Hätten die Betriebsparteien auch zugunsten der von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmergruppe einen Sozialplananspruch vereinbart, so hätte dieser nicht von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden dürfen (grundlegend BAG, 20.12.1983 - 1 AZR 442/82 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 17; BAG, 31.05.2005 - 1 AZR 254/04 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 175). Hingegen ist es ohne weiteres zulässig, wenn der Arbeitgeber die Zahlung einer freiwilligen Abfindung von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage nach Erhalt der Kündigung abhängig macht (BAG, 15.02.2005 - 9 AZR 116/04 - AP BGB § 612 a Nr. 15). Ersichtlich erklärte sich die Beklagte zur Zahlung von Sozialabfindungen zugunsten der von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer nur unter der Bedingung bereit, dass kostenträchtige Kündigungsschutzprozesse vermieden würden.

cc) Im Anschluss an Preis (DB 2004, 70,72) vertritt der Kläger die Auffassung, § 1 a KSchG begründe einen Mindestabfindungsanspruch in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr, wenn der Arbeitgeber - wie im vorliegenden Fall - ein Junktim zwischen der Zahlung einer Sozialabfindung und dem Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage herstellen wolle. Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht. Schließt § 1 a KSchG - wie oben ausgeführt - vertragliche Abfindungsvereinbarungen nicht aus, dann ist die Bindung des Arbeitgebers an die gesetzliche Mindestabfindung inkonsequent. Der Arbeitgeber kann daher auch das Angebot einer geringeren Abfindung mit dem Junktim des Verzichts auf eine Klageerhebung verbinden. Er muss nur für den Arbeitnehmer erkennbar verdeutlichen, dass er bewusst ein von der gesetzlichen Regelung abweichendes Abfindungsangebot unterbreitet (so auch KR-Spilger, a.a.O., Rz. 60; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Quecke, RdA 2004, 86, 96; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; Raab, RdA 2005, 1,7). Lediglich dann, wenn der Arbeitnehmer diese Absicht dem Kündigungsschreiben nicht entnehmen kann, ist die gesetzliche Abfindung geschuldet.

Im Streitfall musste der Kläger aus dem Wortlaut des Kündigungsschreibens und den Begleitumständen schließen, dass ihm die Beklagte bewusst eine die gesetzliche Abfindung unterschreitende Abfindung zusagen wollte. Wie oben ausgeführt hatte die Beklagte im Kündigungsschreiben die Abfindungsberechnung unter Hinweis auf den geschlossenen Sozialplan im Einzelnen angegeben. Der Zusammenhang des Kündigungsschreibens mit der Protokollnotiz vom 24.11.2004 ist zwar im Schreiben selbst nicht aufgeführt, war aber dem Kläger als Betriebsratsmitglied nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten bekannt. In der Protokollnotiz selbst verwandten die Betriebsparteien die Formulierung "entsprechend § 1 a KSchG". Im juristischen Sprachgebrauch deutet das Wort "entsprechend" nicht auf eine unmittelbare, sondern auf eine sinngemäße Anwendung einer Vorschrift hin.

Dieses Verständnis des Wortes "entsprechend" drängt sich im Streitfall um so mehr auf, als es den Betriebsparteien darum ging, die von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer mit den sonstigen Arbeitnehmern gleichzustellen. Ein sachlicher Grund, die erste Arbeitnehmergruppe besser als die zweite zu behandeln, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hatte sich zwar intern für eine höhere Abfindung ausgesprochen, musste sich aber der Mehrheit des Betriebsrats beugen. Infolgedessen kann sich der Kläger nicht darauf berufen, er habe den Zusammenhang zwischen der Protokollnotiz vom 24.11.2004 und dem Kündigungsschreiben vom 26.11.2004 nicht erkennen können. Die im letzten Absatz des Schreibens dargestellten Modalitäten der Abfindungsberechnung entsprechen in vollem Umfang den Bestimmungen des Sozialplans vom 24.11.2004. Der Kläger musste hieraus schließen, dass ihm die Beklagte nicht irrtümlich, sondern bewusst eine niedrigere Abfindung angeboten hatte, als dies § 1 a Abs. 2 Satz 1 KSchG vorsieht.

dd) Bei der Auslegung des Kündigungsschreibens dürfen schließlich die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen nicht außer Acht gelassen werden. Im Anschluss an das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.12.2003 (B 11 AL 35/03 R - NZA 2004, 661) war in der Praxis eine erhebliche Unsicherheit entstanden, in welchen Fällen der einvernehmlichen Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III zu rechnen ist (zuletzt Spellbrink, BB 2006, 274). Zu § 1 a KSchG war bereits während des Gesetzgebungsverfahrens darauf hingewiesen worden, es bestehe ein Abstimmungsbedarf mit § 144 SGB III (Löwisch, NZA 2003, 689, 694). Ganz überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass eine Mitwirkung des Arbeitnehmers an der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses nicht vorliege, wenn dieser im Verfahren nach § 1 a KSchG die Klagefrist verstreichen lasse (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung im Rahmen des Ausschussberatungen, Drucksache 15/1587, S. 27; Peters-Lange/Gagel, NZA 2005, 740).

Die Einigung der Betriebsparteien in der Protokollnotiz vom 24.11.2004 zielt ersichtlich darauf ab, die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses so zu gestalten, dass der Eintritt einer Sperrzeit vermieden wird. Die Formulierung "entsprechend § 1 a KSchG" ist zielgerichtet zu verstehen. Es sollte ein Verfahren gewählt werden, bei dem der Arbeitnehmer nicht aktiv an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mitwirkt, er also die betriebsbedingte Kündigung lediglich hinnimmt. Daher wurde den Arbeitnehmern ein Abfindungsangebot in einer Form angeboten, das dem standardisierten gesetzlichen Verfahren nach § 1 a KSchG angenähert ist, mit diesem jedoch nicht gleichgesetzt werden darf.

c) Hat die Beklagte dem Kläger somit ein Abfindungsangebot auf vertraglicher Grundlage unterbreitet, so kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht darauf an, ob er dieses Angebot angenommen hat oder nicht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob ein Fall des § 151 S. 1 BGB vorliegt, ist nicht entscheidungserheblich. Sollte es - wie der Kläger meint - an einer Annahme fehlen, so läge kein Vertragsschluss vor. Die Beklagte hätte den im Mai 2005 ausbezahlten Abfindungsbetrag von € 13.112,14 ohne Rechtsgrund geleistet. Sollte der Kläger - was nach Auffassung der Kammer näher liegt - zwar keine Willenserklärung gegenüber der Beklagten abgegeben, er aber doch seinen Annahmewillen dadurch betätigt haben, dass er auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtete, so wäre der Vertrag gemäß § 151 Satz 1 BGB auch ohne Zugang der Annahmeerklärung zustande gekommen. Die Beklagte hätte ihre Verpflichtung aus dem geschlossenen Vertrag dadurch erfüllt, dass sie im Mai 2005 die zugesagte Abfindung auszahlte.

III.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Die Kammer hat gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen.

Ende der Entscheidung

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