Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.08.2003
Aktenzeichen: 11 Ta 6/03
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 2
KSchG § 2 Satz 2
KSchG § 4
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 1
KSchG § 5 Abs. 2 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 3
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 295
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg -

Aktenzeichen: 11 Ta 6/03

Beschluss vom 08.08.2003

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg -11. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bernhard ohne mündliche Verhandlung am 08.08.03

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 22.05.2003, Az. 8 Ca 146/03, abgeändert.

Die Klage wird nachträglich zugelassen.

Gründe:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier Änderungskündigungen des Beklagten. Vorliegend geht es um die Frage, ob die nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG eingereichte Klage nachträglich zuzulassen ist.

I.

Die 50-jährige Klägerin, seit 18 Jahren bei dem Beklagten als stellvertretende Heimleiterin beschäftigt, erhielt am 20.12.2002 drei schriftliche Änderungskündigungen, allesamt datiert vom 19.12.2002, die mit dem Hinweis, eine Leitungsfunktion könne der Klägerin nach Umorganisation nicht mehr angeboten werden, das Ziel verfolgten, zum 30.06.2003 die bisherige Vergütung der Klägerin nach AVR III (zuletzt 4.203,00 EUR) auf AVR IV b (ordentliche Kündigung zum 30.06.2003 und außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2003) bzw. AVR IV a (hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.06.2003) zu reduzieren.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2003, dem Beklagten noch innerhalb der am 10.01.2003 endenden Drei-Wochen-Frist des § 2 Satz 2 KSchG zugegangen, nahm die Klägerin die Änderungsangebote unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und fügte diesem Schreiben den Entwurf einer Kündigungsschutzklage bei.

Am 09.01.2003 übersandte die Sekretärin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine 33 Seiten umfassende Klageschrift gegen die drei Änderungskündigungen per Telefax und per Post an das zuständige Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen. Weder das Telefax noch die Originalkündigungsschutzklage trugen eine Unterschrift. Auch die mit der Originalkündigungsschutzklage an das Arbeitsgericht übersandte beglaubigte Ausfertigung und die unbeglaubigte weitere Ausfertigung waren nicht unterzeichnet, auch nicht der Beglaubigungsvermerk selbst.

Am 13.01.2003 erfolgte Terminsbestimmung zur Güteverhandlung auf den 20.02.2003. Auf die fehlende Unterzeichnung der Klageschrift wies das Arbeitsgericht die Parteien nicht hin. Mit Schreiben vom 05.01.2003 zeigten die Prozessbevollmächtigten des Beklagten die anwaltliche Vertretung an und bestätigten die Terminsladung. Im Gütetermin vom 20.02.2003 wurden die Parteien vom Vorsitzenden erstmals auf die fehlende Unterschrift unter der Klageschrift aufmerksam gemacht.

Mit Klageschrift vom 25.02.2003, am selben Tage beim Arbeitsgericht eingegangen, erhob die Klägerin erneut Klage gegen die drei Änderungskündigungen und beantragte mit Schriftsatz vom 27.02.2003, per Telefax eingegangen am gleichen Tage, die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage vom 25.02.203. Bei der Faxzustellung fehlte die letzte Seite mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Daraufhin wurde der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage in vollständiger Form, einschließlich Unterschrift des Prozessvertreters, am 28.02.2003 noch einmal dem Arbeitsgericht zugefaxt.

Die Klägerin hat zur Begründung ihres Zulassungsantrags im Wesentlichen vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe seine Sekretärin am 08.01.2003 angewiesen, am Folgetag die Klageschrift fertig zu machen und an das Arbeitsgericht per Fax und urschriftlich abzusenden. An diesem Tage sei er selbst ortsabwesend gewesen. Am 10.01.2003 habe er sich nach der Absendung erkundigt, die ihm von der Sekretärin bestätigt worden sei. Persönlich habe er sich sodann im Faxjournal und durch Feststellung des Fehlens des Originalschriftsatzes in den Akten vergewissert, dass die Klage rechtzeitig das Büro verlassen habe. Erst nach Rückkehr des Sitzungsvertreters Rechtsanwalt ... vom Gütetermin am 20.02.2003 hätten er und seine Rechtsanwaltskollegen Kenntnis davon erlangt, dass die Sekretärin ... aus ihr selbst nicht erklärlichen Gründen die Klage ohne Unterschrift abgesandt hatte, anstatt sie, wie in den regelmäßigen Bürobesprechungen immer wieder angewiesen und erläutert, bei Abwesenheit des Sachbearbeiters einem anderen, im Büro anwesenden Rechtsanwalt zur Unterzeichnung vorgelegt zu haben.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie selbst treffe an dem Versäumnis der Sekretärin ihres Prozessbevollmächtigten kein Verschulden, auch ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten scheide aus, da durch Unterweisung des Büropersonals und Kontrolle organisatorisch alles Mögliche getan worden sei, um derartige Fehler zu vermeiden.

Letztlich aber sei im Rahmen des § 5 KSchG ohnehin auch ein eventuelles Verschulden des Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei nicht zuzurechnen.

Die Klägerin hat den Antrag gestellt:

Die Kündigungsschutzklage vom 25.02.2003 wird nachträglich zugelassen.

Der Beklagte hat sich eines eigenen Antrags enthalten und auch inhaltlich nicht Stellung genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 22.05.2003 den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage zurückgewiesen. Es ist mit Hinweis auf die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur von der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO im Rahmen des § 5 KSchG und damit davon ausgegangen, dass das Verschulden des Prozessbevollmächtigten die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage verhindere. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten aber hat das Arbeitsgericht darin gesehen, dass dieser nicht alle organisatorischen Maßnahmen dafür getroffen habe, dass ununterschriebene Klagen die Kanzlei verließen. Er habe weder konkret seine Sekretärin angewiesen, die fertigzustellende Klage von einem Kollegen unterzeichnen zu lassen, noch bestehe eine Regelung, wonach die Unterzeichnung durch einen Nichtsachbearbeiter in den Akten festgehalten werden müsse. Werde ein so wichtiger Vorgang wie die Erhebung einer fristgerechten Klage nur mündlich vermittelt, so müssten in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Unterschrift unter die Klage unterbleibt. Das Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin liege darin, dass er keine Vorkehrungen dagegen getroffen habe, dass die ordnungsgemäße Umsetzung seines mündlichen Hinweises unterblieb. Eine stichprobenartige Kontrolle genüge nicht. Das Fehlen jeder Sicherung für eine ordnungsgemäße Klageerhebung bedeute einen entscheidenden Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten.

Gegen den ihm am 28.05.2003 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 10.06.2003 sofortige Beschwerde ein. Er hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für unzutreffend und wiederholt im Wesentlichen seine tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen gegenüber dem Arbeitsgericht.

Demzufolge stellt er den Antrag:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen, gerichtliches Az.: 8 Ca 146/03, vom 22.05.2003 wird abgeändert:

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin wird nachträglich zugelassen.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückzuweisen.

Er bestreitet den tatsächlichen Vortrag der Klägerin bezüglich des prozessualen Ablaufs nicht, ist aber seinerseits der Meinung, § 85 Abs. 2 ZPO sei auch auf die Frist des § 4 KSchG anwendbar, weil ansonsten § 4 KSchG mit nicht unterschriebenen Kündigungsschutzklagen umgangen werden könne, mit der Folge, dass der potenzielle Kläger noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist entscheiden könne, ob er diese Klage nun gelten lassen will oder nicht. Der Beklagte sieht ein Organisationsverschulden in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegeben, wobei er bestreitet, dass tatsächlich in den jeweiligen Bürobesprechungen die Sekretärin darauf hingewiesen worden sei, dass Schriftstücke, somit auch Klagen, nur von einem Anwalt unterschrieben, die Kanzlei verlassen dürften. Eine konkrete Besprechung dieser Art habe die Klägerin nicht benannt. Zu einer ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation gehöre im Übrigen nicht nur der Hinweis an eine Rechtsanwaltfachangestellte, dass eine Klage zu einem gewissen Tag an das Arbeitsgericht gefaxt und danach per Post übersandt werden müsse, sondern auch, falls die Abwesenheit des Sachbearbeiters diesem bekannt sei, auch wer der Vertreter sei, der das Schriftstück unterzeichnen müsse. Ferner gebiete es die Sorgfaltspflicht des nach Diktat abwesenden Anwalts, einen Vertreter darauf hinzuweisen, dass er die Klageschrift unterzeichnen müsse. Schließlich könne es nicht Aufgabe einer Rechtsanwaltfachangestellten sein, irgendeinen Kollegen des Prozessbevollmächtigten zu suchen, der ihr eine Kündigungsschutzklage unterzeichne.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens vor dem Arbeitsgericht und im Beschwerderechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Verwiesen wird insbesondere auf die eidesstattlichen Versicherungen der Klägerin selbst, ihres Prozessbevollmächtigten ..., dessen Kolleginnen und Kollegen Rechtsanwälte ..., ..., ... und ... sowie der Sekretärin ..., mit denen die Klägerin ihren Sachvortrag glaubhaft zu machen beabsichtigte.

II.

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin war der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22.05.2003, mit dem der Antrag der Klägerin auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen wurde, aufzuheben, die Kündigungsschutzklage war nach § 5 Abs. 1 KSchG nachträglich zuzulassen, da die Klägerin nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Zwar ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass die verspätete Klagerhebung unstreitig nicht von der Klägerin selbst, jedoch von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet wurde, weil er keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dagegen getroffen hatte, dass die ursprünglich in der Klagefrist des § 4 KSchG beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage nicht unterzeichnet war, dieses Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin jedoch nicht zuzurechnen.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.02.2003, am selben Tage beim zuständigen Arbeitsgericht eingegangen, Klage gegen drei Änderungskündigungen vom 19.12.2002, die ihr am 20.12.2002 zugegangen waren, erhoben. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG längst abgelaufen. Die Klage war somit verspätet.

Grund für die Erhebung der Kündigungsschutzklage erst zu diesem Zeitpunkt war, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Rahmen einer am 20.02.2002 durchgeführten Güteverhandlung zwischen den Parteien erstmals erfahren hatte, dass die zunächst am 09.01.2003, also fristgerecht, beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage gegen die nämlichen Änderungskündigungen nicht unterzeichnet worden war. Da die am 09.01.2003 eingereichte Kündigungsschutzklage ohne eigenhändige Unterschrift der Klägerin bzw. ihres Prozessbevollmächtigten lediglich einen prozessual unbeachtlichen Klageentwurf darstellte, konnte diese die Drei-Wochen-Frist nicht wahren (vgl. BAG 26.1.1976, EzA § 4 KSchG n. F. Nr. 9). Die vorliegende Kündigungsschutzklage war also verspätet erhoben worden, weil zunächst zwar fristgerecht Klage eingereicht war, diese aber wegen fehlender Unterschrift nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Klageerhebung entsprochen hatte.

Die Klägerin hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 KSchG gestellt, diese Frist begann am 20.02.2002, als der Kammervorsitzende in der Güteverhandlung des Ursprungverfahrens auf die fehlende Unterzeichnung der rechtzeitig eingelegten Kündigungsschutzklage erstmals hinwies. Im Antrag auf nachträgliche Zulassung vom 27.02.2003 hat die Klägerin Bezug genommen auf die verspätet erhobene Kündigungsschutzklage vom 25.02.2003 und damit die formalen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG erfüllt.

2. Dass die Klägerin selbst die verspätete Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht verschuldet hat, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die Klägerin hat rechtzeitig nach Zugang der drei Änderungskündigungen vom 19.12.2002 ihren Anwalt aufgesucht, sich dort beraten lassen und schließlich den Auftrag zur Klageerhebung erteilt und darüber hinaus die Vorbehaltserklärung nach § 2 KSchG abgegeben. Sie konnte, nachdem ihr noch vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG von ihrem Prozessbevollmächtigten der Durchschlag einer Klageschrift zugesandt worden war, davon ausgehen, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Klageschrift form- und fristgerecht einreichen würde. Damit hat die Klägerin alles ihr nach Lage der Umstände Zuzumutende getan, um sich fristgerecht gegen die Änderungskündigungen zur Wehr zu setzen.

3. Dem Arbeitsgericht ist allerdings beizupflichten in seiner Auffassung, ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Einreichung der nicht unterzeichneten Klageschrift vom 09.01.2003 liege durchaus vor. Ausreichend insoweit ist leichte Fahrlässigkeit, die an einem objektivisierten Maßstab gemessen wird. Es reicht die Außer-Acht-Lassung einer üblichen, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernden Sorgfalt aus, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen und die Beachtung der Sorgfalt im Einzelfall dem Anwalt zumutbar sein muss.

Unter Berücksichtigung dessen ist ein Verschulden bei der Einreichung einer nicht unterzeichneten Klageschrift, insbesondere wenn sie wie vorliegend eine Frist einhalten muss, zu bejahen (vgl. für die Einreichung einer nicht unterzeichneten Berufungsbegründungsschrift BGH Versicherungsrecht 80, 942). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Schriftsatz versehentlich nicht unterzeichnet wurde und der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (BGH Urt. v. 6.12.1995, NJW 1996, 998). So liegt der Fall vorliegend nicht.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Klageschrift nicht versehentlich nicht unterzeichnet, sondern hat vielmehr am 08.01.2003 angeordnet, die Klageschrift solle am 09.01.2003 von seiner Sekretärin fertig gemacht und per Telefax sowie im Original an das Arbeitsgericht versandt werden. Dem Prozessbevollmächtigten war dabei klar, dass er die Klageschrift, weil er am 09.01.2001 nicht kanzleianwesend sein wollte, nicht selbst unterschreiben konnte. Damit hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Gefahrenquelle geschaffen, aus der heraus er gehalten war, die Unterschriftsleistung durch einen Anwaltskollegen der Kanzlei konkret anzuordnen und eine Überwachungsmöglichkeit sicherzustellen, soweit nicht ausreichend überprüfbare Verhaltensanweisungen für vergleichbare Fälle im Büro bestanden und zumindest stichprobenweise überprüft wurden.

Der Klägervertreter hat nicht behauptet, er habe am 08.01.2003 seine Sekretärin konkret angewiesen, die Klage nach Fertigstellung einem - bestimmten - Kollegen zur Unterschrift vorzulegen. Einen solchen Vorgang beinhaltet weder die eidesstattliche Versicherung des Klägervertreters noch die seiner Sekretärin. Eine Nachfrage, ob die Klageschrift unterzeichnet worden sei und von wem, erfolgte ebenfalls nicht. Die allgemeine Anweisung in Bürobesprechungen an das Büropersonal, Schriftsätze generell nur unterzeichnet herauszugeben, genügt für diesen Fall nicht, auch nicht in Verbindung mit dem allgemeinen Hinweis, dass, sofern der zuständige Rechtsanwalt außer Haus ist, das Schriftstück einem anwesenden Kollegen zur Unterschrift gegeben werden muss.

Vorliegend hat der Klägervertreter den Zeitpunkt der Absendung der Klageschrift bestimmt, in Kenntnis dessen, dass er sie nicht unterzeichnen könne. Er hätte dann auch selbst sicherstellen müssen, dass ein Anwaltskollege zur Unterzeichnung zur Verfügung stand. Er durfte es nicht seiner Sekretärin überlassen, einen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Schriftsatzes anwesenden Anwalt zu finden, denn weder der Klägervertreter, noch die Sekretärin konnten im vorhinein wissen, ob ein solcher zur Unterschriftsleistung berechtigter Anwaltskollege am fraglichen Tag nach Fertigstellung des Schriftsatzes und vor Postabgang im Hause anwesend sein würde.

Die allgemeine Weisung bei Bürobesprechungen genügt darüber hinaus alleine nicht, sie ist zumindest stichprobenweise zu kontrollieren. Der Klägervertreter hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 27.02.2003 in dieser Hinsicht zwar dargelegt, seine Sekretärin habe im Rahmen ihrer Tätigkeit für ihn in keinem Falle vergessen, Fristen einzutragen oder sonstige Versäumnisse begangen, beispielhaft also einen Schriftsatz fristgebunden oder nicht ohne seine Unterschrift aus dem Hause gehen zu lassen, er hat aber nicht dargelegt, dass Frau Sch in der Vergangenheit einen seiner Schriftsätze von einem Anwaltskollegen unterzeichnen lassen musste und dass diese ihre Tätigkeit in einem solchen Falle kontrolliert worden wäre.

Für den Fall, dass ein Anwalt anordnet, ein von ihm gefertigter Schriftsatz solle zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschickt werden, in Kenntnis dessen, dass er diesen Schriftsatz selbst nicht unterzeichnen kann, muss also verlangt werden, dass der sachbearbeitende Anwalt entweder auf die Notwendigkeit der Unterzeichnung durch einen anderen Anwalt hinweist, den er im Zweifel in Absprache mit diesem zu benennen hat, oder dass zumindest die generelle Anweisung zur Büroorganisation besteht, dass der in Vertretung unterzeichnende Anwalt auch die in den Handakten des Sachbearbeiters verbleibende Ausfertigung abzeichnet, damit der Sachbearbeiter, der die Notwendigkeit der Unterzeichnung durch einen Dritten bewusst herbeigeführt hat, selbst kontrollieren kann, ob ein ihn vertretender Anwalt den Vorgang bearbeitet hat. Ohne eine solche Absicherung aber, die auch darin bestehen kann, dass ein Fax-Beleg mit Unterschrift zu den Handakten genommen wird, hat der Prozessbevollmächtigte der Sorgfaltspflicht nicht genügt.

4. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist dieser aber nicht zuzurechnen.

a) Ob im Rahmen des § 5 KSchG ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG in direkter oder analoger Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zugerechnet werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig. Das Beschwerdegericht erspart sich eine Darstellung der unterschiedlichen Entscheidungen und Literaturstellen und verweist auf die umfassende Zitatwidergabe bei KR-Friedrich, 6. Aufl., § 5 KSchG Rdz. 69 b und 70.

Nach bislang herrschender Meinung steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG dem Verschulden des Arbeitnehmers gleich und wird diesem zugerechnet. Die Mindermeinung vermisst dagegen eine Zurechnungsnorm. Weder zwinge der Wortlaut des § 5 KSchG zur Übernahme des § 85 Abs. 2 ZPO, noch könne vom Normzweck des § 5 KSchG her angenommen werden, dass für ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten eingestanden werden müsse. Entscheidend sei allein, ob in der Anrechnung eines Fremdverschuldens bei einem selbst nicht säumigen Arbeitnehmer eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten gesehen werden könne. Dies sei zu bejahen. Ein Arbeitnehmer, der alles ihm Zumutbare unverzüglich und richtig getan habe, könne seinen Arbeitsplatz nicht deshalb verlieren, weil er sich Fehler von Personen anrechnen lassen müsse, die dazu berufen seien, für ihn zutreffend zu handeln (vgl. Ascheid, Großkommentar zum Kündigungsrecht, § 5 Rdz. 28 unt. Verw. auf KR-Friedrich, § 5 Rdz. 70). Die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts neigt der Mindermeinung zu, der sich nunmehr unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung auch das hessische Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 10.09.2003 - 15 Ta 98/02 - angeschlossen hat.

b) Eine generelle Festlegung auf die Frage der Anwendbarkeit des § 85 Abs. 2 ZPO im Rahmen des § 5 KSchG ist jedoch vorliegend nicht erforderlich, da nach Auffassung der erkennenden Kammer jedenfalls für den Fall der fristgerecht eingereichten, aber nicht unterzeichneten Kündigungsschutzklage ein dem Vorgang zu Grunde liegendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei nicht angerechnet werden kann. Für diesen Fall jedenfalls scheidet die Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO aus. Hierfür sind folgende Überlegungen maßgeblich:

Als entscheidende Gesichtspunkte für die Anrechnung eines Anwaltverschuldens im Rahmen des § 5 KSchG werden die Fristenstrenge und die Gefahr der Verlagerung des Prozessrisikos auf den Arbeitgeber (vgl. Francken, Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, Diss. jur. Freiburg/Breisgau, 1998 S. 50) gesehen. Beides berücksichtigt, dass § 4 KSchG mit seiner kurzen Frist, innerhalb derer der Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung zur Wehr setzen kann, bezweckt, dass der Arbeitgeber innerhalb angemessener Zeit erkennen kann, ob die ausgesprochene Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt und deshalb der Arbeitsplatz neu besetzt werden kann bzw. ob er das Risiko der Annahmeverzugslohnzahlung trägt, wenn er den Arbeitnehmer, der sich gegen die Kündigung zur Wehr setzt, nicht zeitnah nach der Kündigung zumindest vorsorglich weiterbeschäftigt. Mit Ablauf der 3-Wochen-Frist soll der Arbeitgeber nicht mehr damit rechnen müssen, wegen der bis dahin nicht angegriffenen Kündigung weiteren Risiken ausgesetzt zu sein.

Vorliegend hat die Klägerin innerhalb der Drei-Wochen-Frist Klage gegen die drei Änderungskündigungen der Beklagten eingereicht. Allerdings war die Klage vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht unterzeichnet, weshalb sie formalrechtlich als Klageentwurf und nicht als Klage gelten und damit die Drei-Wochen-Frist nicht wahren konnte. Hiervon aber hatte die Beklagte keine Kenntnis. Zwar waren auch die Ausfertigungen für die Beklagte nicht unterzeichnet, daraus musste diese aber nicht folgern, dass auch die Klageurschrift der Unterschrift ermangelte. Vielmehr musste die Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerin sich fristgerecht mit ihrer Klage gegen die Kündigungen zur Wehr gesetzt hatte und konnte sich hierauf einstellen. Weder ein Hinweis des Gerichts, noch sonstige Anhaltspunkte konnten die Beklagte über den Willen der Klägerin im Zweifel lassen, das Arbeitsverhältnis unverändert fortzusetzen.

Dies gilt um so mehr, als die Klägerin durch Schriftsatz an die Beklagte den Vorbehalt nach § 2 KSchG ebenso innerhalb der Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklärt hatte. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin lediglich einen Klagentwurf einreichen wollte, gab es nicht, die Einreichung eines Klagentwurfs ohne Beifügung eines Prozesskostenhilfeantrags unmittelbar vor Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist hätte auch keinerlei Sinn gemacht. Unter diesen Umständen streiten weder der Gesichtspunkt der Fristentreue, noch der der Gefahr der Verlagerung des Prozesskostenrisikos auf die Beklagte für die Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auf die Frist des § 4 KSchG. Dies gilt auch hinsichtlich des Arguments der Beklagten, wonach ansonsten der Arbeitnehmer durch Einreichung einer nicht unterzeichneten Klage die Klagefrist hinauszögern könne, um dann nach Fristablauf noch zu entscheiden, ob er die Klage gegen sich gelten lassen wolle. Dieses Argument ist schon deshalb nicht erheblich, weil der Arbeitnehmer die wirksam eingereichte Kündigungsschutzklage bis zur streitigen Verhandlung jederzeit ohne Kostenfolge zurücknehmen kann und so den gleichen Effekt erzielen würde, wie wenn er sich von einer nicht unterzeichneten Klage lossagt.

Die unterschiedliche Behandlung der verspäteten Klageinreichung als solcher gegenüber der rechtzeitigen Einreichung einer nicht unterzeichneten Klage ist nicht sachwidrig. Dies ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Behandlung der Vorgänge. Während die dreiwöchige Ausschlussfrist des § 4 KSchG für die Klagerhebung zwingend ist, die Parteien auf ihre Einhaltung also nicht wirksam verzichten können (KR-Friedrich § 4 KSchG Rz. 138) gilt dies für die ordnungsgemäße Unterzeichnung der Klagschrift nicht. Ist nämlich innerhalb der Drei-Wochen-Frist bei Gericht ein nicht unterzeichneter, jedoch im Übrigen den Erfordernissen einer Klageschrift entsprechender Schriftsatz eingegangen, so ist eine Heilung nach § 295 ZPO auch hinsichtlich der 3-Wochen-Frist anzunehmen (BAG 26.6.1986 EzA § 4 KSchG n. F. Nr. 25).

Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass jedenfalls im Falle der fristgerechten Einreichung einer allerdings versehentlich nicht unterzeichneten Klage ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Rahmen des § 5 KSchG nicht zugerechnet werden kann.

5. Im Hinblick darauf kann auch offen bleiben, ob unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, 20.6.1995, NJW 1995, 3173; Hessisches LAG, LAGE § 5 KSchG Nr. 82) das Verschulden des Bevollmächtigten der Klägerin an der Fristversäumung dadurch überholt wurde, dass das Arbeitsgericht mit Eingang der Klage nicht feststellte und auch nicht darauf hinwies, dass die Klageschrift nicht unterzeichnet war. Würde man vom Gericht verlangen können, bei Eingang einer nicht unterzeichneten fristgebundenen Klage die Klägerpartei hierauf sofort hinzuweisen (gegebenenfalls per Fax oder telefonisch), so wäre eine Fehlleistung des Gerichts für die Nichteinhaltung der Klagefrist des § 4 KSchG kausal geworden, auf Grund derer nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens das Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung wegen Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs verdrängt worden wäre. Auch in einem solchen Fall wäre dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage gemäß § 5 KSchG stattzugeben (vgl. insoweit Francken, Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, S. 50).

Ende der Entscheidung

Zurück