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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 21.07.2000
Aktenzeichen: 20 TaBV 4/99
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BGB, BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ArbGG § 87 Abs. 1
BGB § 185 Abs. 2
BGB § 185 Abs. 2 Satz 1
BGB § 626 Abs. 2
BetrVG § 23
BetrVG § 23 Abs. 1
BetrVG § 37 Abs. 6
BetrVG § 40
ArbGG § 92a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
20 TaBV 4/99

Verkündet am 21. Juli 2000

Im Beschlussverfahren

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 20. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Augenschein, den ehrenamtlichen Richter Bachmann und den ehrenamtlichen Richter Dietmaier auf die mündliche Anhörung vom 31.05.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm - Kn. Ravensburg - vom 07.05.1999 - 6 BV 13/98 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Von der Darstellung des Sachverhaltes wird in entsprechender Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen, da der Beschluss des Landesarbeitsgerichts der Rechtsbeschwerde nicht unterfällt.

II. Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und ausgeführte (§§ 87 Abs. 2 Satz 1 und 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3 zutreffend zurückgewiesen, weil die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles nicht gerechtfertigt wäre (§ 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Das Beschwerdegericht schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss - also nicht denjenigen zu § 626 Abs. 2 BGB - voll inhaltlich an und sieht insoweit gemäß § 543 Abs. 1 ZPO analog von der Darstellung der Gründe ab. Die Beschwerde gibt nur zu folgenden abschließenden Bemerkungen Anlass:

Das Arbeitsgericht ist in seiner Entscheidung, ohne es ausdrücklich hervorzuheben, von den auch von der erkennenden Beschwerdekammer geteilten Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung des BAG (Beschluss vom 22.08.1974 - 2 ABR 17/74 - AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972) zur Abgrenzung zwischen Amtspflicht- und Vertragsverletzungen ausgegangen. Danach ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach §23 BetrVG möglich, wenn dem Betriebsratsmitglied lediglich die Verletzung einer Amtspflicht zum Vorwurf gemacht wird. Sofern eine Handlung sowohl eine Amtspflichtverletzung als auch einen Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellt oder die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegen. In einem solchen Fall ist die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten als ein schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist.

1. In richtiger Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass das Verhalten des Beteiligten zu 3 bei der Beschaffung der Bücher "Zmarzlik, Arbeitszeitgesetz" und "Ungeschützte Arbeitsverhältnisse" für den Betriebsrat nicht geeignet ist, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3 zu begründen.

a) Bezüglich der Anschaffung des Buches "Zmarzlik, Arbeitszeitgesetz" brauchen die vom Arbeitsgericht zutreffend beantworteten, von der Arbeitgeberin im Beschwerdeverfahren erneut aufgeworfenen und mit zusätzlichem Sach- und Rechtsvortrag versehenen Fragen, ob der Beteiligte zu 3 das Buch bereits am 01.07.1998, also noch vor dem förmlichen Betriebsratsbeschluss vom 15.07.1998, endgültig für Rechnung der Arbeitgeberin bestellt hat und ob die Arbeitgeberin sich am 27.08.1998 gegen einen Erwerb ausgesprochen hat, nicht weiter vertieft und entschieden zu werden. Denn die Arbeitgeberin hat die vom Beteiligten zu 3 zur Bezahlung freigegebene Rechnung auch bezüglich dieses Buches kontrolliert und den Zahlungsvorgang für in Ordnung befunden. Damit hätte sie ein etwaiges vollmachtloses Vorgehen des Beteiligten zu 3 im Sinne des § 185 Abs. 2 Satz 1 BGB mit rückwirkender Kraft genehmigt, weshalb eine Eignung des Verhaltens des Beteiligten zu 3 als Kündigungsgrund ausschiede.

b) Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Beschaffung des Buches "Ungeschützte Arbeitsverhältnisse". Der Arbeitgeberin ist zwar zuzugeben, dass der Betriebsrat grundsätzlich nicht berechtigt ist, namens und in Vollmacht des Arbeitgebers Verpflichtungen einzugehen, sondern unter Berufung auf §40 BetrVG bezüglich in eigenem Namen eingegangener Verbindlichkeiten nur Freistellung verlangen kann. Etwas anderes konnte sich im Streitfall faktisch nur auf Grund der mit Ausnahme des Beginns der Legislaturperiode praktizierten Hinnahme der Aktivitäten des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin einerseits und die Verquickung der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und dem Betriebsratsamt in der Person des Beteiligten zu 3 als in der Abteilung Einkauf für Disposition und Rechnungsprüfung für Material- und Büromaterialeinkauf sowie Speditionsrechnungen zuständigen Mitarbeiter andererseits ergeben. Deshalb hätte es, wie vom Arbeitsgericht zutreffend als fehlend gerügt, zur Vermeidung etwaiger Interessenkollisionen einer klaren Regelung, etwa durch Entzug der Zuständigkeit betreffend Angelegenheiten des Betriebsrats und Verlagerung auf den Geschäftsführer selbst, bedurft. Unbeschadet dessen scheidet die Auszahlung des Kaufpreises für das Buch "Ungeschützte Arbeitsverhältnisse" an den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden R. am 26.08.1998 vor entsprechender Informationserteilung an die Arbeitgeberseite bereits deshalb als Kündigungsgrund aus, weil die Arbeitgeberin die Anschaffung am 27.08.1998 ausdrücklich bewilligt und den Vorgang damit gemäß § 185 Abs. 2 BGB rückwirkend genehmigt hat.

2. Auch den Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Nichtausreichen des Komplexes "Schulungsveranstaltung Berlin" für eine zu ersetzende Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3 ist beizutreten.

a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Mitteilung des Betriebsratsbeschlusses vom 02.09.1998 betreffend die Entsendung des Beteiligten zu 3 zum Seminar vom 13. bis 18.12.1998 gegenüber der Arbeitgeberin am 12.11.1998 und das zeitgleiche Buchen der Flugreise nach Berlin und zurück durch den Beteiligten zu 3 namens und in Vollmacht der Arbeitgeberin zwar mit dem gesetzlichen Leitbild des § 37 Abs. 6 BetrVG nicht ansatzweise in Einklang zu bringen ist. Danach hat der Betriebsrat bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigten und dem Arbeitgeber die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltungen rechtzeitig bekanntzugeben. Der Arbeitgeber kann die Einigungsstelle anrufen, wenn er die betrieblichen Notwendigkeiten nicht für ausreichend berücksichtigt hält. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

aa) Im Hinblick auf das Fehlen einer betrieblichen Reiseordnung, den unstreitigen Vortrag des Betriebsrats, wonach sich in der Vergangenheit jeder Reisende selbst um Route, Fahrkarte und Vorschuss gekümmert und die Arbeitgeberin das betriebsrätliche Handeln im wesentlichen kommentarlos über sich ergehen lassen habe, ist dennoch bereits fraglich, ob im Streitfall der objektive Tatbestand einer Arbeitsvertragsverletzung durch den Beteiligten zu 3 vorliegt.

bb) Selbst wenn man dies zu Gunsten der Arbeitgeberin unterstellt, etwa, weil man den Beteiligten zu 3 - oder generell Arbeitnehmer im Betrieb der Arbeitgeberin - nicht für berechtigt hält, Inlandsflugreisen, weil regelmäßig teurer als Bahnfahrten, ohne vorherige arbeitgeberseitige Zustimmung zu buchen, fehlte es jedenfalls am subjektiven Tatbestand der Vermögensgefährdungs- oder gar -schädigungsabsicht. Denn den Beteiligten zu 3 ist nicht zu widerlegen, dass er auf Grund der Verhältnisse im Betrieb von einer entsprechenden Befugnis ausging.

aaa) Die gegenteilige Auffassung der Arbeitgeberin fußt auf einer unzutreffenden Prämisse. Wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beteiligte zu 3 der Arbeitgeberin am 12.11.1998 nur das Blatt "Seminarbeschreibung/Themenplan" ohne die "Einladung" vom 26.10.1998 vorgelegt hat, um sie durch Vorenthalten des Seminarorts von einer Zustimmungsverweigerung abzuhalten und durch die Flugbuchung gleich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Es fällt zwar auf, dass in den von der Arbeitgeberin in zweiter Instanz vorgelegten Beispielen vorausgegangener Schulungsveranstaltungen die Seminarorte jeweils Bestandteil der Themenpläne waren, während im Streitfall der Tagungsort auf der Seite "Seminarbeschreibung/Themenplan" nicht angegeben und nur in dem separaten Anschreiben vom 26.10.1998 genannt ist. Die Arbeitgeberin hat jedoch auch im Beschwerdeverfahren den Einwand des Betriebsrats nicht widerlegt, wonach dem Betriebsratsschreiben vom 12.11.1998 auch Letzteres beigelegen habe.

Bei Zugrundelegung der gegenteiligen Version der Arbeitgeberin müsste diese sich fragen lassen, weshalb sie die für die Beurteilung der Erforderlichkeit im Sinne des §37 Abs. 6 BetrVG nicht unmaßgebliche Mitteilung des Veranstaltungsortes nicht als fehlend gerügt hat, wenn sie sich nicht umgekehrt - auch in diesem Falle - dem Vorwurf des Betriebsrats aussetzen wollte, dessen Aktivitäten im Wesentlichen zu ignorieren.

bbb) Der Umstand, dass der Beteiligte zu 3 dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin nur die Seminar-, nicht aber die Reisekostenrechnung zur Durchsicht und Genehmigung vorgelegt hat, ist gleichfalls nicht geeignet, diesem zu unterstellen, er habe der Arbeitgeberin seine Berlin-Reise als solche und die Benutzung eines Flugzeugs verschleiern wollen, weil ihm die Unrechtmäßigkeit seines Handelns bekannt gewesen sei. Denn der Betriebsrat hat, von der Arbeitgeberin im Kern unwidersprochen, dargetan, dass die unterschiedliche Handhabung der Rechnungen der betrieblichen Übung entspreche.

ccc) Fällt damit der Ausgangspunkt der von der Arbeitgeberin behaupteten Indizien für einen deliktischen Willen des Beteiligten zu 3 bei der Abgabe der Verpflichtungserklärungen anlässlich der Seminarteilnahme weg, verbleibt nur die Tatsache der zeitgleich mit der Mitteilung des Betriebsratsbeschlusses erfolgten Buchung der Flugreise und die dadurch verursachten Mehrkosten von DM 130,-- gegenüber einer Bahnreise. Daraus allein kann angesichts der übrigen Umstände nicht auf ein doloses Verhalten des Beteiligten zu 3 geschlossen werden. Eine bloße etwaige Pflichtwidrigkeit allein, verbunden mit einem Ersatzanspruch der Arbeitgeberin gegen den Beteiligten zu 3, wäre für eine außerordentliche Kündigung nicht geeignet. Auch braucht in diesem Zusammenhang der Frage nicht weiter nachgegangen zu werden, ob und ggf. inwieweit das diesbezügliche Verhalten des Beteiligten zu 3 im Rahmen des § 23 Abs. 1 BetrVG einen Pflichtverstoß darstellt.

b) Dass die objektiv pflichtwidrige Nichtmitteilung der Nichtteilnahme am Seminar am 18.12.1998, um als Zeuge in der Verhandlung der von mehreren Arbeitnehmern der Arbeitgeberin gegen diese geführten Rechtsstreite vor dem Arbeitsgericht Ulm - Kn. Ravensburg - erscheinen zu können, gleichfalls nicht geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3 zu rechtfertigen, hat das Arbeitsgericht ebenfalls mit zutreffender Begründung ausgeführt. Mangels anderer Anhaltspunkte kann zu Gunsten der Arbeitgeberin nicht davon ausgegangen werden, dass ihr insoweit überhaupt ein Vermögensschaden entstanden ist. Die Seminarkosten waren auf Grund der den Beteiligten zu 3 erst am 11.12.1998, seinem letzten Arbeitstag vor Schulungsbeginn, erreichenden Zeugenladung vom 08.12.1998 nicht mehr reduzierbar. Die Arbeitgeberin hat auch nicht darauf abgehoben, dass sie dem Beteiligten zu 3, der Gehaltsempfänger ist, für die Zeit der fiktiven Abwesenheit vom Arbeitsplatz anlässlich der Wahrnehmung seiner Zeugenpflicht die Vergütungsfortzahlung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG gestrichen hätte oder nachträglich gestrichen hat und in vergleichbaren Fällen andere Arbeitnehmer, die nicht Betriebsräte sind, stattdessen ebenfalls auf für sie, die Arbeitgeberin, günstigere Zeugenentschädigungen verweist.

3. Scheitern kündigungsrelevante objektive Vertragspflichtverletzungen oder gar strafbares Verhalten des Beteiligten zu 3 jedenfalls auf Grund Nichtvorliegens der subjektiven Tatbestandsmerkmale, gilt gleiches auch für die von der Arbeitgeberin begehrte Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3 unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung. Die Gesamtumstände ermöglichen keinen hinreichenden Schluss auf einen dringenden Verdacht strafbarer Handlungen des Beteiligten zu 3 zum Nachteil der Arbeitgeberin betreffend die Komplexe "Bücheranschaffungen" und "Schulungsveranstaltung Berlin". Die Arbeitgeberin muss sich vielmehr entgegenhalten lassen, dass das zum Teil reichlich selbstherrliche Verhalten des Beteiligten zu 3 unter anderem auf den Nichtentzug arbeitsvertraglicher Prüfungs- und Dispositionszuständigkeiten in Bezug auf betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten zurückzuführen ist, so dass der Beteiligte zu 3 immer wieder in seinen Funktionen als Betriebsratsvorsitzender und als Vertreter der Arbeitgeberin mit ein und derselben Sache zu tun hat. Über diesen Bereich der unmittelbar drohenden Interessenkollision hinaus existiert offenbar auch keine Dienstreiseordnung oder wenigstens eine entsprechende Zuständigkeitsregelung, sodass die Arbeitgeberin nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten ist, zunächst klare Regeln aufzustellen und deren Überwachung zu kontrollieren, bevor sie zum schärfsten Mittel der fristlosen Kündigung greift. Ihre Beschwerde erwies sich damit als unbegründet, weshalb sie zurückzuweisen war.

III. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskosten- und -gebührenfrei (§ 12 Abs. 5 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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