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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: 21 Sa 111/00
Rechtsgebiete: TV, KSchG, EStG, ZPO, ArbGG
Vorschriften:
TV § 1 | |
TV § 2 | |
TV § 3 | |
TV § 4 | |
TV § 8 | |
TV § 14 Ziffer 1 Abs. 3 | |
KSchG § 9 | |
KSchG § 10 | |
EStG § 3 Nr. 9 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1 |
21 Sa 111/00
verkündet am 10. Mai 2001
In dem Rechtsstreit
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer -durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht, den ehrenamtlichen Richter Burkard und den ehrenamtlichen Richter Stolz auf die mündliche Verhandlung vom 10.05.2001 für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 10.11.2000 - Aktenzeichen 26 Ca 1189/00 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung aufgrund des Tarifvertrages zur Abwendung sozialer Härten bei Rationalisierungsmaßnahmen der Druckindustrie (Rationalisierungsschutzvertrag) vom 06.07.1984 (im folgenden kurz: TV).
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Druckindustrie in der Rechtsform der GmbH, bei welchem der am 03.01.1941 geborene, verheiratete und schwerbehinderte Kläger seit März 1985 als Offsetmontierer tätig war und zuletzt DM 40,14 brutto pro Stunde bei einer Regelarbeitszeit von 38 Stunden pro Woche verdiente.
Die Beklagte stellt ihre Erzeugnisse im Offsetdruckverfahren ohne eigene Druckvorstufe her. Die für den Druckvorgang erforderlichen Druckplatten wurden bis 1995 ausschließlich manuell hergestellt. Dabei brachten die Kunden entweder fertige Filme oder aber die zu druckenden Daten wurden im Rahmen einer externen Druckvorstufe zu Filmen entwickelt. Anhand dieser Filme erstellte der Kläger zusammen mit drei Kollegen manuell die Druckvorlagen und kopierte diese sodann auf die Druckplatte. Seit 1997 nimmt die Beklagte beim Auftragseingang auch digitalisierte Daten (Übermittlung der Daten über ISDN, Internet oder Disketten) an, die bei einer Firma L & N ... (im folgenden kurz Firma L & N) mit einer neu angeschafften CTP-Anlage (computer-to-plate) vollautomatisch zu einer fertigen Druckplatte verarbeitet werden. Bei diesem Verarbeitungsprozeß entfallen das Erstellen der Druckvorlagen und der manuelle Druckplattenkopiervorgang. An der Firma L & N ist der Geschäftsführer der Beklagten unstreitig als Gesellschafter beteiligt. Streitig ist indes, ob sich auch die Beklagte bei der Anschaffung der CTP-Anlage finanziell beteiligt hatte. Jedenfalls stellte die Beklagte einen ihrer Mitarbeiter, Herrn K., zur Bedienung dieser Anlage bei der Firma L & N ab und bezahlte ihn weiterhin. Diese Aufwendungen wurden mit den Werklohnforderungen der Firma L & N an die Beklagte verrechnet. Die manuelle Druckplattenfertigung wurde weiter - nebenbei - betrieben.
Nachdem sich das Aufkommen für diesen Bereich ständig reduzierte und die Stücklohnkosten - auch wegen der häufigen Fehlzeiten des Klägers - wuchsen, beschloß die Beklagte am 06.08.1999, die manuelle Druckplattenherstellung künftig extern zu vergeben und die eigene Abteilung zum 31.03.2000 zu schließen. Aus diesem Grund erhielt der Kläger die Kündigung zum 30.04.2000, welche er angenommen hat. Die manuelle Druckplattenherstellung erfolgt seit dem 01.04.2000 extern durch die Firma Offset-Studio GmbH in Stuttgart-Zuffenhausen.
Der Kläger verlangt nun von der Beklagten unter Berufung auf seinen Arbeitsvertrag vom 28.01.1985 (Anlage K 1, ArbG-Akte Blatt 9 und 10), in welchem auf die "Bestimmungen der jeweils geltenden Tarifverträge (Manteltarifvertrag und Gehaltstarifvertrag), abgeschlossen zwischen den Tarifpartnern der Druckindustrie", Bezug genommen ist, sowie auf § 8 TV eine Entschädigung in Höhe von neun Monatslöhnen à DM 6 500,00 brutto = DM 58 500,00. Er hat deshalb am 24.07.2000 Zahlungsklage beim Arbeitsgericht Stuttgart eingelegt.
Der Kläger ist der Ansicht, daß seine Entlassung ursächlich auf die Einführung der neuen Technik der Druckplattenherstellung mittels der CTP-Anlage und gleichzeitig auf eine innerbetriebliche Maßnahme zurückzuführen sei, da die Beklagte aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verflechtung mit der Firma L & N ein Gemeinschaftsunternehmen betreibe. Die externe Vergabe der manuellen Druckplattenherstellung sei nur der logisch letzte Schritt der schon 1997 beschlossenen Verlagerung der Druckplattenherstellung auf die CTP-Technik gewesen; es habe sich um eine einheitliche unternehmerische Entscheidung gehandelt, die lediglich zeitversetzt zum Tragen gekommen sei.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Sozialabfindung im Sinne der §§ 9 und 10 KSchG in Verbindung mit § 3 Nr. 9 EStG einen Betrag von DM 58 500,00 zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit 22.05.2000 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Urteils auszuschließen.
Sie vertritt die Auffassung, bei der Druckplattenherstellung durch die Firma L & N handle es sich um eine externe Auftragsvergabe. Die Fremdvergabe der manuellen Herstellung der Druckplatten habe mit der Entscheidung, die digitalisierten Daten bei der Firma L & N bearbeiten zu lassen, nichts zu tun. Im übrigen habe man 1997 noch gar nicht wissen können, mit welcher Geschwindigkeit die Technik der digitalen Druckplattenherstellung die manuellen Herstellungsmethoden verdrängen würde. Die Entscheidung zur Fremdvergabe der manuellen Tätigkeit sei erst im Jahr 1999 gefallen, nachdem wegen der häufigen Krankheiten des Klägers niemand mehr im Betrieb Druckplatten habe manuell herstellen können und sie gemerkt habe, daß die Fremdvergabe billiger komme.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 10.11.2000, welches am 24.11.2000 zugestellt worden ist, abgewiesen und im wesentlichen zur Begründung ausgeführt: Zwar habe die Beklagte ab 1997 ihre Arbeits- und Produktionsabläufe (teilweise) geändert und neue Arbeitstechniken eingeführt, indem sie digitalisierte Daten annehme und sie mittels einer CTP-Anlage bei der Firma L & N zu Druckplatten verarbeiten lasse; diese (teilweise) Abänderung der Arbeits- und Produktionsabläufe beruhe auch auf einer neuen innerbetrieblichen technischen Entwicklung, da es nicht entscheidend sein könne, wo die neue CTP-Anlage aufgestellt worden sei, sondern daß die Beklagte sie sich zu eigen gemacht habe. Ob die Einführung der geänderten Arbeitstechnik auch zu Rationalisierungszwecken erfolgt sei, könne dahinstehen; letztendlich sei nämlich ein Kausalzusammenhang zwischen der technischen Änderung und der Entlassung des Klägers nicht gegeben. Würden die digitalisierten Daten nicht über die CTP-Anlage, sondern über den Zwischenträger Film verarbeitet, würde der bei der klassischen manuellen Fertigung notwendige zeitaufwendige Arbeitsgang Druckvorlagenerstellen ebenso entfallen. Dies zeige, daß nicht die technische Neuerung CTP-Anlage, sondern die auf einem nicht steuerbaren außerbetrieblichen Kundenverhalten beruhende Änderung der Auftragsannahme den Arbeitsgang manuelle Druckvorlagenerstellung in Wegfall gebracht habe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 22.12.2000 eingereichten Berufung, die er mit einem weiteren am 22.01.2001 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ausgeführt hat. Er macht geltend, die Anschaffung der CTP-Anlage beinhalte eine Rationalisierungsmaßnahme im Sinne der Rechsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des § 3 TV, welche unmittelbar kausal zum Wegfall seines Arbeitsplatzes geführt habe. Der automatisierte Fertigungsprozeß ersetze vollumfänglich die Tätigkeit, welche bisher die Offset-Montierer ausgeübt hätten. Es sei auch nicht so, daß die digitale Drucktechnik der Beklagten durch ein geändertes Kundenverhalten aufgedrängt worden sei. Die Beklagte habe sich vielmehr zu einem Zeitpunkt für die Anschaffung der CTP-Anlage bei der Firma L & N entschieden, als die zur Druckfertigung notwendigen Unterlagen noch zu 100 % in Form von Manuskripten und Filmen angeliefert worden seien. Die Geschäftsführung der Beklagten habe im Jahr 1997 darauf gedrängt, zukünftig nach Möglichkeit sämtliche Druckaufträge digital abzuwickeln, da auf diese Weise die Bearbeitungszeiten stark verkürzt und der Fertigungsprozeß entsprechend vergünstigt werde. Entsprechend seien die Mitarbeiter nachhaltig dazu angehalten worden, die Kunden zu einem Umstieg auf die digitale Drucktechnik zu bewegen und zukünftig statt Filmen, welche manuell zu montieren und zu kopieren seien, digitale Daten anzuliefern. Aus diesem Grund seien die Mitarbeiter im Bereich Montage/Kopie bei der Beklagten bereits mit Einführung der CTP-Anlage im Jahr 1997 darauf hingewiesen worden, daß der Einstieg in die digitale Drucktechnik unweigerlich zum Fortfall ihrer Arbeitsplätze führen werde, da diese Tätigkeiten künftig ausschließlich von der CTP-Anlage verrichtet würden. Deshalb stelle sich der Wegfall der manuellen Tätigkeiten im Bereich Montage/Kopie als notwendige Folge der Einführung der CTP-Anlage dar. Daß jene Abteilung zunächst noch parallel weiter unterhalten worden sei, stehe dem nicht entgegen. Dies entspreche vielmehr der allgemeinen wirtschaftlichen Erfahrung, wonach die Einführung neuer Techniken, die notwendigerweise auf eine Akzeptanz der Kunden angewiesen sei, zwingend eine gewisse Übergangsphase benötige, bis sie in der Lage sei, die früheren Arbeitsabläufe vollständig zu ersetzen. Entscheidend sei, daß mit jeder Umstellung eines Kundenauftrages auf das Digitalverfahren manuelle Montage- und Kopietätigkeiten ersatzlos weggefallen seien. Deshalb sei die Einführung der digitalen Drucktechnik kausal für den Wegfall seines Arbeitsplatzes und begründe seinen Entschädigungsanspruch nach § 8 TV.
Unzutreffend sei die Annahme des Arbeitsgerichts, daß die von ihm manuell verrichteten Arbeitsgänge Montage und Kopie unabhängig von der Anschaffung einer CTP-Anlage auch dann entfallen wären, wenn die Kunden Druckvorlagen in Form digitaler Daten angeliefert hätten. Dies sei schon deshalb nicht richtig, weil die Anlieferung von Druckvorlagen in Form von Daten nicht von den Kunden ausgegangen, sondern maßgeblich durch die Beklagte forciert worden sei, nachdem die CTP-Anlage angeschafft worden sei. Weiter verkenne das Arbeitsgericht die tatsächlichen technischen Abläufe, wenn es unterstelle, daß digital angelieferte Daten auch ohne eine CTP-Anlage sinnvoll und kostengünstig zu Druckvorlagen verarbeitet werden könnten. Zwar sei es theoretisch möglich, digital angelieferte Daten manuell zu verarbeiten; dies wäre jedoch sowohl technisch als auch betriebswirtschaftlich widersinnig, da zwangsläufig ein erheblicher Arbeitsmehraufwand und erhebliche Zusatzkosten entstehen würden. Bei einem solchen Szenario wären jedenfalls in erheblichem Umfang zusätzliche Montage- und Kopierarbeiten angefallen, so daß sein Tätigkeitsbereich voll erhalten geblieben wäre.
Der Kläger beantragt im zweiten Rechtszug:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 10.11.2000, Aktenzeichen 26 Ca 1189/00, verurteilt, an den Kläger DM 58 500,00 nebst 4 % Zinsen hieraus seit 22.05.2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigt zum Teil das arbeitsgerichtliche Urteil und verweist im übrigen auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.03.1994 - 4 AZR 270/93 = AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge Graphisches Gewerbe. Die danach maßgeblichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Zahlungsanspruch seien nicht erfüllt. Bis 1997 sei nämlich die Druckplattenherstellung ausschließlich manuell erfolgt, eine digitale Plattenfertigung habe in ihrem Betrieb zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Es treffe nicht zu, daß ihre Geschäftsführung die Kunden zur digitalen Abwicklung ihrer Druckaufträge gedrängt und ihre Mitarbeiter angewiesen habe, die Kunden zu einem Umstieg auf die digitale Plattenfertigung zu bewegen. Vielmehr lasse sie nach wie vor Druckplatten auch manuell über ein Drittunternehmen fertigen. Die digitale Plattenfertigung habe für sie keine Kostenvorteile gebracht, sie habe jede Leistung der Firma L & N bezahlen müssen. Die Produktionskosten beider Fertigungsweisen seien nahezu gleich hoch. Tatsächlich sei das Aufkommen an digitalen Auftragsunterlagen im Jahr 1996 nicht absehbar gewesen, sie habe lediglich auf Kundenanfragen reagiert. Die Kündigung des Klägers sei nach allem nicht kausal auf die Änderung der Produktionsprozesse durch organisatorische Maßnahmen und Rationalisierung zurückzuführen; der Rückgang der manuellen Montage- und Kopierarbeiten sei außerbetrieblich veranlaßt. Grund der Kündigung des Klägers sei allein die Fremdvergabe der manuellen Montage- und Kopierarbeiten gewesen.
Auch nach dem 01.03.1997 habe sich an dem manuellen Produktionsverfahren nichts geändert. Sie habe in ihrem Betrieb keine neue Technik eingeführt. Das Bundesarbeitsgericht verlange aber den Vollzug einer konkreten technischen Maßnahme im Rahmen der all-gemeinen technischen Gesamtentwicklung in dem betreffenden Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers. Das "Sich-zu-Eigen-Machen" der technischen Neuerungen über die Firma L & N beinhalte keinen innerbetrieblichen Vollzug einer technischen Maßnahme. Allenfalls habe sie sich allgemein eine technische Entwicklung zu eigen gemacht, die nicht zu einer zweckmäßigen Gestaltung der Arbeitsvorgänge gedacht gewesen sei. Die klassische manuelle Plattenfertigung habe sie nämlich nicht umgestaltet, sondern weiterhin vor-genommen und daneben über die Firma L & N in digitaler Weise erstellte Druckplatten eingekauft. Die digitale Plattenfertigung habe nicht zum Wegfall der vom Kläger durchgeführten Montagearbeiten geführt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte Berufung des Klägers (§ 64 Absatz 2 lit. b ArbGG) wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß ausgeführt (§ 66 Absatz 1 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO). Sie ist auch im übrigen zulässig.
II.
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg; denn das Arbeitsgericht hat die (zulässige) Zahlungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger gemäß § 8 TV eine Entschädigung für die Aufgabe des sozialen Besitzstandes bei Entlassungen infolge von Maßnahmen im Sinne des § 3 TV zu zahlen; denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch sind auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht erfüllt. Die Entlassung des Klägers beruht nämlich nicht auf einer Maßnahme im Sinne des § 3 TV.
1. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fand aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme unstreitig der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der ab 06.07.1984 geltenden Fassung (kurz: MTV) und in Verbindung mit dessen § 14 Ziffer 1 Absatz 3 der Tarifvertrag zur Abwendung sozialer Härten bei Rationalisierungsmaßnahmen (Rationalisierungsschutzvertrag) - kurz TV - Anwendung.
2. Für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruches sind damit folgende Regelungen des TV maßgeblich:
"Die Nutzung der technischen Entwicklung und der Rationalisierung dient der Wirtschaftlichkeit der Betriebe und der Steigerung der Produktivität der Volkswirtschaft. Sie ist deshalb unter anderem in der Lage, den erreichten Lebensstandard zu sichern und zu verbessern.
Um jedoch soziale Härten zu vermeiden oder zu mildern, die im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen eintreten können, haben die Tarifvertragsparteien die folgenden Bestimmungen vereinbart: ...
§ 2 Grundsatz
Technische Entwicklung und Rationalisierung sollen in ihrer Auswirkung neben den wirtschaftlichen auch sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen.
§ 3 Begriffsbestimmung
Maßnahmen im Sinne dieses Abkommens sind Änderungen von Arbeitstechniken, Arbeits- und Produktionsabläufen, auch durch organisatorische Maßnahmen, die mit technischer Entwicklung und Rationalisierung zu begründen sind, sofern sie zur Freisetzung, Lohnminderung oder Umsetzung, verbunden mit Lohnminderung, führen.
§ 4 Planungen
Bei Maßnahmen im Sinne des § 3 ist der Betriebsrat so früh wie möglich einzuschalten, um die Auswirkungen zu beraten mit dem Ziel, gemeinsam einen Plan zu erarbeiten, nach dem soziale Härten vermieden werden können...
§ 8 Entschädigung
Als Entschädigung für die Aufgabe des sozialen Besitzstandes bei Entlassungen infolge von Maßnahmen im Sinne des § 3 erhalten Arbeitnehmer:
nach vollendetem vollendete Jahre der Betriebszugehörigkeit
10 15 20 25
40. Lebensjahr 5 6 7 8 50. Lebensjahr 6 7 8 9 55. Lebensjahr 7 8 9 10 58. Lebensjahr 8 9 10 12 Monatslöhne
..."
3. Auch nach Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger keine Entschädigung nach § 8 TV verlangen; denn nach dieser Bestimmung erhalten Arbeitnehmer nur bei Entlassungen infolge von Maßnahmen im Sinne des § 3 TV eine Entschädigung. Eine solche Maßnahme hat die Beklagte aber nicht getroffen.
a) Die Tarifvertragsparteien haben nicht selbst definiert, was sie unter "Änderungen von Arbeitstechniken, Arbeits- und Produktionsabläufen, auch durch organisatorische Maßnahmen, die mit technischer Entwicklung und Rationalisierung zu begründen sind", verstehen. Der Tarifvertrag ist deshalb auszulegen. Die hierfür anzulegenden Auslegungsmaßstäbe und ein richtungsweisendes Auslegungsergebnis hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 - Aktenzeichen 4 AZR 270/93 - (AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Graphisches Gewerbe; BB 1994, 1711 bis 1713; DB 1994, 2241 bis 2242; NZA 1995, 38 bis 40) aufgezeigt. Hierauf wird Bezug genommen.
Danach handelt es sich bei den Begriffen "Änderungen von Arbeitstechniken, Arbeits- und Produktionsabläufen", die mittels Komma getrennt sind, um eine alternative Aufzählung, so daß es für das Vorliegen einer Maßnahme im Sinne des § 3 TV genügt, wenn eines der Tatbestandsmerkmale gegeben ist. Weiterhin setzt § 3 TV voraus, daß die Änderung im Arbeits- und Produktionsablauf mit technischer Entwicklung und Rationalisierung zu begründen ist. Dabei müssen diese beiden Elemente jeweils kumulativ - was aus der Verwendung der Konjunktion "und" abzuleiten ist - vorliegen. Vom Begriff der Rationalisierung werden Maßnahmen erfaßt, die die zweckmäßigere Gestaltung der Arbeitsvorgänge zum Ziel haben, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern. Diese Maßnahmen können im technischen, betriebsorganisatorischen oder wirtschaftlichen Bereich liegen. Sie gehören zu den innerbetrieblichen Umständen, aus denen sich die betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung ergeben können.
Außerdem muß eine Maßnahme im Sinne des § 3 TV auch eine technische Entwicklung innerhalb des Betriebes oder Unternehmens des Arbeitgebers zum Ziel haben. § 3 TVG verlangt somit den Vollzug einer konkreten technischen Maßnahme im Rahmen der allgemeinen technischen Gesamtentwicklung im betreffenden Betrieb oder Unternehmen, was insbesondere bei der Einführung neuer Maschinen oder Fabrikationsmethoden der Fall ist. Dies folgt aus Sinn und Zweck des Rationalisierungsschutzvertrages, der nach seiner Präambel die sozialen Härten vermeiden oder mildern soll, die im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen eintreten können. Der Arbeitgeber soll wegen der höheren Wirtschaftlichkeit des Betriebes, die durch die Nutzung neuer Techniken entsteht, die den Arbeitnehmern erwachsenen Nachteile ausgleichen. Technische Entwicklung und soziale Auswirkungen müssen sich in dem selben Betrieb oder Unternehmen vollziehen. Andernfalls ergäbe die Regelung keinen Sinn, da eine Abgrenzung des entschädigungsberechtigten Arbeitnehmerkreises nicht mehr möglich wäre, wenn sich jeder von Entlassung aus betriebs-bedingten Gründen betroffene Arbeitnehmer eines Betriebes auf die allgemeine bzw. branchenspezifische technische Entwicklung in anderen Betrieben berufen könnte. Auf eine technische Entwicklung außerhalb des Betriebes oder Unternehmens kann es auch aus Praktikabilitätsgründen nicht ankommen, denn für einen Außen-stehenden ist die technische Entwicklung in anderen Betrieben kaum überschaubar (vergleiche BAG aaO).
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht dem Kläger kein Entschädigungsanspruch aus § 8 TV zu.
aa) Zwar hat die Beklagte vorliegend mit der Stillegung der Abteilung Montage/Kopie und ihrer Entscheidung, die anfallenden manuellen Montage- und Kopierarbeiten extern (bei der Firma Offsetstudio GmbH in Stuttgart-Zuffen-hausen) erledigen zu lassen, bestehende Arbeits- und Produktionsabläufe geändert und mit diesen Maßnahmen bezweckt, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine Maßnahme im Sinne des § 3 TV; denn sie ist nicht unmittelbar durch eine technische Entwicklung begründet. Durch die Fremdvergabe der manuellen Druckplattenfertigung hat sich am technischen Fertigungsprozeß selbst nichts geändert.
bb) Soweit andererseits der branchenweite Einsatz von vollautomatischen CTP-Anlagen zur Fertigung von Druckplatten zu einer Änderung von Arbeitstechniken, Arbeits- und Produktionsabläufen geführt hat, steht diese nicht in einem adäquaten, eine Entschädigungspflicht der Beklagten auslösenden Kausalzusammenhang zur Entlassung des Klägers. Zwar wäre diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgt und auch die Abteilung Montage/Kopie im März 2000 nicht geschlossen worden, wäre die CTP-Technik nicht erfunden und die CTP-Anlage nicht angeschafft worden; doch löst dieser Lebenssachverhalt keine Entschädigungspflicht der Beklagten aus, da er nicht mehr vom Normzweck der tarifvertraglichen Regelung erfaßt wird. Im Betrieb der Beklagten hat nämlich zu keinem Zeitpunkt die neue technische Entwicklung Einzug gehalten. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts beinhaltet die Nutzung der CTP-Anlage im Betrieb der Firma L & N in Waiblingen keine mit technischer Entwicklung und Rationalisierung begründbare organisatorische Maßnahme im Sinne des § 3 TV, welche zur Freisetzung des Klägers geführt hätte; denn es kommt sehr wohl darauf an, in welcher Weise und an welchem Ort sich der Arbeitgeber eine technische Entwicklung nutzbar, das heißt "sich zu eigen macht". Entscheidend ist, daß diese Nutzung im Betriebs- oder Unternehmensbereich des kündigenden Arbeitgebers erfolgt. Eine solche Konstellation liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor. Unstreitig wird eine CTP-Anlage im Betrieb oder im Unternehmen der Beklagten nicht betrieben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte zusammen mit der Firma L & N seit 1997 einen gemeinsamen Betrieb unterhält, in welchem sie die CTP-Anlage seitdem nutzt, ergeben sich aus dem gesamten Sachvortrag des Klägers nicht. Daß der Geschäftsführer der Beklagten an der Firma L & N als Gesellschafter beteiligt ist, spricht zwar für eine gewisse Verflechtung zwischen der Beklagten und der Firma L & N auf tatsächlicher Ebene, beinhaltet aber noch kein Indiz für eine einheitliche Leitungsstruktur beider Betriebe. Daß die Beklagte selbst an der Firma L & N als Gesellschafterin beteiligt wäre, hat der Kläger zwar behauptet, aber nicht näher durch konkreten Sachvortrag ausgeführt. Auch der Umstand, daß die Beklagte der Firma L & N einen ihrer Mitarbeiter, Herrn Krebs, auf Dauer zur Bedienung der CTP-Anlage überlassen hat, zwingt nicht zur Annahme, daß die beiden Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb unterhalten. Mittelständische Unternehmen pflegen des öfteren ihre Arbeitnehmer an befreundete Unternehmen - unbeschadet aller arbeitsrechtlichen Probleme - "auszuleihen", ohne daß damit die Vermutung naheläge, der Vorgang müsse auf einer einheitlichen Leitungsstruktur der beteiligten Betriebe beruhen. Zudem hat die Beklagte - unwiderlegt - vorgetragen, daß die ihr durch die Überlassung des Arbeitnehmers Krebs entstehenden Kosten bei der Abrechnung der über die CTP-Anlage laufenden Aufträge in Rechnung gestellt würden. Auch dies spricht nicht für die Annahme eines einheitlichen Betriebes.
Zwar macht sich die Beklagte die CTP-Technik zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens zunutze, indem sie von ihren Kunden digitalisierte Daten zur Durchführung von Druckaufträgen entgegennimmt, diese Daten dann an die Firma L & N im Rahmen eines Werkvertragsverhältnisses zur vollautomatischen Anfertigung von Druckplatten weiterleitet und diese sodann bei der Erstellung ihrer Druckaufträge verwendet; die Fertigung der Druckplatten unter Einsatz der CTP-Anlage findet aber eindeutig nicht im Betrieb oder im Unternehmensbereich der Beklagten statt. Insoweit liegt nach Auffassung der Kammer kein wesentlich anderer Sachverhalt vor, als der, welcher dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aaO zugrundegelegen hat. Dort hatten Kunden des Druckunternehmens die für den Fotosatz benötigten Filme im CTP-Verfahren selbst hergestellt und zur Montage angeliefert. Hier läßt die Beklagte ihr von den Kunden überlassene Daten unter Einsatz der CTP-Technik extern verarbeiten, um die außerhalb ihres Unternehmensbereiches gefertigten Druck-platten anschließend bei der Auftragsabwicklung zu verwenden. Beide Fallkonstellationen im Hinblick auf § 8 TV unterschiedlich zu behandeln, ist nach Auffassung der Kammer sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn nur die konkrete Nutzung einer technischen Entwicklung im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer betriebsbedingt entläßt, eine Entschädigungspflicht auszulösen vermag.
Aus diesen Gründen beruht die Entlassung des Klägers nicht auf einer Maßnahme im Sinne des § 3 TV.
Der Berufung des Klägers konnte deshalb kein Erfolg beschieden sein.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO. Danach hat die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels diejenige Partei zu tragen, die es eingelegt hat. Dies ist vor-liegend der Kläger.
2. Die Kammer hat dem Fall, in dem es um die Auslegung eines bundesweit geltenden Tarifvertrages geht, grundsätzliche Bedeutung beigemessen, nachdem der zu beurteilende Lebenssachverhalt nicht unwesentlich von dem im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.03.1994 - Aktenzeichen 4 AZR 270/93 - abweicht. Deshalb ist gemäß § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht für den Kläger veranlaßt.
Ende der Entscheidung
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