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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.09.2004
Aktenzeichen: 12 Sa 116/03
Rechtsgebiete: SGB IX, ZPO, KSchG, BGB


Vorschriften:

SGB IX § 2 Abs. 2
SGB IX § 2 Abs. 3
SGB IX § 68 Abs. 2 S. 1
SGB IX § 68 Abs. 2 S. 2
SGB IX § 85
ZPO § 128 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2
BGB § 162
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 12 Sa 116/03

Verkündet am 17.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - - 12. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hennemann, den ehrenamtlichen Richter Breuer und den ehrenamtlichen Richter Karle ohne mündliche Verhandlung am 17.09.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 12.11.03 - Az.: 8 Ca 333/03 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit der am 06.06.03 erhobenen Kündigungsschutzklage wehrt sich der Kläger gegen eine schriftliche Kündigung der Beklagten vom 22.05. zum 30.09.03.

Der am 07.09.1959 geborene Kläger ist verheiratet und Vater zweier unterhaltsberechtigter Kinder. Er ist gelernter Elektroinstallateur.

Ab dem 03.02.1997 stand er mit der Beklagten, welche Automobile herstellt, in einem Arbeitsverhältnis als Karosserieschlosser im Bereich: "Karosseriebau-Rohbau" zu einem monatlichen Bruttoentgelt von etwa Euro 2.700,00. Im April 1999 erlitt er einen Bandscheibenvorfall. Im August 1999 nahm er seine Arbeit bei der Beklagten wieder auf. Ab Anfang Januar 2001 arbeitete der Kläger in der sog. PVC-Nahtabdichtung.

Infolge einer neuerlichen Bandscheibenerkrankung war der Kläger ab dem 14.11.01 bis zum Zeitpunkt der Kündigung dauernd erkrankt. Zunächst wurde er bis zum 27.12.01 von einem Rehabilitationsträger ambulant und sodann vom 12.12.02 bis zum 16.01.03 stationär behandelt und im Anschluß an eine Kurmaßnahme im Februar 2003 als arbeitsunfähig entlassen. Gegenüber einer Personalbetreuerin der Beklagten äußerte der Kläger Ende Februar 2003, dass er sich zur Zeit eine Wiederaufnahme seiner Tätigkeit aufgrund seines Kreuz- und Bandscheibenleidens nicht vorstellen könne und erwähnte die Möglichkeit einer Operation in der "Charité", auch erwog er die Beantragung einer Erwerbsunfähigkeitsrente.

Am 13.05.03 erstellte der Werksarzt der Beklagten, Herr Dr. med. D. F., eine arbeitsmedizinische Beurteilung mit folgender Abschlußbewertung:

"Aufgrund des Gesamtverlaufs ist aus arbeitsmedizinischer Sicht und Erfahrung mit einer Arbeitsfähigkeit von Herrn H. für die verfügbaren Tätigkeiten in absehbarer Zeit nicht zu rechnen und somit von einer ungünstigen Zukunftsprognose auszugehen".

Mit Anhörungsbogen vom 14.05.03 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt kündigen zu wollen. Sie verwies hierbei auf den Befund des Werksarztes und verneinte die Verfügbarkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes außerhalb der Produktion. Zu den Angaben zur Person des Klägers führte sie aus, dass er nicht schwerbehindert sei und laut Steuerkarte keine Kinder habe.

Der Betriebsrat widersprach am 21.05.03 dieser Kündigungsabsicht mit dem Hinweis, der Kläger habe einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter beim Versorgungsamt gestellt, so dass er dem besonderen Schutz für Schwerbehinderte und Gleichgestellte nach § 85 SGB IX genieße.

Tatsächlich hat der Kläger am 19.05.2003 einen solchen Antrag gestellt.

Mit Bescheid vom 27.05.03 wurde er als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behindung von 30 % seit dem 01.01.02 anerkannt. Am 28.05.03 stellte er einen Erhöhungsantrag. Mit Bescheid des Arbeitsamtes vom 08.08.03 wurde er - mit Rückwirkung zu 28.05.03 - einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Hiergegen führt er - soweit ersichtlich - Klage mit dem Ziel, als schwerbehinderter Mensch zu einem Grad der Behinderung von mindestens 50 % anerkannt zu werden.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, wegen seines Wirbelsäulenleidens nicht mehr in der Lage zu sein, die bislang verrichteten Abdichtungsarbeiten weiterhin zu versehen. Allerdings hätte die Kündigung vom 22.05.03 vermieden werden können. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits vorhersehbar gewesen, dass zum Jahresende 03 ein Arbeitsplatz im Lager der Abteilung WSI freiwerde. Derartige Lagerarbeiten könne er verrichten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.05.2003 nicht beendet wird.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Aufgrund der Untersuchung des Werksarztes Dr. F. vom 13.05.03 und der eigenen Angaben des Klägers stehe fest, dass er mit Sicherheit nicht wieder seine Arbeitsfähigkeit zurückerlangen werde. Die Kündigung hätte auch nicht durch eine Umsetzung in die Abteilung WSI vermieden werden können. Die dort anfallenden Lagerarbeiten seien vom Kläger nicht zu bewältigen, weil dort schwere Lasten bewegt werden müssten. Der Beklagten sei eine weitere Überbrückung des Ausfalles des Klägers nicht mehr zumutbar. In der Abteilung Karosseriebau sei nämlich der Einsatz qualifizierten Personals geboten.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.11.03 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass angesichts der 30-monatigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass sich dieser Zustand in absehbarer Zeit ändere. Der Kläger habe auch nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, aus welchen Gründen er sich in der Lage sehe, trotz Bestehens seines Wirbelsäulenleidens körperlich belastende Lagerarbeiten auszuführen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagziel weiter.

Er gesteht zu, in absehbarer Zeit wegen seiner Erkrankung im Produktionsbereich nicht mehr einsatzfähig zu sein. Den Einsatz als Lagerarbeiter in der Abteilung WSI verfolgt er nicht weiter. Allerdings behauptet er, dass er als Pförtner eingesetzt werden könne. Die Beklagte habe mehr als 20 Pförtnerstellen am 21.03.03 innerbetrieblich ausgeschrieben. Aufgrund seines Kuraufenthaltes habe er hiervon keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte wäre allerdings gehalten gewesen, ihn hiervon in Kenntnis zu setzen. In zwei Personalgesprächen, nämlich im Januar und im Februar 2003, habe die Beklagte es unterlassen, ihn auf diese Stellenausschreibungen hinzuweisen. Die Pförtnerstellen wären in Ansehung seines Leidens geradezu ideal für ihn gewesen. Den dortigen Anforderungen sei er durchaus gewachsen.

Außerdem sei der Betriebsrat falsch angehört worden. Mit Schreiben vom 14.05.03 habe die Beklagte den Betriebsrat nicht darüber informiert, daß er zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet sei. Die Beklagte habe das Gegenteil mitgeteilt.

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits vor Kündigungsausspruch seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch beantragt habe und derzeit deswegen Klage führe.

Der Kläger beantragt (ausweislich seiner Berufungsbegründung):

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 12.11.2003 wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Mai 2003 nicht beendet wurde.

Die Beklagte beantragt:

Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie stellt in Abrede, dass im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung eine Pförtnerstelle freigewesen sei. Die meisten Stellen seien bereits am 24.04.03 und der Rest zu Anfang Mai 2003 besetzt worden. Die Schulung der Pförtner habe bereits am 26.05.03 begonnen. Dem Kläger hätte es freigestanden, sich auf eine der innerbetrieblich ausgeschriebenen Pförtnerstellen zu bewerben. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger eine derartige Stelle von sich aus anzubieten. Im Übrigen seien die Anforderungen an einen Pförtner - und damit die Vergütung - weitaus geringer als die an einen Karosseriebauer. Schließlich sei der Kläger hierfür deswegen nicht geeignet, weil Pförtner von Fall zu Fall Fußwege zurückzulegen hätten und auch Temperaturschwankungen ausgesetzt seien. Dies sei mit seinem Leiden nicht vereinbar.

Der Betriebsrat sei korrekt unterrichtet worden. Der Kläger habe im Jahre 2003 eine Lohnsteuerkarte eingereicht, in der seine beiden Kinder nicht aufgeführt seien. Demgemäß habe die Beklagte den Betriebsrat zutreffend informiert mit der - unstreitigen - Angabe: "Kinder laut Steuerkarte keine". Den Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 28.05.03 habe die Beklagte nicht beachten müssen. Zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung sei der Kläger einem schwerbehinderten Menschen noch nicht gleichgestellt gewesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.04.04 haben die Parteien keine Klaganträge gestellt. Sie haben sich anschließend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

1.

Die fristgerecht eingelegte und ausgeführte Berufung des Klägers ist nicht begründet.

a.)

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass eine langandauernde Erkrankung eines Arbeitnehmers eine personenbedingte Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG dann begründen kann, wenn die Arbeitsunfähigkeit bei Zugang der Kündigung noch andauert und der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit objektiv nicht absehbar ist (BAG 25.11.1982 - Az.: 2 AZR 140/81 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, unter B I, 2 der Entscheidungsgründe).

Neben der - vorliegend bestehenden - Arbeitsunfähigkeit hat eine derartige Kündigung weiter zur Voraussetzung, dass der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit objektiv nicht vorhersehbar ist und dass gerade diese Ungewissheit zu unzumutbaren betrieblichen Auswirkungen führt. Maßgeblich sind die objektiven Umstände im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass wegen der Erkrankung des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung eine Einsatzmöglichkeit im bisher wahrgenommenen Produktionsbereich nicht mehr möglich ist. Die negative Prognose hinsichtlich des weiteren Verlaufes der Krankheit wird zwar nicht bereits durch die subjektive Einschätzung des Klägers, aber dafür um so mehr durch die medizinische Untersuchung des Werksarztes vom 13.05.03 und den hierauf gegründeten Bericht gestützt. Der Kläger hat sich gegen die Verwertung dieser Beurteilung durch die Beklagte nicht verwahrt und sich insbesondere nicht darauf berufen, der Werksarzt Dr. F. habe seine ärztliche Schweigepflicht verletzt. Die rechtswirksame Einwilligung des Klägers zur Zeit der Weiterreichung an die Beklagte und den Betriebsrat ist zu vermuten.

Zwischen den Parteien ist ebenso unstreitig, dass durch die bisherige Erkrankung und ihre Dauer eine erhebliche Beeinträchtigung der Betriebsabläufe eingetreten ist und dass die Beklagte gehalten ist, die bisher angestellten Überbrückungsmaßnahmen zugunsten einer dauerhaften Neubesetzung des Arbeitsplatzes des Klägers zu beenden.

Streitig ist in tatsächlicher Hinsicht allein, ob im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung ein milderes Mittel bestanden hatte, die an sich zulässige Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwenden. Im Allgemeinen besteht in der Tat eine Arbeitgeberverpflichtung, zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer einen freien leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten. Maßgeblich sind dabei wiederum die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt muß ein entsprechender Arbeitsplatz frei gewesen sein, zumindest alsbald frei werden.

Im vorliegenden Fall war dies unstreitig nicht mehr der Fall, als die Beklagte die Kündigung aussprach. Nicht einmal zum Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrates am 14.05.03 war noch eine freie Pförtnerstelle zur Besetzung frei. Der Kläger hat auch die Behauptung der Beklagten nicht bestritten, dass die überwiegende Anzahl der mehr als 20 ausgeschriebenen Pförtnerstellen bereits bis zum 24.04.03, also einen Monat vor Kündigungsausspruch und ein verbleibender kleiner Rest sodann Anfang Mai, also etwa 2 bis 3 Wochen vor Kündigungsausspruch endgültig besetzt worden war.

Eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht der Beklagten, aus eigenem Antrieb dem Kläger eine dieser Pförtnerstellen anzubieten - diese Frage hat nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung - hätte die Beklagte allenfalls dann gehabt, wenn sie bereits zu dem Zeitpunkt, als diese Stellen noch nicht anderweitig vergeben waren, ernsthaft erwogen hätte, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Hierfür sprechen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Kläger behauptet dies auch nicht ausdrücklich. Insbesondere trägt er nicht vor, dass die Beklagte bereits zur Zeit der Personalgespräche von Januar und Februar des selben Jahres zur Kündigung entschlossen war. Zu dieser Zeit gab es die Ausschreibung der Pförtnerstellen noch nicht; es spricht auch keine Vermutung dafür, dass zu dieser Zeit die Beklagte überhaupt entsprechende Überlegungen angestellt hatte. Vielmehr liegt es näher anzunehmen, dass erst der Werksarztbericht vom 13.05.03 den Ausschlag gab, am folgenden Tage das Kündigungsverfahren durch Anhörung des Betriebsrates einzuleiten.

Aus diesem Grund kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger trotz seiner Bandscheibenbeschwerden in der Lage sein würde, den Anforderungen an eine Pförtnertätigkeit zu genügen.

b.)

Der Kündigung steht nicht entgegen, dass die Beklagte dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat, dass der Kläger tatsächlich zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist. Die Beklagte durfte sich nach Lage der Dinge auf die vom Kläger stammenden Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen. Es sprechen keine Gesichtspunkte dafür, dass die Beklagte positiv um die zweifache Unterhaltsverpflichtung wusste. Nach den Grundsätzen einer sog. subjektiven Determination war die Anhörung nicht fehlerhaft; danach kommt es darauf an, welche subjektiven Erwägungen den Arbeitgeber motivieren, die Kündigung auszusprechen. Nur diese Umstände muß er dem Betriebsrat mitteilen.

c.)

Die abschließende Interessenabwägung konnte nicht zugunsten des Klägers ausfallen. Die bisherige Dauer der Erkrankung war in Ansehung der kaum mehr als sechsjährigen Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig lang. Im Allgemeinen wäre eine bestehende Schwerbehinderung im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung zugunsten des Klägers zu berücksichtigen (BAG 20.01.2000 - Az.: 2 AZR 378/99 -). Allerdings war der Kläger zu diesem im Zeitpunkt nicht schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX. Dies weist der Bescheid des Versorgungsamtes vom 27.05.03 aus. Auch die später attestierte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bestand zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung noch nicht, wie die nachstehenden Ausführungen unter d.) der Gründe deutlich machen. Allerdings ist im Rahmen der Interessenabwägung der Umstand mitzuberücksichtigen, dass der Kläger tatsächlich neben seiner Frau zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist (vgl. insoweit ebenfalls BAG 20.01.2000, a. a. O. unter B III 5 a.) der Entscheidungsgründe). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, dass im Rahmen der Interessenabwägung bei einer krankheitsbedingten Kündigung die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, insbesondere seiner Unterhaltspflichten in die Abwägung einzubeziehen sind. Je mehr Unterhaltspflichten den Arbeitnehmer treffen, desto höher ist seine soziale Schutzbedürfigkeit. Aus diesem Grunde hat das Bundesarbeitsgericht in der vorbezeichneten Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen zu prüfen ist, wie das Maß der Entgeltfortzahlungskosten des Arbeitgebers im Vergleich zu den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers ist (B III 5 a. dd). Im vorliegenden Fall führt die Gewichtung der gegenläufigen Interessen dazu, dass denen der Beklagten der Vorrang einzuräumen ist. Dies deswegen, weil die langandauernde Erkrankung des Klägers anders zu beurteilen ist als die Situation bei Kurzerkrankungen. Bei häufigen Kurzerkrankungen fällt die Arbeitsleistung des Klägers nur vorübergehend aus und begründet in der Regel immer wieder neu Lohnfortzahlungsverpflichtungen der Beklagten, während sie im vorliegenden Fall in tatsächlicher Hinsicht auf unabsehbare Zeit, wenn nicht aus Dauer, aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, ohne dass überhaupt noch Entgeltfortzahlungsansprüche entstehen.

d.)

Die Kündigung scheitert auch nicht an dem Zustimmungserfordernis von § 85 SGB IX. Danach bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nur dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer tatsächlich im Zeitpunkt der Kündigung schwerbehindert ist oder wenn er zumindest einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und diesem Antrag später mit Rückwirkung entsprochen wird. Eine Besonderheit besteht hinsichtlich der sog. gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer. Hier beginnt der besondere Kündigungsschutz nach § 2 Abs. 3 SGB IX erst durch den konstitutiv wirkenden Verwaltungsakt, in welchem die Anerkennung ausgesprochen wurde. Dies folgt aus § 68 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Allerdings wird nach § 68 Abs. 2 S. 2 SGB IX die Gleichstellung bereits mit dem Tag des Eingangs des entsprechenden Antrags wirksam (APS/Vossen, 2. Aufl., § 85 SGB IX Rndziff. 11). Im vorliegenden Fall erfolgte die Gleichstellung des Klägers durch Verwaltungsakt des Arbeitsamtes vom 08.08.03 mit Rückwirkung zum 28.05.03. Dies war in Ansehung des Kündigungsausspruchs vom 22.05.03 um wenige Tage verspätet (der Zugangszeitpunkt ist nicht mitgeteilt). Hieran ändert nichts die vom Kläger erhobene Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe. Sollte ihm im Klagewege künftig der Schwerbehindertenstatus zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung zuerkannt werden, besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Restitutionsklage.

Es sprechen keine tatsächlichen Gesichtspunkte für die Annahme, die Beklagte habe durch den Kündigungsausspruch vom 22.05.03 einem drohenden Gleichstellungsbeschluß zuvorkommen wollen. In diesem Falle hätte in der Tat die Kündigung wegen Bedingungsvereitelung gem. § 162 BGB am Zustimmungserfordernis scheitern können (so BAG, 07.03.2002 - Az.: 2 AZR 612/00). Zwar wusste die Beklagte ausweislich der Stellungnahme des Betriebsrates um die bereits erfolgte Antragstellung des Klägers vom 19.05.03, aber es sprechen in tatsächlicher Hinsicht keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Umgehungsabsicht. Der Kläger behauptet dies auch nicht.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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