Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 13.03.2003
Aktenzeichen: 11 Sa 106/02
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 10
BGB § 209 Abs. 1
BGB § 612 Abs. 2
ZPO § 253
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 11 Sa 106/02

Verkündet am 13.03.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg -11. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bernhard, den ehrenamtlichen Richter Albrecht und den ehrenamtlichen Richter Dr. Mein auf die mündliche Verhandlung vom 13.03.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 10.07.2002, Az.: 4 Ca 702/01, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers.

Der Beklagte ist ein freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit Sitz in Frankfurt. Er unterhält bundesweit über 600 Einrichtungen an 300 verschiedenen Orten und beschäftigt dabei etwa 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Beim Beklagten sind betriebsratsfähige Einrichtungen für einzelne Regionalbereiche geschaffen worden. So ist der Betriebsrat des Bildungszentrums Stuttgart zuständig für verschiedene Außenstellen in Baden-Württemberg, darunter auch die Außenstellen in Freiburg.

Der am 24.04.1962 geborene Kläger, ausgebildeter Diplom-Betriebswirt und seit 1997 Mitglied der ÖTV, wurde vom Beklagten erstmals zum 21.04.1997 als Ausbilder Büro/Verkauf für die Außenstelle in Freiburg eingestellt. Durch Vertrag vom 08.07.1997 (Bl. I/38 d. Akte), Ergänzungsvertrag vom 26.08.1997 (Bl. I/39 d. Akte) und Ergänzungsvertrag vom 16.12.1997 (Bl. I/40 d. Akte) war das Beschäftigungsverhältnis zunächst für die Zeit vom 21.04.1997 bis 31.10.1998 befristet.

Der Beklagte hat mit der Gewerkschaft ÖTV Haustarifverträge abgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Einstellung des Klägers galt der Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 27.02.1984 in seiner aktualisierten Fassung. Dort war in § 21 geregelt, dass die Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen bemessen wird und der Arbeitnehmer jeweils mit Beginn des Monats, in dem er ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, bis zum Erreichen der Endgrundvergütung die Grundvergütung der folgenden Lebensaltersstufe erhält. Zum gleichen Zeitpunkt war auch der Tarifvertrag Nr. 3 über die Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag vom 01.07.1991 (TVTM) in Kraft, der Regelungen zum Bewährungsaufstieg enthielt. Ferner galt der Vergütungstarifvertrag vom 14.12.1996 (VTV), der die Vergütungshöhe unter Berücksichtigung der Vergütungsgruppen und der Lebensaltersstufen festlegte.

Im September 1997 kündigte der Beklagte den MTV Nr. 2 sowie den TVTM mit Wirkung zum 31.12.1997. Der VTV wurde seinerseits von der Gewerkschaft ÖTV im November 1997 ebenfalls zum 31.12.1997 gekündigt. In der Folgezeit hat der Beklagte bei Neueinstellungen ab 01.01.1998 seine Arbeitsvertragsmuster geändert. Die bisher geltenden Tarifverträge wurden im Prinzip weiter angewandt, allerdings mit Ausnahme des Systems der Lebensaltersstufen und des Bewährungsaufstiegs. Die Betriebsräte des Beklagten wurden bei der Änderung des Vergütungssystems nicht beteiligt.

In den Jahren 1998 bis 2000 haben der Beklagte und die Gewerkschaft ÖTV jährlich zwei neue Tariflohnerhöhungen für alle Beschäftigten vereinbart. Für alle Mitarbeiter, die vor dem 01.01.1998 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis standen, wurde das bisherige Tarifsystem mit Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstieg weiter angewandt, die ab 01.01.1998 neu eingestellten Arbeitnehmer wurden weiterhin von Bewährungsaufstieg und Anhebung der Vergütung infolge Aufrückens in eine höhere Lebensaltersstufe ausgenommen.

Im Mai 2001 schlossen die ÖTV und der Beklagte einen Tarifvertrag über Tätigkeitsmerkmale und einen Entgelttarifvertrag mit Rückwirkung zum 01.02.2001, der das frühere Tarifsystem ablöste und auf Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstieg verzichtete. Geregelt wurde dabei, dass alle Mitarbeiter, die vor dem 01.01.1998 unter den Geltungsbereich des früheren MTV Nr. 2 fielen, eine persönliche Zulage erhalten, die sich am Unterschiedsbetrag zwischen der im Januar 2001 zustehenden Vergütung und der niedrigeren Vergütung nach der neuen Tarifregelung orientiert. Die persönliche Zulage nimmt an zukünftigen linearen Gehaltserhöhungen teil, lässt aber bei linearen Tariferhöhungen die Anrechnung zu einem Drittel zu.

Während des befristeten Arbeitsverhältnisses bis 31.10.1998 war der Kläger nach einer entsprechenden rückwirkenden Korrektur vom 03.04.1998 auf den 01.04.1997 in Vergütungsgruppe IV b, Lebensaltersstufe 33, eingestuft. Im Oktober 1998 erhielt der Kläger infolgedessen ein Bruttogehalt von 4.597,66 DM, das sich zusammensetzte aus der Grundvergütung von 3.524,91 DM, dem Ortszuschlag von 873,48 DM und einer allgemeinen Zulage von 199,27 DM.

Unter dem 21.10./03.11.1998 kam es zwischen den Parteien zum Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags ab 01.11.1998. Der neue Arbeitsvertrag enthielt keinen Bezug auf das bisherige Tarifsystem, vielmehr in § 15 einen Verweis auf die mit dem Gesamtbetriebsrat oder dem zuständigen Betriebsrat vereinbarten gültigen Regelungen sowie folgenden Passus:

Sofern der IB zu einem späteren Zeitpunkt einer tariflichen Regelung unterliegt oder einen Haustarifvertrag abschließt, werden dessen Regelungen zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses, ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist und ohne Rücksicht darauf, ob die Regelungen günstiger oder ungünstiger sind.

In § 5 des Arbeitsvertrags wurde eine monatlich zahlbare Bruttovergütung in Höhe von 4.597,66 DM vereinbart. In einer zusätzlichen Vereinbarung, ebenfalls vom 21.10./03.11.1998 legten die Parteien die Zusammensetzung der Bruttovergütung wie folgt nieder: Grundvergütung 2.477,34 DM, Orts- und Sozialzuschlag 873,48 DM, allgemeine Zulage 199,27 DM, weitere Zulage 1.047,57 DM. Die aufgeführte Grundvergütung entsprach dabei der Grundvergütung der Vergütungsgruppe V b, Lebensaltersstufe 21. Ab Februar 1999 im Hinblick auf die zutreffende Eingruppierung des Klägers in Vergütungsgruppe IV b wurde die identische Gesamtvergütung dahingehend aufgegliedert, dass neben der nunmehrigen Grundvergütung von 2.801,69 DM (entsprechend Lebensaltersstufe 21), dem unveränderten Ortszuschlag und der unveränderten allgemeinen Zulage die persönliche Zulage auf nur noch 723,22 DM festgesetzt wurde. Diese Vergütung erhielt der Kläger sodann weiter, sie wurde durch die Tariferhöhungen im August 1999, im August 2000 sowie im Januar 2002 linear angepasst. Ab April 1999 wäre der Kläger unter Beibehaltung der früheren tariflichen Regelung in die Lebensaltersstufe 35 aufgerückt. Aus diesem Anlass erfolgte für den Kläger keine Gehaltsanpassung. Mit Abschluss des neuen Haustarifs erhielt der Kläger ab September 2001 die seitherige Vergütung neu aufgeschlüsselt nach Grundvergütung und persönliche Zulage.

Mit Schreiben vom 25.11.1998 (Bl. I/93 d. Akte), vom 29.11.1999, 15.02., 10.04. 05.06. und 19.12.2000 (Bl. 52 ff. d. Akte) machte der Kläger die entgangenen Beträge durch die Nichtanwendung des früheren Tarifsystems gegenüber dem Beklagten erfolglos geltend.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf die Vergütung, die ihm bei Fortgeltung der alten tariflichen Regelung zugestanden hätte, also unter Berücksichtigung einer Grundvergütung, die die Vergütungsgruppe IV b und ab 01.04.1999 die Lebensaltersstufe 35 beinhalte. Sein Anspruch ergebe sich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit den Mitarbeitern, die bereits vor dem 01.01.1998 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden hätten, als auch daraus, dass die Beklagte bei Einführung des neuen Vergütungssystems für die Neueinstellungen ab 01.01.1998 die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht gewahrt habe. Weil aber eine wirksame Mitbestimmung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung gewesen wäre, stehe dem Kläger auch nach Abschluss des Arbeitsvertrags vom Oktober 1998 Vergütung nach dem früheren Tarifschema zu. Für die Zeit von April 1999 bis April 2002 hat der Kläger Vergütungsdifferenzen unter Hinweis auf eine vorgelegte Tabelle (Bl. 36 und 37 d. Akte) in Höhe von insgesamt 4.950,66 DM brutto = 2.531,23 € geltend gemacht und folgende Anträge gestellt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 4.950,66 = € 2.531,23 brutto zu bezahlen sowie Zinsen in Höhe von 4 % aus:

61,64 € seit 01.05.1999

61,64 € seit 01.06.1999

61,64 € seit 01.07.1999

61,64 € seit 01.08.1999

63,55 € seit 01.09.1999

63,55 € seit 01.10.1999

63.55 € seit 01.11.1999

63.55 € seit 01.12.1999

114,45 € seit 01.01.2000

63,55 € seit 01.02.2000

63,55 € seit 01.03.2000

63,55 € seit 01.04.2000

63,55 € seit 01.05.2000

sowie Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank aus:

63,55 € seit 01.06.2000

63,55 € seit 01.07.2000

63,55 € seit 01.08.2000

64,82 € seit 01.09.2000

64,82 € seit 01.10.2000

64,82 € seit 01.11.2000

64,82 € seit 01.02.2000

116,68 € seit 01.01.2001

64,82 € seit 01.02.2001

64,82 € seit 01.03.2001

64,82 € seit 01.04.2001

64,82 € seit 01.05.2001

64,82 € seit 01.06.2001

64,82 € seit 01.07.2001

64,82 € seit 01.08.2001

64,82 € seit 01.09.2001

64,82 € seit 01.10.2001

64,82 € seit 01.11.2001

64,82 € seit 01.12.2001

116,68 € seit 01.01.2002

66,38 € seit 01.02.2002

66,38 € seit 01.03.2002

66,38 € seit 01.04.2002

66,38 € seit 01.05.2002

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Rechtsauffassung vertreten, für Neueinstellungen, wie die mit dem Kläger, hätten im Hinblick auf die Abläufe der Kündigungsfristen für die gekündigten Haustarifverträge deren Regelungen nicht mehr gegolten, sie hätten wirksam ersetzt werden können durch abweichende einzelvertragliche Regelungen. Dem stehe auch nicht die unstreitig unterlassene Beteiligung des Betriebsrats entgegen, da der Beklagte die Vergütungen im Hinblick auf den Wegfall der Lebensaltersstufen vollständig und gleichmäßig gekürzt habe. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt, weil das Entfallen der zwingenden Wirkung des Tarifvertrags nach dem Ablauf dessen Kündigungsfrist die Ungleichbehandlung von neu eingestellten Arbeitnehmern gegenüber den vor dem 01.01.1998 unbefristet Beschäftigten sachlich rechtfertige. Schließlich seien die Ansprüche zumindest für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.05.2002 wegen Nichteinhaltung der Ausschlussfristen verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, der Beklagte habe mit seiner Entscheidung, ab dem 01.01.1998 bei Abschluss von Änderungs- oder Neuverträgen Vergütung nicht mehr entsprechend dem tarifvertraglichen Entgeltsystem des MTV Nr. 2 in Verbindung mit dem TVTM unter Einbeziehung von Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstieg, sondern unter deren Ausschluss zu gewähren, ein kollektives neues Vergütungssystem in seinen Einrichtungen eingeführt. Da der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat hierzu unstreitig nicht gehört wurde, liege eine Missachtung des zwingenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG vor, die zur Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag geführt habe. Aus der Unwirksamkeit der Vergütungsabrede folge, dass ab dem 01.01.1999 die Höhe der von der Beklagten geschuldeten Vergütung für die vom Kläger geleisteten Dienste nicht mehr bestimmt gewesen sei, diese sei deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB zu ermitteln. Geschuldet sei die übliche Vergütung, die, nachdem die Beklagte bis Ende 1997 sämtliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach dem tarifvertraglichen Vergütungssystem entlohnt habe und die weit überwiegende Mehrzahl von ihnen weiterhin im Wege der tarifvertraglichen Nachwirkung entsprechend entlohne, genau diejenige Vergütung, die der Kläger geltend gemacht habe. Auf die Ausschlussfrist könne sich der Beklagte nicht berufen, der Kläger habe die Ansprüche rechtzeitig und im Übrigen auch dem richtigen Adressaten gegenüber geltend gemacht.

Mit seiner am 22.11.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung gegen das ihm am 04.11.2002 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Klagabweisung weiter. Er ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger mit seiner Klage nicht nur die bisherige Vergütung einfordere, sondern darüber hinaus die Berücksichtigung der bisher der Vergütung nicht zugrunde gelegten Lebensaltersstufe 35. Hierfür aber gebe es keine Anspruchsgrundlage. Erstmals mit der Berufung erhebt der Beklagte darüber hinaus die Einrede der Verjährung für die Ansprüche des Jahres 1999, weil die im Jahr 2001 erhobene Feststellungsklage nicht ausreichend substantiiert gewesen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 10.07.2002, Az.: 4 Ca 702/01, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts, das er im Einklang sieht mit der zwischenzeitlichen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.06.2002 im Verfahren 1 AZR 390/01, in dem das Bundesarbeitsgericht die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bestätigt habe, die auch im vorliegenden Fall den Anspruch des Klägers begründe. Hinsichtlich der Verjährungseinrede vertritt der Kläger die Auffassung, selbst eine unzulässige Feststellungsklage sei geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster und zweiter Instanz wird auf die jeweils gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen zu Recht zugesprochen, die Ansprüche sind auch nicht verjährt.

1. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Vergütungsdifferenz für die Monate April 1999 bis April 2002, der sich der Höhe nach aus der Tabelle Bl. I/36 und I/37 der Akte ergibt und insoweit nicht streitig ist, folgt letztlich aus der Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit vollumfänglich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung an, die das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 11.06.2002 - 1 AZR 390/01 --ausführlich begründet hat.

Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ist eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, rechtswidrig und unwirksam. Dies gilt sowohl für einseitige Maßnahmen im Rahmen des ausgeübten Direktionsrechts als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen; denn die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers.

Die ab 01.01.1998, also nach dem Auslaufen der gekündigten Tarifverträge praktizierte Einführung eines neuen Vergütungssystems bei der Neueinstellung von Arbeitnehmern unterlag der notwendigen Mitbestimmung. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und der Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie bei deren Änderung.

Der Beklagte hatte in seinem Unternehmen, auch in den Außenstellen Freiburg, in denen der Kläger beschäftigt war, bis 1997 allgemein die tariflich vorgegebene Vergütungsordnung angewandt, die charakterisiert war durch eine Gehaltsdifferenzierung nach Lebensaltersstufen und die Möglichkeit des Bewährungsaufstiegs aus bestimmten Vergütungsgruppen. In der Absicht, diese Vergütungsordnung mit Wirkung ab 01. Januar 1998 durch eine andere abzulösen, schloss der Beklagte mit neu eingestellten Mitarbeitern seit diesem Zeitpunkt generell Arbeitsverträge, die keine Rücksicht mehr auf Lebensaltersstufen nahmen und auch eine Höhergruppierung auf Grund eines Bewährungsaufstiegs nicht mehr vorsahen. Die Ablösung der bisherigen Vergütungsordnung durch die neue hätte der Beteiligung des Betriebsrat bedurft, denn die Einführung der neuen Vergütungsordnung stellte sich als kollektive Maßnahme dar. Dies galt zwar nicht bis zum 31.12.1997, weil bis dahin wegen der Tarifbindung des Beklagten der Betriebsrat über die Anwendung des tariflichen Vergütungssystems gemäß § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht mitzubestimmen hatte. Mit dem Wegfall der Tarifbindung aber bestand seit dem 01. Januar 1998 eine das Mitbestimmungsrecht ausschließende zwingende tarifliche Regelung nicht mehr. Auch war das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht entbehrlich, weil nur die mitbestimmungsfreie Festsetzung der absoluten Höhe der Vergütung von der Maßnahme der Beklagten betroffen gewesen wäre, vielmehr hat der Beklagte durch die Aufgabe des Bewährungsaufstiegs und der Vergütungsdifferenzierung nach Lebensaltersstufen einseitig in die Struktur der bestehenden Vergütungsordnung eingegriffen.

An der Einführung des neuen Entlohnungssystems sind die in den Betrieben des Beklagten gebildeten Betriebsräte unstreitig nicht beteiligt worden, auch nicht der für die Außenstelle Freiburg und somit auch für den Kläger zuständige Betriebsrat des Bildungszentrums Stuttgart.

Auch der Kläger war von der Einführung des neuen Vergütungssystems durch den Beklagten betroffen. Auch sein Arbeitsvertrag vom 21.10.703.11.1998 entsprach dem neuen Vertragstypus. Auf der Grundlage der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung aber hatte der Kläger Anspruch auf Vergütung nach der bisherigen betrieblichen Vergütungsordnung. Diese stimmt mit den nachwirkenden tariflichen Bestimmungen überein, wie sie im Oktober und November 1998, also zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Kläger, galten. Diese Vergütungsordnung war als solche weiter anzuwenden, weil sie trotz Wegfalls der Tarifbindung die im Betrieb weiterhin gültige Vergütungsordnung darstellte. Deshalb hatte der Beklagte mit neu eingestellten Arbeitnehmern, wie dem Kläger, auch nach dem 31.12.1997 eine Vergütung zu vereinbaren, die der inneren Struktur der bisherigen Vergütungsordnung entsprach, wobei sich diese Struktur durch die Gehaltsdifferenzierung nach bestimmten Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstiegen auszeichnete (s. BAG Urt. v. 11.6.2002 - 1 AZR 390/01 -).

2. Der Beklagte vermisst in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die Benennung einer Anspruchsgrundlage, die er auch im vorliegenden Fall nicht zu erkennen vermag.

a) Das Arbeitsgericht seinerseits hat die Ansprüche des Klägers auf § 612 Abs. 2 BGB gestützt. Es ist im Hinblick auf die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und die dort zugrunde gelegte Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung davon ausgegangen, dass die mit dem Kläger getroffene Vergütungsvereinbarung, der die beabsichtigte neue Vergütungsordnung des Beklagten zugrunde lag, die wegen Missachtung des Mitbestimmungsrechts nicht wirksam zustande kommen konnte, unwirksam sei. Mangels einer wirksamen Vergütungsabrede aber galt nach § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart. Die übliche Vergütung aber war nach wie vor die beim Beklagten geltende, weil nicht wirksam abgelöste alte Vergütungsordnung, die den tarifvertraglichen Regelungen des gekündigten, aber nachwirkenden Tarifvertrags entsprach. Dem schließt sich auch das Berufungsgericht an.

b) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der eingeklagten Vergütungsdifferenz ergibt sich aber auch aus dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung. Mit Abschluss des Arbeitsvertrags vom 21.10./03.11.1998 hatten die Parteien eine Gesamtvergütung vereinbart, die dem Kläger auch unter Beachtung der alten tarifvertraglichen Regelung zugestanden hätte. Der Kläger war durch die neuen Vertragsbestimmungen somit zunächst nicht benachteiligt. Demzufolge entstand in den ersten Monaten des Beschäftigungsverhältnisses, nämlich vom 01.11.1998 bis zum 31.03.1999, auch keine Vergütungsdifferenz zu seinen Lasten. Diese Monate sind deshalb auch nicht streitgegenständlich geworden.

Erst mit dem Erreichen des folgenden ungeraden Lebensjahres am 01.04.1999 wirkte sich die Änderung des Vergütungssystems beim Kläger aus, weil der Beklagte ihm entgegen der Regelung im ausgelaufenen, aber nachwirkenden Tarifvertrag die Vergütungsanhebung auf Grund der nächsten Lebensaltersstufe nicht zubilligte. Gerade die Vergütungsanhebung aber nach dem System der Lebensaltersstufen beruhte bis zum 31.12.1997 auf einer langjährigen betrieblichen Übung des Beklagten, die dieser nicht nur gezwungenermaßen durch Bindung an die Haustarifverträge, sondern darüber hinaus allgemein auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen mit nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern praktizierte. Durch diese bisherige langjährige Übung war eine Selbstbindung des Beklagten entstanden, von der der Beklagte nicht ohne Weiteres abrücken konnte, ohne sich mit dem bisherigen Verhalten in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise in Widerspruch zu stellen.

Zwar kann grundsätzlich der Arbeitgeber eine betriebliche Übung auch dadurch beenden, dass er entgegenstehende einzelvertragliche Vereinbarungen mit seinen Arbeitnehmern trifft, er darf dabei allerdings anerkanntermaßen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzen (vgl. BAG Urt. v. 13.10.1960 - 5 AZR 284/59 - AP Nr. 30 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Ob im vorliegenden Falle der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt ist, wie der Kläger meint, weil die betriebliche Übung nur bei neu eingestellten Mitarbeitern, die zuvor in einem befristeten Arbeitsverhältnis standen, beendet werden sollte, nicht aber bei den vor dem 31.12.1997 unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern, kann dahingestellt bleiben. Denn eben so wenig wie der Arbeitgeber eine betriebliche Übung unter Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beenden darf, kann er dies im Hinblick auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats. Solange es an der Beteiligung der Mitarbeitervertretung fehlt, die für die Einführung neuer Entlohnungsgrundsätze erforderlich ist, kann die bisherige betriebliche Übung auch nicht einzelvertraglich abgelöst werden.

Damit aber hat der Kläger auch unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung Anspruch darauf, nach den bis 31.12.1997 geltenden und nunmehr mangels wirksamer Ablösung fortwirkenden Entlohnungsgrundsätzen vergütet zu werden.

3. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 11.06.2002 offenbar lediglich die Einstufung des Arbeitnehmers in die tarifliche Lebensaltersstufe bei Abschluss des Arbeitsvertrags behandeln müssen, nicht aber wie im vorliegenden Falle die Anhebung der Vergütung auf Grund des Hineinwachsens in eine höhere Lebensaltersstufe. Hieraus ergibt sich jedoch keinerlei abweichende Sichtweise.

Da die Vergütungsordnung des gekündigten Tarifvertrags über den 31.12.1997 hinaus weiterhin die geltende Vergütungsordnung war, war nicht nur die originäre Einstufung in die nach dem Tarifvertrag geltende Lebensaltersstufe geboten, sondern auch das System des Hineinwachsens in die jeweils nächste Lebensaltersstufe nach Erreichen eines ungeraden Lebensalters maßgeblich. Gerade die Steigerung der Vergütung nach Lebensaltersstufen macht die Struktur der Vergütungsordnung aus, die der Beklagte wegen der Missachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht wirksam ablösen konnte. Galt aber die alte Vergütungsordnung fort, so war sie im Hinblick auf § 612 Abs. 2 BGB als übliche Vergütung oder wegen der praktizierten Betriebsübung den Vertragsbeziehungen mit dem Kläger weiter zugrunde zu legen, mit der Folge, dass der Kläger mit Erreichen des nächsten ungeraden Lebensalters nach der Einstellung auch einen Anspruch auf Anhebung der Vergütung nach dem früheren Tarifvertrag hatte.

Dies galt jedenfalls so lange, als die alte tarifliche Regelung nicht durch eine neue abgelöst wurde. Seit der Geltung des neuen Tarifvertrags, also ab September 2001, richtete sich die Vergütung nach der dortigen tarifvertraglichen Regelung, die schon kraft Verbandszugehörigkeit beider Parteien Anwendung findet. Ab diesem Zeitpunkt sind keine Lebensaltersstufen mehr zugrunde zu legen, eine weitere Erhöhung findet nicht mehr statt. Bei der Bemessung des neuen Grundgehalts aber ist der Kläger so zu stellen, als hätte er bis zum August 2001 die betriebsübliche und sich an der alten tarifvertraglichen Regelung orientierende Vergütung erhalten.

4. Die Ansprüche des Klägers, auch die für das Jahr 1999, sind nicht verjährt. Der Kläger hat am 28.12.2001 Klage auf Feststellung erhoben, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Kläger nach Kündigung des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrags nach Vergütungsgruppe IV b einzugruppieren und entsprechend zu vergüten, sowie ihm den sich ergebenden Gehaltsdifferenzbetrag nebst Zinsen nachzuzahlen. In der Begründung zur Klage hat er ausgeführt, dass die Kündigung des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrags zum 31.12.1997 auf die Vergütung des Klägers ohne Wirkung geblieben sei, da die Nachwirkung auf Grund des einheitlichen Arbeitsverhältnisses greife. Es ergebe sich eine monatliche Differenz, die von dem Beklagten bisher nicht bezahlt worden sei. Mit dieser Klage ist die Verjährung nach § 209 Abs. 1 BGB alter Fassung unterbrochen worden. Die Feststellungsklage macht deutlich, dass es dem Kläger um die Durchsetzung von Vergütungsdifferenzansprüchen ging zwischen der gezahlten Vergütung und der, die sich unter Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen des bis 31.12.1997 geltenden Tarifvertrages ergaben. Ob die Feststellungsklage ausreichend substantiiert und ob sie darüber hinaus zulässig war, weil statt dessen eine Leistungsklage hätte erhoben werden können, spielt für die Unterbrechungswirkung keine Rolle. Auch die unsubstantiierte und unschlüssige Klage oder die unzulässige Klage wegen Fehlen des Feststellungsinteresses unterbricht die Verjährung (vgl. BGH NJW RR 96, 1409; BGH 103, 302). Die Klage muss lediglich wirksam erhoben sein und den wesentlichen Erfordernissen des § 253 ZPO entsprechen. Hieran kann es vorliegend keine begründeten Zweifel geben.

Da der Beklagte unterlegen ist, hat er nach § 97 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist die Revision statthaft, weil das Landesarbeitsgericht sie wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Die Zulassung erfolgte in erster Linie deshalb, weil das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 11.06.2002 nicht darüber zu befinden hatte, ob die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung im bestehenden Arbeitsverhältnis auch zu vertragsimmanenten Vergütungsanpassungen führen kann.

Ende der Entscheidung

Zurück