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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.03.2000
Aktenzeichen: 2 Sa 60/99
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 72 a
BetrVG § 77 Abs. 6
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2 Sa 60/99

verkündet am 22. März 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Ebert und den ehrenamtlichen Richter Kolb auf die mündliche Verhandlung vom 22.03.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.09.99 - Az: 28 Ca 6210/99 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.10.98 bis 01.04.99 keinen Anspruch auf eine monatliche Prämie in Höhe von 291,66 DM.

1. Zunächst kann die Klägerin eine Prämie aus der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 und ihren Nachträgen vom 13.04.89 und 11.06.90 (Prämiensystem in der Abteilung Datenerfassung) nicht (mehr) beanspruchen, da die Beklagte diese Betriebsvereinbarung mit Schreiben vom 26.06.98 zum 30.09.98 (fristgemäß) gekündigt hat.Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin entfaltet die Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 auch keine Nachwirkung. Zwar gelten gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Diese Nachwirkung besteht nach dem Gesetzeswortlaut aber nur bei sogenannten erzwingbaren Betriebsvereinbarungen, d. h. bei Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten, in denen der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung der Betriebspartner ersetzen kann (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; z. B. BAG v. 26.04.90 - 6 AZR 278/88 - AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung, BAG v. 21.08.90 - 1 ABR 73/89 - AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung). Dagegen wirkt die in der Betriebsvereinbarung getroffene Regelung nach Ablauf der Betriebsvereinbarung, bei einer Kündigung also nach Ablauf der Kündigungsfrist, nicht nach, wenn die Angelegenheit nur der freiwilligen Mitbestimmung zugänglich ist (BAG a. a. O.). Betriebsvereinbarungen, die der freiwilligen Mitbestimmung unterliegende Regelungen zum Gegenstand haben, können also grundsätzlich gekündigt werden, ohne dass die darin enthaltenen Regelungen nachwirken, soweit in der Betriebsvereinbarung nichts anderes geregelt ist. Für eine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit einer Betriebsvereinbarung gibt es im Betriebsverfassungsgesetz keine Anhaltspunkte. Insbesondere bedarf es keines sachlichen Grundes (BAG v. 26.10.93 - 1 AZR 46/93 - AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung, 1 a der Gründe; vgl. auch Fitting-Kaiser-Heither-Engels, BetrVG, 19. Aufl., § 77 Rz. 131 ff.).Bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers, also bei Leistungen, zu denen der Arbeitgeber weder kraft Gesetzes noch kraft Tarifvertrages verpflichtet ist, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates eingeschränkt. Der Arbeitgeber kann frei entscheiden, ob und in welchem Umfang er zusätzliche Leistungen erbringen will oder nicht. In diesem Zusammenhang spricht man vom "Dotierungsrahmen". Durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in Fragen der Lohngestaltung kann der Arbeitgeber nicht zu Leistungen gezwungen werden, die er nicht erbringen will oder erbringen muss (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. BAG v. 14.06.94 - 1 ABR 63/93 - AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, II. 1. der Gründe). Was für die Einführung dieser Leistungen gilt, gilt auch für deren Änderung (Kürzung) und Einstellung. Durch das Mitbestimmungsrecht kann der Arbeitgeber nicht gehindert werden, die Leistungen mitbestimmungsfrei einzuschränken oder ganz abzuschaffen (BAG GS v. 03.12.91 - GS 2/90 - AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Im Gegensatz zum mitbestimmungsfreien Dotierungsrahmen (ob eine freiwillige Leistung erbracht wird) besteht bei einer Änderung der Verteilungs- und Leistungsgrundsätze durch den Arbeitgeber (wie eine freiwillige Leistung erbracht wird) ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. In diesem Falle wirkt die Betriebsvereinbarung so lange nach, bis sie durch eine andere ersetzt wird (BAG v. 26.10.93, a. a. O.).Wenn man diese Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall anwendet, so steht für die erkennende Kammer fest, dass die Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 über den 30.09.98 hinaus keine Nachwirkung entfaltet hat. Bei der in der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 festgelegten Prämie handelte es sich um eine außerhalb des geltenden Tarifvertrages bezahlte Prämie und damit um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Dies war den Betriebsparteien auch bewusst (Satz 1 der Ziffer 4 der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80). Diese freiwillige Leistung konnte die Beklagte wieder mitbestimmungsfrei einstellen, indem sie die Betriebsvereinbarung fristgemäß kündigte. Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die Beklagte ab dem 01.10.98 überhaupt keine Prämie mehr bezahlen wollte; die Beklagte strebte keine Änderung des Verteilungs- und Leistungsplans an. Deshalb bestand kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG. Folgerichtig wurde auch der Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle zur Regelung einer Prämie in beiden Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit zurückgewiesen. Die in der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 festgelegte Prämie war demgemäß vom Betriebsrat nicht erzwingbar und hatte deshalb keine Nachwirkung.

2. Die Klägerin kann die begehrte Prämie auch nicht aus der Betriebsvereinbarung vom 25.07.96 "Manuelles Fulfilment" ableiten. Als Anspruchsgrundlage kommt allenfalls Ziffer 10 dieser Betriebsvereinbarung in Betracht. Danach sollte ein Prämiensystem bis spätestens 01.04.97 erarbeitet und eingeführt werden. Die Mitarbeiter der Datenerfassung sollten bis dahin monatlich den Durchschnitt der letzten drei Monate vor Einführung der integrierten Erfassung erhalten. Hintergrund dieser Regelung war die Zusammenlegung der Abteilungen Datenerfassung, Postöffnung und Auftragsvorbereitung in die Abteilung Manuelles Fulfilment und damit verbunden eine Änderung der Arbeitsweise, so dass eine Messung der Leistung nach dem alten System nicht mehr möglich war. Deshalb wurde die bis dahin individuell schwankende Prämie ab dem 01.09.96 in der Höhe des Durchschnitts der letzten drei Monate pauschaliert. Diese pauschalierte Prämie wurde auch über den 01.04.97 hinaus weiterbezahlt, nachdem ein Prämiensystem bis dahin noch nicht erarbeitet und eingeführt worden war.Nach Auffassung der erkennenden Kammer haben die Betriebsparteien der Betriebsvereinbarung vom 25.07.96 jedoch keine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Prämienanspruch geschaffen. Vielmehr sollte die bis dahin individuell bemessene Prämie aus Praktikabilitätsgründen übergangsweise pauschaliert werden. Die Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 mit ihren Nachträgen wurde gleichwohl formell nicht außer Kraft gesetzt, sondern in Form der Ziffer 10 der Betriebsvereinbarung vom 25.07.96 fortgeführt. Ziffer 10 der Betriebsvereinbarung vom 25.07.96 gehört deshalb materiell zur Betriebsvereinbarung vom 18.12.80. Ziffer 10 der Betriebsvereinbarung vom 25.07.96 hat Ziffer 2 der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 ersetzt. Die Kündigung der Betriebsvereinbarung vom 18.12.80 durch die Beklagte zum 30.09.98 hat deshalb auch die Regelung der Prämienhöhe erfasst. Die Kündigungserklärung war eindeutig so zu verstehen, dass die Beklagte über den 30.09.98 hinaus keine Prämie mehr bezahlen wollte.Mangels einer Anspruchsgrundlage war deshalb die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.

III.

1. Da somit die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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