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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 19 Sa 19/07
Rechtsgebiete: MTV, BGB, GewO


Vorschriften:

MTV § 7
MTV § 7.1.1
MTV § 7.1.3
MTV § 7.1.4
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 315 Abs. 3
GewO § 106
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 29.11.2006 - Az.: 10 Ca 278/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Befugnis der Beklagten die Arbeitszeit des Klägers von 40 Stunden in der Woche auf 35 Stunden pro Woche zurückzuführen.

Der Kläger - von Beruf Werkzeugmachermeister - ist seit 1987 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in der Abteilung Produktionstechnik beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die Beschäftigten in der M. N.-W./N. Anwendung.

Die Beklagte, ein Unternehmen der Automobilindustrie beschäftigt in ihrem Betrieb in S. etwa 450 Arbeitnehmer. Der Kläger hat seit Beginn des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage einer 40-Stunden-Woche gearbeitet. Bereits am 30.03.2006 hat die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass sie gem. § 7.1.3. des einschlägigen Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte der M. N.-W./N. (künftig: MTV) den derzeitigen Arbeitsvertrag ab 01.07.2006 von 40 Stunden auf 35 Stunden ändert. Die Beklagte hat bei 23 weiteren Mitarbeitern die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden abgesenkt.

§ 7 MTV lautet:

Regelmäßige Arbeitszeit

7.1.

Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt 35 Stunden

7.1.1.

Soll für einzelne Beschäftigte die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert werden, bedarf dies der Zustimmung des Beschäftigten.

Lehnen Beschäftigte die Verlängerung ihrer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ab, so darf ihnen daraus kein Nachteil entstehen.

7.1.2.

Bei der Vereinbarung einer solchen Arbeitszeit bis zu 40 Stunden erhalten Beschäftigte eine dieser Arbeitszeit entsprechende Bezahlung. 7.1.3.

Die vereinbarte Arbeitszeit kann auf Wunsch des Beschäftigten oder des Arbeitgebers mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten geändert werden, es sei denn, sie wird einvernehmlich früher geändert. Das Arbeitsentgelt wird entsprechend angepasst.

7.1.4.

Der Arbeitgeber teilt dem Betriebsrat jeweils zum Ende eines Kalenderjahres die Beschäftigten mit verlängerter individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit mit, deren Anzahl 18 % aller Beschäftigten des Betriebes nicht übersteigen darf.

Der Kläger hat der Verkürzung seiner wöchentlichen Arbeitszeit und der damit einhergehenden Verkürzung seiner Vergütungsansprüche widersprochen und eine Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen gefordert. Er hält die einseitige Änderung der Arbeitszeit durch die Beklagte für unzulässig. Dafür bestehe kein Grund. Er arbeite nicht wesentlich weniger als zuvor.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Festlegung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gemäß Schreiben der Beklagten vom 30.03.2006 (Anlage K 1) und die damit verbundene Verkürzung von 40 Stunden auf 35 Stunden wöchentlich unwirksam ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.706,94 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus Teilbeträgen in Höhe von jeweils EUR 568,98 seit dem 01.08.2006, dem 01.09.2006 und dem 01.10.2006 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vertreten, den Arbeitsvertragsparteien sei nach § 7.1.3. MTV freies Ermessen eingeräumt, die Wochenarbeitszeit auf die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden zurückzuführen. Eine Billigkeitsprüfung finde nicht statt. Ganz davon abgesehen entspreche ihre Maßnahme auch billigem Ermessen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage am 29.11.2006 abgewiesen. Zwischen den Parteien habe keine vom MTV unabhängige Vereinbarung der Wochenarbeitszeit bestanden. Auch sei durch die langjährige Beschäftigung mit höherer Arbeitszeit keine diesbezügliche Konkretisierung eingetreten. Die Änderung der Dauer der Arbeitszeit durch die Beklagte unterfalle nicht der Kontrolle des § 315 Abs. 3 BGB/106 GewO. Sie stehe im freien Ermessen des Arbeitgebers. Zur näheren Sachdarstellung wird im Übrigen das angefochtene Urteil in Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das am 07.03.2007 zugestellte Urteil am 21.03.2007 Berufung eingelegt und diese zugleich ausgeführt. Er verfolgt sein Klagebegehren weiter und meint, das Arbeitsgericht habe § 7 MTV fehlerhaft ausgelegt. Aus dem Wortlaut ergebe sich, dass eine einvernehmliche Regelung gefunden werden müsse. Im Übrigen finde jedenfalls § 315 BGB, der nicht tarifdispositiv sei, Anwendung. Eine Ermessungsausübung habe aber im Zeitpunkt der Arbeitszeitreduzierung nicht stattgefunden.

Die Beklagte verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung.

Wegen des Parteivortrages im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden Rechtszügen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist unzulässig, soweit der Kläger geltend macht, die Kürzung der Vergütung mache mehr als 421,90 EUR aus. Die Ausführungen des Klägers insoweit genügen nicht den Anforderungen an eine Berufungsbegründung. Der Kläger setzt sich hierzu in keiner Weise mit den - in der Sache zutreffenden - Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander und verweist lapidar auf den erstinstanzlichen Vortrag.

II.

Im Übrigen ist die Berufung zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers von 40 auf 35 Stunden/Woche ist nicht rechtsunwirksam. Der Kläger hat infolgedessen auch keinen Anspruch auf die geltend gemachte höhere Vergütung für die Monate Juli, August und September 2006.

Die Beklagte konnte auf der Grundlage des § 7.1.3. MTV die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers rechtswirksam auf die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden/Woche einseitig zurückführen. Eine Billigkeitskontrolle gem. §§ 315 Abs. 3 BGB/106 GewO hat nicht stattzufinden.

1. Eine vom MTV unabhängige Vereinbarung über die Wochenarbeitszeit bestand zwischen den Parteien nicht. Dies hat das Arbeitsgericht näher ausgeführt. Es wird vom Kläger auch nicht mehr in Abrede gestellt.

2. § 7.1.3. MTV räumt den Arbeitsvertragsparteien ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ein, das im freien Ermessen sowohl des Arbeitgebers, als auch des Arbeitnehmers steht und nicht am Maßstab der §§ 315 Abs. 3 BGB/106 GewO zu messen ist. Wie das Arbeitsgericht bereits überzeugend und ausführlich dargelegt hat, ergibt sich dies aus dem Inhalt der Norm des § 7.1.3., deren systematischen Zusammenhang und aus Sinn und Zweck der Regelung. ( im Ergebnis ebenso LAG Bad.-Württ. 20.04.2005 - 13 Sa 49/04; a. A. LAG Rheinland-Pfalz 13.08.2003 - 10 Sa 513/03 ).

a) Dem Wortlaut des § 7.1.3. MTV kann nicht entnommen werden, dass eine Änderung der individuell verlängerten Arbeitszeit seitens des Arbeitgebers (oder auch des Arbeitnehmers) eine einvernehmliche Abrede voraussetzt und/oder nur bei Abwägung der wesentlichen Umstände und unter angemessener Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien erfolgen kann.

Die Formulierung " kann auf Wunsch ..... geändert werden " ist dahin zu verstehen, dass bei Einhaltung der Ankündigungsfrist von drei Monaten bereits durch die Äußerung des Änderungswunsches durch Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ohne weiteres die angestrebte Arbeitszeitreduzierung bewirkt wird.

b) Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Zusammenhang des § 7.1.3. MTV und dem Sinn und Zweck der Regelung. Die Regelung befindet sich unter der Überschrift "Regelmäßige Arbeitszeit". Vorangestellt ist die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden. Diese kann nach § 7.1.1 MTV bis zu 40 Stunden verlängert werden. Dies allerdings nach § 7.1.4. MTV lediglich für einen geringeren Teil der Beschäftigten, und dann auch nur wenn beide Arbeitsvertragsparteien damit einverstanden sind § 7.1.1. MTV . Dieser Zusammenhang zeigt, dass grundsätzlich die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden eingehalten und eine Verlängerung der Arbeitszeit nur unter engen Voraussetzungen ermöglicht werden soll. Folgerichtig wird die Rückführung einer individuell vereinbarten höheren Wochenarbeitszeit in Annäherung an die bzw. zur regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit dieser Intention entsprechend an keine erschwerenden Voraussetzungen geknüpft, und ist auch ohne billigenswerte Gründe, einfach " auf Wunsch " möglich.

c) Die von der Berufung erhobenen Einwendungen gegen diese Auslegung lassen keine andere Beurteilung zu.

aa) Gegen die Annahme, die Arbeitszeit könne nach dem Wortlaut und Inhalt der Tarifnorm nur einvernehmlich wieder zurückgeführt werden, spricht bereits, dass eine solche Vereinbarung ohnedies jederzeit möglich ist und es insoweit einer tariflichen Regelung nicht bedurft hätte. Außerdem ist für den Fall der einvernehmlichen Änderung der Wochenarbeitszeit - im Gegensatz zu einer einseitigen Änderung - die Ankündigungsfrist von drei Monaten gerade nicht einzuhalten.

bb) Auch der Umstand, dass über die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit eine Vereinbarung getroffen wird, führt nicht dazu, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber an diese gebunden sind, bis eine einvernehmliche Abänderung erfolgt. Aufgrund der Regelung in § 7.1.3. MTV ist dies gerade nicht der Fall. Bereits der einseitige Wunsch nach Arbeitszeitreduzierung genügt, um zu erreichen, dass nach dreimonatiger Ankündigungsfrist die Arbeitszeit verkürzt wird.

cc) § 315 BGB steht der Regelung des § 7.1.3. MTV ebenfalls nicht entgegen. Wird eine Leistung durch nur einen der Vertragspartner bestimmt, ist nach § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. § 315 Abs. 1 BGB enthält somit nach allgemeiner Auffassung eine Auslegungsregel. Die Vertragspartner und erst recht auch die Tarifvertragsparteien können selbstverständlich eine Vereinbarung treffen, für die diese Auslegungsregel wegen des klaren Regelungsgegenstandes keine Anwendung findet.

d) Gegen ein einseitiges Bestimmungsrecht über die Arbeitszeit in dem tariflich hier vorgegebenen Rahmen bestehen auch sonst keine Bedenken (vgl beispielhaft BAG 10.07.2003-6 AZR 372/02).

Eine Verletzung des gesetzlichen Bestandsschutzes liegt nicht vor. Die Kammer schließt sich auch insoweit den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts an.

3. Die Entscheidung der Beklagten, die Wochenarbeitszeit des Klägers auf 35 Stunden zurückzuführen, verstößt auch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dies hat das Arbeitsgericht ebenfalls bereits überzeugend dargelegt. Dem schließt sich die erkennende Kammer ebenfalls an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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