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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 13.06.2000
Aktenzeichen: 1 Sa 12/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, ArbGG
Vorschriften:
BGB § 626 Abs. 1 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 138 Abs. 2 | |
ArbGG § 72 a |
1 Sa 12/99
verkündet am 13. Juni 2000
In dem Rechtsstreit
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -1. Kammer- durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Baur, den ehrenamtlichen Richter Joos und den ehrenamtlichen Richter Göbel auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2000
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26.10.1999 - 7 Ca 3404/99 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob die dem Kläger gegenüber am 07.04.1999 erklärte fristlose Kündigung der Beklagten das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis beendet hat.
Der im Jahr 1942 geborene Kläger ist seit 04.05.1987 bei der Beklagten als Werkstattleiter zu einem Monatsverdienst von zuletzt 4.302,00 DM in dem X-markt in Esslingen mit etwa 320 Arbeitnehmern beschäftigt.
Der Kläger hat am 06.04.1999 an verschiedenen Stellen im X-markt mehrere Waren (Wurst, Snickers, Glückwunschkarten) im Gesamtwert von 23,46 DM an sich genommen und in seiner Kleidung versteckt. Er hat den Markt verlassen, ohne die Ware zu bezahlen. Vom Betriebsleiter der Beklagten und dem Hausdetektiv ist der Kläger auf dem Parkplatz gestellt worden, und er hat die Wegnahme der Waren eingeräumt.
Nach Anhörung des Betriebsrats hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise unter Einhaltung der Kündigungsfristen, wegen Diebstahls von Waren gekündigt. Die schriftliche Kündigung ist am 07.06.1999 zugegangen.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Er führt aus, durch den Tod seiner Mutter am 26.03.1999 und durch die Nachricht vom Tod des Sohnes des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden am 06.04.1999 sei er in einen psychischen Ausnahmezustand geraten, der seine Schuld- und Geschäftsfähigkeit bei der Wegnahme der Waren ausgeschlossen habe.
Der Kläger hat beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.04.1999 nicht aufgelöst worden ist.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ersatzweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 07.04.1999 zum 30.09.1999 nicht aufgelöst werden wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
indem sie von einem mehrfachen Diebstahl ausgeht und die Schuldunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Wegnahme der Waren leugnet.
Mit dem am 26.10.1999 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, hinsichtlich dessen Tatbestand und der Entscheidungsgründe auf das arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen wird.
Mit der Berufung beantragt der Kläger weiterhin
unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils seine erstinstanzlichen Anträge, indem er sich auf einen Zustand der Schuldausschließung während der Warenwegnahme beruft.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf den Vortrag der Parteien und die vorgelegten Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage zutreffend abgewiesen. Die umstrittene Kündigung ist nicht rechtsunwirksam, weil ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt und die übrigen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.
1. Der Vortrag der Beklagten ist im Hinblick auf die Kündigungsgründe schlüssig.
a) Der Vorwurf des vollendeten Diebstahls zum Nachteil einer Arbeitsvertragspartei auch ohne Abmahnung ist an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das ist allgemein anerkannt.
b) Die unstreitig gebliebene Tatschilderung durch die Beklagte stellt unter Berücksichtigung der Einzelumstände eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers dar. Denn danach hat der Kläger an mehreren Stellen eine Mehrzahl von Waren an sich gebracht, auch wenn der Warenwert als solcher geringfügig ist.
c) Der Kläger hat mit dem Versuch, die Waren unbezahlt an sich zu bringen, das Vertrauen in seine Redlichkeit in einem Maße erschüttert, dass der Beklagten nicht angesonnen werden kann, das Arbeitsverhältnis mit dieser erheblichen Belastung auch nur für kurze Zeit fortzusetzen. Das Anliegen der Beklagten, mit der fristlosen Kündigung auch generalpräventiv ein unübersehbares Zeichen setzen zu wollen, ist sachlich ebenfalls gerechtfertigt.
d) Auch die Interessenabwägung vermag sich nicht zu Gunsten des Klägers auszuwirken, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.
2. Die Einlassung des Klägers ist dem Grunde nach ebenfalls schlüssig.
Denn wenn dieser im Zustand der Schuldunfähigkeit die Waren entwendet hat, so entfällt eo ipso der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe mit Wissen und Wollen in Kenntnis des Unrechts seiner Taten gehandelt. Gerade mit diesem Schuldvorwurf hat die Beklagte die Schwere der Pflichtverletzung begründet und eine negative Prognose für das zumutbare Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses angenommen. Ist der Schuldvorwurf unbegründet, so handelt es sich rechtsqualitativ nicht mehr um den von der Beklagten vorgetragenen Kündigungsgrund sondern um einen Fall der schuldlosen Pflichtverletzung, der zwar eine Kündigung im Einzelfall ebenfalls zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG, Urteil v. 21.01.1999 - 2 AZR 665/98), den sich die Beklagte jedoch nicht - auch nicht hilfsweise - zu Eigen macht.
3. Angesichts der jeweils schlüssigen Einlassungen der Parteien oblag es der Beklagten, diejenigen Tatsachen im Einzelnen zu benennen und zu beweisen, die den wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ausfüllen. Bei der hier entscheidenden Tatsache, nämlich der Frage der Schuldfähigkeit des Klägers im Tatzeitpunkt, handelt es sich um eine sog. innere Tatsache, weil es sich um den Beweggrund, die Überlegungen, die Willensrichtungen, die Einsichtsfähigkeit und das fehlende Unrechtsbewusstsein handelt, die das Verhalten des Klägers bei der Tatausführung bestimmt haben. Eine innere Tatsache erschließt sich der Außenwelt nicht unmittelbar. Der vom Kläger behauptete Zustand der Schuldunfähigkeit und damit korrespondierend die behauptete Schuldfähigkeit des Klägers bei der Tatausführung durch die Beklagte können deshalb lediglich mit Hilfe sog. mittelbarer Tatsachen (Indizien) nachgewiesen werden.
a) Die Beklagte hat hinreichend Begleitumstände vorgetragen, die ihre eigene Version tragen, der Kläger habe die Tatbestandsmerkmale des Diebstahl erfüllt, auch soweit sie dessen Schuldfähigkeit betreffen. Das bezieht sich auf das vorsichtige Umsehen des Klägers bei der Tatausführung, das Verstecken der entwendeten Waren in der Kleidung sowie auf den Umstand, dass weder am Tattag noch am folgenden Tag beim Kläger Besonderheiten festgestellt worden sind, insbesondere auch nicht durch den Betriebsrat. Mehr konnte die Beklagte aus ihrem Erkenntnisbereich an Fakten nicht benennen.
b) Die vom Kläger benannten Umstände, die für den von ihm behaupteten Zustand der Schuldunfähigkeit sprechen, erscheinen allenfalls dem Grunde nach geeignet, die in Anspruch genommene Rechtsfolge zu tragen.
Der bedauerliche Tod der Mutter und das vom Kläger geschilderte Folgeverhalten ist an sich geeignet, zu einer psychischen Situation zu führen, die den Kläger gehindert haben mag, das Unrecht seiner Tat zu erkennen. Mehr sagen die später angefertigten ärztlichen Atteste auch nicht aus.
c) Dieser konträre Vortrag von Indizien führt jedoch nicht zu einem non liquet zu Lasten der Beklagten. Diese hat den Beweis als beweisführungspflichtige Partei zu führen für das Fehlen des vom Kläger geschilderten Zustandes. Ist das Fehlen dieses Zustandes bewiesen, dann kann mit der Beklagten (indiziell) angenommen werden, der Kläger habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten. Die Schwierigkeit, einen Negativbeweis führen zu müssen, ändert dem Grunde nach nicht die Verteilung der Beweislast (vgl. nur BGHZ 101, 49/55). In diesen Fällen muss vom Beweisgegner im Rahmen des Möglichen das substanziierte Bestreiten des Vortrags des Beweisführers erfolgen (BGH-RR 93, 746/7). Das gilt vorliegend in besonderer Weise, weil die Beklagte Umstände beweisen muss, die zu dem ihrem Einblick entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören.
In diesem Fall gebietet es die Aufklärungspflicht des Klägers nach §138 Abs. 2 ZPO, so detailliert mittelbare Tatsachen aus seinem Erkenntnisbereich in das Verfahren einzuführen, dass es der Beklagten ermöglicht wird, die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen beweismäßig zu widerlegen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen.
d) Solchermaßen konkretisierte Tatsachen vermochte der Kläger nicht in das Verfahren einzuführen:
aa) Soweit die Tatsachen in hinreichender Konkretisierung vorgetragen sind, können sie als nicht hinreichend schlüssig erachtet werden. Das betrifft den Tod der Mutter, die Nachricht vom Tod des Sohnes des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, den Urlaub vom 29.03. bis 02.04.1999, die Erklärung des Betriebsrats, man verstehe den Diebstahl nicht und die Arztbesuche einschließlich der vorgelegten Atteste. All diese Umstände gestatten nicht die Annahme einer hinreichend geschlossenen Indizienkette; sie sind lediglich Anhaltspunkte für das mögliche Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation.
bb) Der übrige Vortrag des Klägers ist tatsachenfrei, weil er lediglich eine zusammenfassende Wertung darstellt, die als solche nicht den Gegenstand eines Beweisbeschlusses bilden kann. Das betrifft die Begriffe "stark depressiv, verzweifelt, persönlichkeitsfremde krankhafte Auffälligkeit, sehr schlechte Verfassung, Zustand der Schuld- und Geschäftsunfähigkeit, reaktionsunfähig" u. a.. Auch bei ihnen handelt es sich um innere Vorgänge, die der Umwelt allein durch Indizien erschlossen werden können. Sie können deshalb, weil schlüssige Indizien fehlen, auch nicht den Gegenstand eines Sachverständigengutachtens bilden zur Frage, ob sich der Kläger in den jeweiligen Augenblicken der Wegnahme der Ware in einem Zustand der Schuldunfähigkeit befunden hat.
4. Die Würdigung des Sachvortrags der Parteien ergibt sonach, dass die von der Beklagten behauptete rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung vom Kläger nicht hinreichend durch Einführung von Tatsachen aus seinem eigenen Erkenntnisbereich zu bestreiten in der Lage war. Mit dieser Maßgabe ist der schlüssige Vortrag der Beklagten nicht widerlegt. Dies führt letztlich zur Zurückweisung der Berufung.
5. Die Kostenfolge beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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