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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.07.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 1/07
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 53 Abs. 3
1. Strenge Anforderungen an die Kündigung gegenüber einem gemäß § 53 Abs. 3 BAT ordentlich unkündbaren Angestellten wegen behaupteter "Sinnentleerung auf Dauer".

2. Keine derartige Kündigung, wenn die "Sinnentleerung" auf einer Outsourcing-Entscheidung zur Kostensenkung beruht, die nur einem einzigen Arbeitnehmer ein "Sonderopfer" abverlangt.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 13.12.2006 - Az.: 9 Ca 318/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ... 1946 geborene Kläger ist verheiratet und einen Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Von Beruf Betriebswirt und ausgebildet zum Fachkaufmann für Materialwirtschaft und Logistik schloss er am 05.02.1981 einen Anstellungsvertrag mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten, nämlich dem Land Baden-Württemberg, unter einzelvertraglicher Bezugnahme auf den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.02.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträge. Seitdem ist der Kläger im Krankenhaus für Innere Medizin/Rheumatologie und Psychosomatik/Psychotherapeutische Medizin in B.-B. tätig unter Eingruppierung in die Vergütungsgruppe V c zum BAT .

Vor einiger Zeit wurde dieses Krankenhaus vom Land Baden-Württemberg privatisiert. Die Beklagte ist dessen Rechtsnachfolgerin.

Der Kläger wurde in verschiedenen Abteilungen des Krankenhauses beschäftigt, zuletzt seit August 2002 in der Abteilung Finanz- und Rechnungswesen. Die dortigen Aufgaben befassen sich mit Kreditorenbuchhaltung, Konzilabrechnung, Labor-RAI, Hauptkasse, Medizinproduktegesetz, Vertretung im Einkauf, der Warenannahme, dem Patientenaktenarchiv, der Archivierung der Bau- und Grundrisspläne, der Getränke-Pfandrückgabe und dem Wechselgeldautomaten sowie mit der Energieabrechnungen für vermietete Arztpraxen und sonstige Mietwohnungen einschließlich der Pausenvertretung an der Pforte.

Mit Schreiben vom 13. und 20.03.2006 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Klägers an und kündigte sodann ein erstes Mal das Arbeitsverhältnis am 30.03.2006 zum 30.09.2006. Nachdem der Kläger hiergegen unter dem Aktenzeichen 9 Ca 155/06, Arbeitsgericht Karlsruhe, Kündigungsschutzklage erhoben hatte, nahm die Beklagte diese Kündigung wegen nachwirkenden Kündigungsschutzes des Klägers gemäß § 15 Abs. 2 KSchG zurück.

Mit Schreiben vom 14.06.2006 hat sie den Betriebsrat erneut zu einer beabsichtigen betriebsbedingten außerordentlichen Änderungskündigung zum Jahresende 2006 angehört. Der Betriebsrat hat nicht reagiert. Die Beklagte hat sodann dem Kläger ein Schreiben vom 29.06.2006 mit folgendem Wortlaut zukommen lassen:

"...

hiermit kündigen wird das bestehende Arbeitsverhältnis betriebsbedingt, außerordentlich und fristgerecht, mit der längsten tarifvertraglichen Auslauffrist, zum 31.12.2006 und bieten ihnen gleichzeitig an, Sie ab dem 01.01.2007 zu folgenden Konditionen zu beschäftigen:

Der Arbeitgeber wird für Sie die Stelle von Frau R. an der Rezeption frei kündigen. Eine andere in Frage kommende Arbeitsstelle gibt es im Rheumazentrum nicht.

Mit ihrer Beschäftigung auf der Stelle von Frau R. werden die hierfür geltenden Regelungen für Sie wirksam. Dies hat folgenden Anpassungen zur Folge:

1. Ihre Eingruppierung nach BAT wird an die für die Rezeption geltende Vergütungsstufe BAT VII entsprechend angepasst.

2. Die Arbeitzeit wird an den Stellenanteil von Frau R., entsprechend 0,66 einer Vollkraft angepasst. Ihre durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit beträgt somit 25,41 Stunden pro Woche.

3. Auf Basis dieser Arbeitzeit beläuft sich Ihr Grundgehalt auf 1.002,01 EUR, der Ortszuschlag auf 439,30 EUR und die allgemeine Tarifzulage auf 70,91 EUR. Ihre monatlichen Bruttobezüge betragen somit 1.512,22 EUR.

4. Es gelten die Arbeitszeiten der Rezeption.

Alle weiteren arbeitsvertraglichen Regelungen bleiben unverändert.

..."

Ohne dieses Änderungsangebot unter Vorbehalt anzunehmen hat der Kläger hiergegen am 19.07.2006 Kündigungsschutzklage erhoben und vorgetragen, die tariflich vereinbarte Unkündbarkeit gemäß § 55 BAT stehe entgegen, zumal das Änderungsangebot in unzulässiger Weise ihn in zweifacher Hinsicht schlechter stelle, nämlich sowohl hinsichtlich der Rückgruppierung von der Vergütungsgruppe V c in die Gruppe VII, als auch in Gestalt der Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit.

Der Kläger hat beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.06.2006 nicht mit Ablauf des 31.12.2006 enden wird.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und zur Begründung ausgeführt, der Geschäftsführer der Beklagten habe Anfang März 2006 beschlossen, die Abteilung Finanz- und Rechnungswesen aufzulösen und deren Aufgaben extern wahrnehmen zu lassen. Dies sei aus Gründen der Kostenersparnis erforderlich gewesen wegen der Einführung eines pauschalen Vergütungssystems der "DRG", die dazu geführt habe, dass das Unternehmen der Beklagten in existenziell bedrohlichem Umfang Einbußen erlitten habe und erleiden werden. Dies habe insbesondere beruht auf einer Budget- und Entgeltvereinbarung gemäß § 11 Krankenhausentgelt-Gesetz für das Jahr 2005.

Von diesem notwendigen Outsourcing seien wesentliche Tätigkeitsanteile des Klägers betroffen, insbesondere die Kreditorenbuchhaltung, die per 01.10.2006 außer Hauses gegeben worden sei. Ohne überobligatorische Belastungen könnten weitere Tätigkeitsteile des Klägers von Mitarbeitern der Rezeption erledigt werden. Im Ergebnis sei die Beklagte nur in der Lage, ihm eine Tätigkeit in der Rezeption anzubieten, die der Stelle einer anderen Mitarbeiterin entspreche. Sie betrage 0,66 der Anteile einer Vollzeitkraft und entspreche den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe VII der Vergütungsordnung zum BAT.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.12.2006 der Klage stattgegeben und im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt, der ordentlich unkündbare Kläger hätte gemäß § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 BAT allenfalls zum Zwecke der Herabgruppierung um eine einzige Vergütungsgruppe änderungsgekündigt werden können.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie führt aus, trotz der sogenannten ordentlichen Unkündbarkeit müsse wegen Sinnentleerung des bisherigen Arbeitsverhältnisses die Kündigung möglich sein. Die Beklagte prognostiziere wegen Budgetverringerungen in der Zeit zwischen 2005 und 2009 einem Verlust von 4,5 Mio Euro. Dies habe sie veranlasst, am 06.03.2006 die unternehmerische Entscheidung zu treffen, den größten Teil der vom Kläger verrichteten Arbeit einem billigeren Dienstleister anzubieten. Weggefallen sei daher die Möglichkeit zur Beschäftigung des Klägers mit folgenden bislang angefallen Aufgaben:

- Kreditorenbuchhaltung

- Konsilabrechnung Labor Rai

- Hauptkasse

- Medizinproduktegesetz

- Vertretung im Einkauf und Warenannahme

- Vertretung im Patientenaktenarchiv

- Archivierung der Bau- und Grundrisspläne

- Getränke-, Pfandrückgaben- und Wechselgeldautomaten

- Energieabrechnungen für vermietete Arztpraxen und Mietwohnungen

- Pausenvertretung Pforte

Die Arbeiten bezüglich Getränke-, Pfandrückgabe- und Wechselgeldautomaten fielen nur unregelmäßig an und erforderten nur einen sehr geringen zeitlichen Aufwand.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 13.12.2006 - Az.: 9 Ca 318/06 - wird abgeändert.

2. Die Kündigungsschutzklage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung; er bestreitet den behaupteten Wegfall einzelner Arbeitsvorgänge, rügt die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG in Bezug auf zwei Arbeitskollegen (K. und M.) und beruft sich weiterhin auf § 55 Abs. 2 BAT, wonach andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, den Arbeitgeber nicht zur Kündigung an sich berechtigten, sondern nur zum Zwecke der Herabgruppierung um eine einzige Vergütungsgruppe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, insbesondere auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die fristgerecht eingelegte und ausgeführte Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

a. Gemäß § 55 Abs. 1 BAT kann einem nach § 53 Abs. 3 BAT ordentlich unkündbaren Angestellten nur aus einem in seiner Person oder seinem Verhalten liegenden wichtigen Grund fristlos gekündigt werden. Nach § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 BAT berechtigen andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen, den Arbeitgeber nicht zur Kündigung.

Hinsichtlich dieses tariflichen Regelbereichs hat das Bundesarbeitsgericht wiederholt und - soweit ersichtlich zuletzt - mit Urteil vom 06.10.2005 - Az.: 2 AZR 362/04 - ausgeführt, dass damit zwar die außerordentliche Beendigungskündigung aus betrieblichen Gründen nach § 626 BGB nicht für jeden denkbaren Fall von vornherein ausgeschlossen sei, da extreme Ausnahmefälle denkbar seien, in denen im Rahmen des § 55 BAT eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist (entsprechend der längstmöglichen Kündigungsfrist) nach § 626 BGB in Betracht kommen könne.

Maßgeblich sei, ob das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer sinnentleert sei, weil eine Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbracht werden könne und deshalb auf unzumutbar lange Zeit Vergütung ohne Gegenleistung gezahlt werden müsse. In einem derartige Ausnahmefall könne dem Arbeitgeber nichts Unmögliches oder evident Unzumutbares abverlangt werden, sodass eine Kündigung gleichwohl in Betracht komme. Allerdings seien die Anforderungen an die Wirksamkeit einer derartigen betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist erheblich hoch, sie müssten deutlich über das normale Maß eines sogenannten dringenden betrieblichen Erfordernisses gemäß § 1 Abs. 2 KSchG hinausgehen. Keinesfalls genüge jede Umorganisation oder Schließung einer Teileinrichtung mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen diesen Anforderungen. Den Arbeitgeber treffe nämlich die Pflicht, mit allen zumutbaren Mitteln, gegebenenfalls auch durch eine entsprechende Umorganisation und das Freimachen geeigneter gleichwertiger Arbeitsplätze, eine Weiterbeschäftigung zu versuchen. Der Arbeitgeber habe seinem Arbeitnehmer nämlich durch die tarifliche Unkündbarkeit eine vertragliche Beschäftigungsgarantie gegeben, die nur unter ganz eingeschränkten Voraussetzungen obsolet werden könne (so nahezu wörtlich BAG 06.10.2005 -Az.: 2 AZR 362/04, unter V. 2. ff der Entscheidungsgründe).

b. In dieser Entscheidung ging es um die Kündigung eines Arztes in leitender Stellung zirka 35 Monate vor Erreichen des 65. Lebensjahres, also dem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis kraft tariflicher Vorschrift ohne Kündigung automatisch gemäß § 60 Abs. 2 BAT endet. Im vorliegenden Fall wird der Kläger sein Rentenalter im Mai 2011 erreichen, also nach fünf Jahren. Das erkennende Gericht teilt insoweit nicht die Auffassung der Beklagten, dass bereits bei Überschreiten einer 35-monatigen Überbrückungszeit die Voraussetzungen für den oben erwähnten Ausnahmefall ohne weiteres vorliegen; vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht lediglich ausgeführt, dass nach 35 Monaten noch nicht von einer unzumutbar langen Dauer eines "sinnentleerten" Arbeitsverhältnisses gesprochen werden könne. Diesem Aspekt schließt sich das erkennende Gericht im vorliegenden Fall an, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten, bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Zeitpunkt der Kündigung bereits mehr als 25 Jahr bestanden hat, also weitaus länger als diejenigen 15 Jahre, die gemäß § 53 Abs. 3 BAT als Wartezeit für die Unkündbarkeit erforderlich sind.

c. Die vorerwähnte Beschäftigungsgarantie kann nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht durch eine sogenannte unternehmerische Entscheidung beseitigt werden, die sich überwiegend, wenn nicht ausschließlich, auf die Fremdvergabe von Aufgaben eines e i n z i g e n Arbeitnehmers bezieht. So liegt jedoch der vorliegende Fall. Die unternehmerische Entscheidung der Beklagten kommt nicht nur sehr nahe an die Kündigung heran, sondern sie stellt zugleich die unmittelbare und direkte Voraussetzung für die einzelfallbezogene Kündigung dar.

d. Zum anderen hat die Beklagte die Unvermeidbarkeit, d. h. die betriebswirtschaftliche Alternativlosigkeit ihrer Maßnahme nicht nachvollziehbar dargelegt, die durch die Fremdvergabe verursachten Kosten nicht in Relation zu der Höhe der Aufwendungen für den Kläger gestellt und im übrigen nicht dargelegt, dass andere betriebswirtschaftliche Einsparungsmaßnahmen, ohne dem Kläger ein singuläres Sonderopfer aufzuerlegen, nicht möglich gewesen wären.

e. Nach all dem hat die Beklagte es nicht vermocht, das Gericht von den tatsächlichen Voraussetzungen des vorbezeichneten Ausnahmenfalls zu überzeugen. Daher kommt es nicht darauf an, ob auch das Änderungsangebot dem Kläger überhaupt zugemutet werden konnte wegen der beabsichtigten zweifachen Belastung in Gestalt der Reduzierung der Arbeitszeit und der Abgruppierung.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

3. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz war nicht veranlasst. Hieraus resultiert die nachstehende.

Ende der Entscheidung

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