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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 28.05.2008
Aktenzeichen: 17 Sa 55/07
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
ArbGG § 64 Abs. 2 b
BGB § 308 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen, vom 12.10.2007, Az.: 13 Ca 498/06, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger mehr als EUR 4.496,73 brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden überschießenden Betrag in Höhe von EUR 1.562,29 seit dem 23.07.2007 zu bezahlen.

2. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 25 %, die Beklagte 75 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten, soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse, darüber, ob die Beklagte eine bislang über den Tariflohn hinaus gewährte Zulage mit der Tariflohnerhöhung ab 01.05.2004 verrechnen durfte.

Der Kläger ist seit 01.06.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Teiledienstmitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Anerkennungstarifvertrag vom 01.11.2005 die Tarifverträge des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg mit Stand vom 31.12.2004 Anwendung. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Der Kläger erhielt bis zum 30.04.2004 einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von EUR 2.254,59, der sich aus dem tariflichen Entgelt der Beschäftigungsgruppe II sowie einer übertariflichen Zulage in Höhe von EUR 56,81 zusammensetzte. Ab 01.05.2004 erhöhte sich der Tariflohn des Klägers um EUR 65,55. Diese Lohnerhöhung verrechnete die Beklagte, wie bei allen anderen Arbeitnehmern auch, mit der übertariflichen Zulage. Der Betriebsrat wurde dabei nicht beteiligt.

Mit der Klage beansprucht der Kläger unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Ausschlussfristen die Weiterzahlung der übertariflichen Zulage seit Dezember 2004 bis - mit einzelnen Unterbrechungen - einschließlich Juni 2007 in rechnerisch unstreitiger Höhe von EUR 1.562,29. Er hält die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage ohne Beteiligung des Betriebsrats für unzulässig.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, weil es die Verrechnung wegen Verstoßes gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG für unwirksam gehalten hat. Es ist davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, dass die Anrechnung der Tariflohnerhöhung zum vollständigen Wegfall aller Zulagen geführt habe; verbleibe auch nur einem Arbeitnehmer eine Zulage, ergebe sich eine Veränderung der innerbetrieblichen Verteilungsgrundsätze, was das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auslöse. Hinsichtlich des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil vom 12.10.2007 Bezug genommen.

Gegen diese der Beklagten am 30.10.2007 zugestellte Entscheidung richtet sich deren am 30.11.2007 eingelegte und innerhalb der bis 31.01.2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit bei Gericht am 30.01.2008 eingegangenem Schriftsatz ausgeführte Berufung. Sie geht davon aus, dass die Maßnahme ohne Mitbestimmung des Betriebsrats vorgenommen werden konnte, weil im gesamten Betrieb H. der Beklagten bei allen Mitarbeitern die Tariflohnerhöhung auf die freiwillige Zulage angerechnet wurde, soweit dies vertraglich möglich war. Lediglich bei zwei Mitarbeitern werde weiterhin eine ungekürzte, übertarifliche Funktionszulage als Sicherheitsfachkraft gezahlt.

Die Beklagte beantragt deshalb,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 12.10.2007, Aktenzeichen: 13 Ca 498/06, abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger mehr als 4.496,73 EUR brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden überschießenden Betrag in Höhe von 1.562,29 EUR seit dem 23.07.2007 zu bezahlen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er verteidigt die Ausführungen des Arbeitsgerichts und weist ausdrücklich darauf hin, dass die Beklagte das nach der Verrechnung der Tariflohnerhöhung verbleibende Zulagevolumen in Höhe von rund 2.000,00 EUR nur unter Beteiligung des Betriebsrats habe verteilen dürfen, weil sich durch die prozentual unterschiedlichen Verrechnungshöhen die Verteilungsgrundsätze geändert haben.

Hinsichtlich des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe: I.

Die gem. § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung der vertraglich vereinbarten übertariflichen Zulage.

1. Die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage war individualrechtlich möglich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber eine Tariflohnerhöhung grundsätzlich auf übertarifliche Zulagen anrechnen, sofern dem Arbeitnehmer die Zulage nicht vertraglich als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt war. Dies gilt selbst dann, wenn die Zulage weder als freiwillig noch als jederzeit widerrufbar bezeichnet wurde (BAG, Urteil vom 21.01.2003, 1 AZR 125/02, AP Nr. 118 zu § 87 BetrVG 1972 - Lohngestaltung, m.w.N.).

2. Die Anrechnung ist auch nicht aus kollektivrechtlichen Gründen unwirksam. Zwar führen Fehler im Mitbestimmungsverfahren nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dazu, dass auch die individualrechtliche Umsetzung der Maßnahme unwirksam ist (zuletzt BAG, Urteil vom 29.01.2008, 3 AZR 42/06, n.v., juris Rn. 23; BAG, Urteil vom 02.03.2004, 1 AZR 271/03, AP Nr. 31 zu § 3 TVG, NZA 2004, 812, juris Rn. 40 f.). Die Beklagte hat jedoch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen mitzubestimmen, wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Anrechnung unterliegt deshalb dann nicht der Mitbestimmung, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt oder wenn die Tariflohnerhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird (BAG, Urteil vom 21.01.2003, 1 AZR 125/02, a.a.O., juris Rn. 38 m.w.N.).

b) Danach stand dem Betriebsrat im vorliegenden Fall kein Mitbestimmungsrecht zu.

(1) Zwar kann mit dem Kläger davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage der Arbeitnehmer der Beklagten um eine generelle (kollektive) Maßnahme handelt, durch die sich das Verhältnis der verbleibenden (und nicht verbleibenden) Zulagen untereinander, mithin die Verteilungsgrundsätze geändert haben. Während bei einem Teil der Arbeitnehmer die Zulage vollständig aufgezehrt wurde, mussten die übrigen Anrechnungen in unterschiedlicher Höhe hinnehmen.

(2) Für ein Mitbestimmungsrecht ist aber trotzdem kein Raum, weil für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung der Zulagen kein Regelungsspielraum bestand. Nach der Grundsatzentscheidung des großen Senats vom 03.12.1991 (GS 2/90, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 - Lohngestaltung, NZA 1992, 749, juris Rn. 99 ff.) ist dies nicht nur der Fall, wenn überhaupt kein Zulagenvolumen mehr vorhanden ist, sondern auch dann, wenn der Änderung der Verteilungsgrundsätze rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Dies ist bei der vollen und gleichmäßigen Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulagen aller Arbeitnehmer der Fall, weil dem Arbeitgeber jede weitere Gestaltungsmöglichkeit fehlt, mehr als die Tariflohnerhöhung anzurechnen. Der Arbeitgeber müsste nämlich einen Teil der übertariflichen Zulagen über die volle Anrechnung hinaus kürzen, um überhaupt eine andere Verteilung vornehmen zu können. Dazu ist er aber nicht berechtigt, weil der einzelne Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch darauf hat, dass ihm nach einer Tariflohnerhöhung zumindest die um die Tariflohnerhöhung gekürzte Zulage weiter gezahlt wird. Diesen Anspruch kann der Arbeitgeber nur durch eine Änderungskündigung beseitigen, für deren Wirksamkeit der bloße Umverteilungswille des Arbeitgebers nicht ausreicht.

Selbst wenn die Beklagte sich bei einem Teil der Arbeitnehmer - wie bei dem Mitarbeiter B. (Arbeitsvertrag ABl. 95 ff. der erstinstanzlichen Akte) den jederzeitigen Widerruf einer freiwillig gewährten Zulage vorbehalten hat, gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar hätte der Arbeitgeber dann aufgrund des Widerrufsvorbehalts grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum. Der große Senat geht aber bei einem Widerruf anlässlich einer Tariflohnerhöhung davon aus, dass der Arbeitgeber mit einer auf die Tariflohnerhöhung beschränkten Ausübung des Widerrufsrechts den Arbeitnehmern den bisherigen Besitzstand hinsichtlich der übertariflichen Zulage garantiert, der Widerruf im Ergebnis also nicht anders als eine Anrechnung wirkt.

(3) Aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.04.1997 (1 ABR 77/96, AP Nr. 88 zu § 87 BetrVG 1972 - Lohngestaltung, NZA 1997, 1059, juris Rn. 24 ff.) ergibt sich nichts Anderes. Den Spielraum des Arbeitgebers, den gekürzten Dotierungsrahmen anders zu verteilen, leitet das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung zwar aus einem vertraglichen Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs der außertariflichen Zulagen her.

Abgesehen davon, dass diese Entscheidung sich nicht auf die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung, sondern auf die Anrechnung einer Höhergruppierung bezog (zur Differenzierung Rn. 28), ist ein unbeschränkter Widerrufsvorbehalt gem. § 308 Nr. 4 BGB in der Fassung vom 02.01.2002 unwirksam, weil Voraussetzungen und Umfang der vorbehaltenen Vertragsänderung konkretisiert werden müssen (BAG, Urteil vom 11.10.2006, 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, juris Rn. 29). Auch über die ergänzende Vertragsauslegung in sogenannten "Altfällen" käme man deshalb allenfalls zu einem Widerruf anlässlich und in Höhe einer Tariflohnerhöhung.

(4) Dass der Arbeitgeber die übertarifliche Zulage bei allen Arbeitnehmern auf die Tariflohnerhöhung angerechnet hat, ergibt sich aus der insoweit vom Kläger nicht bestrittenen Aufstellung der Beklagten (Anlage B1 zum Schriftsatz vom 29.01.2008). Soweit die Arbeitnehmer B. und S. weiterhin eine ungekürzte Zulage als Sicherheitsfachkräfte erhalten, scheidet eine Anrechnung aus, weil diese Zulage als selbständiger Entgeltbestandteil funktionsabhängig neben dem Tarifentgelt zugesagt war. Das ergibt sich bei dem Mitarbeiter B. aus dem erstinstanzlich vorgelegten Arbeitsvertrag (ABl. 97 der erstinstanzlichen Akte). Ob dem Arbeitnehmer S., der keinen schriftlichen Arbeitsvertrag hat, neben der gem. Anlage B1 angerechneten übertariflichen Zulage auch eine entsprechende Funktionszulage gewährt wird, was sich aus der Anlage B1 nicht ergibt, kann dahinstehen. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass der Mitarbeiter S. als Sicherheitsfachkraft eingesetzt wird. Eine gegebenenfalls gezahlte Funktionszulage wäre deshalb nicht anrechenbar.

II.

Die Klage war deshalb abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger mehr als EUR 4.496,73 brutto nebst Zinsen seit 23.07.2007 zu bezahlen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Erstinstanzlich waren EUR 6.059,02 brutto im Streit, von denen dem Kläger EUR 4.496,73 zugesprochen wurden. Von den erstinstanzlichen Kosten haben der Kläger deshalb 25 %, die Beklagte 75 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der im Berufungsverfahren unterlegene Kläger alleine.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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