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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 31.03.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 117/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
BGB § 315
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 117/05

verkündet am 31.03.2006

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Keiper und den ehrenamtlichen Richter Semmig auf die mündliche Verhandlung vom 15.03.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 28.07.2005 (Az.: 1 Ca 72/05) abgeändert:

1.1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.02.2005 beendet worden ist.

1.2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als wissenschaftlichen Mitarbeiter zu beschäftigen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 10.02.2005 ausgesprochenen außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien.

Die Beklagte ist ein Großunternehmen der Automobilindustrie. Im Betrieb U., wo der Kläger beschäftigt ist, finden die Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie Nordwürttemberg-Nordbaden Anwendung, u.a. der Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag I (LGRTV I).

Der am 23.10.1956 geborene, ledige und keinen Personen unterhaltsverpflichtete Kläger ist promovierter Diplomchemiker und bei der Beklagten seit 01.01.1992 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 31.10.1991/10.11.1991 ist als "Art der Tätigkeit" aufgeführt:

Der Mitarbeiter ist als Chemieingenieur innerhalb unseres Bereiches "Polymere, Analytik" tätig.

Die Firma ist berechtigt, ihm auch andere, seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen oder ihn an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort zu versetzen.

In einem Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 13.05.1992 wurde von der Beklagten bestätigt, dass der Kläger mit Wirkung vom 01.05.1992 als "Wissenschaftlicher Mitarbeiter" beschäftigt wird. Die übrigen Bestimmungen des Anstellungsvertrages blieben unverändert. Zuletzt war der Kläger in die Tarifgruppe T 7 des LGRTVI eingruppiert und bezog ein Jahreseinkommen von 76.037,00 € brutto. Der Kläger arbeitete bei der Beklagten in der Forschung im Bereich von Lacken. Innerhalb eines Projektteams, über dem der Abteilungsleiter stand, arbeitete der Kläger zusammen mit Chemieingenieuren, Laboranten, Praktikanten, Diplomanden und Doktoranden. Ob der Kläger als Leiter verschiedener Projekte gegenüber den anderen Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern des Teams weisungsbefugt war, ist zwischen den Parteien streitig. Die im Rahmen der Forschungsarbeiten anfallenden praktischen Tätigkeiten verrichteten vorwiegend (Beklagte) oder ausschließlich (Kläger) die anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Teams.

Im Februar 2003 wurde einem Kollegen des Klägers, dem Biologen Dr. H., die Projektleitung für ein gemeinsames Lackprojekt mit der B. übertragen. Der Kläger protestierte gegen diese Entscheidung und teilte mit, dass er Anweisungen von Herrn Dr. H. lediglich unter Vorbehalt ausführen werde. Ein Konflikt wurde zunächst unterbunden, da dem Kläger vom 01.08.2003 zum 31.07.2004 ein sogenanntes "sabbatical" (unbezahlter Urlaub) gewährt wurde. Zum 01.08.2004 wurde im gesamten Technologie- und Forschungsbereich der Beklagten eine Neuorganisation durchgeführt. Inhaltlich umfasste sie den Wechsel von der Grundlagenforschung hin zur angewandten Forschung. Außerdem wurde die bisherige Führungsphilosophie geändert und klassische Führungsstrukturen eingeführt. Herr Dr. H. wurde innerhalb der Forschungsabteilung RBP/SP zum Teamleiter ernannt und war damit disziplinarischer Vorgesetzter des Klägers. Herr Dr. H. wies dem Kläger am 03.08.2004 die Aufgabe zu, eine Vorstudie für das Thema "gemeinsame Härtung von Basecoat und Clearcoat" zu erstellen. Im Rahmen dieser Aufgabe kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn Dr. H. über die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit des Klägers, die in eine Abmahnung der Beklagten vom 25.01.2005 wegen mangelhafter Arbeitsausführung (Bl. 59 - 61 der erstinstanzlichen Akte), dem Kläger ausgehändigt am 28.01.2005, mündete.

In einem Gespräch am 19.01.2005 wurde dem Kläger von Herrn Dr. H. mitgeteilt, dass er die seither von Herrn Dr. G., der im Rahmen einer Hospitation zu einem ursprünglich befristet gedachten Einsatz in das Werk S. versetzt wurde, bearbeiteten Aufgaben im Bereich "Lackfolien und UV-Lacke, Kunststoffteile" vom Kläger zu übernehmen seien. In diesem Gespräch äußerte der Kläger die Frage, wer für die anfallenden praktischen Arbeiten im Labor und an den Anlagen im Technikum zur Verfügung stehe. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten im "Projektteam Dr. H." neben wissenschaftlichen Mitarbeitern zwei Halbtagslaborantinnen und Praktikanten. Am 20.01.2005 erklärte der Kläger gegenüber Herrn Dr. H., dass er die im Rahmen dieser Aufgabe erforderlichen praktischen Arbeiten, wie beispielsweise die Lackmaterialherstellung und -aufarbeitung sowie die Bedienung des UV-Technikums nicht übernehmen werde. Aufgrund der vom Kläger geäußerten Weigerung fand am 25.01.2005 ein Personalgespräch statt, an dem neben dem Kläger der Teamleiter Dr. H., der Personalleiter K. und der Betriebsratsvorsitzende B. teilnahmen. Der Kläger blieb in diesem Gespräch bei seiner Weigerung, praktische Tätigkeiten im Zusammenhang mit den von Herrn Dr. G. auf ihn übertragenen Aufgaben zu übernehmen. Daraufhin erstellte die Beklagte mit Schreiben vom 25.01.2005 eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung (Bl. 62 - 63 der erstinstanzlichen Akte), die dem Kläger ebenfalls am 28.01.2005 übergeben wurde. Dabei wurde dem Kläger am 28.01.2005 mitgeteilt, dass er am darauf folgenden Arbeitstag, am Montag, 31.01.2005, für Kollegen aus der Forschungsabteilung RBP/MP 5 Liter Klarlack zur Beschichtung von Folien für Antennendachmodule anzumischen und bereitzustellen habe. Dr. H. bat den Kläger noch einmal, seine Haltung über das Wochenende zu überdenken. Zu Arbeitsbeginn am 31.01.2005 wiederholte der Kläger gegenüber Herrn Dr. H. seine Weigerung, 5 Liter Klarlack für die Abteilung RBP/MP anzurühren. In dieser Zeit waren die beiden Laborantinnen nicht im Betrieb anwesend. Die Praktikanten des Teams waren im Rahmen einer Versuchsreihe in der Waschstraße beschäftigt. Deshalb begann Herr Dr. H. mit dem Anmischen des Klarlacks. Ein Praktikant, der seine Aufgabe beendet hatte, löste dann Herrn Dr. H. ab. Aufgrund dieses Vorfalls leitete die Beklagte dann mit Schreiben vom 03.02.2005 die Betriebsratsanhörung zur Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung ein.

Der Kläger hat in der ersten Instanz insbesondere vorgetragen, dass die Beklagte bewusst eine Situation geschaffen habe, in der sie dem Kläger habe Arbeitsverweigerung vorwerfen können. Auch Herr Dr. G. habe im Rahmen der ihm übertragenen Tätigkeiten die praktischen Tätigkeiten nicht selbst durchgeführt, sondern von den Hilfskräften durchführen lassen. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als "wissenschaftlicher Mitarbeiter" und seine Stellung als Projekt- und Arbeitsgruppenleiter sei er nicht verpflichtet gewesen, am 31.01.2005 Lack für eine andere Forschungsabteilung anzurühren.

Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 10.12.2005 weder mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung zum 30.09.2005 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat in der ersten Instanz beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat insbesondere vorgetragen, dass der Kläger nie Teamleiter gewesen sei. Nach der Umorganisation des gesamten Bereiches habe der Kläger ab dem 01.08.2004 die Funktion eines Sachbearbeiters gehabt. Dabei habe der Kläger im Rahmen der vom Team zu erbringenden Tätigkeiten auch praktische Arbeiten erledigen müssen. Nicht nur der Vorgänger Herr Dr. G., sondern alle Kollegen des Klägers hätten solche praktischen Aufgaben ohne Vorbehalte übernommen. Es gäbe Zeiten, in denen weder Laborkräfte noch Praktikanten zur Verfügung stehen. In diesen Zeiten müsse auch ein wissenschaftlicher Mitarbeiter praktische Tätigkeiten erledigen. Für das Anrühren des Lackes hätte der Kläger am 31.01.2005 maximal 90 Minuten benötigt.

Das Arbeitsgericht hat im am 28.07.2005 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Urteil insbesondere an, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten wegen der beharrlichen Arbeitsverweigerung des Klägers gerechtfertigt sei. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Zuweisung der Tätigkeit, am 31.01.2005 fünf Liter Klarlack für eine andere Forschungsabteilung anzurühren, im Rahmen des der Beklagten zustehenden Direktionsrechts erfolgt sei. Zu den Aufgaben eines Chemikers gehörten auch praktische Tätigkeiten im Labor, die beim Kläger maximal 30 % seiner Arbeitszeit betragen hätten. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seiten 6 bis 9 des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses dem Kläger am 08.09.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.09.2005 eingelegte und am 08.12.2005 innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ausgeführte Berufung des Klägers. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, dass eine Arbeitsverweigerung am 31.01.2005 schon deshalb nicht vorgelegen habe, weil er als wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht verpflichtet gewesen sei, für eine andere Forschungsabteilung fünf Liter Lack anzurühren. Mit der Zuweisung dieser Tätigkeit habe die Beklagte das ihr zustehende Direktionsrecht überschritten. Er sei bei der Beklagten als Lackspezialist zum Aufbau einer Grundlagenforschung im Bereich der Lacke eingestellt worden. Als Projektleiter habe er eine wissenschaftliche Tätigkeit und keine praktische Beschäftigung im Labor geschuldet. Er sei grundsätzlich nicht verpflichtet gewesen, eine außerhalb der Tätigkeitsmerkmale seiner Tarifgruppe (T 7) liegende Tätigkeit zu übernehmen. Der Kläger verweist auf das Berufsbild des Diplomchemikers im Vergleich zu denen des Chemietechnikers, des Chemielaboranten und des chemisch-technischen Assistenten und betont, dass praktische Tätigkeiten im Labor grundsätzlich nicht von einem Diplomchemiker erledigt werden müssten. Der Kläger hat weiter vorgetragen, dass er ab dem 20.01.2005 lediglich "eigenhändige praktische Tätigkeiten" abgelehnt und sich niemals geweigert habe, praktische Arbeiten zu delegieren. Am 31.01.2005 sei er auch nicht im Rahmen eines Notfalles verpflichtet gewesen den Lack anzurühren. Die Situation am 31.01.2005 sei seit dem 20.01.2005 vorhersehbar gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 08.12.2005 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 10.02.2005 beendet wurde,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung vom 10.02.2005 zum 30.09.2005 beendet wurde,

3. für den Fall des Obsiegens zu Ziffern 1 und 2 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als wissenschaftlichen Mitarbeiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt insbesondere vor, dass das Forschungsteam von Herrn Dr. H. mit dem Kläger vier wissenschaftliche Mitarbeiter umfasst habe. Diesen wissenschaftlichen Mitarbeitern seien die beiden Halbtagslaborkräfte und maximal zwei studentische Hilfskräfte je nach Projektaufgabe vom Teamleiter Dr. H. zugeordnet worden. In dieser Situation sei der Kläger verpflichtet gewesen, in manchen Zeiten auch praktische Tätigkeiten zu verrichten. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 16.12.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.02.2005 beendet worden, weil diese Kündigungen unwirksam sind (1.). Dem Kläger steht auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu (2.).

1. Die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.02.2005 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung des Klägers am 31.01.2005 ist schon deshalb unwirksam, weil die Weisung der Beklagten an den Kläger am 31.01.2005, fünf Liter Klarlack für eine andere Forschungsabteilung anzurühren, nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen ist.

1.1 Die Weigerung eines Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, ist nach entsprechender Abmahnung geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. BAG vom 21.05.1992 - 2 AZR 10/92 - AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung). In schwerwiegenden Fällen beharrlicher Arbeitsverweigerung kann auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus. Der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. BAG vom 21.11.1996 - 2 AZR 357/95 - AP Nr. 130 zu § 626 BGB; zum Komplex Kündigung wegen Arbeitsverweigerung: APS-Dörner, 2. Auflage, § 1 KSchG Rdnr. 282, § 626 BGB Rdnr. 197; KR-Etzel, 7. Auflage, § 1 KSchG Rdnr. 433; Stahlhacke-Preis-Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Auflage Rdnr. 630 ff.; Hueck/von Hoyningen/Huene, KSchG, 12. Auflage, § 1 Rdnr. 315 ff., EK-Müller-Glöge, 6. Auflage, § 626 Rdnr. 106 ff.). Ob ein Fall der Arbeitsverweigerung vorliegt, kann nur aus einem Vergleich der vertraglich geschuldeten mit der vom Arbeitgeber konkret verlangten und vom Arbeitnehmer verweigerten Arbeitsleistung festgestellt werden. Maßgeblich ist auch insoweit, ob sich die vom Arbeitnehmer verlangte Arbeitsleistung im Rahmen der durch den Arbeitsvertrag bestimmten Grenzen hält und, wenn es sich um eine Weisung nach Maßgabe des Direktionsrechts handelt, diese den Anforderungen des § 315 BGB genügt, also billigem Ermessen entspricht (APS-Dörner, a.a.O., § 1 KSchG Rdnr. 282 m. w. N.). Der Arbeitnehmer ist berechtigt Arbeiten abzulehnen, die der Arbeitgeber ihm unter Überschreitung des Direktionsrechts zuweist (BAG vom 12.04.1973 - 2 AZR 291/72 - AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht; APS-Dörner, a.a.O., § 626 BGB Rdnr. 197; Stahlhacke-Preis-Vossen, a.a.O., Rdnr. 633; Hueck/von Hoyningen/Huene, KSchG, a.a.O., Rdnr. 315; KR-Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rdnr. 412). Ist in einem Arbeitsvertrag die Tätigkeit nur rahmenmäßig umschrieben, hat der Arbeitgeber kraft seines Weisungsrechts die Befugnis, die Leistungspflicht des Arbeitnehmers im Einzelnen festzulegen. Auf der Grundlage dieses Weisungsrechts bestimmt der Arbeitgeber Zeit, Ort und auch Art der Arbeitsleistung. Umfang und Grenzen dieses Weisungsrechts ergeben sich aus Gesetz, Kollektivvereinbarungen und dem Einzelarbeitsvertrag. Darüber hinaus darf das Weisungsrecht nur nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) ausgeübt werden (BAG vom 07.04.1992 - 1 AZR 275/91 - nv, zitiert nach JURIS). Nebenarbeiten, wie z. B. Heranschaffen des Materials, Aufräumen und Säubern des Arbeitsplatzes, Pflege der Ware usw., hat der Arbeitnehmer nur dann zu verrichten, wenn deren Übernahme dem Arbeitsvertrag entspricht, d. h. wenn sie typischerweise in dem vereinbarten Tätigkeitsbereich anfallen oder nur eine untergeordnete Bedeutung haben (Schaub-Linck, Arbeitsrechtshandbuch 11. Auflage, § 45 Rdnr. 31, EK-Preis, a.a.O., § 611 BGB Rdnr. 804). In außergewöhnlichen Fällen, insbesondere in Notfällen, muss der Arbeitnehmer aufgrund seiner vertraglichen Nebenpflicht, Schaden vom Arbeitgeber abzuwehren, auf Verlangen vorübergehend auch solche Arbeiten übernehmen, die nicht in seinen Tätigkeitsbereich fallen (BAG vom 03.12.1980 - 5 AZR 477/78 - AP Nr. 4 zu § 615 BGB Böswilligkeit). Nicht jede im Betrieb auftretende Schwierigkeit kann jedoch als außergewöhnlicher Fall angesehen werden. Außergewöhnliche Fälle sind unvorhergesehene, durch rechtzeitige Personalplanung nicht behebbare Personalengpässe (vgl. Schaub-Linck, a.a.O., § 45 Rdnr. 32).

1.2 Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass dem Kläger am 31.01.2005 keine Arbeitsverweigerung vorgeworfen werden kann. Die Beklagte hat mit der Weisung an den Kläger, fünf Liter Klarlack für eine andere Forschungsabteilung anzurühren, das ihr zustehende Direktionsrecht überschritten.

Der Kläger ist bei der Beklagten als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Lackforschung eingestellt und beschäftigt worden. Der Kläger schuldet der Beklagten deshalb wissenschaftliche Tätigkeiten. Entgegen der Ansicht des Klägers schließen wissenschaftliche Tätigkeiten praktische Arbeiten grundsätzlich nicht aus. Die Wissenschaftstheorie unterscheidet zwischen theoretischen ("reinen") Wissenschaften und angewandten ("praktischen") Wissenschaften (z. B. Ingenieurwissenschaften, angewandte Physik usw.). Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet allerdings für den Erwerb von Wissen typische methodisch-systematische Erkenntnisarbeit und schließt angeleitete, ausführende und vollziehende Tätigkeiten aus. Das Anrühren von Lacken nach einer vorgegebenen Arbeitsanweisung ist deshalb keine wissenschaftliche Tätigkeit. Gleichwohl kann der Grundhaltung des Klägers nicht zugestimmt werden, dass er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierter Diplomchemiker grundsätzlich nicht verpflichtet ist, praktische (Labor- oder Technikum)Arbeiten auszuführen. Zur Tätigkeit eines wissenschaftlichen Mitarbeiters gehört es durchaus mit der wissenschaftlichen Tätigkeit zusammenhängende praktische Tätigkeiten auszuführen, solange sie nach geordneten Charakter haben und nicht spezialisierten Hilfskräften zugewiesen sind. So kann ein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit erforderliche Nebenarbeiten wie Schreib-, Kopier- oder Recherchearbeiten nicht ablehnen. Auch die vom Kläger im Prozess vorgelegten Ausbildungs- und Tätigkeitsbeschreibungen für das Berufsbild eines Diplomchemikers schließen praktische (Labor)Arbeiten im Rahmen eigener Forschungsarbeiten nicht aus. Die erkennende Kammer ist deshalb der Meinung, dass der Kläger im Rahmen der ihm von der Beklagten zugewiesenen Forschungsarbeiten im Bereich "Lackfolien und UV-Lacke, Kunststoffteile" durchaus verpflichtet gewesen ist, auch damit verbundene praktische Tätigkeiten auszuführen, solange sie vom Inhalt und der Zeit her nachgeordneten Charakter gehabt haben und nicht von den Laborantinnen oder anderen Hilfskräften erledigt werden konnten.

Dagegen ist der Kläger nicht verpflichtet, als wissenschaftlicher Mitarbeiter für andere Forschungsabteilungen rein praktische Tätigkeiten zu übernehmen. Praktische Arbeiten außerhalb der eigenen wissenschaftlichen Arbeit gehören nicht zum Berufsbild eines wissenschaftlichen Mitarbeiters und stellen auch keine Nebenarbeiten dar. Deshalb hat die Beklagte dem Kläger im Rahmen ihres Direktionsrechtes grundsätzlich nicht die Tätigkeit zuweisen können, für eine andere Forschungsabteilung fünf Liter Klarlack anzurühren und bereitzustellen. Diese rein ausführende Tätigkeit hätte den in der Abteilung beschäftigten Hilfskräften zugewiesen werden müssen. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass zu Arbeitsbeginn am 31.01.2005 keine Hilfskräfte für diese Aufgaben zur Verfügung gestanden haben. Gleichwohl ist der Kläger auch nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen, in einem Notfall vorübergehend auch nicht vertraglich geschuldete Tätigkeiten zu übernehmen. Die Situation, in der der Kläger die ihm zugewiesene Arbeit verweigert hat, ist seit mehreren Tagen vorhersehbar gewesen. Der Kläger hatte bereits am 28.01.2005 die Tätigkeit definitiv abgelehnt. Die Beklagte hätte deshalb die bei ihr beschäftigten studentischen Hilfskräfte anweisen können, am 31.01.2005 den benötigten Lack für die Forschungsabteilung RBP/MP bereitzustellen. Die Tätigkeit der studentischen Hilfskräfte im Rahmen einer Versuchsreihe in der Waschstraße ist auch nicht unaufschiebbar gewesen.

Wie bereits erwähnt, hat der Kläger nicht sämtliche ihm zugewiesenen praktischen Arbeiten berechtigterweise verweigern können. Die Ankündigung des Klägers, sämtliche praktischen Tätigkeiten im Rahmen der ihm zugewiesenen Forschungsarbeiten nicht durchzuführen, stellt deshalb eine Pflichtverletzung dar. Diese Pflichtverletzung hat die Beklagte mit Schreiben vom 25.01.2001, dem Kläger zugegangen am 28.01.2001, abgemahnt. Die nach Zugang der Abmahnung erklärte Weigerung des Klägers betrifft jedoch praktische Arbeiten für eine andere Forschungsabteilung, zu deren Ausführung der Kläger nicht verpflichtet gewesen ist (s. o.).

Da dem Kläger deshalb eine Arbeitsverweigerung nicht vorgeworfen werden kann, sind die Kündigungen der Beklagten vom 10.02.2005 unwirksam.

2. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits. Die Kündigungen der Beklagten haben das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Die Beklagte hat überwiegende schützenswerte Interessen, die einer Beschäftigung des Klägers entgegenstehen, nicht dargetan (vgl. BAG, Großer Senat, 27.02.1985 -GS 1/84 -, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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