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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: 17 Sa 59/02
Rechtsgebiete: KSchG, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 9
KSchG § 10
ArbGG § 64 Abs. 2 c)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 17 Sa 59/02

verkündet am 12.03.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 17. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Auweter, den ehrenamtlichen Richter Dannenmann und den ehrenamtlichen Richter Wagener auf die mündliche Verhandlung vom 12.03.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 15.10.2002 - Aktenzeichen 4 Ca 243/02 - wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag der Beklagten, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 05.02.1957 geborene, geschiedene Kläger ist seit November 1977 als Betriebsschlosser bei der Beklagten beschäftigt. Er verdient durchschnittlich €2.840,00 brutto. Die Beklagte, bei der ein Betriebsrat besteht, beschäftigt mehr als 5 Arbeitnehmer ohne Auszubildende.

Seit Mai 2001 wartete der Kläger auf Anweisung seines Vorgesetzten u.a. die Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage in der Abteilung Betriebstechnik, einem sogenannten Fachbetrieb gemäß Wasserhaushaltsgesetz. Der Kläger wurde deshalb im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und speziell im Umgang mit der Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage mehrfach geschult. Das als Kühlemulsion verwendete Wasser-Öl-Gemisch muss in periodischen Abständen wegen der Verdunstungsverluste mit Wasser aufgefüllt werden. Am Vorratsbehälter befindet sich ein Schwimmersicherheitsventil, welches den Wasserzufluss bei einem bestimmten Füllstand unterbricht, um ein Überlaufen zu verhindern.

Am 05.03.2002 nahm der Kläger wie üblich um 7.00 Uhr seinen Dienst auf. Ab 14.30 Uhr bis 17.00 Uhr hatte er Bereitschaftsdienst. Gegen 16.00 Uhr öffnete er den Wasserzuflusshahn an der Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage, um den Behälter aufzufüllen. Dabei setzte er das Schwimmersicherheitsventil durch Einsetzen eines Holzstückes außer Funktion. Dies erklärt er damit, dass das Ventil seit Anfang Februar insoweit defekt war, als es jedes Mal beim Öffnen des Wasserzuflusshahns heftig ausschlug, wodurch u.a. auch das Einfüllen des Wasser sich erheblich verzögerte. Auf den Defekt hatten der Kläger und ein Kollege wiederholt hingewiesen. Während des zirka 15 Minuten dauernden Einfüllvorgangs verließ der Kläger aus ihm heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die Anlage und begab sich zur Schlammfilteranlage, um andere Arbeiten zu verrichten. Dabei vergaß er den Wasserzuflusshahn abzustellen und verließ gegen 17.00 Uhr den Betrieb. Um zirka 23.45 Uhr entdeckte ein anderer Mitarbeiter der Beklagten, dass der Behälter der Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage überlief. Zu diesem Zeitpunkt war die Emulsion bereits über ein 25 m3 fassendes Auffangbecken teilweise in die Kanalisation gelangt, konnte jedoch abgefangen werden, bevor die biologische Stufe der Kläranlage beeinträchtigt werden konnte. Die Höhe des der Beklagten dadurch entstandenen Schadens, den sie mit € 8.274,66 beziffert, ist streitig.

Nach Anhörung des Betriebsrats am 11.03.2002 (auf ABl. 38 f. der erstinstanzlichen Akte wird Bezug genommen), der zu der beabsichtigten Kündigung Bedenken äußerte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 20.03. ordentlich zum 31.10.2002.

Der Kläger rügt, dass dem Betriebsrat nichts von einem defekten Schwimmerventil mitgeteilt worden sei und hält die Kündigung im Übrigen für unverhältnismäßig. Er weist darauf hin, dass er sich zu fraglichem Zeitpunkt wegen eines Scheidungsverfahrens in einer privaten Lebenskrise befunden habe. Er hat deshalb beim Arbeitsgericht am 08.04.2002 Kündigungsschutzklage erhoben, die er mit einem Weiterbeschäftigungsantrag verbunden hat.

Die Beklagte hält die aus Bequemlichkeit begangene, vorsätzliche Pflichtverletzung des Klägers für so schwerwiegend, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sei.

Mit Urteil vom 15. 10. 2002 hat das Arbeitsgericht hat entschieden:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.03.2002 zum 31.10.2002 beendet wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Betriebsschlosser im Betrieb der Beklagten weiter zu beschäftigen.

Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 25.10.2002 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 20.11.2002 eingelegten und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 27.01.2003 rechtzeitig ausgeführten Berufung. Sie rügt die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung, weil insbesondere der Aspekt der persönlichen Lebenskrise nicht mit einbezogen werden dürfe. Darüber hinaus geht sie davon aus, dass durch den Vorfall Gründe gegeben seien, die eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten ließen. Sie beantragt deshalb

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 15.10.2002, Az: 4 Ca 243/02, wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Hilfsweise: Das Arbeitsverhältnis wird gemäß §§9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung und des Auflösungsantrags. Er weist darauf hin, dass die Wartung der Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage nicht zu seinen Hauptpflichten gehöre und dass die diesbezüglichen Schulungen sich in kurzzeitigen Besprechungen erschöpft hätten. Er weist weiter darauf hin, dass ein Vorfall im Jahr zuvor, bei dem 4500 Liter Öl in die Kanalisation liefen, keine personellen Konsequenzen gehabt habe.

Seit November 2002 arbeitet der Kläger in der aus der Abteilung Betriebstechnik ausgegliederten Abteilung Schlosserei, in der er keine Sicherheits- und Überwachungsfunktionen mehr erfüllen muss.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist ebenso unbegründet (l.) wie der Auflösungsantrag (II.).

I.

Das Arbeitsgericht hat mit im Ergebnis zutreffenden Erwägungen die Kündigung vom 20.03.2002 für sozial ungerechtfertigt angesehen.

1. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass das im Leistungsbereich liegende Fehlverhalten des Klägers grundsätzlich als Kündigungsgrund geeignet ist. Der Kläger hat es nicht nur fahrlässig unterlassen, den Wasserzuflusshahn wieder abzustellen, sondern er hat auch vorsätzlich den gerade für einen solchen Fall vorgesehenen Sicherheitsmechanismus außer Funktion gesetzt, indem er das Abschalten des Schwimmersicherheitsventils durch Einlegen eines Holzstückes verhinderte. Ungeachtet der Qualität der im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen im Allgemeinen und mit der Kühlschmierstoff-Emulsionsanlage im Besonderen erfolgten Schulungen war dem Kläger die Tragweite seines Handelns bewusst, was er auch nicht in Abrede stellt.

2. Das Arbeitsgericht konnte dahinstehen lassen, ob bei einer vorsätzlichen Pflichtverletzung der vorliegenden Art eine Abmahnung deshalb nicht erforderlich war, weil der Kläger aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung ohne weiteres hätte erkennen können, dass die Hinnahme dieses Verhaltens für die Beklagten ausgeschlossen sei. Denn das Interesse des Klägers am Erhalt des Arbeitsplatzes überwiegt im vorliegenden Fall das Beendigungsinteresse der Beklagten.

a) Zu Gunsten der Beklagten spricht zwar, dass sie im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Vorgaben zum Umweltschutz in besonderem Maße darauf angewiesen ist, dass ihre Mitarbeiter die Anweisungen bei der Handhabung potentiell wassergefährdender Stoffe beachten und insbesondere zu diesem Zweck vorgesehene Sicherheitsvorrichtungen nicht vorsätzlich außer Funktion setzen. Außer strafrechtlichen Konsequenzen und ggfs. weiteren kostenintensiven behördlichen Auflagen haben umweltbelastende Störfälle auch eine Schädigung des Ansehens in der Öffentlichkeit zur Folge. Dass im vorliegenden Fall nach Angaben der Beklagten nur ein Schaden in Höhe von € 8.274,66 entstanden ist, geht allein darauf zurück, dass ein Kollege des Klägers die Störung zufällig entdeckte und dass der Betrieb bereits über ein 25 m3 fassendes Auffangbecken verfügte. Der Kläger kann sich nicht damit entlasten, dass das Schwimmersicherheitsventil defekt war. Denn dieser Defekt betraf nicht die Abschaltfunktion an sich, sondern beeinflusste nur die Dauer des Nachfüllvorgangs. Auch kann der Kläger Probleme im Privatbereich allenfalls insoweit ins Feld führen, als er vergaß, den Wasserhahn wieder abzustellen, nicht aber insoweit, als er das Schwimmersicherheitsventil vorsätzlich außer Funktion setzte.

b) Trotzdem ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. Der Kläger hat erstmals während seiner 24-jährigen Betriebszugehörigkeit einen solch schwerwiegenden Fehler begangen. Die Beklagte beruft sich auch nicht auf minder schwere Pflichtverletzungen während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses; Abmahnungen liegen keine vor. Deshalb gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ein ähnlich schwerwiegender Vorfall in der Zukunft wiederholen könnte. Insoweit ist außerdem von Bedeutung, dass der zunächst nur als Schlosser eingestellte Kläger seit der Reorganisation der Abteilung Betriebstechnik jedenfalls zur Zeit nicht mehr mit Sicherheits- und Überwachungsfunktionen betraut ist. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht schon darauf hingewiesen, dass es dem Kläger in seinem Alter und bei der Lage auf dem Arbeitsmarkt nur äußerst schwer und ggfs. mit erheblichen finanziellen Einbußen gelingen dürfte, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Angesichts der Verpflichtung um Unterhalt gegenüber zwei minderjährigen Kindern überwiegen deshalb die Gründe für den Kläger. Die Beklagte wird dadurch nicht schutzlos gestellt. Neben der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bleibt es ihr unbenommen, den Kläger wegen des Vorfalls abzumahnen.

II.

Auch der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet. Er scheitert schon daran, dass die Beklagte nicht dargelegt hat, welche der zur Kündigung vorgetragenen Tatsachen auch für den Auflösungsantrag herangezogen werden sollen. Zwar muss es sich nicht um neue, erst nach Ausspruch der Kündigung eingetretene Tatsachen handeln. Auch können Umstände geeignet sein, die die Kündigung selbst nicht rechtfertigen. Die bloße Bezugnahme auf die (nicht ausreichenden) Kündigungsgründe genügt jedoch nicht (KR-Spilger, 6. Aufl. 2002, § 9 KSchG, Rdn. 58).

Darüber hinaus lässt selbst der Vortrag der Beklagten zur Kündigung nicht erkennen, weshalb in Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten sein soll. Ein einmaliger Pflichtverstoß im Leistungsbereich, selbst wenn er erheblich ist, erlaubt keine negative Prognose, insbesondere wenn der Kläger mit Sicherheits- und Überwachungsfunktionen nicht mehr betraut ist.

III.

Hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs wird auf die Begründung im Urteil des Arbeitsgerichts vom 15.10.2002 Bezug genommen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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