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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 26.11.2009
Aktenzeichen: 21 Ta 10/09
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, GKG


Vorschriften:

ArbGG § 11a Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 11a Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 11a Abs. 3
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG § 78 Satz 2
ZPO § 119
ZPO § 120 Abs. 4
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 139
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
GKG § 1 Abs. 2 Nr. 4
GKG § 3 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom 02.10.2009 - 1 Ca 87/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Gründe:

I.

Gegenstand der sofortigen Beschwerde ist der vom Arbeitsgericht abgelehnte Antrag des Klägers, die ihm bereits bewilligte Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert des im Rechtsstreit abgeschlossenen Vergleichs zu erstrecken.

Mit Schriftsatz vom 07.04.2009 (Bl. 3, 4 d. Akten) erhob der Kläger durch einen Rechtsanwalt Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Ulm gegen eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung seines Arbeitgebers vom 19.03.2009. Gleichzeitig beantragte er mit gesondertem Schriftsatz vom 07.04.2009 ihm für seine Kündigungsschutzklage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn RA. F. zu bewilligen (Bl. 14, 15 d. Akten). Mit Beschluss vom 22.06.2009 (Bl. 66, 67 d. Akten) entsprach das Arbeitsgericht seinem Prozesskostenhilfeantrag in vollem Umfang und beschloss zudem, dass der Kläger auf die Prozesskosten derzeit keine Zahlungen zu leisten hat.

Im Kammertermin am 05.08.2009 schlossen die Prozessparteien einen Vergleich, in dem sie neben der streitgegenständlichen Kündigungsschutzklage auch die von der Beklagten in deren Schriftsatz vom 18.06.2009 (Eingang bei Gericht 24.06.2009, Bl. 69 - 71 d. Akten) behaupteten Schadensersatzansprüche gegen den Kläger mit erledigten und darüber hinaus die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit bestimmten Formulierungen vereinbarten (vgl. Sitzungsniederschrift v. 05.08.2009, Bl. 95 und 96 d. Akten). Als Gebührenstreitwert setzte das Gericht für die Kündigungsschutzklage EUR 9.000,00, als Mehrwert des Vergleichs EUR 4.873,84 fest (vgl. Sitzungsniederschrift v. 05.08.2009 Bl. 96 d. Akten).

Mit Schriftsatz vom 10.08.2009 (Bl. 101 d. Akten) beantragte der Kläger den PKH-Bewilligungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 22.06.2009 auf den Vergleichsmehrwert zu erstrecken und legte mit Schriftsatz vom 24.08.2009 (Bl. 105 d. Akten) für den Fall, dass eine Ergänzung des Beschlusses nicht möglich sein sollte, sofortige Beschwerde gegen den PKH-Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22.06.2009 ein. Diese sofortige Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 26.11.2009 (Az. 21 Ta 6/09) als unzulässig verworfen.

Seinen Antrag auf Erstreckung des PKH-Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 22.06.2009 auf den Vergleichsmehrwert wies das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 28.08.2009, bezüglich dessen Einzelheiten und Begründung vollinhaltlich auf Bl. 107 d. Akten verwiesen wird und der dem Kläger am 02.09.2009 zugestellt wurde (Empfangsbekenntnis Bl. 110 d. Akten), zurück. Mit Schriftsatz vom 02.10.2009, der bei Gericht am 02.10.2009 per Telefax einging (vgl. Gerichtsstempel Bl. 116 d. Akten), legte der Kläger sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ein, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 21.10.2009 (Bl. 123 d. Akten) nicht abhalf.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gem. den §§ 11a Abs. 3 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und im übrigen auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 78 Satz 1 ArbGG, 569, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) eingelegt, nachdem der mit der sofortigen Beschwerde angegriffene Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom 28.08.2009 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 02.09.2009 (Empfangsbekenntnis Bl. 110 d. Akten) zugestellt wurde und die sofortige Beschwerde per Telefax am 02.10.2009 beim Arbeitsgericht Ulm einging (vgl. Gerichtsstempel Bl. 116 d. Akten).

2. Die sofortige Beschwerde ist hingegen nicht begründet.

a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts erstrecken sich innerhalb des Rechtszugs im Sinne von § 119 ZPO ohne weiteres auf die Kosten eines Prozessvergleichs, sofern er sich auf den Streitgegenstand des Rechtsstreits beschränkt. Umfasst er weitere Gegenstände, die zu einem Vergleichsmehrwert führen, so ist hierfür ein entsprechender Antrag erforderlich, über den gegebenenfalls eine gesonderte Bewilligung von Prozesskostenhilfe herbeigeführt werden kann (herrschende Meinung, vgl. etwa LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.09.1988 1 Ta 66/88, Münchener Kommentar zur ZPO - Motzer, 3. Auflage 2008 zu § 119 Rdnr. 25 m.w.N.).

Aber auch im stark formalisierten PKH-Verfahren ist die Annahme stillschweigender Prozesskostenhilfeanträge für nach Stellung des Prozesskostenhilfeantrags anfallende Gegenstände, für die ein ausdrücklicher Prozesskostenhilfeantrag nicht gestellt ist, grundsätzlich zulässig (vgl. im Einzelnen: Beschluss LAG Baden-Württemberg v. 30.12.1998 - 20 Ta 17/98 m.w.N., LAG Düsseldorf v. 02.01.1986 - 7 Ta 409/85 - in JurBüro 1986, 609, Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Auflage 2004 zu § 117 Rdnr. 15, Motzer in Müko ZPO 2008 zu § 117 Rdnr. 2; a. A: LAG Thüringen Beschlüsse v. 07.10.2002 v. 17.11.2002 - 8 Ta 112/02 u. 8 Ta 119/02, OLG Karlsruhe v. 04.02.1987 - 16 WF 13/87 in AnwBl 1987, 340).

b) Von einem konkludent gestellten Antrag des Klägers für den Mehrwert des am 22.06.2009 abgeschlossenen Vergleichs ist vorliegend nicht auszugehen, weshalb das Arbeitsgericht seinen Antrag auf "Ergänzung" des PKH-Beschlusses vom 22.06.2009 zu Recht zurückgewiesen hat.

c) Zunächst schließt sich das Beschwerdegericht den überzeugenden Gründen im Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 30.12.1998, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich verwiesen wird, an.

Vorliegend ist jedoch eine Prozesskostenhilfebewilligung für den Mehrwert des Vergleichs nicht möglich, da zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses am 05.08.2009 weder ein ausdrücklicher PKH-Antrag hierfür gestellt war, noch ein schlüssiger Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Mehrwert des Vergleichs anzunehmen ist.

Den zunächst mit Schriftsatz vom 07.04.2009 gestellten PKH-Antrag des Klägers für den ursprünglichen Streitgegenstand, die Kündigungsschutzklage, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 22.06.2009 (Bl. 66 d. Akten) vollumfänglich zu seinen Gunsten entschieden. Durch diesen Beschluss war der PKH-Antrag des Klägers aber auch vollinhaltlich beschieden und verbraucht. Erfolgt nach vollständiger Bescheidung des PKH-Antrags eine Klagerweiterung und/oder ein Vergleichschluss der Parteien, der einen Mehrwert enthält, ist ein neuer Prozesskostenhilfeantrag im noch laufenden und noch nicht abgeschlossenen Verfahren notwendig, um Prozesskostenhilfe auch für den Streitgegenstand des Mehrwerts des Vergleichs erhalten zu können, nachdem ein PKH-Antrag, der nach abgeschlossenem Verfahren gestellt wird, grundsätzlich nicht zu einer rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe führen kann (Zöller-Geimer zu § 117 ZPO Rdnr. 2b mzwN, Motzer in Müko ZPO zu § 119 Rdnr. 56, BGH v. 22.09.2005 IX ZB 163/04 in JurBüro 2006, 151 f.).

Richtig ist zwar, dass ein PKH-Antrag nicht ausdrücklich, sondern auch konkludent gestellt werden kann. Anhaltspunkte für einen konkludenten Antrag gab es zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses der Parteien vorliegend aber nicht. Der ursprüngliche PKH-Antrag des Klägers für sich gesehen ist kein hinreichender Anhaltspunkt, da über ihn bereits bestandskräftig entschieden war. Anderweitige Anhaltspunkte für einen konkludenten PKH-Antrag für den Mehrwert bestehen nicht. Allein die Tatsache, dass der Kläger zuvor einen PKH-Antrag im selben Rechtsstreit gestellt hat, den das Gericht vor Klageerweiterung/Abschluss eines Vergleichs mit Mehrwert positiv beschieden hat, genügt als hinreichender Anknüpfungspunkt für die Annahme eines schlüssigen Antrags regelmäßig nicht. Nachdem sich die persönlichen Lebensumstände, insbesondere die wirtschaftlicher Art, ständig ändern können, ist nicht ohne weiteres und grundsätzlich davon auszugehen, dass beim PKH-Antragsteller weiterhin dieselben wirtschaftlichen Verhältnisse wie zum Zeitpunkt der Bewilligung des ursprünglichen PKH-Antrags herrschen. Auch § 120 Abs. 4 ZPO zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sich wirtschaftliche Bedingungen ständig ändern können. Eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 139 ZPO besteht jedenfalls in den Fällen, in denen es über einen gestellten Prozesskostenhilfeantrag bereits vollumfänglich entschieden hat und dieser Beschluss dem PKH-Antragsteller bereits zugegangen ist, nicht. Nicht das Gericht, sondern der PKH-Antragsteller weiß um seine aktuelle wirtschaftliche Lage. Die Frage, ob zum Zeitpunkt einer Klagänderung/Klagerweiterung/eines Vergleichsschlusses mit Mehrwert die wirtschaftlichen Verhältnisse sich seit dem ursprünglichen PKH-Antrag geändert haben oder ein PKH-Antrag betreffend die weiteren Streitgegenstände versehentlich nicht gestellt wurde, liegt nicht in der Aufklärungssphäre des Gerichts, wenn es zuvor bereits abschließend über den im Verfahren gestellten PKH-Antrag betreffend die bisherigen Streitgegenstände entschieden hat, vielmehr allein in der Sphäre des Antragstellers. Die materielle Prozessleitungsbefugnis des § 139 ZPO beinhaltet keine generelle Verpflichtung des Gerichts einen PKH-Antragsteller ständig zu betreuen. Lediglich in den Fällen des § 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist die Partei vom Gericht gem. § 11a Abs. 1 Satz 2 ArbGG auf ihre Antragsmöglichkeit - gegebenenfalls auch bei Klagänderungen - hinzuweisen. Ist die Partei hingegen bereits durch einen Anwalt vertreten, kommt diese gesetzlich für das arbeitsgerichtliche Verfahren geregelte Hinweispflicht des Gerichts im Falle einer Klagerweiterung/Klagänderung nicht in Betracht.

3. Die Entscheidung musste durch den Vorsitzenden allein (§ 78 Satz 3 ArbGG) und konnte ohne mündliche Verhandlung (§ 78 Satz 1 ArbGG, 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO) erfolgen.

4. Die Festsetzung eines Gebührenstreitwerts war im Hinblick auf das Gebührenverzeichnis Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG entbehrlich.

5. Die Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG liegen vor.

Ende der Entscheidung

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