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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 27.02.2009
Aktenzeichen: 7 Sa 87/08
Rechtsgebiete: GVG, ArbGG
Vorschriften:
GVG § 17a | |
GVG § 17a Abs. 5 | |
GVG § 20 Abs. 2 | |
ArbGG § 65 |
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.07.2008 - 19 Ca 7908/07 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand: Der Kläger beansprucht von der Beklagten Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und restlicher Vergütung.
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens einschließlich der Rechtsansichten der Parteien wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts einschließlich seiner Bezugnahmen verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.07.2008 die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die beklagte türkische Republik unterliege nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.
Gegen das dem Kläger am 28.10.2008 zugestellte Urteil legte er mit beim Berufungsgericht am 24.11.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung ein und führte sie innerhalb der mit Verfügung vom 22.12.2008 bis zum 05.01.2009 verlängerten Begründungsfrist mit beim Landesarbeitsgericht am 05.01.2009 eingegangenem Schriftsatz aus.
Der Kläger rügt näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insofern, als seiner Ansicht nach die Klage nicht im Hinblick auf § 20 Abs. 2 GVG unzulässig sei. Zwischen den Parteien bestehe ein Arbeitsverhältnis, mitnichten also ein beamtenähnliches Verhältnis mit öffentlich-rechtlichem Charakter.
Der Kläger beantragt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Az.: 19 Ca 7908/07 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 36.593,70 EUR an Krankenkassenbeiträgen für den Zeitraum 01.04.1979 bis 30.09.2007 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 102.607,80 EUR für den Zeitraum 01.04.1979 bis 30.09.2007 an Rentenversicherungsbeiträgen an den Kläger zu bezahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, bei der für den Kläger zuständigen Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart einen Betrag in Höhe von 28.894,44 EUR an rückständigen Beträgen für die Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum 01.04.1979 bis 30.09.2007 zu bezahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.273,35 EUR an Pflegepflichtversicherung für den Zeitraum 01.01.1995 bis 30.09.2007 zu bezahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Monat August 2007 ein Nettogehalt in Höhe von 1.650,00 EUR und für den Monat September 2007 in Höhe von weiteren 1.650,00 EUR zu bezahlen und die gesetzlichen Krankenkassen- und Pflegepflichtversicherung sowie Arbeitslosenversicherung aus einem Nettobetrag von jeweils monatlich 1.650,00 EUR abzuführen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung und Erweiterung ihrer Rechtsansichten.
Im Übrigen wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien (Kläger vom 05.01.2009; Beklagte vom 16.02.2009) nebst Anlagen einschließlich des Sitzungsprotokolls ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen. Nach § 20 Abs. 2 GVG ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben.
1. Der Berufungskammer war es gem. § 65 ArbGG verwehrt, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen in Bezug auf die Anträge Nr. 2 bis Nr. 5 zu prüfen.
a) Gem. § 65 ArbGG prüft das Berufungsgericht nicht, ob unter anderem der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen die Berufungskammer keine Veranlassung hat, ist das Berufungsgericht gem. § 17a Abs. 5 GVG, § 65 ArbGG gehindert, die Frage des Rechtswegs zu prüfen, wenn das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen stillschweigend durch Erlass eines Urteils bejaht hat (BAG, Beschluss vom 09.07.1996 - 5 AZB 6/96 - AP Nr. 24 zu § 17a GVG, zu II. der Gründe = Rn. 4).
b) Danach ist § 65 ArbGG einschlägig. Eine Ausnahme hiervon liegt nicht vor. Eine Vorabentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts war nicht geboten. Eine Rüge der Unzulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen hat die Beklagte nicht erhoben. Die mit dem Erlass des Urteils konkludent bejahte Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen bindet die Berufungskammer.
2. Nach § 20 Abs. 2 GVG ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben. Insofern steht der Zulässigkeit der Klage ein Verfahrenshindernis entgegen.
a) Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nach § 20 Abs. 2 GVG nicht auf Personen, die gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht, bei dem es sich um bindendes Bundesrecht handelt (Artikel 25 GG), sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit (acta iure imperii) von einem Rechtsstreit betroffen ist (par in parem non habet imperium, vgl. Steinmann, MDR 1965, 795). Dagegen besteht keine Regel des Völkerrechts, nach der die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen in Bezug auf ihre nichthoheitliche Tätigkeit (acta iure gestionis) ausgeschlossen wäre (BVerfG, Beschluss vom 30.04.1963 - 2 BvM 1/62 - NJW 1963, 1732 ff.). Maßgebend für die Unterscheidung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Staatstätigkeit ist nicht deren Form, Motiv oder Zweck, sondern die Natur der umstrittenen staatlichen Handlung bzw. des streitigen Rechtsverhältnisses. Dabei ist die Qualifikation mangels völkerrechtlicher Abgrenzungskriterien grundsätzlich nach nationalem Recht vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 30.04.1963 - 2 BvM 1/62 - a. a. O.). Entscheidend kommt es darauf an, ob es sich um ein typisches Verhalten der Staatsgewalt handelt. Der auswärtige Staat soll im Kernbereich seiner diplomatischen/konsularischen Tätigkeit nicht behindert werden (ne impediatur legatio). Andernfalls könnte nämlich die Überprüfung eine Beurteilung des hoheitlichen Handels erfordern mit der Folge, dass die ungehinderte Erfüllung der Aufgaben der Botschaft bzw. des Konsulats beeinträchtigt wäre (zum Vorstehenden s. BAG, Urteil vom 16.05.2002 - 2 AZR 688/00 - AP Nr. 3 zu § 20 GVG, zu II. 1. der Gründe = Rn. 19). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist selbst bei arbeitsrechtlichen Bestandsstreitigkeiten die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer für den anderen Staat hoheitlich tätig war (BAG, Urteil vom 23.11.2000 - 2 AZR 490/99 - AP Nr. 2 zu § 20 GVG, zu II. 3. b) der Gründe = Rn. 29).
b) Nach diesen Rechtssätzen ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben. Der Kläger hat als Lehrer der beklagten türkischen Republik hoheitliche Aufgaben wahrgenommen.
aa) Der von der beklagten türkischen Republik als Lehrer für die in Deutschland arbeitenden türkischen Staatsbürger entsandte Kläger übte originär hoheitliche Aufgaben für die türkische Republik aus. Das folgt aus Artikel 62 der Verfassung der Republik Türkei vom 07.11.1982 in der Fassung vom 30.10.2005 (Die Verfassung der Republik Türkei, Stand 06.06.2008; www.tuerkeirecht.de/verfassung.pdf).
Artikel 62 lautet wie folgt:
"Der Staat trifft die notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Einheit der Familie der im Ausland arbeitenden türkischen Staatsbürger, der Erziehung ihrer Kinder, ihrer kulturellen Bedürfnisse und ihrer sozialen Sicherheit, zum Schutz ihrer Bindungen an das Vaterland und zur Hilfestellung bei ihrer Rückkehr in die Heimat."
Danach war die Tätigkeit des Klägers als Lehrer für die beklagte türkische Republik in der Zeit vom 01.03.1979 bis zum Endes des Schuljahres 2006/2007 mit Ablauf des 26.07.2007 hoheitlicher Natur. In Umsetzung der verfassungsrechtlich statuierten Pflichterfüllung wurde der Kläger aus seiner Heimat in die Bundesrepublik Deutschland entsandt, um den hier arbeitenden türkischen Staatsbürgern türkisches Kulturgut zu vermitteln. Dem hoheitlichen Charakter der vom Kläger wahrgenommenen Aufgaben steht es nicht entgegen, dass er gegebenenfalls in einem Arbeitsverhältnis zur beklagten türkischen Republik stand. Denn nach den vorgenannten Rechtssätzen ist nicht die gewählte statusrechtliche Form der Realisierung der Aufgaben nach Artikel 62 der türkischen Verfassung maßgebend, sondern allein die Natur der umstrittenen staatlichen Handlung bzw. des streitigen Rechtsverhältnisses. Wie bereits ausgeführt, hat das Bundesarbeitsgericht auch auf der Grundlage einer in einem Arbeitsverhältnis stehenden Person gleichwohl eine hoheitliche Tätigkeit angenommen.
bb) Auch die Einordnung der Tätigkeit des Klägers nach nationalem deutschen Recht bestätigt den originär hoheitlichen Charakter seiner Aufgaben. Nach Artikel 7 Abs. 1 GG ist das Schulwesen eine staatliche und damit hoheitliche Aufgabe. Auch insoweit ist es unerheblich, ob die vom Staat zur Realisierung des Schulbetriebs eingesetzten Lehrkräfte in einem Beamten- oder aber in einem Arbeitsverhältnis stehen.
3. Die Berufungskammer konnte die weiteren die Zulässigkeit der Klage betreffenden Gesichtspunkte des Rechtsschutzinteresses und der anderweitigen Rechtshängigkeit unbeantwortet lassen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Rechtssätzen.
Ende der Entscheidung
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