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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 03.04.2002
Aktenzeichen: 17 Sa 61/01
Rechtsgebiete: EStG, InsO, DÜG, ArbGG, BGB, ZPO


Vorschriften:

EStG § 40a
EStG § 40a Abs. 2
InsO § 55 Abs. 2 Satz 2
InsO § 174
InsO § 179 Abs. 1
DÜG § 1
ArbGG § 64 Abs. 2 a
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 362 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
17 Sa 61/01

verkündet am 03. April 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 17. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgerichts Dr. Auweter, den ehrenamtlichen Richter Streppel und die ehrenamtliche Richterin Waning-Kölling auf die mündliche Verhandlung vom 06.03.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart am 12.06.2001 - 16 Ca 9878/00 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um der Höhe nach unstreitige Restlohnansprüche des Klägers für Dezember 1999 bis Dezember 2000 in Höhe der seitens der Beklagten abgeführten Lohn- und Kirchensteuer.

Der 1966 geborene Kläger ist seit 15.11.1994 neben einer anderweitigen Hauptbeschäftigung ganz überwiegend als geringfügiger Beschäftigter angestellt. Gemäß Ziff. 4 des Arbeitsvertrages vom 03.09.1994 (ABl. 48 ff. der erstinstanzlichen Akte) erhält der Arbeitnehmer ein monatliches "Bruttogehalt". Gemäß Ziff. 13 dieses Vertrags richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für das Gaststätten- und Hotelgewerbe Baden-Württemberg. Vertragsänderungen bedürfen der Schriftform. Mündliche Vereinbarungen über die Aufhebung der Schriftform sind nichtig.

Von Beginn des Arbeitsverhältnisses an führte die Arbeitgeberin wie auch bei den übrigen geringfügig Beschäftigten Pauschalsteuer gemäß § 40a EStG an das Finanzamt ab, ohne diese vom Lohn des Klägers einzubehalten. Lediglich in den Monaten, in denen der Verdienst des Klägers die Geringfügigkeitsgrenze überstieg (im Einzelnen ABl. 45 der Berufungsakte), behielt die Arbeitgeberin Lohnsteuer nach Klasse VI vom Bruttolohn des Klägers ein.

Durch Gesetz vom 24.03.1999 (BGBl. I,388) wurden auch geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Die Arbeitgeberin nahm dieses Gesetz zum Anlass, die Besteuerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse neu zu regeln. In Absprache mit dem Betriebsrat, dessen Vorsitzender der Kläger seinerzeit war, übernahm die Arbeitgeberin für eine Übergangszeit noch bis zum 31.08.1999 die Pauschalsteuer gemäß § 40a EStG. Eine Vereinbarung über die Verlängerung dieser Regelung scheiterte. Ab 01.09.1999 wurde den geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern deshalb Lohnsteuer und Kirchensteuer nach Klasse VI vom Lohn einbehalten.

Durch Beschluss vom 29.11.1999 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin (Arbeitgeberin) nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, vgl. ABl. 53 f. der erstinstanzlichen Akte). Am 29.02.2000 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet (ABl. 12 f. der erstinstanzlichen Akte). Die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Forderungen hat der Kläger inzwischen gemäß § 174 Insolvenzordnung zur Tabelle angemeldet. Sie wurden vom Insolvenzverwalter bestritten.

Der Kläger ist der Auffassung, die Arbeitgeberin sei auch nach dem 01.09.1999 nicht berechtigt, Steuern vom Lohn einzubehalten. Die Übernahme der Pauschalsteuer im Innenverhältnis sei von Anfang an Vertragsinhalt gewesen, welcher durch die jahrelange vorbehaltslose Praxis bestätigt worden sei. Eine Vertragsänderung im Sinne der Ziff. 13 des Arbeitsvertrages liege deshalb nicht vor. Da das Gesetz vom 24.03.1999 die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nicht angetastet habe, sei auch die Geschäftsgrundlage nicht entfallen. Die Sozialversicherungspflicht treffe beide Parteien gleichermaßen.

Mit beim Arbeitsgericht Stuttgart am 31.03.2000 eingegangener Klage hat der Kläger deshalb zunächst restliche Vergütung für Dezember 1999 bis Februar 2000 in Höhe von DM 459,15 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit gefordert. Mit Klagerweiterung vom 23.04.2001 wurden für März, November und Dezember 2000 weitere DM 260,36 netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gemäß § 1 Diskontüberleitungsgesetz seit Rechtshängigkeit eingeklagt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Lohnsteuer im Zweifel vom Arbeitnehmer zu tragen sei. Eine ausdrückliche Übernahme der Pauschalsteuer durch den Arbeitgeber sei nicht vereinbart worden. Einer stillschweigenden Übernahme stehe die qualifizierte Schriftformklausel gemäß Ziff. 13 des Arbeitsvertrages entgegen. Da die Übernahme der Pauschalsteuer im Ermessen des Arbeitgebers stehe, könne er in jedem Veranlagungszeitraum neu darüber befinden, weshalb eine betriebliche Übung nicht habe entstehen können. Schließlich habe der Kläger den am 19.04.1999 erklärten Vorbehalt der Arbeitgeberin widerspruchslos hingenommen.

Gegen das am 08.08.2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 10.09.2001 (Montag) eingelegten und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 12.11.2001 rechtzeitig ausgeführten Berufung.

Er beantragt zuletzt

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.06.2001, Az.: 16 Ca 9878/00 wird

(1) festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger

1. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Dezember 1999 in Höhe von DM 153,26 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

2. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Januar 2000 in Höhe von DM 151,28 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

3. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Februar 2000 in Höhe von DM 154,61 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen

(2) der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere DM 260,36 netto sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gemäß § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetzt seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2 a) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers war deshalb auf seine Kosten zurückzuweisen.

I.

Soweit der Kläger die Feststellung der Forderung gemäß § 179 Abs. 1 InsO betreibt, ist die Klage bereits unzulässig. Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO sind auch Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis Masseverbindlichkeiten, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es insoweit auf den Übergang der Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht an. Einer allgemeinen Feststellungsklage fehlt es deshalb am Feststellungsinteresse, weil der Insolvenzverwalter auf die Leistung direkt in Anspruch genommen werden kann.

II.

Soweit der Kläger für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit einklagt, ist die Klage unbegründet.

1. Dem Kläger steht der der Höhe nach unstreitige restliche Entgeltanspruch über DM 260,36 für die Monate März, November und Dezember 2000 nicht zu. Dieser ist dadurch erfüllt, dass der Beklagte die auf den Bruttolohnanspruch des Klägers entfallenen Steuern nach Lohnsteuerklasse VI an das Finanzamt abgeführt hat. Der Anspruch ist deshalb gemäß § 362 Abs. 2 BGB erloschen.

a) Der Kläger behält zwar seinen Erfüllungsanspruch, soweit der Arbeitgeber zuviel Steuern einbehält (Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2 Auflage 2001, § 611 Rdnr. 708). Die Parteien streiten im vorliegenden Fall jedoch nicht um die Höhe der einbehaltenen Steuer, sondern um die Frage, wer diese im Innenverhältnis zu tragen hat.

b) Unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt nach den allgemeinen Vorschriften oder pauschal gemäß § 40a EStG versteuert wird, ist grundsätzlich der Arbeitnehmer der Steuerschuldner (BAG, Urteil vom 05.08.1987, 5 AZR 22/86, AP Nr. 2 zu § 40a EStG, NZA 1988, 157). Wer im Innenverhältnis die Steuern zu tragen hat, ist im Arbeitsvertrag zu regeln bzw. durch Auslegung des Arbeitsvertrages zu ermitteln (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Auflage 2000, § 71 V c, Rdnr. 110). Im vorliegenden Fall ist dies der Kläger.

(1) Der Arbeitsvertrag vom 03.09.1994 enthält diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung dahingehend, dass der Arbeitgeber die Steuern trägt. Die Arbeitgeberin hat allerdings, soweit dies zulässig war, von Anfang an die auf das Arbeitsentgelt zu entrichtende Pauschalsteuer gemäß § 40a EStG abgeführt, ohne sie vom Lohn des Klägers einzubehalten. Daraus ist jedoch im vorliegenden Fall keine Verpflichtung auch für die Zukunft entstanden.

(2) Die Kammer geht zwar grundsätzlich davon aus, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Übernahme der Pauschalsteuer im Innenverhältnis auch durch betriebliche Übung begründet werden kann (LAG Köln, Urteil vom 25.01.2001, 10 Sa 1040/00,). Der Anwendungsbereich der betrieblichen Übung ist weitgesteckt. Selbst wenn dem Arbeitgeber gemäß § 40a Abs. 2 EStG ein Wahlrecht im Bezug auf die Besteuerung des Arbeitseinkommens zusteht, kann er sein Ermessen insoweit binden. Auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer seinerseits jederzeit die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften verlangen kann (BAG, Urteil vom 05.08.1987, aaO.; Urteil vom 22.06.1978, 3 AZR 156/77, AP Nr. 1 zu § 40a EStG, DB 1978, 2081), widerspricht dem nicht. Zwar bindet eine betriebliche Übung grundsätzlich beide Vertragspartner. Ein solches Wahlrecht des Arbeitnehmers führt jedoch zu keiner weitergehenden Verpflichtung des Arbeitgebers und steht deshalb einer betrieblichen Übung bezüglich der Übernahme der Pauschalsteuer durch den Arbeitgeber nicht entgegen.

(3) Im vorliegenden Fall ist ein Vertrauen des Arbeitnehmers jedoch von vorneherein dadurch ausgeschlossen gewesen, dass die Parteien im Arbeitsverhältnis ausdrücklich eine "Bruttolohn" - Vereinbarung getroffen haben. Dadurch ist der Arbeitgeber nicht nur grundsätzlich berechtigt, Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten. Die Vereinbarung bewirkt hier vergleichbar einem Vorbehalt in Bezug auf die Freiwilligkeit einer Leistung, dass der Arbeitgeber für jeden Bezugszeitraum neu entscheiden kann, ob er dem Arbeitnehmer die Leistung weiter zukommen lassen will. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass eine betriebliche Übung grundsätzlich nur dann entstehen kann, wenn der Vertrag nichts bzw. nichts Gegenteiliges regelt. Ein zusätzlicher Vorbehalt war darüber hinaus hier deshalb nicht erforderlich.

(4) Ob die Schriftformklausel gemäß Ziff. 13 des Arbeitsvertrages dem Entstehen einer betrieblichen Übung hier entgegensteht, konnte deshalb ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob durch widerspruchslose Hinnahme des Vorbehalts vom 19.04.1999 eine abändernde betriebliche Übung entstanden ist. Gegen Letzteres spricht allerdings der Umstand, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzender mit der Arbeitgeberin über den Fortbestand der bisherigen Regelung in Verhandlung stand und insoweit ein Vertrauen der Arbeitgeberin nicht entstehen konnte. Auf die Frage, ob durch das Gesetz vom 24.03.1999 die Geschäftsgrundlage für die Übernahme der Pauschallohnsteuer durch die Arbeitgeberin entfiel, bedurfte vorliegend keine Entscheidung.

c) Ob die Arbeitgeberin den Kläger in Innenverhältnis nur mit der Pauschalsteuer gemäß § 40a EStG oder wie hier mit der Lohnsteuer nach Klasse VI belasten durfte, bedurfte ebenfalls keine Entscheidung. Der Kläger hat insoweit nicht dargelegt, dass ihm der Abzug nach Lohnsteuerklasse VI - ggf. unter Berücksichtigung des Lohnsteuerjahresausgleichs - höher belastet, als die Pauschalsteuer gemäß § 40a EStG.

2. Eventuelle Schadensersatzansprüche des Klägers, die aus der möglicherweise falschen Besteuerung des Einkommens resultieren könnten, sind nicht Streitgegenstand.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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