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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: 2 Sa 73/04
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 288 Abs. 1 Satz 2
BGB § 612 a
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 73/04

verkündet am 20.10.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Bayerbach und den ehrenamtlichen Richter Semmig auf die mündliche Verhandlung vom 20.10.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 18.06.2004 - 3 Ca 754/03 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 760,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.12.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Bezahlung der Weihnachtsgratifikation 2003.

Der am 14.11.1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.12.2002 als Lagerist beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 29.11.2002 vereinbarten die Parteien ein monatliches Bruttogehalt von 1.900,00 € und eine regelmäßige Arbeitszeit von 35 Stunden wöchentlich. Im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Zahlung einer Weihnachtsgratifikation vereinbarten die Parteien unter IV. des Arbeitsvertrages:

Soweit Zulagen oder Gratifikationen gewährt werden, erkennt der Arbeitnehmer an, dass diese freiwillig gezahlt werden und auch hierauf nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst.

Die Beklagte entstand aus einem Teilbetriebsübergang des Landmaschinenherstellers C. am 01.04.2002. In diesem Zusammenhang übernahm die Beklagte 34 Arbeitnehmer. Die Arbeitsverträge dieser übernommenen Mitarbeiter nahmen auf die tariflichen Bestimmungen der Metallindustrie Bezug. Im Betriebsjahr 2002 erwirtschaftete die Beklagte einen erheblichen Verlust. Nach einer Betriebsversammlung im September 2003 bot die Beklagte zum Zwecke der Sanierung des Betriebs mit Schreiben vom 02.10.2003 sämtlichen Mitarbeitern eine Vertragsänderung an. Danach sollten sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Entgeltausgleich erhöhen, der bisher gezahlte Spätarbeitszuschlag entfallen und individuelle Zeitguthaben sich verringern. Der Kläger lehnte die Vertragsänderung ab. Die große Mehrheit der Belegschaft, die zu diesem Zeitpunkt auf 52 Arbeitnehmer angewachsen war, akzeptierte die Vertragsänderung. Neben dem Kläger lehnten noch sieben weitere Arbeitnehmer, die Mitglied der IG Metall sind, das Angebot des Arbeitgebers ab. Den Mitarbeitern, die mit der Vertragsänderung einverstanden waren, bezahlte die Beklagte mit der Novemberzahlung eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 40 % der Monatsvergütung. Die sieben IG Metall-Mitglieder, die neben dem Kläger das Vertragsangebot nicht akzeptiert hatten, erhielten die Weihnachtsgratifikation nach einem Rechtsstreit bezahlt.

Der Kläger verlangt mit der vorliegenden Klage die Bezahlung der Weihnachtsgratifikation 2003 in Höhe von 40 % der Durchschnittsvergütung der Monate September bis November 2003 in Höhe von 776,41 € brutto. Er stützt diesen Anspruch auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Außerdem sieht er in der Nichtbezahlung der Weihnachtsgratifikation eine Maßregelung. Die Differenzierung bei der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation zwischen den Mitarbeitern, die die Vertragsänderung akzeptiert haben und denen, die sie abgelehnt haben, sei sachfremd.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Ausschluss des Klägers von der Zahlung der Weihnachtsgratifikation 2003 keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstelle. Die Beklagte trägt vor, dass durch die Vertragsänderung, die die große Mehrheit der Belegschaft akzeptiert hatte, der Gang zum Insolvenzrichter habe vermieden werden können. Diese Mitarbeiter hätten auf ein Vielfaches der Weihnachtsgratifikation 2003 verzichtet. Diese Mehrheit hätte deshalb einen erheblichen Sanierungsbeitrag bereits geleistet gehabt. Zur Höhe der Weihnachtsgratifikation trägt die Beklagte vor, dass das Weihnachtsgeld nur 40 % der Grundvergütung betrage. Vermögenswirksame Leistungen und Zulagen seien nicht zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht hat im Urteil vom 18.06.2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Urteil an, dass ein Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben sei, weil die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung nicht sachfremd sei. Die Differenzierung verstoße auch nicht gegen das Maßregelungsverbot. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seite 2 und 3 des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses dem Kläger am 22.06.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.07.2004 eingelegte und am 18.08.2004 ausgeführte Berufung des Klägers. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, dass die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung sachfremd gewesen sei. Das Unterscheidungsmerkmal, nämlich der geleistete Sanierungsbeitrag, sei sachfremd, da die Zahlung von Weihnachtsgeld eine andere Zweckrichtung habe. Die Weihnachtsgratifikation solle die Betriebstreue belohnen und die jahreszeitbedingten Mehrkosten kompensieren. Im Übrigen habe der Arbeitgeber vor Auszahlung des Weihnachtsgeldes den Mitarbeitern die Sachgründe für die Zahlung des Weihnachtsgeldes nicht mitgeteilt. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 18.08.04 (Bl. 16-19 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 776,41 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.12.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt insbesondere vor, dass die Ungleichbehandlung des Klägers bezüglich des Weihnachtsgeldes sachlich gerechtfertigt sei. Der Kläger habe sich nicht an der Rettung der Beklagten im Hinblick auf die drohende Insolvenz beteiligt. Im Übrigen habe die Beklagte vor Auszahlung des Weihnachtsgeldes in der Betriebsversammlung darauf hingewiesen, dass ohne Zustimmung zur Vertragsänderung kein Weihnachtsgeld bezahlt werden könne. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 24.09.2004 und 29.09.2004 (Bl. 28-31 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers weitgehend Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2003 in Höhe von 760,00 € brutto gemäß § 612a BGB.

Gemäß § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Damit verbietet § 612a BGB jede Benachteiligung des Arbeitnehmers. Ein Verstoß gegen § 612a BGB liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Einbuße erleidet, d.h. wenn sich seine Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert, sondern auch dann, wenn ihm Vorteile vorenthalten werden, welche der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt, wenn diese entsprechende Rechte nicht ausgeübt haben (BAG 12.06.2002 - 10 AZR 340/01 - AP Nr. 8 zu § 612a BGB; BAG 28.07.1992 - 1 AZR 87/92 - AP Nr. 123 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. ErfK-Preis 4. Auflage § 612a Rn. 16). Dabei ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass § 612a BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt: verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen gegen das Maßregelungsverbot, so hat der übergangene Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erbringung der Leistung gem. § 612a BGB (BAG 12.06.2002 a.a.O.; BAG 04.08.1987 - 1 AZR 486/85 - AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Staudinger-Richardi BGB 13. Auflage § 612a Rn. 22; Palandt-Putzo BGB 62. Auflage § 612a Rn. 2; Schwarze, RdA 1993, 264, 266; a.M: Kort, RdA 2003, 122, 123; Marhold/Beckers Anmerkung zu BAG EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter IV.).

Der Kläger hat in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt, als er das Angebot der Beklagten vom 02.10.2003 auf Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit um fünf Stunden ohne Lohnausgleich, Streichung von 80 Stunden persönlichem Zeitguthaben und Streichung des Spätarbeitszuschlages abgelehnt hat. Ein Arbeitnehmer ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, sich auf dieses Angebot einer Änderung seines Arbeitsvertrages einzulassen. Weder aus dem auf § 242 BGB basierenden allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben noch aus einer spezifisch arbeitsrechtlichen Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber ist ein Arbeitnehmer gehalten, solche effektiven Stundenlohnkürzungen hinzunehmen. Das gilt auch in einer prekären wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers. Diesem steht vielmehr das Instrument der betriebsbedingten Änderungskündigung zur Verfügung (Kort, Anmerkung zu BAG, Urteil vom 12.06.2002, RdA 2003, 122). Dabei möchte die erkennende Kammer betonen, dass der Kläger aus rechtlichen Gesichtspunkten nicht verpflichtet ist, das Angebot des Arbeitgebers auf Lohnkürzung anzunehmen. Das Gericht hat nicht darüber zu befinden, ob Arbeitnehmer in einer wirtschaftlichen Notsituation des Arbeitgebers aus anderen Gründen gehalten sein könnten, einen Sanierungsbeitrag zur Rettung der Arbeitsplätze zu leisten.

Im vorliegenden Fall besteht auch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Rechtsausübung. Gemäß § 612a BGB muss nämlich die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet (ErfK-Preis 4. Auflage § 612a BGB Rn. 11). Die Maßnahme der Beklagten lag darin, solche Arbeitnehmer von der Bezahlung der Weihnachtsgratifikation 2003 auszuschließen (letztlich nur den Kläger), die dem Änderungsangebot nicht zugestimmt hatten. Dieses tragende Motiv hat die Beklagte im Schriftsatz vom 02.04.2004 auch zugestanden: "Hätte der Kläger die Vertragsänderung akzeptiert, wäre er mit den übrigen Mitarbeitern, die die Vertragsänderung akzeptiert hatten, gleichgestellt worden. Er hätte dann die reklamierte Weihnachtsgratifikation erhalten".

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass die Beklagte vor Zahlung der Weihnachtsgratifikation an die überwiegende Mehrheit der Belegschaft (auch an den Teil, der keinen vertraglichen Anspruch auf die Bezahlung einer Weihnachtsgratifikation hat) z.B. in der Betriebsversammlung im September 2003 den Arbeitnehmern und damit auch dem Kläger das alternative Angebot gemacht hat: Zustimmung zum Änderungsangebot vom 02.10.2003 und Zahlung der Weihnachtsgratifikation oder - als Alternative - Ablehnung des Änderungsangebotes verbunden mit dem Ausschuss einer Weihnachtsgratifikation. Dieses alternative Angebot ist den Arbeitnehmern und damit dem Kläger auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht unterbreitet worden. Für diesen Fall ist auch nicht davon auszugehen, dass 83 % der Belegschaft ein Angebot angenommen hätte, das über 7-fach wirtschaftlich schlechter ist.

Aufgrund der Verletzung des Maßregelungsverbots ist der Kläger so zu stellen, als wäre die verbotene Maßregelung nicht erfolgt. Dann hätte die Beklagte an den Kläger eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 40 % eines Monatsverdienstes in Anlehnung an den Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie bezahlt. Nach dieser Tarifregelung sind die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers sowie einmalige Zuwendungen für die Berechnung des Monatsverdienstes nicht zu Grunde zu legen. 40 % eines Monatslohns sind deshalb beim Kläger 760,00 € brutto. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Da für die Zahlung der Weihnachtsgratifikation am 01.12.2003 Fälligkeit eingetreten ist, hat der Schuldnerverzug erst am 02.12.2003 begonnen. Der Verzug beginnt bei kalendermäßig festgelegten Leistungen mit Ablauf des Tages, an dem die Leistung zu erbringen ist (vgl. Palandt-Heinrichs BGB 62. Auflage § 286 Rn. 32).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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