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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 08.09.2004
Aktenzeichen: 2 Sa 66/04
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, ZPO, EFZG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
KSchG § 1 Abs. 2
ZPO § 286
EFZG § 5 Abs. 1 Satz 1
BGB § 622 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 66/04

verkündet am 08.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht, die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter auf die mündliche Verhandlung vom 08.09.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 18.06.2004 (Az.: 26 Ca 1663/03) wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 26.06.2003 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zum 30.09.2003, die die Beklagte auf Gründe im Verhalten des Klägers stützt.

Der am 25.05.1967 geborene, verheiratete und gegenüber drei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war bei der Beklagten, die in ihrem Werk in B. Autositze für die Automobilindustrie herstellt und ca. 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, seit dem 30.03.1998 als gewerblicher Arbeitnehmer in der Fertigung zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von ca. 2.340,00 € beschäftigt. In diesem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

Der Kläger arbeitete bis Oktober 2002 in der Frühschicht, die damals um 6.00 Uhr begann. Er arbeitete an einem Einzelarbeitsplatz in der Vormontage, wo er Autositze für die Firma P. fertigte. Diese Sitze werden auf kurzfristige Bestellungen "just-in-time" gefertigt und zweimal am Vormittag an die Firma P. ausgeliefert.

Seit März 2002 kam der Kläger sehr häufig zu spät zur Arbeit. Die Stempelzeiten wurden am Zeiterfassungsgerät wie folgt erfasst:

27.03. um 6.38 Uhr

10.04. um 6.00 Uhr

11.04. um 6.00 Uhr

12.04. um 6.16 Uhr

15.04. um 6.11 Uhr

16.04. um 6.00 Uhr

22.04. um 6.00 Uhr

02.05. um 6.30 Uhr

03.05. um 6.16 Uhr

08.05. um 6.27 Uhr

17.05. um 6.28 Uhr

21.05. um 6.15 Uhr

27.05. um 6.00 Uhr

Dabei sind die Parteien uneins, ob der Kläger vom Zeiterfassungsgerät bis zum Arbeitsplatz 30 Sekunden (Kläger) oder ca. 2 Minuten (Beklagte) benötigt. Aufgrund der vorgenannten Verspätungen erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung mit Schreiben vom 28.05.2002.

Auch in der Folgezeit erschien der Kläger zu spät zur Arbeit. Die Stempelzeiten waren am:

28.06. um 6.00 Uhr

26.08. um 6.00 Uhr

27.08. um 6.03 Uhr

29.08. um 6.45 Uhr

04.09. um 6.12 Uhr

09.09. um 6.00 Uhr

21.09. um 8.46 Uhr (Arbeitsbeginn am Samstag 8.00 Uhr)

25.09. um 6.02 Uhr

14.10. um 6.30 Uhr

16.10. um 6.13 Uhr

17.10. um 6.00 Uhr

23.10. um 6.48 Uhr

Aufgrund dieser Verspätungen erhielt der Kläger eine weitere Abmahnung mit Schreiben vom 24.10.2002. Seit diesem Zeitpunkt arbeitete der Kläger in der Wechselschicht, d.h. im wöchentlichen Wechsel von Frühschicht und Spätschicht. Ab diesem Zeitpunkt wurde dem Kläger auch die nächtliche Nebentätigkeit in einem Imbiss untersagt. Der Kläger stellte diese Nebentätigkeit auch ein. Mit Schreiben vom 20.03.2003 wurde der Kläger wegen einer Verspätung am 20.03.2003 abgemahnt. Der Kläger erschien statt um 6.10 Uhr erst um 07.11 Uhr zur Arbeit. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Grund für diese Verspätung ein Batterieschaden am PKW des Klägers war. Neben diesen Abmahnungen wurde der Kläger mit Schreiben vom 20.12.2002 und 01.04.2003 wegen Verstößen gegen die Anzeigepflicht bei Arbeitsunfähigkeit am 18.12.2002 bzw. 31.03.2003 abgemahnt.

Der Kläger erschien am 13.06.2003 erneut zu spät zur Arbeit. Er stempelte um 6.54 Uhr. Arbeitsbeginn war um 6.10 Uhr.

Aufgrund dieses Vorfalls hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 13.06.2003 zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat äußerte sich hierzu nicht.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat mit Schriftsatz vom 19.12.2003 vorgetragen, dass die Verspätung am 13.06.2003 darauf beruht habe, dass sein Sohn den Stecker des Weckers aus der Steckdose gezogen habe, so dass dieser morgens nicht geklingelt habe.

Die Verspätung habe er deshalb nicht verschuldet. Des Weiteren hat der Kläger behauptet, dass durch seine Verspätungen keine Störungen im Betriebsablauf der Beklagten eingetreten seien. Die Abmahnungen hätten auch Wirkung gezeigt. Nach der Abmahnung vom 24.10.2002 sei er nicht mehr schuldhaft zu spät zur Arbeit gekommen. Die bis zum Oktober 2002 aufgetretenen Verspätungen seien auf nächtliche Streitigkeiten mit der Ehefrau und auf die Tätigkeit im Imbiss zurückzuführen gewesen. Die Nebentätigkeit habe er im Oktober 2002 aufgegeben. Der Ehefrieden sei wieder hergestellt. Schließlich hat der Kläger die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung gerügt.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,

es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.06.2003 nicht beendet wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug vorgetragen, dass der Kläger am 13.06.2003 schuldhaft zu spät zur Arbeit gekommen sei. Der Vortrag des Klägers, dass sein Sohn den Stecker des Weckers gezogen habe, sei eine bloße Schutzbehauptung. Aufgrund der ständigen Verspätungen des Klägers seien auch betriebliche Ablaufstörungen eingetreten, da die Fahrzeugsitze im Produktionsprozess der Beklagten zeitgenau gefertigt würden.

Das Arbeitsgericht hat auf den Antrag des Klägers dessen Ehefrau als Zeugin vernommen. Diese Zeugin hat im Wesentlichen ausgesagt, dass ihr Mann am 13.06.2003 um ca. 6.15 Uhr aufgewacht sei und festgestellt habe, dass der elektrische Radiowecker zur Weckzeit um ca. 5.00 Uhr nicht geklingelt habe, weil der Stecker aus der auf dem Nachttisch liegenden Mehrfachsteckdose herausgezogen worden sei. Ihr Ehemann sei so schnell wie möglich zur Arbeit gefahren. Der 8-jährige Sohn habe bei einer Befragung zugegeben, dass er nachts die beiden Stecker der Nachttischlampe und des Radioweckers aus der Mehrfachsteckdose gezogen habe.

Das Arbeitsgericht hat im am 18.06.2004 verkündeten Urteil die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Klagabweisung hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass der Kläger die Verspätung am 13.06.2003 zu vertreten habe. Beim vorliegenden Sachverhalt seien die Grundsätze des Anscheinsbeweises heranzuziehen. Nach diesen Grundsätzen könne regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ein Verschlafen vom Arbeitnehmer zu vertreten sei. Der Arbeitnehmer müsse deshalb beweisen, dass er ausnahmsweise unverschuldet verschlafen habe. Dieser Gegenbeweis sei dem Kläger nicht gelungen. In seiner umfangreichen Beweiswürdigung der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass es erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage habe. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf S. 5 - 11 des angefochtenen Urteils (Bl. 96 - 102 der erstinstanzlichen Akte) verwiesen.

Gegen dieses dem Kläger am 05.07.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 08.07.2004 eingelegte und am 20.07.2004 ausgeführte Berufung des Klägers. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, dass der Kläger die Verspätung am 13.06.2003 nicht zu vertreten habe. Ein Verschulden des Klägers habe die Beklagte zu beweisen. Das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft eine Beweislastumkehr angenommen. Die Zeugenaussage der Ehefrau des Kläger sei glaubhaft, dass der 8-jährige Sohn in der Nacht den Stecker des Weckers aus der Steckdose gezogen habe. In dem Personalgespräch mit der Personalleiterin der Beklagten habe der Kläger auch angegeben, dass er deshalb verschlafen habe, weil sein Sohn den Stecker gezogen habe. Weiterhin bestreitet der Kläger die betrieblichen Auswirkungen seiner Verspätungen. Der Kläger ist auch der Ansicht, dass die vom Arbeitsgericht durchgeführte Interessenabwägung fehlerhaft sei. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 20.07.2004 (Bl. 28 - 35 d. zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 18.06.2004 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 26.06.2003 nicht beendet wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt insbesondere vor, dass das Arbeitsgericht zu Recht eine umgekehrte Beweislastverteilung hinsichtlich der Behauptung, den Kläger habe kein Verschulden an der Verspätung getroffen, angenommen habe. Die Beweiswürdigung der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers sei richtig. Der Kläger habe auch nicht gegenüber der Personalleiterin der Beklagten angegeben, dass er verschlafen und dass sein Sohn den Stecker des Radioweckers gezogen habe. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, dass die Verspätungen des Klägers zu Betriebsablaufstörungen geführt hätten. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 17.08.2004 (Bl. 41 - 52 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Im Berufungstermin hat der Kläger auf Frage der Kammer erklärt, dass er der Personalleiterin der Beklagten gegenüber nicht den Grund der Verspätung angegeben habe. Insbesondere habe er nichts davon gesagt, dass sein 8-jähriger Sohn den Stecker des Radioweckers aus der Mehrfachsteckdose gezogen habe. Die Personalleiterin der Beklagten ist als Zeugin über das Personalgespräch mit dem Kläger am 13.06.2003 vernommen worden. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 26.06.2003 wirksam zum 30.09.2003 beendet worden. Insbesondere ist die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

1. Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liegt aufgrund des Zuspätkommens des Klägers am 13.06.2003 um 44 Minuten vor.

1.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und allgemeiner Ansicht in der Literatur kann ein wiederholt schuldhaftes verspätetes Erscheinen im Betrieb trotz entsprechender vorheriger Abmahnungen eine verhaltensbedingte Kündigung begründen (BAG Urteil vom 27.02.1997 - 2 AZR 302/96 - AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung; KR-Etzel 6. Auflage § 1 KSchG Rn. 444; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Auflage § 1 Rn. 361 ff.; Stahlhacke/Preis/ Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Auflage § 22 Rn. 651, jeweils m.w.N.). Bereits die Unpünktlichkeit bewirkt eine Störung des Arbeitsverhältnisses im Leistungsbereich. Durch die nicht rechtzeitige Aufnahme der Arbeit verletzt der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht und beeinträchtigt so das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Ob es darüber hinaus zu konkreten Störungen des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens kommt, ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 27.02.1997 a.a.O. Gründe II. 6; BAG Urteil vom 17.01.1991 - 2 AZR 375/90 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung, Gründe II. 2.a). Die Kündigung ist nur wirksam, wenn zu befürchten ist, dass es auch zu künftigen Vertragsverstößen kommen wird (BAG Urteil 17.01.1991 a.a.O.). Für die hier anzustellende Prognose ist die Häufigkeit und die Ursache des Zuspätkommens in der Vergangenheit von erheblicher Bedeutung. Im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung sind insbesondere die Anzahl der Pflichtwidrigkeiten und Abmahnungen, die möglichen Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs sowie die Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen (von Hoyningen- Huene/Linck a.a.O. Rn. 362).

Darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Arbeitnehmer schuldhaft die ihm obliegenden Vertragspflichten verletzt hat, ist der Arbeitgeber. Dies gilt ebenso für solche Umstände, die einen Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Arbeitnehmers ausschließen. Durch diese Darlegungs- und Beweislastverteilung wird der Arbeitgeber nicht überfordert. Nach den Grundsätzen der sogenannten abgestuften Darlegungs- und Beweislast richtet sich nämlich der Umfang des vom Arbeitgeber zu verlangenden Vortrags danach, wie substanziiert der Arbeitnehmer sich auf das Vorbringen des Arbeitgebers einlässt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 06.08.1987 - 2 AZR 226/87 - AP Nr. 97 zu § 626 BGB, Gründe II. 2.a). Als Beweiserleichterung für den beweisbelasteten Arbeitgeber können die Grundsätze des Anscheinsbeweises in Betracht kommen. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises beruhen auf der Lebenserfahrung, wonach bestimmte Geschehensabläufe eine gleichbleibende Ursache haben. Sie können deshalb nur bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen angewandt werden. Steht ein Sachverhalt fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, so ist dieser regelmäßige Verlauf vorläufig als bewiesen anzusehen. Der Beweisgegner (vorliegend also der Arbeitnehmer) kann dann den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis erschüttern. Er braucht hierzu nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen allerdings des vollen Beweises, d.h. das Gericht muss aufgrund gesonderter Beweiswürdigung zur vollen Überzeugung von der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Ablaufs gelangen. Der Anscheinsbeweis kehrt damit die Beweislast nicht um (Zöller-Greger ZPO 24. Auflage vor § 284 Rdnr. 29 ff.; Palandt-Heinrichs BGB 62. Auflage Vorbemerkung vor § 249 Rn. 163 ff. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes).

1.2 Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass der Kläger am 13.06.2003 durch sein Zuspätkommen die Arbeitspflicht schuldhaft verletzt hat. Seine Unpünktlichkeit hat der Kläger damit begründet, dass er verschlafen habe. Wenn ein Arbeitnehmer sein Zuspätkommen am Arbeitsplatz damit entschuldigt, dass er "verschlafen" habe, also nicht rechtzeitig daheim aufgewacht sei, so stellt diese Behauptung einen Sachverhalt dar, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung von einem Verschulden des Arbeitnehmers auszugehen ist. Im Gegensatz zum Zuspätkommen am Arbeitsplatz, das viele Gründe haben kann (z.B. Verspätung der öffentlichen Verkehrsmittel, Schaden am PKW, Unfall) und deshalb nicht typischerweise zu vertreten ist, spricht ein verspätetes Aufwachen zunächst für ein Vertretenmüssen. Rechtzeitiges Aufwachen kann man nämlich dadurch erreichen, dass man einen Wecker stellt oder sich durch zuverlässige Personen wecken lässt. Deshalb ist bei einem Verschlafen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zunächst davon auszugehen, dass die dadurch hervorgerufene Verspätung am Arbeitsplatz zu vertreten ist. Der Arbeitnehmer kann diesen vorläufigen Beweis dann dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorbringt, die das Gericht zur Überzeugung von der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Ablaufs gelangen lässt. Dies könnte z.B. ein Stromausfall bei der Benutzung eines elektrischen Weckers (ohne Funksteuerung) sein. Auch der vom Kläger vorliegend behauptete Sachverhalt, dass ein kleines Kind den Stecker des elektrischen Radioweckers nachts aus der Steckdose gezogen habe, ist ein solcher atypischer Geschehensablauf, der den Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern geeignet ist. Das Gericht muss allerdings von der Richtigkeit des Vortrages des Beweisgegners überzeugt sein im Sinne des § 286 ZPO. Hierfür genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschens so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, z.B. BGHZ 53, 245, 256).

Im vorliegenden Fall ist die erkennende Kammer nicht von der Richtigkeit des klägerischen Vortrages überzeugt. Das Arbeitsgericht hat bei der Beweiswürdigung der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers zu Recht Zweifel an der Wahrheit dieser Aussage geäußert. Diese Zweifel kommen zum einen aus dem von der Zeugin geschilderten Sachverhalt, zum anderen daher, dass der Kläger an einem Personalgespräch am 13.06.2003 nicht diesen außergewöhnlichen Sachverhalt der Personalleiterin der Beklagten mitgeteilt hat.

Das Berufungsgericht schließt sich der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts bezüglich des Vorganges im Schlafzimmer des Klägers an. Die Behauptung des Klägers ist in der Tat höchst zweifelhaft, dass ein 8-jähriges Kind aus dem Schlaf erwacht, von seinem Kinderzimmer in das elterliche Schlafzimmer geht und dort aus der auf dem Nachttisch des Vaters befindlichen und beweglichen Mehrfachsteckdose zwei Stecker der Nachttischlampe und des Radioweckers zieht und danach sich in das Bett der Eltern legt und weiterschläft, ohne dass die Eltern von diesem Vorgang etwas mitbekommen. Die Berufungskammer hat im Berufungstermin die Originalelektrogeräte des Klägers aufgebaut und demonstriert, dass sich die Stecker nur mit erheblichem Kraftaufwand aus der Steckdose ziehen lassen und auch nur so, dass der Betätigende mit der einen Hand die Mehrfachsteckdose festhalten muss, um mit der anderen Hand den oder die Stecker ziehen zu können. Dies geht nicht lautlos. Zudem ist eine derartige kindliche Verhaltensweise höchst ungewöhnlich. Entweder ist ein Kind aus dem Schlaf erwacht und geht dann zum "Kuscheln" oder Wiedereinschlafen ins Bett der Eltern. Dann zieht es keinen Stecker. Oder das Kind kann nicht mehr schlafen und geht zum Spielen oder Basteln ins Schlafzimmer der Eltern. Dann bekommen die Eltern die längere und laute nächtliche Anwesenheit des Kindes in der Regel mit.

Die Sachverhaltsschilderung der Zeugin allein hätte beim Berufungsgericht jedoch noch nicht zu erheblichen Zweifeln im Sinne des § 286 ZPO geführt, weil auch ein außergewöhnlicher Lebenssachverhalt möglich sein kann. Die Kammer ist aber davon überzeugt, dass in diesem Fall der Kläger einen so außergewöhnlichen und merkwürdigen Vorfall im Personalgespräch mit der Personalleiterin der Beklagten sofort und von sich aus geschildert hätte. Dem Kläger musste nach den insgesamt fünf Abmahnungen klar sein, dass sein Arbeitsplatz höchst gefährdet war. Es hätte deshalb nichts näher gelegen, als dass der Kläger sofort nach Eintreffen der Beklagten diesen Sachverhalt mitgeteilt und sich entschuldigt hätte. Dies hat er unstreitig nicht getan. Er hat aber nicht einmal in einem am gleichen Tag anberaumten Personalgespräch den Grund seines Verschlafens mitgeteilt, obwohl die Personalleiterin deutlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses angesprochen hat. Davon ist die Kammer aufgrund der Zeugenaussage der Zeugin S. überzeugt. Diese Zeugin hat eindeutig ausgesagt, dass am 13.06.2003 ein Gespräch mit dem Kläger in Anwesenheit eines Dolmetschers und des Vorgesetzten des Klägers stattgefunden hat. In diesem Gespräch hat der Kläger auf die entsprechende Frage, warum er zu spät zur Arbeit gekommen sei, lediglich geantwortet, dass er verschlafen habe. Auch nach der Ankündigung, dass nunmehr eine Kündigung ausgesprochen werde, hat der Kläger keinen weiteren Entschuldigungsgrund angeführt. Die Zeugin hat auf die Kammer einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Entgegen dem Kläger, der seinen Vortrag im Berufungstermin gewechselt hat, hat die Zeugin lebensnah geschildert, dass die erneute Verspätung des Klägers zu einem Personalgespräch geführt hat. Der Inhalt dieses Personalgesprächs ("nach seinen Angaben hat der Kläger verschlafen") findet sich dann in der Betriebsratsanhörung vom gleichen Tag wieder. Für die Kammer ist es ausgeschlossen, dass die Personalleiterin diesen Entschuldigungsgrund des Klägers erfunden hat. Dagegen hat der Kläger seine Sachverhaltsversion erstmals sechs Monate nach dem Vorfall im Kündigungsstreit schriftsätzlich vortragen lassen.

Da die Kammer deshalb nicht von der Wahrheit des klägerischen Vortrags überzeugt ist, ist der von der Beklagten geführte Anscheinsbeweis, wonach der Kläger die Verspätung am 13.06.2003 verschuldet hat, nicht erschüttert worden.

1.3 Die schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers am 13.06.2003 rechtfertigt nach drei einschlägigen und zwei ähnlichen Abmahnungen innerhalb eines Jahres eine verhaltensbedingte Kündigung, weil auch nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden kann.

Mit den beiden Abmahnungen vom 28.05.2002 und 24.10.2002 hat die Beklagte insgesamt 16 Fälle von Zuspätkommen des Klägers im Zeitraum März bis Oktober 2002 beanstandet, wenn man die neun Stempelzeiten um 6.00 Uhr herausrechnet. Die Abmahnung vom 20.03.2003 betrifft eine wohl unverschuldete Verspätung des Klägers aufgrund eines Fahrzeugschadens. Der Kläger hat jedoch auch am 20.12.2002 und am 01.04.2003 Abmahnungen wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht bei Arbeitsunfähigkeit erhalten, weil er erst ca. zwei Stunden bzw. ca. eine Stunde nach Arbeitsbeginn telefonisch seine Erkrankung der Beklagten angezeigt hat. Dies ist nicht unverzüglich im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gewesen. Selbst wenn er erst kurz zuvor an einer Magen-Darm-Infektion erkrankt war, hätte jedenfalls seine Ehefrau die Beklagte vor oder bei Arbeitsbeginn telefonisch benachrichtigen können. Die beiden Abmahnungen wegen Verletzung der Anzeigepflicht liegen "auf der gleichen Ebene" wie die Abmahnungen wegen Verspätung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. Urteil vom 24.03.1988 - 2 AZR 680/87 - nv, II. 3. der Gründe) muss der auf eine Abmahnung folgende Wiederholungsfall gleichartig bzw. vergleichbar sein. Bei der Beurteilung der Gleichartigkeit ist allerdings kein strenger formaler Maßstab anzulegen. Es genügt eine Ähnlichkeit der Sachverhalte. Letztlich ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer aus der Abmahnung bei gehöriger Sorgfalt erkennen konnte, der Arbeitgeber werde das neuerlich störende Verhalten nicht einfach hinnehmen, sondern eventuell mit einer Kündigung reagieren (vgl. KR-Fischermeier a.a.O. § 626 BGB Rn. 269 m.w.N.). Auch wenn die Pflichtverletzungen rechtlich unterschiedlicher Natur sind (Unpünktlichkeit ist eine Verletzung der Hauptpflicht, verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit ist eine Verletzung der Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis), lassen sie jedoch auf eine künftig anhaltende Unzuverlässigkeit des Arbeitnehmers schließen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger nach Ausspruch der zweiten Abmahnung am 24.10.2002 seine bis dahin massiv aufgetretenen Verspätungen weitgehend abgestellt hat. Zum einen mag dies daran liegen, dass er eine anstrengende Nebentätigkeit im Bistro eingestellt hat und der Ehefrieden nach seinen Angaben wieder hergestellt ist. Zum anderen kann es daran liegen, dass er seit Oktober 2002 nur noch jede zweite Woche in Frühschicht gearbeitet hat. Auch bei Berücksichtigung dieser Umstände kann nach Auffassung der Kammer im Kündigungszeitpunkt jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger keine Vertragsverletzungen mehr begehen wird. Auch in den acht Monaten nach Ausspruch der zweiten Abmahnung hat der Kläger zwei schuldhafte Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit begangen und ist - wie oben ausgeführt - am 13.06.2003 nicht unverschuldet zu spät zur Arbeit gekommen. Bei drei erheblichen Verletzungen des Arbeitsvertrages innerhalb von acht Monaten ist zu befürchten, dass der Kläger auch in Zukunft gleichartige Pflichtverletzungen begehen wird.

1.4 Eine anderweitige Beschäftigung an einem anderen (freien) Arbeitsplatz, an dem es insbesondere zu keinen Verspätungen kommen wird, ist vom Kläger nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Bei der Beklagten ist Wechselschicht der Normalfall, d.h. alle zwei Wochen fällt Frühschicht an. Der Kläger ist ausnahmsweise auf eigenen Wunsch vor Oktober 2002 nur in Frühschicht beschäftigt worden. Eine Beschäftigung nur in Spätschicht gibt es nach der nicht bestrittenen Aussage der Beklagten in der Regel nicht. Eine solche Beschäftigung hat der Kläger - mit eventuellen Hinweisen auf Probleme beim Aufstehen - auch nicht verlangt.

1.5 Die Kündigung ist auch im Rahmen der gebotenen umfassenden Interessenabwägung sozial gerechtfertigt.

Die Kammer berücksichtigt bei den Interessen des Klägers die Unerhaltsverpflichtung für vier Personen (Ehefrau und drei minderjährige Kinder). Dagegen ist die Vermittelbarkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund seines Lebensalters (im Zeitpunkt der Kündigung 36 Jahre) noch nicht eingeschränkt. Auch die Betriebszugehörigkeit des Klägers (fünf Jahre) fällt nicht besonders schwer ins Gewicht, zumal das letzte Arbeitsjahr nicht ungestört verlaufen ist.

Die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen nach Auffassung der erkennenden Kammer. Auch wenn in Zukunft möglicherweise nicht mehr so häufige und erhebliche Verspätungen des Klägers wie im Zeitraum März 2002 bis Oktober 2002 zu befürchten sind, ist die Zukunftsprognose nicht positiv (s.o.). Die Pflichtverletzungen des Klägers (Zuspätkommen, zu späte Anzeige der Arbeitsunfähigkeit) haben bei der Beklagten auch erhebliche Wirkungen auf den Betriebsablauf. Der Kläger ist in der Vormontage von Fahrzeugsitzen der Firma P. beschäftigt. Diese Automobilfirma vergibt nach den unwidersprochenen Angaben der Beklagten im Rahmen der Geschäftsbeziehung kurzfristig Aufträge über ganz unterschiedliche Fahrzeugsitze, die dann ebenfalls kurzfristig "just-in-time" gefertigt und sofort auf den LKW verladen werden, der ans Montageband der Firma P. fährt. Eine Produktion auf Vorrat ist deshalb nicht möglich. Der Ausfall eines Arbeiters in der Produktionskette muss kurzfristig überbrückt werden. Deshalb ist auch eine Gleitzeitregelung nicht möglich.

2. Die Betriebsratsanhörung ist vorliegend ordnungsgemäß. Die Beklagte hat die schriftliche Anhörung des Betriebsrats vom 13.06.2003 vorgelegt. Eine Stellungnahme hat der Betriebsrat nicht abgegeben. Der Kläger hat die Feststellungen des Arbeitsgerichts zur ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung auch nicht mit der Berufung angegriffen.

3. Die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB von zwei Monaten zum Ende eines Kalendermonats ist vorliegend eingehalten.

III.

Da somit die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben konnte, hat er die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels gem. § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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