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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: 17 Sa 14/03
Rechtsgebiete: SGB VII, ArbGG, BGB


Vorschriften:

SGB VII § 2 Abs. 1 Ziffer 1
SGB VII §§ 104 f.
SGB VII § 106 Abs. 3
SGB VII § 106 Abs. 3, 2. Alt.
ArbGG § 64 Abs. 2 b)
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 17 Sa 14/03

verkündet am 25.06.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 17. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Auweter, die ehrenamtliche Richterin Hübner und die ehrenamtliche Richterin Waning-Kölling auf die mündliche Verhandlung vom 25.06.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.12.02 - Az.: 19 Ca 2969/01 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schmerzensgeld und den Ersatz von Folgekosten wegen eines am 13.01.1999 in den Räumen ihrer Arbeitgeberin erlittenen Unfalls.

Der Beklagte Ziffer 3 ist Geschäftsführer, die Beklagten Ziffer 1 und 2 sind Möbelpacker einer Speditionsfirma, die im Auftrag der Arbeitgeberin der Klägerin einen Umzug durchführte. Die Aufgabe der Beklagten Ziffer 1 und 2 bestand darin, das von den Mitarbeitern der Arbeitgeberin der Klägerin verpackte und bereit gestellte Büromaterial zu verladen sowie die Büromöbel abzuschlagen und wegzutransportieren. Ob sie auch selbst Büromaterial verpackten, ist zwischen den Parteien streitig. Während am 13.10.1999 ca. 10 Mitarbeiter der Arbeitgeberin der Klägerin in den angrenzenden Räumen noch mit dem Verpacken und Bereitstellen des Büromaterials beschäftigt waren, entfernten die Beklagten Ziffer 1 und 2 zum Zwecke des Abtransports in dem Demonstrationsraum, der auch der Arbeitsplatz der Klägerin war, von einem aus vier Teilen bestehenden, L-förmig aufgestellten Raumteiler das der Stabilisierung dienende Seitenteil, so dass die verbleibenden drei Teile nur noch mittels einer Bodenschiene stabilisiert waren. Auf die Skizzen ABl. 14 und 122 der erstinstanzlichen Akte wird verwiesen. Ob die verbleibende Trennwand zusätzlich durch flach am Boden stehende Paletten abgesichert wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Während die Beklagten Ziffer 1 und 2 das Seitenteil verluden, begab sich die Klägerin gegen 8.50 Uhr aus einem angrenzenden Raum in den Demonstrationsraum um, wie sie in erster Instanz ausführte, nachzuschauen, ob alles Büromaterial eingepackt bzw. abtransportiert war. Als die Klägerin in einer Entfernung von ca. einem Meter an der Stellwand vorbeiging und sich etwa in deren Mitte befand, kippte diese auf die Klägerin, die dadurch erhebliche Verletzungen am rechten Bein erlitt. Auf den vorläufigen Entlassungsbrief des Krankenhauses vom 10.11.1999 (ABl. 12 der erstinstanzlichen Akte) wird Bezug genommen. Die Berufsgenossenschaft der Arbeitgeberin ist für die unfallbedingten Aufwendungen der Klägerin teilweise aufgekommen. Nicht ersetzt wurden weitere Aufwendungen der Klägerin für die Betreuung der Familie durch Hilfskräfte, Fahrt- und Telefonkosten während des stationären Krankenhausaufenthalts sowie weiterer Verdienstausfall.

Die Klägerin geht davon aus, dass die Beklagten Ziffer 1 und 2 grob fahrlässig ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt haben. Wegen des zu erwartenden Personenverkehrs hätte die Trennwand zunächst komplett zerlegt und so gelagert werden müssen, dass sie nicht hätte umstürzen können. Der Beklagte Ziffer 3 habe die Beklagten Ziffer 1 und 2 nicht hinreichend über ihre Verkehrssicherungspflichten unterrichtet bzw. überwacht.

Die Klägerin hat deshalb beantragt,

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.530,40 € sowie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 15.338,76 €, nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 22.02.2000.

Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Sie sehen in ihrem Verhalten keine schuldhafte Pflichtverletzung und berufen sich außerdem auf den Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat eine gemeinsame Betriebsstätte der Arbeitgeberin der Klägerin und der Speditionsfirma im Sinne des § 106 Abs. 3, 2. Alt. SGB VII angenommen und dies damit begründet, dass die im Rahmen des Umzugs vorgesehenen Tätigkeiten bewusst und gewollt ineinander gegriffen hätten. Die Klägerin sei bei einer mit dem Umzug unmittelbar zusammenhängenden Tätigkeit verletzt worden, als sie in ihrem Büro nachschaute, ob das gesamte Büromaterial verpackt bzw. bereits abtransportiert war.

Gegen das der Klägerin am 04.02.2002 zugestellte Urteil vom 16.12.2001 richtet sich deren am 03.03.2003 eingelegte und mit am 31.03.2003 bei Gericht eingereichtem Schriftsatz begründete Berufung, mit der die Klägerin die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des Klagantrags in erster Instanz begehrt. Sie ist der Auffassung, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht eine gemeinsame Betriebsstätte angenommen habe. Mit dem Verpacken und Bereitstellen des Büromaterials sei die Aufgabe der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin der Klägerin abgeschlossen gewesen. Es habe nicht zu deren Aufgaben gehört, den Abtransport durch die Speditionsfirma zu überwachen bzw. zu regeln. Insbesondere die Klägerin habe bereits am Vortag die Packarbeiten abgeschlossen gehabt und sich mehr oder minder zufällig und ohne Wissen und Willen ihres Arbeitgebers in den Demonstrationsraum begeben.

Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.12.2002 sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich des Beklagten Ziffer 3 im Ergebnis und hinsichtlich der Beklagten Ziffer 1 und 2 unter Hinweis auf § 106 Abs. 3 2. Alternative SGB VII zu Recht abgewiesen.

I.

Hinsichtlich des Beklagten Ziffer 3 fehlt es bereits an der schlüssigen Darlegung einer rechtswidrigen und schuldhaften Pflichtverletzung. Zwar obliegen dem Geschäftsführer der Speditionsfirma zweifellos Hinweis- und Überwachungspflichten auch im Hinblick auf die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten. Dass diese verletzt worden seien, hat die Klägerin nicht substanziiert dargelegt, geschweige denn unter Beweis gestellt. Der Beklagte Ziffer 3 hat insoweit vortragen lassen, dass es sich bei den Beklagten Ziffer 1 und 2 um erfahrende, seit 8 bzw. 10 Jahren bei der Speditionsfirma tätige Arbeitnehmer handle. Sie seien nicht nur im Umzugsbereich, sondern insbesondere auch im Schwerguttransportbereich tätig. Er überwache seine Mitarbeiter als Geschäftsführer regelmäßig und stichprobenartig. Da es in all den Jahren noch nie zu einem vergleichbaren Unfall gekommen sei, habe keine gesteigerte Hinweis- oder Überwachungspflicht im konkreten Fall bestanden. Hierauf hat sich die Klägerin nicht weiter eingelassen.

II.

Hinsichtlich der Beklagten Ziffer 1 und 2 kann dahinstehen, ob diese durch die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung von Verkehrssicherungspflichten gegenüber der Klägerin gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB zum Ersatz des aus der Körperverletzung resultierenden Personenschadens und zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet sind. Denn deren Haftung ist gemäß § 106 Abs. 3, 2. Alt. SGB VII ausgeschlossen.

1. Gemäß § 106 Abs. 3, 2. Alt. SGB VII gelten die §§ 104 f. SGB VII für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Gemäß §§ 104 f. SGB VII ist die Haftung für durch eine betriebliche Tätigkeit verursachte Personenschäden grundsätzlich auf die Fälle beschränkt, in denen der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt wird. Letzteres behauptet die Klägerin nicht.

2. Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3, 2. Alt. SGB VII liegen vor.

a) Sowohl die Klägerin wie die Beklagten Ziffer 1 und 2 sind versicherte Personen - hier gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VII -, was dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend als Voraussetzung für den Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII angesehen wird (Ricke, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht (2003) § 106 SGB VII, Rn. 11).

b) Das Merkmal "vorübergehend" ist erfüllt; es bringt nur zum Ausdruck, dass die vorübergehende Verrichtung von Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausreicht und dass das Zusammenwirken mehrerer Unternehmen nicht auf eine bestimmte Dauer angelegt sein muss (Ricke, a.a.O. Rn. 10).

c) Die Klägerin und die Beklagten Ziffer 1 und 2 verrichteten ihre Tätigkeit auch auf einer gemeinsamen Betriebsstätte.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3, 2. Alt. SGB VII vor, wenn "betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen (vorliegen), die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen". Die gemeinsame Betriebsstätte kann dabei das Betriebsgelände eines der beteiligten Unternehmen sein (BAG, Urteil vom 12.12.2002 - 8 AZR 94/02 NJW 2003, 1891, DB 2003 725). Damit folgt das Bundesarbeitsgericht der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung, die einerseits unter Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers keine in gemeinsamer Organisation und Verantwortung geführte Betriebsstätte fordert, andererseits eine örtlich gleiche Arbeitsstelle als zu weitgehend ablehnt (BGH, Urteil 17.10.2000, VI ZR 67/00 - BGHZ 145, 331; Urteil vom 23.01.2001 - VI ZR 70/00 - AP Nr. 2 zu § 106 SGB VII; Urteil vom 03.07.2001 - VI ZR 284/00 - BGHZ 148, 214). Ausdrücklich wird keine gemeinsame Zweckverfolgung gefordert; durch das bewusste und gewollte Verknüpfen der Tätigkeiten wird jedoch jedenfalls die Verständigung auf ein "Nahziel" verlangt (Otto, Die BGH-Rechtsprechung zur Haftungsbefreiung beim Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte, NZV 2002, 10 ff.). Die Verständigung kann stillschweigend durch bloßes Tun erfolgen. Sie muss allerdings auf Unternehmensebene stattfinden mit der Folge, dass die den Unfall verursachende Tätigkeit in den Aufgabenbereich beider Unternehmen fällt (BGH, Urteil vom 03.07.2001, a.a.O.; Otto, a.a.O., Seite 11). Demgegenüber liegt keine gemeinsame Betriebsstätte vor, wenn die Beteiligten "sich nur zufällig, ohne eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit über den Weg laufen" (BAG, Urteil vom 12.12.2002, a.a.O. unter II. 3 d der Gründe; BGH, Urteile von 17.10.2000 und 23.01.2001, a.a.O.; offen gelassen in BGH, Urteil vom 03.07.2001, a.a.O.).

(2) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Kammer das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht bejaht. Die Aktivitäten der Klägerin und der Beklagten Ziffer. 1 und 2 am 13.01.1999 trafen nicht zufällig aufeinander. Während die Klägerin und ihre Kollegen das Umzugsgut zu verpacken hatten, war es Aufgabe der Beklagten Ziffer 1 und 2, dieses sowie darüber hinaus die Möbel aus den Räumen wegzutransportieren. Zum Zwecke dieser Tätigkeit hielten die Klägerin und ihre Kollegen sich mit Wissen und Wollen ihrer Arbeitgeberin in den Räumen auf, selbst wenn das Büromaterial der Klägerin bereits am Vortag verpackt war. In diesem Zusammenhang begab sich die Klägerin auch in ihr bisheriges Büro, um "zu sehen, ob sie nichts vergessen hat". Daraus ergibt sich auch ohne dahingehende ausdrückliche Absprache der Unternehmen untereinander als gemeinsames Ziel die (möglichst zügige und reibungslose) Abwicklung des Umzugs. Dieses begründet die den Haftungsausschluss des § 106 Abs. 3 SGB VII rechtfertigende Gefahrengemeinschaft zwischen der Klägerin einerseits und den Beklagten Ziffer 1 und 2 andererseits. Eine seitens ihrer Arbeitgeberin übertragene Aufsichtsfunktion der Klägerin über die Beklagten Ziffer 1 und 2 ist für die Verknüpfung der Tätigkeiten deshalb nicht erforderlich.

d) Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn sie unmittelbar mit dem Betriebszweck zusammenhängt (Ricke, a.a.O., Rn. 6). Für die Beklagten Ziffer 1 und 2 ergibt sich dieser Zusammenhang bereits aus dem Betriebszweck des Unternehmens selbst und aus dem Umstand, dass der durch die Beklagten Ziffer 1 und 2 möglicherweise durch pflichtwidriges Unterlassen verursachte Schaden sich bei einer im Rahmen des Umzugs anfallenden Tätigkeit ereignete. Auch für die Klägerin lag durch ihre Einbeziehung in den Umzugsablauf eine betriebliche Tätigkeit vor. Richtig ist zwar, dass das Abschlagen (und damit die Sicherung) der Trennwand selbst nicht zu den Aufgaben der Klägerin im Zusammenhang mit dem Umzug gehörte. Die in den Aufgabenbereich beider Unternehmen fallende betriebliche Tätigkeit ist jedoch nicht in dem Sinne zu verstehen, dass auf die einzelne, konkret den Unfall verursachende Handlung bzw. Unterlassung abzustellen ist. Nach dem Gesetzeswortlaut sind betriebliche Tätigkeiten auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" erforderlich, nicht aber "gemeinsame betriebliche Tätigkeiten". "Betriebliche Tätigkeiten" in diesem Sinne bedeutet deshalb, dass die Aktivitäten der auf der gemeinsamen Betriebsstätte Tätigen einen Bezug zu der gemeinsamen Betriebsstätte haben müssen. Dieser ist hier gegeben.

III.

Die Berufung der Klägerin war deshalb zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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