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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.07.2002
Aktenzeichen: 2 TaBV 2/01
Rechtsgebiete: MTV NW/NB, BetrVG, ArbGG, ZPO, ArbZG
Vorschriften:
MTV NW/NB § 8 | |
BetrVG § 5 Abs. 1 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 Satz 1 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 Satz 3 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 Satz 5 | |
BetrVG § 77 Abs. 1 Satz 1 | |
BetrVG § 87 | |
BetrVG § 87 Abs. 1 | |
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2 | |
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3 | |
ArbGG § 66 Abs. 1 | |
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1 | |
ArbGG § 87 Abs. 2 | |
ArbGG § 92 Abs. 1 Satz 2 | |
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 | |
ZPO § 888 | |
ZPO § 888 Abs. 2 | |
ZPO § 891 Satz 2 | |
ZPO § 890 Abs. 1 | |
ArbZG § 3 Satz 2 | |
ArbZG § 7 | |
ArbZG § 7 Abs. 1 | |
ArbZG § 14 | |
ArbZG § 16 Abs. 2 |
2 TaBV 2/01
verkündet am 11. Juli 2002
In dem Beschlussverfahren
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Fürstenberg und den ehrenamtlichen Richter Lösch auf die Anhörung der Beteiligten am 26.06.2002 für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und der Gewerkschaft wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.07.01 - 6 BV 167/00 - teilweise wie folgt abgeändert:
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, spätestens am 01. September eines jeden Jahres mit solchen Beschäftigten, für die das Arbeitszeitmodell "NEZE" gilt und deren Stundensaldo spätestens am 30. Juni des Ausgleichszeitraums mehr als 100 Stunden ausweist, den Zeitausgleich so zu planen und umzusetzen, dass am 30. September des entsprechenden Jahres ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
2. Der Arbeitgeberin wird untersagt, es zu dulden, dass Beschäftigte
a) morgens vor 6:00 Uhr oder abends nach 19:00 Uhr arbeiten oder
b) ein Gleitzeitguthaben überschreiten
- im Rahmen des Arbeitszeitmodells "Classic" von 30 Stunden am Ende eines jeden Kalendermonats,
- im Rahmen des Arbeitszeitmodells "NEZE" von 100 Stunden am 30. September eines jeden Jahres, ohne dass der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit vorher zugestimmt hat oder ohne dass seine Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
3. Verstößt die Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus Antrag Ziffer 2 wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht
- auf Antrag des Betriebsrats ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
- auf Antrag der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 €.
II. Im Übrigen werden die Beschwerden des Betriebsrats und der Gewerkschaft zurückgewiesen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird für alle Beteiligten zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um Ansprüche des Betriebsrats und der Gewerkschaft, die auf Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit gestützt werden.
Die Arbeitgeberin, ein führendes Unternehmen der Automobilindustrie, ist Mitglied in Südwestmetall, Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. Sie beschäftigt in ihrem Stuttgarter Betrieb Zentrale ca. 12.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (im Folgenden: Arbeitnehmer), darunter ca. 1.000 leitende Angestellte, die überwiegend administrative Aufgaben für die deutsche Unternehmensspitze der Arbeitgeberin erfüllen. Der antragstellende Betriebsrat ist der örtlich zuständige Betriebsrat für die Zentrale Stuttgart. Die antragstellende Gewerkschaft ist im Stuttgarter Betrieb der Arbeitgeberin vertreten.
Neben den tariflichen Arbeitszeitbestimmungen, die insbesondere im Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden enthalten sind, gelten im Betrieb die "Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit für die Zentrale Stuttgart der D. AG" (sogenannte Betriebsvereinbarung Classic, im Folgenden: BV Classic) und die ergänzende "Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Gleitenden Arbeitszeit (NEZE) in der Zentrale Stuttgart der D. AG" (sogenannte Betriebsvereinbarung NEZE, im Folgenden: BV NEZE) nebst Protokollnotiz, jeweils vom 01.10.1999. Diese Betriebsvereinbarungen enthalten folgende für das vorliegende Verfahren wesentliche Bestimmungen:
Betriebsvereinbarung Classic
Präambel
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (nachfolgend "Mitarbeiter") soll durch die gleitende Arbeitszeit die Möglichkeit gegeben werden, in dem vereinbarten Rahmen Beginn und Ende der Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Damit soll ein Beitrag zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit und zur besseren Abstimmung von betrieblichen und persönlichen Belangen geleistet werden.
...
2. Arbeitszeitdauer
Die individuelle regelmäßige tägliche Arbeitszeit (IRTAZ) beträgt für alle in Vollzeit beschäftigten Mitarbeiter 1/5 der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (IRWAZ). Die IRWAZ ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag.
Die Anzahl der monatlichen Arbeitstage ergibt sich aus dem Betriebskalender. Die monatliche Sollzeit errechnet sich aus der Anzahl der monatlichen Arbeitstage, die mit 1/5 der IRWAZ multipliziert wird.
Im übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen.
3. Arbeitszeitrahmen
Der tägliche Arbeitszeitrahmen setzt sich zusammen aus der Gleitzeit morgens, der Kernarbeitszeit und der Gleitzeit nachmittags und ist wie folgt festgelegt:
Gleitzeit morgens 06.00 Uhr bis 09.00 Uhr
Kernarbeitszeit 09.00 Uhr bis 15.00 Uhr
Gleitzeit nachmittags 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr
Für Arbeiter und Angestellte mit einer unbezahlten Frühstückspause in der Zeit von 09.00 Uhr bis 09.15 Uhr beginnt die Kernzeit um 9.15 Uhr.
In der Gleitzeit können die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit grundsätzlich frei bestimmen, während der Kernarbeitszeit können sie nur mit Zustimmung des Vorgesetzten abwesend sein. Im übrigen hat jeder Mitarbeiter Beginn und Ende seiner Arbeitszeit mit anderen Mitarbeitern abzustimmen, soweit betriebliche Gründe dies erfordern.
Arbeitszeiten außerhalb des festgelegten Arbeitszeitrahmens werden im Zeitkonto nicht berücksichtigt.
Vorgesetzte können das Recht der Mitarbeiter auf Bestimmung von Beginn und Ende der Arbeitszeit im Einzelfall aus dringenden betrieblichen Gründen einschränken. Die Vorgesetzten sind nicht befugt anzuordnen, daß Mitarbeiter täglich weniger als die IRTAZ anwesend sind.
Vorgesetzte und Mitarbeiter haben darauf zu achten, daß das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) und das Mutterschutzgesetz eingehalten werden. Die zulässige tägliche Arbeitszeit beträgt nach dem ArbZG für Erwachsene maximal 10 Stunden und nach dem JArbSchG für Jugendliche maximal 8 Stunden.
Solange sich der Mitarbeiter im Rahmen der Betriebsvereinbarung zur gleitenden Arbeitszeit bewegt, darf der Vorgesetzte aus den Gleitzeitauszügen weder Schlüsse ziehen noch Auswertungen vornehmen, die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle dienen können.
4. Gleitzeitsaldo
Der Abrechnungszeitraum für das Zeitkonto ist der Kalendermonat.
Grundsätzlich haben die Mitarbeiter selbständig auf ein ausgeglichenes Zeitkonto zum Ende des Kalendermonats zu achten. Die monatliche Sollarbeitszeit kann jedoch unter Berücksichtigung eines Gleitzeitguthabens/Gleitzeitdefizits aus dem Vormonat um bis zu 30 Stunden überschritten bzw. um bis zu 15 Stunden unterschritten werden. Dieses so entstandene Gleitzeitguthaben/Gleitzeitdefizit wird auf den Folgemonat übertragen.
Unterschreitet der Mitarbeiter in der korrigierten monatlichen Abrechnung den Saldo um mehr als 15 Stunden, so führt das darüber hinausgehende Gleitzeitdefizit nach Klärung mit dem Betroffenen zu einem entsprechenden Abzug von der monatlichen Vergütung.
Überschreitet der Mitarbeiter in der monatlichen Abrechnung den Saldo um mehr als 30 Stunden, so ist der Gleitzeitübertrag auf den Folgemonat auf 30 Stunden begrenzt. Die darüber hinaus geleisteten Stunden verfallen.
In Einzelfällen kann aus sachlichen Gründen (z.B. längere Krankheit des Mitarbeiters) der übertragbare Stundensaldo vorübergehend erhöht werden. Der Betriebsrat wird hierüber informiert.
5. Gleitzeitausgleich
Der Zeitausgleich erfolgt grundsätzlich durch eine entsprechende Arbeitszeitgestaltung innerhalb des Arbeitszeitrahmens. Dabei sind Kernzeitabweichungen im Rahmen der betrieblichen Belange nach Abstimmung mit dem Vorgesetzten möglich.
Die Mitarbeiter können nach Abstimmung mit dem Vorgesetzten zwecks Zeitausgleichs im Rahmen des Gleitzeitsaldos pro Kalenderjahr 20 Tage Freizeit ("Gleittage") nehmen.
Beim Zeitausgleich muß an allen Arbeitstagen durch Absprachen zwischen den Mitarbeitern und Steuerung des Vorgesetzten die erforderliche Arbeitsfähigkeit des jeweiligen Bereichs gewährleistet sein. Dabei ist darauf zu achten, daß alle Mitarbeiter gleich behandelt werden.
...
7. Mehrarbeit
7.1. Grundsatz
Für Anordnung, Ableistung und Vergütung von Mehrarbeit gelten die tariflichen sowie die einzelvertraglichen Bestimmungen. Die Mehrarbeit ist konkret monats- und mitarbeiterbezogen zu beantragen und zu genehmigen. Bei angeordneter und geleisteter Mehrarbeit wird am Monatsende auf volle Viertelstunden abgerundet.
7.2. Vergütung
Die Vergütung von Mehrarbeit setzt voraus, dass
- die erforderlichen Genehmigungen vorliegen (in Ausnahmefällen nachträglich) und die Mehrarbeit vom Vorgesetzten ausdrücklich angeordnet wurde,
- die regelmäßige tägliche Arbeitszeit von 1/5 der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und
- die monatliche Sollzeit überschritten wird.
Mit den tariflichen Zuschlägen werden stets als Mehrarbeit vergütet:
- angeordnete Arbeitszeiten an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen
- angeordnete Arbeitszeiten zwischen 19.00 Uhr und 06.00 Uhr
7.3. Mehrarbeit und Gleitzeit
Gleitzeitguthaben aus Vormonaten werden nicht als Mehrarbeit bezahlt. Arbeitszeiten, die außerhalb des Arbeitszeitrahmens anfallen, werden nicht auf das Gleitzeitkonto angerechnet.
Arbeitszeiten außerhalb des Arbeitszeitrahmens werden als Mehrarbeit vergütet, wenn die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Soweit Arbeitszeit als Mehrarbeit vergütet wird oder gem. § 8 MTV NW/NB mit Freizeit ausgeglichen wird, bleibt sie bei der monatlichen Gleitzeitabrechnung außer Betracht.
8. Zeiterfassung
Die Zeiterfassung wird über Ausweisleser mit Werksausweisen vorgenommen. Die Ausweisleser registrieren volle Stunden und Minuten; sie werden nur zur Erfassung der Arbeitszeit verwendet. Bei Ausfall des Zeiterfassungssystems werden die geleisteten Zeiten einzeln erfaßt und dem Zeitkonto gutgeschrieben.
Es ist nicht gestattet, aus außerdienstlichen Gründen ohne Zeiterfassung den Betrieb zu verlassen oder fremde Ausweise zu benutzen. Nimmt ein Mitarbeiter im Laufe eines Tages dienstliche Termine außerhalb des Hauses wahr und kehrt er nach Beendigung wieder an seinen Arbeitsplatz zurück, so hat er in diesem Falle beim Verlassen und beim Betreten des Werkes den Ausweisleser nicht zu bedienen.
Beginnt ein Mitarbeiter die tägliche Arbeitszeit an einer anderen Arbeitsstätte innerhalb des Betriebes und/oder beendet er sie in dieser Weise, ist als Arbeitsbeginn/-ende die tatsächliche Arbeitsaufnahme bzw. -beendigung zu erfassen. Soweit möglich sind vorhandene Ausweisleser zu benutzen.
Die Mitarbeiter werden monatlich über die erfassten Arbeitszeiten und den Stand ihres Zeitkontos informiert.
...
Betriebsvereinbarung NEZE:
Präambel
Geschäftsleitung und Betriebsrat wollen das Arbeitszeitmodell NEZE im Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung allen Bereichen wahlweise als Instrument zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Soweit in dieser Betriebsvereinbarung keine ausdrücklichen abweichenden Regelungen festgelegt sind, finden die Bestimmungen der Gleitzeitbetriebsvereinbarung vom 01.10. 1999 uneingeschränkt Anwendung.
Im Vordergrund steht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (nachfolgend "Mitarbeiter") eine verbesserte Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf und für den Betrieb eine effektivere Orientierung der Arbeitszeit an den betrieblichen Bedürfnissen, d. h. an den Anforderungen externer und interner Kunden und damit die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit. Schließlich soll die Gestaltung der Arbeitszeit einerseits verstärkt Teil der Selbststeuerung durch die Mitarbeiter bzw. in der Gruppe werden und andererseits zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern einvernehmlich geregelt werden.
1. Geltungsbereich
Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter des Betriebs Zentrale der DaimIerChrysler AG am Standort Stuttgart, wenn die Anwendung dieses flexiblen Arbeitszeitmodells gemäß den nachstehenden Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung ausdrücklich vereinbart wurde.
Diese Betriebsvereinbarung ist eine Ergänzung der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit vom 01.10.1999
2. Einbeziehung der Mitarbeiter
Die Einbeziehung der Mitarbeiter in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung erfolgt nach abgrenzbaren Einheiten (z. B. Bereich, Abteilung) im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Vorgesetzten, Personalbereich und Betriebsrat. Jeder dieser Beteiligten hat ein Initiativrecht, den entsprechenden Bereich unter den Geltungsbereich des flexiblen Arbeitszeitmodells NEZE zu fassen. Bei Meinungsverschiedenheiten erfolgt zunächst der Versuch einer Einigung zwischen den Beteiligten. Das flexible Arbeitszeitmodell wird in einem konkreten Bereich erst nach einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen dem Fachbereich, dem Personalbereich und dem Betriebsrat wirksam. Die entsprechenden Bereiche werden in eine Anlage zu dieser Betriebsvereinbarung unter Angabe der genauen Bezeichnung und dem Anwendungsstichtag aufgenommen.
In den einbezogenen Bereichen ergänzen und ändern die Regelungen dieser Betriebsvereinbarung die entsprechenden Bestimmungen der Gleitzeitbetriebsvereinbarung vom 01.10.1999.
3. Arbeitszeitrahmen
Als Arbeitszeitrahmen gilt die Zeit von 06.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Eine Verlängerung des Arbeitszeitrahmens ist in begründeten Fällen unter Berücksichtigung tariflicher und gesetzlicher Regelungen ausnahmsweise in Absprache mit dem Personalbereich und mit Zustimmung des Betriebsrats bereichsweise möglich.
Eine Kernarbeitszeit besteht nicht.
...
In Abweichung von Abs. 2 Satz 1 kann im Einvernehmen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern in einem Bereich auch eine bestimmte Kernarbeitszeit mit dem Betriebsrat vereinbart werden. Dies ist in der Anlage entsprechend zu vermerken.
4. Arbeitszeitgestaltung
Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit, Arbeitsbeginn und Arbeitsende auf der Grundlage seiner individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Dabei wird vorausgesetzt, daß mit dem Vorgesetzten und den anderen Mitarbeitern des Bereiches oder der Arbeitsgruppe eine Abstimmung erfolgt, um die Arbeitsfähigkeit und Ansprechbarkeit des Bereiches entsprechend den betrieblichen Notwendigkeiten zu gewährleisten. Dies gilt auch bei der Einplanung freier Tage.
Vorgesetzte und Mitarbeiter tragen gemeinsam die Verantwortung, die Arbeitszeit entsprechend diesen Zielsetzungen, den nachfolgenden Regelungen, den betrieblichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten und den persönlichen Bedürfnissen des Mitarbeiters einvernehmlich zu gestalten. Die Vorgesetzten können das Recht der Mitarbeiter auf Bestimmung von Beginn und Ende der Arbeitszeit im Einzelfall aus dringenden betrieblichen Gründen einschränken.
5. Ausgleichszeitraum und Zeitkonto
Der Ausgleichs- bzw. Abrechnungszeitraum für das Zeitkonto beträgt 12 Monate. Er beginnt, unabhängig von dem Anwendungsstichtag gem. Anlage, jeweils am 01.10. eines Jahres und endet am 30.09, des folgenden Jahres.
Ist der Stundensaldo auf dem Zeitkonto am Ende des 2. und 3. Quartals des Ausgleichszeitraums größer als +/- 100 Stunden, sind Vorgesetzter und Mitarbeiter verpflichtet, den Zeitausgleich zu planen und umzusetzen. Der entsprechende Stundenabbau bzw. Stundenaufbau ist auf Wunsch des Mitarbeiters schriftlich festzuhalten.
Die Sollzeit kann am Ende des Ausgleichszeitraums um +100 Stunden über - bzw. um -100 Stunden unterschritten werden. Bis zu dieser Höhe wird der Stundensaldo in den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen.
Unterschreitet der Stundensaldo am Ende des Ausgleichszeitraums den übertragbaren Negativsaldo, so wird die darüber hinausgehende Minusdifferenz von der monatlichen Vergütung abgezogen. Überschreitungen des übertragbaren Positivsaldos verfallen am Ende des Ausgleichszeitraums.
6. Zeitausgleich
Der Mitarbeiter sorgt im Rahmen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung eigenverantwortlich für die Einhaltung seiner individuellen Arbeitszeit Die Vorgesetzten haben entsprechend den betrieblichen Erfordernissen auf eine ausgeglichene Arbeitszeitgestaltung ihrer Mitarbeiter hin zu wirken.
Zum Zeitausgleich kann der Mitarbeiter uneingeschränkt freie Tage nehmen. Eine Begrenzung der Anzahl besteht nicht.
Die Festlegung dieser freien Tage wird zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange individuell vereinbart.
...
Protokollnotiz zu den Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit sowie über eine Flexibilisierung der gleitenden Arbeitszeit in der Zentrale Stuttgart der D. AG vom 01.10.1999
...
3. Einsichtnahme des Betriebsrats in die Zeiterfassungsprotokolle der Mitarbeiter
Dem Betriebsrat werden nach entsprechender Aufforderung die individuellen Zeiterfassungsprotokolle von bestimmten Mitarbeitern oder - in anonymisierter Form - einer bestimmten Mitarbeitergruppe zur Einsichtnahme überlassen. Damit soll dem Betriebsrat ermöglicht werden, in diesen Fällen über die Einhaltung der betrieblichen und tariflichen Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung sowie der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen zu wachen.
4. Information des Betriebsrats bei NEZE
Der Betriebsrat wird einmal jährlich zum Ende des Ausgleichszeitraums (jeweils der 30.09. eines Jahres) über die durchschnittlichen Gleitzeitsalden informiert und erhält hierüber eine Auswertung.
Auf den sonstigen Wortlaut der Betriebsvereinbarungen und der Protokollnotiz (Bl. 17 der erstinstanzlichen Akte) wird Bezug genommen.
Die Arbeitszeitmodelle der Betriebsvereinbarungen Classic und NEZE gelten jeweils für ca. die Hälfte der unter die Betriebsvereinbarungen fallenden Beschäftigten.
Die Betriebsvereinbarungen Classic und NEZE stimmen in den für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Punkten im Wesentlichen mit den abgelösten Betriebsvereinbarungen überein. Bei der Arbeitgeberin bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen gibt es bereits seit 1972 Gleitzeitbetriebsvereinbarungen.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin streiten seit einigen Jahren über die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitregeln und die Arbeitszeitbestimmungen der Gleitzeitbetriebsvereinbarungen. Ein Beschlussverfahren bezüglich der Vorlage von Gleitzeitkontoauszügen wurde zugunsten des Betriebsrats entschieden (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.1994, 15 TaBV 11/93, BB 1994, 1352). Der Betriebsrat bildete im November 1998 eine Arbeitszeitkommission, die sich seither der Überwachung von Arbeitszeitbestimmungen widmet. Der Betriebsrat bzw. seine Arbeitszeitkommission wandten sich in mehreren Schreiben ab 1999 an die Arbeitgeberin und rügten die massiven Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und die Betriebsvereinbarungen. Die antragstellende Gewerkschaft forderte mit Schreiben vom 12.07.2000 eine Unterlassungserklärung von der Arbeitgeberin.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das Gewerbeaufsichtsamt im Betrieb der Arbeitgeberin Ermittlungen wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz durchführte. Das Verfahren endete mit der Verhängung einer Geldbuße.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft tragen vor, dass im Betrieb der Arbeitgeberin durchschnittlich jeder der ca. 10.000 unter die Betriebsvereinbarungen fallenden Arbeitnehmer ca. 75 Stunden im Jahr unbezahlte Arbeit aufgrund der Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen leiste. Insgesamt handele es sich also im Betrieb um eine Summe von ca. 75.000 Stunden, was ca. 5 % des gesamten Arbeitsvolumens oder 500 Neueinstellungen entspreche. Der wirtschaftliche Wert liege bei ca. 50 bis 75 Millionen €. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft kommen zu diesem Ergebnis aufgrund einer Hochrechnung von sieben verschiedenen Arbeitsbereichen, in denen etwas mehr als 2.500 Arbeitnehmer und damit ca. 25 % der Beschäftigten arbeiten.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft führen für das Jahr 1999 im Einzelnen folgende nicht bezahlte Stunden an:
||||
Bereich|Anzahl der Mitarbeiter|Betriebsvereinbarung|Anzahl der nicht bezahlten Stunden aufgrund des maximalen Gleitzeitguthabens gemäß Ziff. 4 BV Classic bzw. gemäß Ziff. 5 BV NEZE|Anzahl der nicht bezahlten Stunden außerhalb des täglichen Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr
Vertrieb Service (VSE)|ca. 840|NEZE|ca. 11.300|ca. 16.800
Vertrieb Pkw (VP bzw. GFP/V)|ca. 570|Classic und NEZE|ca. 4.100 (NEZE) ca. 3.900 (Classic)(in einem Monat - September 1999)|ca. 17.500
Entwicklung Lkw (EL)|ca. 640|NEZE|ca. 10.750 (Jahr 2000)|
Organisations-, Management und Personalentwicklung (PZ/OMP)|ca. 60|NEZE|ca. 2.000 (Jahr 2000)|
Vertrieb Übersee (DCOS)|ca. 160|Classic||ca. 5.200
Vertrieb Transporter (VT)|ca. 260|?||ca. 1.200
Patentabteilung (FTK/P)|49|Classic|2.933 (Januar bis Juni 2000)|ca. 220 (Jahr 2000)
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft tragen folgende stichprobenartig ermittelte Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit von maximal 10 Stunden vor:
- im Bereich "Vertrieb Pkw (VP bzw. GFP/V)" im Zeitraum September 1998 bis August 2000 in fünf benannten Monaten zwischen 624 und 1.300 Überschreitungen der 10-Stunden-Grenze.
- im Bereich "Forschung Motoren/Verbrennung (FT 1/M)" und anderen FT-Bereichen im Februar 2000 und Mai 2000 460 bzw. 400 Überschreitungen der 10-Stunden-Grenze.
Im Betrieb der Arbeitgeberin sei nach deren eigener Statistik in den Monaten Februar bis April 2000 von durchschnittlich mehr als 4.000 Beschäftigten im Durchschnitt mehr als 10.000 Mal im Monat sogar länger als 11 Stunden gearbeitet worden.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft sind der Ansicht, dass die aufgrund der Zeiterfassungsprotokolle ausgewerteten Bereiche sowohl von der Anzahl der Arbeitnehmer (ca. 25 % der Beschäftigten) als auch nach der Struktur repräsentativ für den gesamten Betrieb seien. Dem Betriebsrat seien allerdings nur bis zum Jahr 2000 Zeiterfassungsprotokolle überlassen worden. Danach habe er keine Einsicht mehr erhalten. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Situation nach dem Jahr 2000 entscheidend verändert habe.
Der Betriebsrat hat schon in erster Instanz die Rechtsauffassung vertreten, dass er einen Anspruch auf Durchführung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG habe. Die Arbeitgeberin habe deshalb die Verpflichtung, im Rahmen des Zeitmodells "NEZE" den Zeitausgleich für die einzelnen Arbeitnehmer so zu planen und umzusetzen, dass am Ende des Ausgleichszeitraums das Gleitzeitguthaben die Sollzeit nicht um mehr als 100 Stunden überschreite. Aus den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen könne der Betriebsrat auch einen Anspruch auf Unterlassung betriebsvereinbarungswidriger Handlungen herleiten. Der Arbeitgeberin sei deshalb aufzugeben, keine Arbeit morgens vor 6:00 Uhr und abends nach 19:00 Uhr oder im Umfang von mehr als 10 Stunden täglich oder unter Überschreitung der monatlichen bzw. jährlichen Gleitzeitobergrenze zuzulassen, solange der Betriebsrat seine Zustimmung hierzu nicht erteilt habe oder die fehlende Zustimmung durch einen Einigungsstellenspruch ersetzt worden sei. Die antragstellende Gewerkschaft hat ihren Handlungs- und Unterlassungsanspruch auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft haben vor dem Arbeitsgericht unter der Maßgabe, dass sich die folgenden Anträge lediglich auf Beschäftigte im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG beziehen, beantragt,
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, spätestens am 01. September eines jeden Jahres mit solchen Beschäftigten, für die das Arbeitszeitmodell NEZE gilt und deren Stundensaldo an diesem Tag für den laufenden Ausgleichszeitraum mehr als 100 Stunden ausweist, den Zeitausgleich so zu planen und umzusetzen, dass am 30. September des entsprechenden Jahres ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
2. Der Arbeitgeberin wird untersagt, es zu dulden, dass Beschäftigte
- morgens vor 6:00 Uhr und abends nach 19:00 Uhr arbeiten oder
- täglich mehr als 10 Stunden arbeiten oder
- ein Gleitzeitguthaben überschreiten
* im Rahmen des Arbeitszeitmodells "Classic" von mehr als 30 Stunden am Ende eines jeden Kalendermonats,
* im Rahmen des Arbeitszeitmodells "NEZE" von mehr als 100 Stunden am 30. September eines jeden Jahres,
ohne dass der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit vorher zugestimmt hat oder ohne dass seine Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
3. Verstößt die Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen
- aus Antrag Ziff. 1, wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht
* auf Antrag des Betriebsrats ein Zwangsgeld bis zu DM 50.000,00, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
* auf Antrag der Gewerkschaft ein Zwangsgeld bis zu DM 20.000,00,
- aus Ziff. 2, wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht,
* auf Antrag des Betriebsrats ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
* auf Antrag der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld bis zu DM 20.000,00.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin hat in der ersten Instanz zu den vom Betriebsrat behaupteten unentgeltlichen Stunden angeführt, dass sowohl die Gesamtzahl als auch die vorgetragenen Einzelangaben von der Arbeitgeberin nicht nachvollzogen werden könnten, da sie selbst keine Stundenauswertungen vornehme. Würde man die vom Betriebsrat behaupteten 75 Stunden je Mitarbeiter und Jahr zugrunde legen, ergebe dies letztlich 18 Minuten täglich pro Mitarbeiter. Die Arbeitgeberin hat weiter bestritten, dass ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss zur Einleitung des Verfahrens vorliege. Die Arbeitgeberin hat die Rechtsauffassung vertreten, dass eine Durchführungspflicht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinsichtlich einer konkreten Abbauplanung und -durchführung nicht bestehe. Auch die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats und der Gewerkschaft seien nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat in seinem am 23.07.2001 verkündeten Beschluss die Anträge zurückgewiesen. Es hat die Anträge für zulässig aber nicht für begründet gehalten, da in den Betriebsvereinbarungen keine Handlungs- und Unterlassungspflichten der Arbeitgeberin enthalten seien. Wegen der Einzelheiten und zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gründe des Beschlusses (Bl. 189 - 216 der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen.
Die Ausfertigung des Beschlusses vom 23.07.01 ist ausweislich der Verfügung der Geschäftsstelle vom 23.07.01 (Bl. 219 der erstinstanzlichen Akte) am 24.07.01 mit Empfangsbekenntnis vom 24.07.01 zur Post gegeben worden. Allerdings enthält das Empfangsbekenntnis der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats und der Gewerkschaft das Stempeldatum "23. Juli 2001". Der Betriebsrat und die Gewerkschaft haben am 24.08.01 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 24.10.01 am 24.10.01 begründet.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft sind in der zweiten Instanz der Ansicht, dass das Arbeitsgericht die kollektive Wirkung mitbestimmter Arbeitszeitregelungen übersehen, insbesondere den Anwendungsbereich des § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG grundlegend verkannt habe. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG habe der Betriebsrat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf vereinbarungskonforme Durchführung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen. Deshalb könne der Betriebsrat zunächst von der Arbeitgeberin verlangen, gemäß Ziff. 5 BV NEZE am Ende des zweiten und dritten Quartals des Ausgleichszeitraums einen Zeitausgleich zu planen und umzusetzen bei solchen Beschäftigten, deren Zeitguthaben größer als plus 100 Stunden ist. Hier handele der Betriebsrat nicht als Prozessstandschafter einzelner Arbeitnehmer mit dem Ziel der Durchsetzung individueller Ansprüche, sondern mache vielmehr die Verletzung eigener Rechte aus der Betriebsvereinbarung geltend.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG habe der Betriebsrat auch einen Unterlassungsanspruch gegen betriebsvereinbarungswidriges Handeln der Arbeitgeberin. Er könne deshalb von der Arbeitgeberin die Unterlassung der Entgegennahme regelmäßiger Arbeitszeit vor 6:00 Uhr und nach 19:00 Uhr verlangen, außerdem die Unterlassung der Entgegennahme von mehr als 10 Arbeitsstunden täglich, sowie die Unterlassung der Entgegennahme von mehr als 30 Stunden (BV Classic) bzw. 100 Stunden Gleitzeitguthaben (BV NEZE).
Der tägliche Arbeitszeitrahmen von 6:00 bis 19:00 Uhr habe verbindlichen Charakter. Insoweit habe der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ausgeübt. Dieser Rahmen für die regelmäßige Arbeitszeit könne nur bei Anordnung von Mehrarbeit ausgedehnt werden. Eine Arbeitszeit "der dritten Art" im rechtsfreien Raum sei in den Betriebsvereinbarungen nicht vorgesehen.
Die Bestimmung über die maximale tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden sei konstitutiv und nicht nur eine Verweisung auf das Arbeitszeitgesetz. Dem Betriebsrat stehe insoweit auch ein Mitbestimmungsrecht zu. Jedenfalls müssten auch freiwillige Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Bezüglich der Überschreitung des höchstzulässigen Gleitzeitguthabens habe das Arbeitsgericht auf jegliche Argumentation verzichtet.
Der Betriebsrat könne sein Unterlassungsbegehren neben § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch auf den allgemeinen Unterlassungsanspruch in Verbindung mit seinen Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG stützen.
Der Leistungs- und Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft ergebe sich aus § 23 Abs. 3 BetrVG. Im vorliegenden Fall handele es sich um bewusste und gewollte Arbeitszeitverstöße der Arbeitgeberin bei klarer und eindeutiger Rechtslage. Wegen des weiteren Vorbringens des Betriebsrats und der Gewerkschaft im Beschwerderechtszug wird auf die im Anhörungstermin in Bezug genommenen Schriftsätze vom 24.10.01 und vom 18.06.02 (Bl. 9 - 45 und Bl. 122 - 129 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft beantragen, (gegenüber dem Antrag erster Instanz leicht verändert)
1. der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.07.01 - 6 BV 167/00 - wird abgeändert.
2. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, spätestens am 01. September eines jeden Jahres mit solchen Beschäftigten, für die das Arbeitszeitmodell NEZE gilt und deren Stundensaldo spätestens am 30.06. des Ausgleichszeitraums mehr als 100 Stunden ausweist, den Zeitausgleich so zu planen und umzusetzen, dass am 30. September des entsprechenden Jahres ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
3. Der Arbeitgeberin wird untersagt, es zu dulden, dass Beschäftigte
- morgens vor 6:00 Uhr und abends nach 19:00 Uhr arbeiten oder
- täglich mehr als 10 Stunden arbeiten oder
- ein Gleitzeitguthaben überschreiten
* im Rahmen des Arbeitszeitmodells "Classic" von 30 Stunden am Ende eines jeden Kalendermonats
* im Rahmen des Arbeitszeitmodells "NEZE" von 100 Stunden am 30. September eines jeden Jahres,
ohne dass der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit vorher zugestimmt hat oder ohne dass seine Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
4. Verstößt die Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen
- aus Antrag Ziff. 2, wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlungen angedroht,
* auf Antrag des Betriebsrats ein Zwangsgeld bis zu 25.000,00 €, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
* auf Antrag der Gewerkschaft ein Zwangsgeld bis zu 10.000,00 €,
- aus Antrag Ziff. 3, wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht
* auf Antrag des Betriebsrats ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
* auf Antrag der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 €.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin verteidigt den angegriffenen Beschluss. Sie führt zunächst an, dass die Angaben des Betriebsrats zum Volumen des Stundenverfalls sowie zu Umfang von Überschreitungen der täglichen Höchstarbeitszeit nicht unstreitig seien. Sie könnten jedoch nicht nachvollzogen werden, da die Arbeitgeberin keine Auswertungen durchführe. Im Anhörungstermin hat die Arbeitgeberin nach ausführlicher Erörterung der vom Betriebsrat vorgelegten Tabellen von einzelnen Bereichen auf Frage der erkennenden Kammer erwidert, dass man die Zahlen des Betriebsrats "so stehen lassen könne", nicht dagegen die Hochrechnungen und Schlussfolgerungen.
Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, dass der Betriebsrat keinen Durchführungsanspruch auf Planung und Umsetzung eines Zeitausgleichs habe, da die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung NEZE eine solche Verpflichtung der Arbeitgeberin nicht vereinbart hätten. Vielmehr richte sich die Verpflichtung ausschließlich an Beschäftigte und Vorgesetzte.
Dem Betriebsrat stünden auch keine Unterlassungsansprüche zu. Mit der Festlegung eines Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr hätten die Betriebsparteien Arbeitszeit außerhalb dieses Rahmens nicht als unzulässig vereinbaren wollen. Dass die Betriebsparteien von der Zulässigkeit solcher Arbeiten ausgegangen seien, zeige die Bestimmung, wonach diese Zeiten nicht berücksichtigt werden. Die Bestimmung über die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden sei lediglich ein Hinweis auf die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes.
Der Betriebsrat könne auch nicht gegen Überschreitungen von Gleitzeitsalden vorgehen, weil aus den Verfallsregelungen der Betriebsvereinbarungen deutlich werde, dass die Betriebsparteien von der Leistung solcher Stunden ausgegangen seien. Auch die antragstellende Gewerkschaft habe keinerlei Ansprüche gegen die Arbeitgeberin. Wegen des weiteren Vorbringens der Arbeitgeberin im zweiten Rechtszug wird auf die im Anhörungstermin in Bezug genommenen Schriftsätze vom 18.12.01 und vom 10.06.02 (Bl. 63 - 74 und Bl. 102 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.
II.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist am 24.08.01 eingelegt worden und damit innerhalb der Frist von einem Monat gemäß §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG. Der erstinstanzliche Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats und der Gewerkschaft am 24.07.01 zugestellt worden. Das gestempelte Datum "23. Juli 2001" im Empfangsbekenntnis ist ein offensichtlicher Stempelfehler. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass die Ausfertigung des Beschlusses vom 23.07.01 erst am 24.07.01 zur Post gegeben worden ist.
2. Begründetheit der Beschwerde
In der Sache hat die Beschwerde überwiegend Erfolg. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts haben der Betriebsrat und die antragstellende Gewerkschaft einen Durchführungsanspruch auf Abbauplanung und Abbauvollzug aus der BV NEZE sowie Unterlassungsansprüche gegen die Überschreitung des Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr und gegen Überschreitungen der höchstzulässigen Gleitzeitguthaben. Dagegen besteht kein Anspruch auf Einhaltung der täglichen Höchstarbeitszeiten von 10 Stunden aus den geschlossenen Betriebsvereinbarungen.
2.1 Zulässigkeit der Anträge
Die Anträge sind zulässig.
2.1.1 Die Anträge sind nicht deshalb unzulässig, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß über die Einleitung dieses arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens beschlossen hätte. Die richtigen Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Betriebsratsbeschlüsse am 19.09.2000 und 04.12.2000, auf die verwiesen wird (II. A des erstinstanzlichen Beschlusses), hat die Arbeitgeberin im zweiten Rechtszug nicht angegriffen.
2.1.2 Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch die Anträge für hinreichend bestimmt erachtet. Auch im Beschlussverfahren muss die Antragsschrift gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO einen bestimmten Sachantrag enthalten (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 27.11.90 - 1 ABR 77/89 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Dem Antrag muss zu entnehmen sein, über welche konkrete Streitfrage das Gericht mit bindender Wirkung für die Beteiligten entscheiden soll. Es ist jedoch unschädlich, wenn sich das Antragsbegehren in der erforderlichen Bestimmtheit erst durch Auslegung ermitteln lässt. Grundlage einer Auslegung ist das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers zur Begründung des Antrages und derjenige Vorgang, der Anlass für den Streit der Beteiligten gegeben hat (BAG 18.02.86 - 1 ABR 27/84 - AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972).
Im Hinblick auf die Bestimmtheitserfordernisse des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist lediglich der Antrag, den Zeitausgleich "umzusetzen" (Ziff. 2 des Beschwerdeantrags) zu problematisieren. Im Gegensatz zu dem Antrag "den Zeitausgleich zu planen", der eine eindeutige Verpflichtung der Arbeitgeberin beinhaltet, nämlich mit dem Mitarbeiter zu einem Zeitpunkt einen (nicht unbedingt schriftlichen) Plan zum Abbau des Zeitguthabens auszuarbeiten, enthält der Antrag "den Zeitausgleich umzusetzen" unter Umständen mehrere Verpflichtungen der Arbeitgeberin. Zunächst bedeutet die Verpflichtung der Arbeitgeberin "den Zeitausgleich umzusetzen", dass sie die Einhaltung des zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter ausgearbeiteten Plans zum Abbau des Zeitguthabens kontrolliert. Stellt die Arbeitgeberin fest, dass die Abbauplanung nicht eingehalten wird, wird sie den Vorgesetzten und den betreffenden Mitarbeiter mittels ihres Weisungsrechtes auf die Befolgung des Abbauplans in Anspruch nehmen müssen. Haben Weisungen keine Wirkung (was in der Praxis kaum der Fall sein dürfte), stehen der Arbeitgeberin die üblichen Sanktionsmaßnahmen zu. Die Verpflichtung "den Zeitausgleich umzusetzen" umfasst also unter Umständen mehrere Handlungsschritte, die für die Arbeitgeberin jedoch hinreichend klar erkennbar sind. Es geht um Einhaltung des Abbauplans. Den Wortlaut haben im Übrigen die Betriebsparteien selbst gewählt.
2.1 Begründetheit der Anträge
2.2.1 Antrag Ziff. 2: Durchführungsanspruch des Betriebsrats aus der Betriebsvereinbarung NEZE auf Planung und Umsetzung des Zeitausgleichs.
Der Antrag ist begründet. Dem Betriebsrat steht ein Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Planung und Umsetzung des Zeitausgleichs gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit Ziff. 5 Abs. 2 BV NEZE zu.
2.2.1.1 Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG führt Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber der Arbeitgeber durch. Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber deshalb die Durchführung aller getroffenen Vereinbarungen verlangen, unabhängig davon, ob § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unmittelbar oder der Betriebsvereinbarung selbst der Anspruch des Betriebsrats zu entnehmen ist (ständige Rechtsprechung des BAG, z.B.: 30.08.94 - 1 ABR 10/94 - AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BAG 23.06.92 - 1 ABR 11/92 - AP Nr. 20 zu § 23 BetrVG 1972, BAG 24.02.87 - 1 ABR 18/85 - AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; im Schrifttum: Kreutz, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz. 21; FKHES, 21. Aufl., § 77 Rz. 7). Diese Verpflichtung an sich wird von der Arbeitgeberin nicht bestritten.
Die Betriebsvereinbarungen Classic und NEZE wurden im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG abgeschlossen. Gesetzliche oder tarifvertragliche Schranken bestanden insoweit nicht. Die der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden Bereiche "Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit" und "vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit" sind im Rahmen von Vereinbarungen über gleitende Arbeitszeit geregelt worden. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Vereinbarungen über gleitende Arbeitszeit umfasst die Regelung aller Modalitäten (BAG 18.04.89 - 1 ABR 3/88 - AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, B II 2 a der Gründe), insbesondere die tägliche Normalarbeitszeit, die Kernarbeitszeit, während der die Arbeitnehmer im Betrieb anwesend sein müssen, die Gleitspanne vor und nach der Kernarbeitszeit, innerhalb der die Arbeitnehmer selbst Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit bestimmen können, die Begrenzung der Zulässigkeit von Zeitrückständen oder Zeitguthaben während eines bestimmten Zeitraums und deren Ausgleich, evtl. Verfallklauseln, Kontrolle der Arbeitszeit und das Verhältnis zu Mehrarbeit und Überstunden (vgl. dazu Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rz. 334 ff.; FKHES § 87 Rz. 115 jeweils m.w.N.). Bei Abweichungen von diesen Regelungen werden Rechte des Betriebsrates verletzt. Er kann die Beachtung und Durchführung der ausgeübten und geregelten Mitbestimmung von der Arbeitgeberin verlangen. Kern des vorliegenden Rechtsstreits und der unterschiedlichen Bewertungen der Betriebsparteien ist die Frage, ob und in welchem Umfang in den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen Verpflichtungen der Arbeitgeberin begründet worden sind oder nur unverbindliche Regelungen und deklaratorische Hinweise.
2.2.1.2 Verpflichtungen der Arbeitgeberin aus Ziff. 5 BV NEZE
Gemäß Ziff. 5 Abs. 2 BV NEZE ist die Arbeitgeberin verpflichtet, bei Überschreitungen des Zeitkontos von 100 Stunden zu bestimmten Zeitpunkten den Zeitausgleich so zu planen und umzusetzen, dass am Ende des Ausgleichszeitraums, nämlich am 30.09. eines jeden Jahres, ein Zeitguthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
Die vorliegenden Betriebsvereinbarungen sind auszulegen. Ihre Auslegung erfolgt nach den Regeln über die Auslegung von Gesetzen (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 08.11.1988 - 1 AZR 721/87 - AP Nr. 48 zu § 112 BetrVG 1972). Auszugehen ist vom Wortlaut der Regelung, wobei es jedoch nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Vielmehr ist der wirkliche Wille zu erforschen. Hierbei kommt dem von den Betriebspartnern verfolgten Zweck eine besondere Bedeutung zu, soweit er in der Betriebsvereinbarung wenigstens andeutungsweise Ausdruck gefunden hat. Neben der Feststellung des Zweckes der Betriebsvereinbarung sind als weitere Auslegungsmittel der Gesamtzusammenhang der Betriebsvereinbarung sowie ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen (allgemein anerkannt, z.B. FKHES, § 77 Rz. 15).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich für die Auslegung der vorliegenden Betriebsvereinbarungen Folgendes:
Nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung NEZE sind Vorgesetzter und Mitarbeiter verpflichtet, den Zeitausgleich zu planen und umzusetzen. Der Text spricht also von einer Verpflichtung und kann entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts nicht zu einer "allgemeinen Vorgabe" verwässert werden. Diese Verpflichtung besteht für die einzelnen mitverantwortlichen Mitarbeiter (Ziff. 4 Abs. 2 BV NEZE) und für die Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin führt ihre Betriebsorganisation und die Verpflichtungen aus Betriebsvereinbarungen durch Mitarbeiter (Vorgesetzte) in der hierarchischen Linie durch. Die Vereinbarung, dass u.a. Vorgesetzte verpflichtet sind, bedeutet nicht, dass Verpflichtungen nur auf einer unteren Betriebsebene bestehen, die die Arbeitgeberin als Vertragspartnerin des Betriebsrats nichts angehen.
Gegen die dem Wortlaut nach vereinbarte Verpflichtung der Arbeitgeberin spricht auch nicht der Gesamtzusammenhang der Betriebsvereinbarung NEZE. Das Arbeitsgericht schließt aus der Verfallsregelung bei Überschreitung des Zeitguthabens von 100 Stunden am Ende des Ausgleichszeitraums, dass diese Regelung nicht notwendig gewesen wäre und damit leer liefe, wenn sich aus der BV NEZE eine Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Abbauplanung und zum Abbauvollzug ergäbe. Diese Argumentation trennt jedoch nicht die unterschiedlichen Ebenen. Die Betriebsparteien haben die Verfallsregelung in Ziff. 5 a. E. BV NEZE nach ihrem übereinstimmenden Vortrag deshalb vereinbart, um auf die betreffenden Arbeitnehmer im Wege einer "erzieherischen Maßnahme" sanften Druck in der Richtung auszuüben, dass die maximalen Zeitguthaben am Ende des Ausgleichszeitraums nicht überschritten werden. Die Betriebsparteien gingen von der Lebenserfahrung aus, dass ohne Gehaltsanspruch ein geringer Anreiz zur Arbeit besteht. Die Vereinbarung über die individuellen Entgeltansprüche betrifft jedoch nicht die kollektiv-rechtliche Ebene der vorliegenden Betriebsvereinbarung. Auf dieser Ebene ist nicht erkennbar, dass der Betriebsrat seine durch die Betriebsvereinbarung ausgeübten Mitbestimmungsrechte einschränken lassen wollte. Im Übrigen decken sich die Verpflichtungen zur Abbauplanung und -durchführung und die Verfallsregelung nicht. Während die Planung und Umsetzung des Zeitausgleichs nur dann zu erfolgen hat, wenn der Stundensaldo am 31.03. bzw. (s. u.) 30.06. eines Jahres mehr als 100 Stunden beträgt, betrifft die Verfallsregelung auch Stunden, die evtl. erst im Zeitraum vom 01.07. bis 30.09. eines Jahres entstanden sind. Für die im vierten Quartal des Ausgleichszeitraums aufgelaufenen Stunden besteht jedoch gemäß Ziff. 5 keine Verpflichtung zur Abbauplanung und -durchführung. Es kann also auch nicht damit argumentiert werden, dass die Verfallsregelung ins Leere liefe. Auch die für den Betriebsrat relativ schwierig festzustellende und bis zum 30.09. eines Jahres befristete Handlungspflicht der Arbeitgeberin spricht nicht gegen die Übernahme einer Verpflichtung durch die Arbeitgeberin. Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin die Einsicht in die individuellen Zeiterfassungsprotokolle von bestimmten Mitarbeitern oder - in anonymisierter Form - einer bestimmten Mitarbeitergruppe verlangen. Da der Betriebsrat mit der Zeit Kenntnis erlangt, in welchen Bereichen und bei welchen Mitarbeitern besonders hohe Gleitzeitguthaben auflaufen, hat er einen praktikablen Informationsanspruch. Mit den gewonnenen Informationen muss dann der Betriebsrat seinen Anspruch auf Durchführung der Abbauplanung und des Abbauvollzugs bis zum 30.09. durchsetzen, weil danach nach dem Willen der Betriebsparteien über die Höchstgrenze hinausgehende Stunden verfallen. Die in einem Großbetrieb sicherlich nicht einfach durchzuführende Kontrolle durch den Betriebsrat spricht jedoch nicht gegen das Bestehen einer Verpflichtung der Arbeitgeberin an sich.
Auch eine Auslegung der Betriebsvereinbarung NEZE nach Sinn und Zweck führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Betriebsparteien der Arbeitgeberin keine Verpflichtung auferlegen wollten. Die Betriebsvereinbarung NEZE beinhaltet das Leitbild des seine Arbeitszeit eigenverantwortlich mitgestaltenden Arbeitnehmers (Ziff. 4 und 6 BV NEZE). Wenn man die Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers für die Gestaltung seiner Arbeitszeit isoliert betrachtend in den Mittelpunkt stellt, können ausgeübte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in der Tat als Widerspruch zum eigenverantwortlichen Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers verstanden werden. Dabei wird dann aber übersehen, dass die Rechte des Arbeitnehmers nur im Rahmen der kollektiven Ordnung bestehen können. Deshalb haben die Betriebsparteien auch zu Recht formuliert, dass die Eigenverantwortlichkeit nur im vereinbarten Rahmen besteht (Präambel BV Classic, Ziff. 6 Abs. 1 BV NEZE). Die Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers und die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Durchführung der Abbauplanung und -umsetzung sind deshalb kein Widerspruch, sondern können in Einklang gebracht werden.
Die Verpflichtung der Arbeitgeberin aus Ziff. 5 Abs. 2 BV NEZE besteht nur, wenn der Stundensaldo auf dem Zeitkonto am Ende des zweiten und dritten Quartals des Ausgleichszeitraums (also am 31.03. und 30.06. eines Jahres) größer als plus/minus 100 Stunden ist. Dabei ergibt eine Auslegung nach Sinn und Zweck dieser Regelung, dass die Konjunktion "und" zwischen zweitem und drittem Quartal nicht kumulativ, sondern im Sinne von "beziehungsweise" zu verstehen ist. Sinn und Zweck dieser Regelung ist nämlich die frühzeitige (nach einem halben und dreiviertel Jahr) Beobachtung der Zeitkonten, um noch rechtzeitig den zugelassenen Zeitkorridor erreichen zu können. Bei dieser Vorgabe macht es keinen Sinn, wenn eine Abbauplanung und -umsetzung erst nach dem 30.06. bei zweimaliger Überschreitung der 100-Stunden-Grenze einsetzen würde. Vielmehr ist die Regelung so auszulegen, dass die Verpflichtung der Arbeitgeberin bereits dann eintritt, wenn der Stundensaldo eines Mitarbeiters am 31.03. eines Jahres größer als 100 Stunden ist. Dann muss eine auf das dritte Quartal des Ausgleichszeitraums bezogene Abbauplanung erfolgen. Am 30.06. wird dann ein zweites Mal das Zeitkonto der Mitarbeiter kontrolliert (auch wenn der Stundensaldo am 31.03. geringer als 100 Stunden war). Ist der Stundensaldo an diesem Tag wieder oder zum ersten Mal größer als 100 Stunden, hat eine auf das vierte Quartal des Ausgleichszeitraums bezogene Abbauplanung zu erfolgen. Diese Planung und Umsetzung ist, wie oben ausgeführt, bis zum 30.09. des Jahres befristet. Wird das Zeitkonto erst im vierten Quartal des Ausgleichszeitraums um mehr als 100 Stunden angehäuft, so besteht keine Verpflichtung der Arbeitgeberin aus Ziff. 5 Abs. 2 (letzter Abs. S. 2) BV NEZE. Aus Ziff. 5 Abs. 3 (erster Abs. S. 3) BV NEZE folgt jedoch, dass das Zeitkonto eines Mitarbeiters am 30.09. eines Jahres nur um maximal 100 Stunden überschritten werden kann. Das bedeutet umgekehrt, dass am Ende des Ausgleichszeitraums kein Zeitguthaben über 100 Stunden bestehen darf. Wird erst im vierten Quartal des Ausgleichszeitraums die 100-Stunden-Grenze überschritten, muss die Arbeitgeberin reagieren und auch insoweit einen Zeitausgleich planen und umsetzen. Die Betriebsvereinbarung will verhindern, dass Arbeitnehmer höhere Zeitguthaben aufbauen (s. u.). Die Planung und Umsetzung des Zeitausgleichs hat deshalb für alle im Ausgleichszeitraum entstehenden Arbeitsstunden mit dem Ziel zu erfolgen, dass am 30.09. eines Jahres ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird. Die Abbauplanung und -umsetzung hat jedenfalls nach Erstellen der Zeitkonten zum 30.06. eines Jahres zu erfolgen. Diese Verpflichtung dürfte also bereits Anfang Juli bestehen. Wenn der Betriebsrat und die Gewerkschaft in ihrem Antrag "spätestens am 01. September" aufführen, weil dieser Zeitpunkt bei verbleibenden 20 Arbeitstagen die letzte "Reißleine" sei, so ist dieses Datum nicht zu beanstanden, weil danach ein Abbau bei hohen Zeitkonten nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Abbauplanung und -durchführung der erst im vierten Quartal des Ausgleichszeitraums entstandenen Arbeitsstunden ist (natürlich) nicht an dieses Datum gebunden, weil die Stunden auch noch nach dem 01.09. entstehen können.
2.2.2 Antrag Ziff. 3: Unterlassungsansprüche des Betriebsrats aus den Betriebsvereinbarungen
2.2.2.1 Unterlassungsanspruch gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat von der Arbeitgeberin auch die Unterlassung betriebsvereinbarungswidriger Maßnahmen verlangen (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 18.04.89 - 1 ABR 3/88 - AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, BAG 10.11.87 - 1 ABR 55/86 - AP Nr. 24 zu § 77 BetrVG 1972). Auch dieser Anspruch des Betriebsrats ist an sich zwischen den Betriebsparteien unstreitig.
2.2.2.2 Einhaltung des täglichen Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr.
Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Einhaltung des täglichen Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr. Für die Arbeitgeberin besteht aufgrund der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen die Verpflichtung, Arbeit außerhalb des Arbeitszeitrahmens zu unterbinden, sofern nicht der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit zugestimmt hat.
Die Betriebsparteien haben in Anwendung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für die gleitende Arbeitszeit einen täglichen Arbeitszeitrahmen von 6:00 bis 19:00 Uhr vereinbart (Ziff. 3 BV Classic, Ziff. 3 BV NEZE). Nur innerhalb dieses Rahmens können die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit flexibel gestalten, wobei die Mitarbeiter bei der BV Classic die Kernarbeitszeit von 9:00 bis 15:00 Uhr zu berücksichtigen haben. Arbeiten außerhalb des vereinbarten Arbeitszeitrahmens verstoßen gegen die Regelungen der Betriebsvereinbarungen. Insofern gibt es bei Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit keine rechtlichen Besonderheiten gegenüber Betriebsvereinbarungen mit festen Arbeitszeiten. Bei einer Vereinbarung über gleitende Arbeitszeit wird durch Festlegung der Rahmenzeit eine zeitliche Grenze definiert, innerhalb derer sich die betriebsübliche Arbeitszeit bewegen kann. Bei einer Vereinbarung über feste Arbeitszeiten ist mit der Festlegung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende zugleich die Dauer der täglichen Arbeitszeit bestimmt. In beiden Fällen verstoßen jedoch Arbeiten außerhalb des Arbeitszeitrahmens bzw. außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit gegen die getroffenen kollektiven Vereinbarungen und damit das ausgeübte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Die Arbeitgeberin darf deshalb Arbeiten außerhalb des Arbeitszeitrahmens - vorbehaltlich der (ersetzten) Zustimmung des Betriebsrats - weder anordnen noch dulden. Dieser Verpflichtung zur Einhaltung des Arbeitszeitrahmens liegt auch ein kollektiver Tatbestand zugrunde. Im vorliegenden Verfahren ist nicht behauptet worden, dass in den zahlreichen Fällen, in denen der Arbeitszeitrahmen nicht eingehalten worden ist, persönliche Gründe, die nicht die Arbeitsleistung betroffen haben, ausschlaggebend gewesen sind. Soweit das Arbeitsgericht aus der "einzigen Rechtsfolge", dass die Arbeitszeit außerhalb des Arbeitszeitrahmens nicht dem Zeitkonto zugebucht wird (Ziff. 3 Abs. 3 BV Classic) schlussfolgert, dass damit Arbeitszeiten vor 6:00 Uhr und nach 19:00 Uhr nicht unzulässig seien, übersieht es auch hier die kollektive Bedeutung der Betriebsvereinbarung. Ziff. 3 Abs. 3 BV Classic beinhaltet keine selbständige Regelung der Betriebsparteien, sondern nur einen Hinweis auf die Rechtslage: Ein Arbeitnehmer der außerhalb des festgelegten Arbeitszeitrahmens arbeitet, hat keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt, da er nicht die versprochene (vereinbarte oder durch eine kollektive Ordnung festgelegte) Arbeit leistet (§ 611 Abs. 1 BGB).
Die Kammer hat im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden, ob der von den Betriebspartnern festgelegte Arbeitszeitrahmen den Bedürfnissen der Arbeitgeberin und der Beschäftigten nach flexibler Gestaltung der Arbeitszeit ausreichend gerecht wird. Es sind durchaus noch flexiblere Regelungen denkbar, sei es über die generelle Ausweitung des Arbeitszeitrahmens, über Einzelfallregelungen oder Ausnahmebestimmungen. Wenn die Betriebsparteien dies wollen, müssen sie die vorliegenden Betriebsvereinbarungen ändern. Solange ein Arbeitszeitrahmen von 6:00 bis 19:00 Uhr vereinbart ist, ist diese Vereinbarung, wie auch andere vertragliche Verpflichtungen, einzuhalten. Auch eine "gewachsene Arbeitszeitkultur" muss sich im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen bewegen. Deshalb muss die Arbeitgeberin außerhalb des Arbeitszeitrahmens von 6:00 bis 19:00 Uhr geleistete Arbeiten grundsätzlich unterbinden.
Diese Verpflichtung hat die Arbeitgeberin in der Vergangenheit massenhaft verletzt. Da die Arbeitgeberin weiterhin der Rechtsansicht ist, dass sie freiwillige Arbeitsleistungen außerhalb des Arbeitszeitrahmens nichts angehen, sind auch weitere Verstöße gegen die Betriebsvereinbarungen zu befürchten. Die erkennende Kammer geht vom Vortrag des Betriebsrats aus, dass allein in fünf benannten Bereichen der Arbeitgeberin mit ca. 1.800 Arbeitnehmern im Jahr 1999 mehr als 40.000 Stunden außerhalb des Arbeitszeitrahmens gearbeitet worden sind. Dieser Vortrag ist von der Arbeitgeberin im Anhörungstermin nicht mehr bestritten worden. Die Arbeitgeberin hat sich lediglich gegen die Hochrechnung der in diesen Abteilungen geleisteten Stunden auf den gesamten Betrieb gewandt. Die Arbeitgeberin hätte den Vortrag des Betriebsrats auch nicht zulässigerweise mit Nichtwissen bestreiten können (§ 138 Abs. 4 ZPO), da die vom Betriebsrat vorgetragenen Daten von der Arbeitgeberin selbst stammen, sie gegenüber dem Gewerbeaufsichtsamt umfangreiche Stellungnahmen abgegeben hat und sie gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet ist, bestimmte Arbeitszeiten aufzuzeichnen. Auf die insgesamt außerhalb des Arbeitszeitrahmens geleisteten Stunden im Betrieb der Arbeitgeberin kommt es im vorliegenden Verfahren aber nicht an, da auch schon die stichprobenartig ermittelten Stunden belegen, dass es sich im Betrieb der Arbeitgeberin nicht um einzelne atypische Fälle handelt, sondern um ein Massenphänomen. Angesichts der eindeutigen Haltung der Arbeitgeberin in dieser Frage spricht auch nichts dafür, dass sich die Situation nach 1999 wesentlich geändert hat. Die erkennende Kammer hat im vorliegenden Verfahren den Eindruck gewonnen, dass es dem Betriebsrat nicht um die Untersagung von geringfügigen Überschreitungen des Arbeitszeitrahmens oder um die Ahndung atypischer Einzelfälle geht. Deshalb hat er nach seinen Angaben Fälle nicht erfasst, wo der Arbeitszeitrahmen um bis zu 15 Minuten überschritten worden ist. Der Betriebsrat wendet sich vielmehr gegen eine "gewachsene Arbeitszeitkultur", die auf den vereinbarten Arbeitszeitrahmen wenig Rücksicht nimmt und in ihm lediglich einen Rahmen erblickt, in dem eine Arbeitsleistung als wünschenswert erachtet wird. Die zahlenmäßig erheblichen Verstöße gegen den Arbeitszeitrahmen, die von einer festen Rechtsansicht der Arbeitgeberin begleitet werden, führen zu der Erkenntnis, dass auch in Zukunft derartige Verstöße zu befürchten sind. Der Betriebsrat hat deshalb aus den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen einen Anspruch auf Unterbindung von Arbeitsstunden vor 6:00 Uhr und nach 19:00 Uhr, es sei denn, dass der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit vorher zugestimmt hat oder seine Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
2.2.2.3 Tägliche Höchstarbeitszeiten
Der Betriebsrat hat keinen Anspruch aus den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auf Unterbindung über 10 Stunden täglich hinausgehender Arbeitszeiten. Aus den Betriebsvereinbarungen ergibt sich keine derartige Verpflichtung der Arbeitgeberin.
In Ziff. 3 Abs. 5 Satz 2 BV Classic, die auch im Rahmen der BV NEZE ergänzend gilt, ist zwar geregelt, dass die zulässige tägliche Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz für Erwachsene maximal 10 Stunden beträgt. Dieser Satz stellt nach Auffassung der Kammer jedoch lediglich einen deklaratorischen Verweis auf Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes dar und beinhaltet keine selbständige Vereinbarung der Betriebsparteien, die zu einer Verpflichtung der Arbeitgeberin aus der Betriebsvereinbarung führen könnte.
Bei der systematischen Auslegung dieser Norm ist zunächst Ziff. 3 Abs. 5 Satz 1 BV Classic zu beachten, der normiert, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter auf die Einhaltung bestimmter Arbeitnehmerschutzgesetze, u.a. des Arbeitszeitgesetzes, zu achten haben. Dieser Satz ist eindeutig ein (lediglich) deklaratorischer Hinweis auf u.a. das Arbeitszeitgesetz. An diesen Satz 1 anschließend werden in Satz 2 aus zwei Arbeitnehmerschutzgesetzen zentrale und wichtige Bestimmungen zitiert (§ 3 Satz 2 ArbZG, § 8 Abs. 1 JArbSchG). Dabei ist der Hinweis auf die zulässige tägliche Arbeitszeit von maximal 10 Stunden "nach dem ArbZG" verkürzt und in dieser Verkürzung auch unrichtig, wie die §§ 3 Satz 2, 7, 14 ArbZG zeigen. Es handelt sich bei Ziff. 3 Abs. 5 Satz 2 BV Classic aber dennoch um eine verkürzte Zitierung zweier Schutzgesetze und nicht um eine eigenständige Regelung. Dieses Ergebnis wird durch den Wortlaut bestätigt ("nach dem ArbZG", "nach dem JArbSchG").
Auch aus dem Gebot der normerhaltenden Auslegung folgt, dass Ziff. 3 Abs. 5 Satz 2 BV Classic keine eigenständige Regelung einer maximalen täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden enthält. Gemäß § 3 Satz 2 ArbZG kann die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf bis zu 10 Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb eines bestimmten Ausgleichszeitraums im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Nach dem Arbeitszeitgesetz muss innerhalb eines bestimmten Ausgleichszeitraums die durchschnittliche 48-Stunden-Woche wieder erreicht sein. Die durchschnittliche 50-Stunden-Woche (5 x 10 Stunden) verstieße gegen die zwingenden Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Die Vereinbarung einer maximalen täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden ohne Benennung eines Ausgleichszeitraums wäre unwirksam, da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 ArbZG nicht vorliegen. Im Übrigen ist zu beachten, dass dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG wegen § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht zusteht. Gemäß § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG ist die notwendige Mitbestimmung des Betriebsrats ausgeschlossen, wenn eine gesetzliche Regelung besteht. Der Gesetzgeber hat mit dem Arbeitszeitgesetz eine inhaltlich ausreichende Regelung geschaffen, so dass insoweit kein Raum mehr für die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats besteht. Zwar stehen dem Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG freiwillige Vereinbarungen der Betriebsparteien nicht entgegen, die einen weitergehenden Schutz gewähren wollen (Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rz. 65 m.w.N.). Aus den oben erwähnten Gründen ist eine Vereinbarung der Betriebsparteien gerade nicht anzunehmen. Eine Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Unterbindung von täglichen Arbeitszeiten über 10 Stunden hinaus ist aus den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen also nicht abzuleiten.
2.2.2.4 Überschreitung der höchstzulässigen Gleitzeitguthaben
Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verlangen, dass sie es unterlässt Arbeitsleistungen entgegenzunehmen, die beim Arbeitszeitmodell Classic am Ende eines jeden Kalendermonats mehr als 30 Stunden und beim Arbeitszeitmodell NEZE am 30.09. eines jeden Jahres mehr als 100 Stunden betragen, es sei denn, der Betriebsrat hätte hierzu die Zustimmung erteilt oder diese wäre durch die Einigungsstelle ersetzt worden.
Der Betriebsrat kann die Durchführung der Bestimmungen in Ziff. 4 BV Classic und Ziff. 5 BV NEZE von der Arbeitgeberin verlangen. Auch diese Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen wurden im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG abgeschlossen. In Ausübung dieses Mitbestimmungsrechtes haben die Betriebsparteien Regelungen getroffen, dass die Istzeit die Sollzeit eines Arbeitnehmers um maximal 30 Stunden bzw. 100 Stunden am Ende eines Abrechnungszeitraums überschreiten kann. Das bedeutet umgekehrt, dass am Ende eines Abrechnungszeitraums kein Zeitguthaben über 30 bzw. 100 Stunden bestehen kann, was im Sinne von "darf" auszulegen ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen über den Verfall von geleisteten Stunden (Ziff. 4 2. Absatz Seite 3 BV Classic, Ziff. 5 2. Absatz Seite 3 BV NEZE). Mit diesen Bestimmungen haben die Betriebsparteien individuelle Folgen der Überschreitung der maximalen Istzeit geregelt. Wie oben schon ausgeführt, sollen die Bestimmungen nach dem übereinstimmenden Willen der Betriebsparteien als "erzieherische Maßnahme" wirken, um grenzenlose Arbeitszeiten zu verhindern. Mit dieser Regelung werden jedoch Zeitguthaben von mehr als 30 Stunden im Monat bzw. 100 Stunden am 30.09. eines Jahres nicht kollektiv-rechtlich zulässig. Weder aus der Formulierung von Ziff. 4 BV Classic bzw. Ziff. 5 BV NEZE noch aus den übrigen Vorschriften der Betriebsvereinbarungen lässt sich entnehmen, dass die Betriebsparteien tatsächlich einerseits die Lage und Verteilung der Arbeitszeit regeln wollten und hierfür Grenzen gesetzt haben, aber andererseits der Arbeitgeberin freie Hand in der Überschreitung dieser Grenzen durch die Arbeitnehmer lassen wollten, wenn nur diese zuviel geleisteten Stunden nicht bezahlt werden. Die Frage, ob die zuviel geleistete Arbeit vergütet wird oder nicht, ist unbeachtlich. Im Gegenteil besteht ein noch höheres Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer, wenn sie zusätzliche Arbeit unvergütet leisten (Hessisches LAG 21.12.96 - 5 TaBV 33/95 - AuR 97, 124, 09.10.97 - 5 TaBV 8/97 - AuR 98, 170).
Auch bezüglich der höchst zulässigen Gleitzeitguthaben der beiden Betriebsvereinbarungen ist zu befürchten, dass die Arbeitgeberin künftige Überschreitungen durch die Arbeitnehmer nicht unterbindet. Die Vorschriften über den höchst zulässigen Gleitzeitsaldo am Ende eines Ausgleichszeitraums wurden in der Vergangenheit ebenfalls massenhaft verletzt. Auch hier geht die erkennende Kammer vom Vortrag des Betriebsrats aus, wonach in den Jahren 1999 bzw. 2000 in fünf benannten und stichprobenartig herausgegriffenen Bereichen der Arbeitgeberin mit ca. 2.100 Arbeitnehmern (Bereiche VSE, VP, EL, PZ/OMP, FTK/P) über 80.000 Stunden aufgrund der Höchstgrenzen verfallen sind. Wenn man diese Zahlen hochrechnet, kommt man tatsächlich in etwa auf die vom Betriebsrat behaupteten Gesamtstunden. Die Betrachtung des rechnerischen Durchschnitts wird aber dem vorliegenden Problem nicht ganz gerecht. Die vom Betriebsrat vorgetragenen und unbestrittenen Zahlen der vorgenannten Abteilungen machen deutlich, dass die einzelnen Mitarbeiter ganz unterschiedlich mit dem vereinbarten Arbeitszeitrahmen und den höchst zulässigen Gleitzeitsalden umgehen. So gibt es in den vom Betriebsrat untersuchten Abteilungen eine deutliche Mehrheit von Mitarbeitern, die die Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen einhält. Dagegen gibt es Arbeitnehmer, denen am Ende des Abrechnungszeitraums mehr als 400 Stunden im Jahr (BV NEZE; Bereiche VSE, EL, PZ/OMP) bzw. mehr als 100 Stunden im Monat (BV Classic; Bereiche FTK/P) verfallen. Die Betrachtung der Arbeitgeberin, dass auch nach den vom Betriebsrat ermittelten Zahlen das vorliegende Problem nicht so dramatisch sei, weil lediglich durchschnittlich 18 Minuten pro Mitarbeiter und Arbeitstag nicht bezahlt würden, geht in dieser Weise am Problem vorbei. Die vorgetragenen und stichprobenartig ermittelten Daten über die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften ergeben vielmehr den Gesamteindruck, dass sich die Mehrheit der Mitarbeiter an die Vorschriften der Betriebsvereinbarungen hält, ein kleinerer Teil jedoch ohne Einhaltung von Grenzen arbeitet. Da die Arbeitgeberin dieses Verhalten von einzelnen Mitarbeitern nicht als (rechtliches) Problem einstuft, ist die Wiederholung dieser Verhaltensweisen zu befürchten.
2.2.2.5 Allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG
Der Betriebsrat kann seine Unterlassungsansprüche im vorliegenden Verfahren neben dem Durchführungsanspruch gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht auf den allgemeinen Anspruch auf Unterlassung eines der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG widersprechenden Verhaltens stützen, da der Betriebsrat mit Abschluss der vorliegenden Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit seine Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ausgeübt hat. Es sind keine für Gleitzeitregelungen erforderlichen Bestimmungen erkennbar, die in den Betriebsvereinbarungen Classic und NEZE nicht geregelt worden sind. Die Durchsetzung der ausgeübten Mitbestimmung kann der Betriebsrat mit den Ansprüchen aus § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erreichen.
2.2.3 Ansprüche der Gewerkschaft
Die antragstellende Gewerkschaft kann ihre Ansprüche auf § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG stützen, da die Arbeitgeberin grob gegen ihre Verpflichtungen aus den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen Classic und NEZE verstoßen hat. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Dabei sind die Pflichten des Arbeitgebers nach § 23 Abs. 3 BetrVG nicht auf das Betriebsverfassungsgesetz beschränkt. Gemeint sind vielmehr alle Pflichten, die sich auf die durch das Betriebsverfassungsgesetz begründete Rechtsstellung des Arbeitgebers beziehen (ganz überwiegende Meinung, z.B. Wiese/Oetker, GK-BetrVG, § 23 Rz. 171; FKHES, § 23 Rz. 60 jeweils m.w.N.). Auch Verpflichtungen aus Betriebsvereinbarungen sind Verpflichtungen im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, weil sie ihre Rechtsgrundlage im Betriebsverfassungsgesetz haben und dazu dienen, die dadurch begründete Rechtstellung des Arbeitgebers auszugestalten (LAG Baden-Württemberg 29.10.90 - 10 TaBV 1/90 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nr. 10; Wiese/Oetker, GK-BetrVG, § 23 Rz. 172; FKHES, § 23 Rz. 61). Ein grober Pflichtenverstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG ist dann gegeben, wenn der Verstoß objektiv erheblich ist, also besonders schwerwiegend Sinn und Zweck des Gesetzes verletzt. Objektiv erheblich kann schon ein einmaliger schwerwiegender Pflichtenverstoß sein. Leichtere Verstöße können es bei Fortsetzung oder Wiederholung werden. Da § 23 Abs. 3 BetrVG das gesetzmäßige Verhalten des Arbeitgebers sicherstellen soll, ist ein Verschulden nicht erforderlich. Es genügt ein objektiver grober, dem Arbeitgeber zurechenbarer Pflichtenverstoß (Wiese/Oetker, GK-BetrVG, §23 Rz. 174 ff.; FKHES, § 23 Rz. 59 ff.).
Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze steht für die erkennende Kammer fest, dass die Arbeitgeberin grob gegen ihre Verpflichtungen aus den beiden Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit verstoßen hat. Wie oben ausgeführt, haben zahlreiche Arbeitnehmer in erheblichem Umfang gegen den vereinbarten Arbeitszeitrahmen von 6:00 bis 19:00 Uhr und gegen die Einhaltung der Gleitzeithöchstgrenze verstoßen. Von diesen Sachverhalten hat die Arbeitgeberin Kenntnis gehabt. Trotz vieler außergerichtlicher Bemühungen des Betriebsrats und der Gewerkschaft hat die Arbeitgeberin nicht versucht, die Übertretungen des Arbeitszeitrahmens und der Gleitzeitsalden abzustellen. Sie war und ist vielmehr der Rechtsansicht, dass das Verhalten der einzelnen Mitarbeiter den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen nicht widerspreche und allenfalls die unmittelbaren Vorgesetzten der einzelnen Arbeitnehmer etwas angehe.
2.2.4 Androhung von Zwangs- und Ordnungsmitteln
2.2.4.1 Die Androhung von Zwangsmitteln (Zwangsgeld und Zwangshaft) zur Vornahme einer Handlung (Ziff. 2 des Antrags) findet seit Inkrafttreten des § 888 Abs. 2 ZPO im Erkenntnis verfahren nicht mehr statt. Dies gilt auch für § 23 Abs. 3 Satz 3 BetrVG, da diese Vorschrift § 888 ZPO nachgebildet ist (Wiese/Oetker, GK-BetrVG, § 23 Rz. 219). Der Grund für die nicht erforderliche Androhung eines Zwangsmittels ist die nach § 891 Satz 2 ZPO notwendige Anhörung des Vollstreckungsschuldners, die ihm Gelegenheit gibt, seine Verpflichtung rechtzeitig zu erfüllen (Zöller-Stöber, ZPO, 23. Aufl., 888 Rz. 16).
2.2.4.2 Die Anträge auf Androhung der Verhängung von Ordnungsmitteln bei Nichtbefolgung der Unterlassungsansprüche (Ziff. 3 des Antrags) können bereits im Erkenntnis verfahren gestellt werden (§ 890 Abs. 2 ZPO). Die vom Betriebsrat beantragten Ordnungsmittel haben ihre Grundlage in § 890 Abs. 1 ZPO und überschreiten nicht dessen Höchstrahmen. Der Betriebsrat stützt seine Unterlassungsansprüche im vorliegenden Verfahren auf § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Für dessen Unterlassungsansprüche gilt der Sanktionsrahmen des § 890 Abs. 1 ZPO und nicht der des § 23 Abs 3 Satz 5 BetrVG (FKHES, § 23 Rz. 103 ff.).
Das von der Gewerkschaft beantragte Ordnungsgeld beruht auf § 23 Abs. 3 BetrVG und überschreitet nicht den Höchstbetrag.
3. Rechtsbeschwerde
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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