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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 18.01.2001
Aktenzeichen: 21 Sa 88/00
Rechtsgebiete: BGB, MTV, BeschFG, TVG, BetrVG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 134
BGB § 138
BGB § 284
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288
BGB § 612
BGB § 612 Abs. 2
BGB § 614
MTV § 20
MTV § 21
MTV § 21 Abs. 2
BeschFG § 1 Abs. 5
TVG § 4 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 1 Satz 1
TVG § 4 Abs. 5
TVG § 9
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG § 99 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 308 Abs. 1
ZPO § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
21 Sa 88/00

verkündet am 18. Januar 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht, den ehrenamtlichen Richter Bopp und die ehrenamtliche Richterin Gubler-Rehbock auf die mündliche Verhandlung vom 18.01.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 10.06.1999 - 1 Ca 87/99- abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Restvergütung für die Monate September bis einschließlich Januar 1999 in Höhe von DM 605,15 brutto nebst 4 % Zinsen per annum aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin Restvergütung für die Monate Februar und März 1999 in Höhe von DM 240,06 brutto nebst 4 % Zinsen per annum seit dem 01.04.1999 zu zahlen sowie Restvergütung für die Monate April bis September 1999 in Höhe von DM 600,15 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 04.10.1999.

3. Der Beklagte wird schließlich verurteilt, an die Klägerin restliche Weihnachtsgratifikation 1998 in Höhe von DM 96,00 brutto nebst 4 % Zinsen per annum aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die gesamten Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über restliche Arbeitsvergütung für die Zeit von September 1998 bis September 1999 und restliche Weihnachtsgratifikation für 1998.

Der beklagte Verein ist Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit bundesweit über 600 Einrichtungen. Die am 21.08.1967 geborene Klägerin war bei ihm vom 01.05.1995 bis Ende April 2000 als Sozialberaterin (eingestuft in Gehaltsgruppe Vb des tarifvertraglichen Entgeltsystems) im Raum Heilbronn tätig - zunächst auf Honorarbasis, danach in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen bis 31.08.1998.

Die näheren Arbeitsbedingungen regelte zunächst der befristete schriftliche Arbeitsvertrag vom 16.05.1995, der wiederholt verlängert wurde (vergleiche ArbG-Akte Blatt 25 bis 28). In dessen § 3 war unter anderem bestimmt, daß der Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 27.02.1984 (im folgenden kurz MTV Nr. 2) - ein Haustarifvertrag zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) - und die ihn ergänzenden oder ändernden Tarifverträge in jeweils geltender Fassung Bestandteile des Arbeitsvertrages sein sollten.

Der MTV Nr. 2 enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:

"§ 20 Eingruppierung, Vergütung (Gehälter und Löhne)

(1) Über die Tätigkeitsmerkmale sowie über die Höhe der Vergütungen werden besondere Tarifverträge abgeschlossen.

...

§ 21 Grundvergütung (Gehalt, Monatslohn)

(1) Im Vergütungstarifvertrag sind die Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen zu bemessen.

(2) Wird der Angestellte in den Vergütungsgruppen III bis IX und der Arbeiter spätestens am Ende des Monats angestellt, in dem er das 31. Lebensjahr vollendet hat, erhält er die Grundvergütung seiner Lebensaltersstufe. Wird der Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt angestellt, erhält er die Grundvergütung der Lebensaltersstufe, die sich ergibt, wenn das bei der Einstellung vollende Lebensalter um die Hälfte der Lebensjahre vermindert wird, die der Arbeitnehmer seit Vollendung des 31. Lebensjahres zurückgelegt hat. Jeweils mit Beginn des Monats, in dem der Arbeitnehmer ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, erhält er bis zum Erreichen der Endgrundvergütung die Grundvergütung der folgenden Lebensaltersstufe...

(3) ..."

In einem Tarifvertrag Nr. 3 über die Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag vom 18.06.1991 in der Fassung vom 29.06.1995 war unter anderem auch unter bestimmten Voraussetzungen ein für die einzelnen Angestelltengruppen unterschiedlich ausgestalteter Bewährungsaufstieg vorgesehen, für Sozialberater ein solcher schon nach zweijähriger Bewährung. In einem weiteren Vergütungstarifvertrag für die Angestellten und Arbeiter der Internationalen Bundes vom 14.12.1996 (im folgenden kurz Vergütungs-TV) waren aufbauend auf den Vergütungsgruppen die Lebensaltersstufen nach den Maßgaben des § 21 MTV Nr. 2 bestimmt.

Im Jahr 1996 führte der Beklagte mit der Gewerkschaft ÖTV vor dem Hintergrund einer defizitären Geschäftsentwicklung Tarifvertragsverhandlungen zur Änderung der damals im Manteltarifvertrag bestehenden Arbeitszeitregelung und zur Altersteilzeit. Dazu hatte er einen Tarifvertrags-Entwurf fertig ausgearbeitet. Die Verhandlungen darüber wurden zunächst zurückgestellt, nachdem sich die Tarifvertragsparteien über die Höhe der für das Jahr 1996 zu gewährenden Weihnachtsgratifikation nicht hatten einigen können. Eine Einigung in dieser Angelegenheit wurde schließlich am 13.12.1996/14.12.1996 erreicht. In Ziffer 9 der Niederschrift zu den Tarifverhandlungen heißt es:

"Die Tarifvertragsparteien werden mit Willen zur Einigung Verhandlungen bis zum 28.02.1997 über eine Änderung der bestehenden Arbeitszeitregelungen im MTV und zur Altersteilzeit aufnehmen. Unter dieser Voraussetzung verzichtet der IB bis zum 31.12.1997 auf die Kündigung des MTV."

In der Folgezeit wurde ein Verhandlungstermin für den 27.02.1997 festgelegt. Zu diesem Termin erschienen zwar die Vertreter der Gewerkschaft ÖTV, sahen sich jedoch außerstande, zur Sache zu verhandeln, nachdem die Tarifpolitik des Hauptvorstandes der Gewerkschaft ÖTV massiver Kritik seitens der Basis ausgesetzt war. Mit Schreiben vom 10.03.1997 teilte der Beklagte dem Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV deshalb mit, daß sein Vorstand einen Vorratsbeschluß gefaßt habe, den MTV Nr. 2 bereits zum 30.06.1997 zu kündigen, wenn nicht seitens der Gewerkschaft ein konkreter Termin für die Aufnahme der Verhandlungen übermittelt werde. Mehrere Treffen zwischen den Tarifvertragsparteien in der Zeit danach blieben ergebnislos. Der Beklagte kündigte deshalb mit Schreiben vom 15.09.1997 sowohl den MTV Nr. 2 als auch den Tarifvertrag Nr. 3 und weitere Haustarifverträge zum 31.12.1997 (vergleiche ArbG-Akte Blatt 58 bis 59). Die Gewerkschaft ÖTV kündigte ihrerseits mit Schreiben vom 12.11.1997 (ArbG-Akte Blatt 60/61) die bestehenden Vergütungstarifverträge zum 31.12.1997.

Mit Wirkung ab 01.07.1998 schlossen der Beklagte und die Gewerkschaft ÖTV den Vergütungstarifvertrag für die Angestellten und Arbeiter des Internationalen Bundes (IB) vom 18.06.1998 (vergleiche ArbG-Akte Blatt 97/98), der bereits am 31.12.1998 wieder endete. Dessen § 2 Nr. 1 lautete wie folgt:

1. Die zum Stichtag 01.07.1998 im IB bezogenen regelmäßigen Löhne, Gehälter einschließlich der Orts- und Sozialzuschläge und die allgemeine Zulage werden ab 01.07.1998 um 1,5 % erhöht.".

Seit Ende Dezember 1997 ist die Klägerin Mitglied der Gewerkschaft ÖTV. Sie vereinbarte durch schriftlichen Arbeitsvertrag vom 26.08.1998/15.09.1998 (im folgenden kurz AV) - ArbG-Akte Blatt 48 bis 53 - ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten ab 01.09.1998. In diesem AV fehlte - anders als in den vorangegangenen befristeten Arbeitsverträgen - eine Bezugnahme auf die Haustarifverträge des Beklagten ebenso wie die Zuordnung der Klägerin zu einer bestimmten Vergütungsgruppe. Als Vergütung war in § 5 ein monatlicher Bruttobetrag von DM 4 356,09 vorgesehen. In einer Zusatzvereinbarung zum AV (ArbG-Akte Blatt 54) ist dieser Betrag wie folgt aufgeschlüsselt:

"Grundvergütung in Höhe von DM 2 477,34,

Orts-/Sozialzuschlag in Höhe von DM 873,48,

allgemeine Zulage in Höhe von DM 199,27,

weitere Zulage in Höhe von DM 806,00".

Mit Schreiben vom 01.12.1998 (ArbG-Akte Blatt 15/16) machte die Klägerin erstmals Vergütungsdifferenzansprüche ab September 1998 gegenüber dem Beklagten geltend. Am 23.02.1999 reichte sie schließlich beim Arbeitsgericht Heilbronn Zahlungsklage über DM 605,15 brutto (Restvergütung September 1998 bis Januar 1999) nebst 4 % Verzugszinsen ab 01.02.1999 ein, welche sie mit Schriftsatz vom 21.04.1999 um DM 242,06 brutto (Restvergütung Februar und März 1999) sowie DM 96,00 brutto (restliche Weihnachtsgratifikation 1998) nebst 4 % Verzugszinsen erweiterte.

Sie ist der Auffassung, auf das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten finde auch nach dem 31.08.1998 weiterhin der Vergütungs-TV Anwendung, so daß sie Anspruch auf Vergütung nach Vergütungsgruppe IVb (31. Lebensjahr) in folgender Höhe habe:

"Grundgehalt DM 3 404,37,

Ortszuschlag DM 873,48,

allgemeine Zulage DM 199,27,

VWL DM 13,00".

Sie habe deshalb noch Anspruch auf eine monatliche Vergütungsdifferenz von DM 121,03 und von DM 96,00 bezüglich der Weihnachtsgratifikation 1998.

Erstinstanzlich hat die Klägerin argumentiert, die Kündigung des MTV Nr. 2 sei nicht wirksam erfolgt, außerdem sei die Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen im AV rechtsmissbräuchlich, da hierdurch kündigungsschutzrechtliche Bestimmungen umgangen worden seien. Sie sei gezwungen gewesen, den neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, da der Arbeitsplatz ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage bedeutet habe. Ein sachlicher Grund, der die vorangegangenen Befristungen hätte rechtfertigen können, habe nicht vorgelegen, so daß bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des AV ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, Restvergütung für die Monate September 1998 bis einschließlich Januar 1999 in Höhe von DM 605,15 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu bezahlen;

den Beklagten zu verurteilen, Restvergütung für die Monate Februar und März 1999 in Höhe von DM 242,06 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.04.1999 zu bezahlen;

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin restliche Weihnachtsgratifikation 1998 in Höhe von DM 96,00 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.02.1999 zu bezahlen;

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, alleinige Anspruchsgrundlage für Vergütungsansprüche der Klägerin sei ab 01.09.1998 die im AV getroffene Vergütungsvereinbarung. Soweit dieser Bestimmungen der Haustarifverträge hätten entgegenstehen können, seien dieselben nicht mehr in Kraft. Im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrages könnten jederzeit und uneingeschränkt vertragliche Einzelabsprachen getroffen werden. Er, der Beklagte, habe sich angesichts der schwierigen Geschäftsentwicklung dazu entschlossen, bei Abschluß neuer Arbeitsverträge ab 01.01.1998 neue von der bisherigen tariflichen Regelung abweichende Vertragsbedingungen anzubieten, jedoch am System der Eingruppierung nach dem TV Nr. 3 grundsätzlich festzuhalten. Entfallen seien in diesen Fällen lediglich die sogenannten tariflichen Alterssprünge und die Anerkennung eines Bewährungsaufstieges. Dies bedeute, daß bei gleicher Eingruppierung die Vergütung niedriger ausfallen könne als bei den vor dem 01.01.1998 vereinbarten Arbeitsvertragsbedingungen. Den MTV Nr. 2 habe er wirksam gekündigt. Ziffer 9 des Verhandlungsprotokolles vom 14.12.1996 stehe der Wirksamkeit nicht entgegen; denn die Voraussetzungen für die dort formulierte Verpflichtungserklärung seien nicht eingetreten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mangels Anspruchsgrundlage für eine höhere Vergütungsforderung abgewiesen und argumentiert, die Parteien seien am Abschluß des AV nicht gehindert gewesen, nachdem die tarifschließende Gewerkschaft den Vergütungs-TV für Angestellte und Arbeiter selbst zum 31.12.1997 gekündigt habe. Umstände, welche die für die Klägerin ungünstigere Vergütungsvereinbarung als rechtsmißbräuchlich oder sittenwidrig erscheinen lassen könnten, seien nicht erkennbar, zumal es die Klägerin versäumt habe, die Unwirksamkeit der Befristungsabrede rechtzeitig gemäß § 1 Absatz 5 Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG) geltendzumachen. Der am 18.06.1998 abgeschlossene neue Vergütungs-TV erschöpfe sich allein in der Erhöhung der zum Stichtag 01.07.1998 regelmäßig bezogenen Gehälter einschließlich der Orts- und Sozialzuschläge und der allgemeinen Zulage für tarifgebundene Arbeitnehmer, also in der Erhöhung des Effektivverdienstes. Eine Inbezugnahme oder Verweisung auf den Inhalt des zuvor gekündigten Vergütungs-TV vom 14.12.1996 sei dagegen nicht erkennbar.

Gegen das ihr am 21.06.1999 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts wendet sich die am 20.07.1999 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangene, innerhalb verlängerter Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 28.09.1999 ausgeführte Berufung der Klägerin, mit welcher sie ihre erstinstanzlich geltend gemachten Vergütungsdifferenzansprüche weiter verfolgt.

Das Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren erschließt sich aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 28.09.1999 (LAG-Akte Blatt 11 bis 20) sowie dem des Beklagten vom 04.11.1999 (LAG-Akte Blatt 23 bis 32).

Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren zunächst auf die §§ 20, 21 Absatz 2 MTV Nr. 2 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 1 TVG sowie der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung. Die Kündigung des MTV Nr. 2 seitens des Beklagten sei nicht wirksam erfolgt, nachdem dieser auf eine Kündigung vor dem 31.12.1997 verzichtet habe. Nachdem er den Tarifvertrag Nr. 3 weiterhin im Grundsatz anwende, habe sie in Verbindung mit § 21 Absatz 2 MTV Nr. 2 aufgrund der nach wie vor bestehenden Tarifbindung gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 TVG Anspruch auf Vergütung nach dem Vergütungs-TV vom 14.12.1996. Diesen Tarifvertrag habe die Gewerkschaft ÖTV - was die Tätigkeitsmerkmale angehe - nicht gekündigt, sondern lediglich die Tabelle, um eine neue Lohnrunde durchzuführen. Da der Beklagte bislang alle Arbeitnehmer in ihrem Betrieb - ob tarifgebunden oder nicht - gleich behandelt habe, würde eine unterschiedliche Behandlung der vor dem 01.01.1998 und nach dem 31.12.1997 geschlossenen Arbeitsverträge gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

Ihren Anspruch will die Klägerin außerdem aus § 4 Absatz 1 TVG in Verbindung mit dem Vergütungs-TV vom 18.06.1998 ableiten, da dieser Tarifvertrag ausdrücklich Bezug auf den zuvor gekündigten Vergütungs-TV nehme und eine punktuelle Lohnerhöhung für den Stichtag 01.07.1998 auf der Basis des zuvor gekündigten Vergütungstarifvertrages vorsehe.

Auch wenn man annehme, sowohl der MTV Nr. 2 als auch der Vergütungs-TV vom 18.12.1996 seien wirksam gekündigt worden, so würden deren Bestimmungen dennoch im Wege der Nachwirkung individualrechtlich weiter gelten. Die Herausnahme der Bezugnahmeklausel auf den MTV Nr. 2 im AV verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei unwirksam, da diese Regelung ihre Rechtsposition ohne sachlichen Grund verschlechtert habe. Der Beklagte habe ihre Notlage ausgenutzt, da ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage zur Disposition gestanden habe und ihr keine andere Wahl geblieben sei, als den AV zu den ihr diktierten Bedingungen zu unterschreiben, um weiterbeschäftigt zu werden. Außerdem verstoße die Vereinbarung schlechterer Arbeitsbedingungen im Nachwirkungszeitraum gegen den Vertrauensschutzgrundsatz und Artikel 3 Grundgesetz. Der Beklagte habe bis zum 01.01.1998 ein bestimmtes Vergütungssystem kollektiv angewendet; daraus und in Verbindung mit der Rechtsfigur der tariflichen Einheit folge der Vertrauensschutz im Nachwirkungszeitraum der gekündigten Tarifverträge, zumal der Beklagte das neue Vergütungssystem unter Verstoß gegen § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG eingeführt habe. Wegen dieses Verstoßes sei die Vergütungsvereinbarung im AV gemäß § 134 BGB nichtig, da es dem Beklagten nicht gelungen sei, die Zustimmung des Betriebsrates zu dem neuen Vergütungssystem zu gewinnen. Sie habe deshalb Anspruch auf die übliche Vergütung gemäß § 612 Absatz 2 BGB im Rahmen des nachwirkenden MTV Nr. 2 und des Vergütungs-TV. Aus den nämlichen Gründen habe sie Anspruch auf eine um DM 96,00 höhere Weihnachtsgratifikation gemäß TV über die Weihnachtsgratifikation für die Arbeitnehmer des Internationalen Bundes vom 18.06.1998 (ArbG-Akte Blatt 82 bis 84).

Die Klägerin beantragt deshalb in zweiter Instanz:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 10.06.1999 - Aktenzeichen 1 Ca 87/99 - wird abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, Restvergütung für die Monate September 1998 bis einschließlich Januar 1999 in Höhe von DM 605,15 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu bezahlen.

3. Der Beklagte wird ferner verurteilt, Restvergütung für die Monate Februar und März 1999 in Höhe von DM 240,06 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.04.1999 zu zahlen sowie Restvergütung für die Monate April bis September 1999 in Höhe von DM 600,15 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 04.10.1999.

4. Der Beklagten wird schließlich verurteilt, an die Klägerin restliche Weihnachtsgratifikation 1998 in Höhe von DM 96,00 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu bezahlen;

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und führt dazu ergänzend aus: Den MTV Nr. 2 habe er wirksam zum 31.12.1997 gekündigt. An die Unwirksamkeit der Kündigung glaube selbst die Gewerkschaft ÖTV nicht, da sie ein Verfahren nach § 9 TVG nicht eingeleitet habe. Der schuldrechtliche Verzichtsvertrag (Ziffer 9 der Regelung vom 14.12.1996) sei nicht wirksam geworden, nachdem die Bedingung, an welche er geknüpft gewesen sei, nicht eingetreten sei. Die Vertreter der Gewerkschaft ÖTV seien zwar zu dem Verhandlungstermin vom 27.02.1997 erschienen, um den Buchstaben der Vereinbarung zu erfüllen, nicht aber deren Geist, nachdem sie nicht verhandelt hätten bzw. Verhandlungen erst nach weiteren drei Monaten in Aussicht gestellt hätten. Es verstieße gegen Treu und Glauben, wollte sich die Gewerkschaft ÖTV oder ein Dritter auf die Verzichtserklärung vom 14.12.1996 berufen.

Die Wirksamkeit der Kündigung des MTV Nr. 2 könne allerdings dahinstehen, denn aus dessen § 20 und 21 lasse sich eine konkrete Höhe der einem Arbeitnehmer zu zahlenden Vergütung nicht entnehmen. Die Klägerin greife deshalb auch auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung zurück und behaupte, der Vergütungs-TV vom 14.12.1996 sei, was die Tätigkeitsmerkmale angehe, nicht gekündigt worden. Diese eigenwillige Interpretation habe mit dem tatsächlichen Geschehen nichts mehr zu tun. Der Tarifvertrag Nr. 3 sei wirksam gekündigt worden, auch enthalte er keine DM-Werte und keine Vergütungstabelle. Der Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV habe schließlich den Vergütungs-TV ohne wenn und aber gekündigt. Damit sei er, der Beklagte, tarifvertraglich nicht gehindert gewesen, die Vergütungshöhe bei Abschluß neuer Arbeitsverträge bzw. bei Änderungsverträgen neu festzulegen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gebe es insoweit nicht, da § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG gerade nicht die Festsetzung der Vergütungshöhe umfasse.

Ein Anspruch der Klägerin aus dem neu geschlossenen Vergütungs-TV vom 18.06.1998 scheide aus, weil dieser nur eine Erhöhung der Ist-Vergütung um 1,5 % vorgesehen, den gekündigten Vergütungs-TV vom 14.12.1996 aber weder ausschließlich noch konkludent wieder in Kraft gesetzt habe.

Ob der AV eine Neubegründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses oder aber die Verlängerung eines befristeten beinhaltet habe, sei ohne Belang, da der Vergütungs-TV vom 14.12.1996 nicht mehr normativ, sondern lediglich nachwirkend nach § 4 Absatz 5 TV gegolten habe. In solchem Fall sei der Arbeitgeber nicht daran gehindert, auch verschlechternde Arbeitsvertragsbedingungen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern zu vereinbaren.

Die Berufung der Klägerin auf Vertrauensschutz, Gleichbehandlungsgrundsatz und Ausnutzung einer Notlage nach § 138 BGB sei unbehelflich. Keinem Arbeitgeber sei es nach Ablauf eines Tarifvertrages verwehrt, nach Beendigung eines Haustarifvertrages neue Bedingungen und Konditionen im Rahmen der Arbeitsverhältnisse zu schaffen und sie auf rechtlich zulässige Weise durch Änderungsvertrag umzusetzen. Schon im Hinblick auf die im Streit stehenden Vergütungsdifferenzbeträge könne nicht von der Ausnutzung einer existenzbedrohenden Situation zu Lasten der Klägerin gesprochen werden.

Auch ein Verstoß gegen § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 liege nicht vor. Selbst wenn das Beschlußverfahren, auf das sich die Klägerin bezogen habe, in ihrem Sinne ausgegangen sei (Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.10.1998 - 4 BV 163/98; Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15.07.1999 - 4 TaBV 1/99; Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 27.06.2000 - 1 ABR 35/99), so sei doch für ihre Sache nichts gewonnen. Zum einen vertrete er nach wie vor die Auffassung, daß ein Verstoß gegen § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG deshalb nicht vorliege, weil nicht jede Änderung des Entgeltsystemes durch den Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auslöse. Wenn er nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung, aufgrund welcher zusätzliche, an bestimmte Tätigkeitsmerkmale anknüpfende Zulagen gewährt worden seien, neu eintretenden Arbeitnehmern Zulagen nicht mehr gewähre, stehe ein zu verteilendes finanzielles Zulagenvolumen nicht zur Verfügung, so daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ins Leere gehe. Der Arbeitgeber könne nicht über die Behauptung eines Verstoßes gegen die geltende betriebliche Vergütungsordnung zur Aufrechterhaltung eines entsprechenden Dotierungsrahmens verpflichtet werden. Gleiches müsse gelten, wenn er den neu eingestellten Arbeitnehmern und den vormals befristet beschäftigten Arbeitnehmern Vergütung nicht mehr nach der vormals für sie maßgeblichen, sondern nach der niedrigsten Lebensaltersstufe gewähre. Es mache keinen Unterschied, ob er so vorgehe, oder sich an das nach den gekündigten Tarifverträgen maßgebliche Entlohnungssystem halte und lediglich die Vergütung kürze.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Im Hinblick auf die Entscheidung der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts vom 15.07.1999 war das Verfahren auf Antrag der Parteien zunächst zum Ruhen gebracht worden. Es wurde erst nach Vorliegen des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 27.06.2000 wieder angerufen.

Entscheidungsgründe:

A

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Absatz 1 und 2 ArbGG alter Fassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und innerhalb verlängerter Begründungsfrist ausgeführte (§§ 66 Absatz 1 Satz 1, 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG, §§ 518 Absatz 1 und 2, 519 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 ZPO) Berufung der Klägerin ist zulässig.

B

Die Berufung der Klägerin hat auch Erfolg, denn das arbeitsgerichtliche Urteil war abzuändern und der Beklagte antragsgemäß - wie aus dem Urteilstenor ersichtlich - zu verurteilen. Die Zahlungsklage ist nämlich zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachte Vergütungsdifferenz in Höhe von DM 121,03 für die Monate September 1998 bis September 1999 sowie auf restliche Weihnachtsgratifikation in Höhe von DM 96,00 brutto nebst 4 % Verzugszinsen.

I.

Der Hauptanspruch der Klägerin folgt aus § 612 BGB in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem AV.

1. Mit der Klägerin ist das Berufungsgericht der Auffassung, daß die zwischen den Parteien im AV getroffene Vergütungsvereinbarung unwirksam ist.

a) Zwar ist dem Beklagten darin beizupflichten, daß sich die Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien nicht aus einem Verstoß gegen die §§ 20, 21 MTV Nr. 2 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 TVG und sonstigen tarifvertraglichen Bestimmungen ergibt; denn sämtliche für das Arbeitsverhältnis relevanten Tarifverträge wurden wirksam zum 31.12.1997 gekündigt: der MTV Nr. 2 sowie der TV Nr. 3 seitens des Beklagten, der Vergütungs-TV vom 14.12.1996 seitens der Gewerkschaft ÖTV. Die Kündigung des MTV Nr. 2 war nicht, wie die Klägerin angeführt hat, wegen Verstoßes gegen eine vertragliche Kündigungsbeschränkung (Nr. 9 der Vereinbarung vom 14.12.1996) unwirksam, denn die Voraussetzungen, unter denen der Beklagte auf die Ausübung seines tarifvertraglichen Kündigungsrechtes bis zum 31.12.1997 verzichtet hatte - Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen über eine Änderung der bestehenden Arbeitszeitregelungen im MTV und zur Altersteilzeit, und zwar mit dem Willen zur Einigung, bis zum 28.02.1997 -, war nicht erfüllt. Wenngleich die Vertreter der Gewerkschaft ÖTV am 27.02.1997 zu dem mit dem Beklagten vereinbarten Verhandlungstermin erschienen waren, so erfolgte doch eine Aufnahme der Verhandlungen mit dem Willen zur Einigung nicht. Nach dem Vortrag des Beklagten sahen sich die Gewerkschaftsvertreter dazu aufgrund innerverbandlicher Entwicklungen nicht in der Lage. Dazu hat sich die Klägerin nicht näher verhalten, somit den Vortrag des Beklagten nicht in der gebotenen Weise durch konkreten Gegenvortrag bestritten, so daß die Richtigkeit des Vorbringens des Beklagten gemäß § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden gelten muß.

Der Klägerin kann ferner nicht darin gefolgt werden, daß die Gewerkschaft ÖTV lediglich die "Tabelle" des Vergütungs-TV vom 14.12.1996 gekündigt habe, nicht aber die für die Lohnfindung maßgeblichen Tätigkeitsmerkmale, so daß sich ihre Vergütung nach wie vor nach dem alten Vergütungsschema errechne; denn einen entsprechenden Erklärungsvorbehalt seitens des Hauptvorstandes der Gewerkschaft ÖTV läßt der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 12.11.1997 (ArbG-Akte Blatt 60) nicht erkennen. Deshalb endete dieser Tarifvertrag in allen seinen Teilen mit Ablauf des 31.12.1997.

b) Die Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien im AV und die Zusatzvereinbarung hierzu verstoßen ferner nicht gegen § 4 Absatz 5 TVG; denn im Nachwirkungszeitraum nach Ablauf des MTV Nr. 2 sowie der Tarifverträge Nr. 3 und des Vergütungstarifvertrages vom 14.12.1996 konnten auch die tarifgebundenen Arbeitnehmer mit dem Beklagten jederzeit eine von den vormals unmittelbar und zwingend geltenden normativen Bestimmungen der Tarifverträge abweichende ungünstigere arbeitsvertragliche Regelung treffen. Weder steht dem ein besonderer Vertrauensschutz der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer noch der Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen. Dem Arbeitgeber - wie hier dem Beklagten - steht es tarifrechtlich frei, nach Ablauf eines Tarifvertrages in seinem Betrieb neue Vertragsbedingungen einzuführen. Dabei ist dem Beklagten darin beizupflichten, daß es vor dem Hintergrund des Tarifrechts vorliegend keine Rolle spielt, ob die Klägerin bei Abschluß des AV schon in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden hatte oder ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erst im Anschluß an ein wirksam befristetes abgelaufenes Arbeitsverhältnis begründet wurde. In beiden Fällen liegt ein Gesetzesverstoß nicht vor.

c) Auch aus § 138 BGB kann die Klägerin die Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung nicht ableiten. Zwar ist nach dieser Bestimmung insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur Leistung stehen, nichtig. Aber selbst wenn sich die Klägerin faktisch in einer gewissen Drucksituation befunden haben sollte, als sie den AV unterzeichnete, so stand jedenfalls die darin vereinbarte neue Vergütung objektiv nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zu der von ihr dafür zu erbringenden Gegenleistung. Die Klägerin verschlechterte sich nämlich finanziell gegenüber dem vormaligen Vertragszustand lediglich um 2,7 % (DM 4 490,00 zu DM 4 370,00).

d) Auch gegen den Inhalt des unmittelbar und zwingend wirkenden Vergütungs-TV vom 18.06.1998 verstieß die Vergütungsvereinbarung im AV nicht, denn aus diesem Tarifvertrag (vergleiche ArbG-Akte Blatt 97/98) folgt eindeutig, daß lediglich eine Anhebung der Effektivverdienste der tarifgebundenen Arbeitnehmer per 01.07.1998 erfolgen sollte, nicht aber eine Wiederbelegung des zum 31.12.1997 gekündigten Vergütungs-TV vom 14.12.1996. Auch wenn man die Bezüge der Klägerin, die sie am 01.07.1998 tatsächlich erhielt, um 1,5 % erhöht, liegt der ihr nach dem Vergütungs-TV 1998 zustehende Monatsverdienst noch unter dem Betrag, den die Parteien im AV vereinbart hatten.

e) Die Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung im AV folgt jedoch nach Auffassung des Berufungsgerichts aus dem Verstoß der Beklagten gegen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 in Verbindung mit § 134 BGB.

aa) § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 gibt dem Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht in nahezu allen Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Dieses soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sichern (vergleiche dazu Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 20. Auflage, § 87 Randnummern 401ff. mit weiteren Nachweisen).

Um Lohngestaltung im Sinne dieser Bestimmung handelt es sich immer, wenn Entlohnungsgrundsätze aufgestellt werden. Dies sind die übergeordneten allgemeinen Vorschriften, nach denen die gesamte Entlohnung für den Betrieb, für bestimmte Betriebsabteilungen oder Gruppen von Arbeitnehmern geordnet wird. Die Regelung hat den Charakter einer Generalklausel. Der Mitbestimmung unterliegen sowohl die Festlegung der materiellen Kriterien, die für die Lohnfindung von Bedeutung sein sollen, als auch das Verfahren, nach dem das Entgelt bestimmt werden soll. Zur Ausgestaltung der Entlohnungsgrundsätze gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Aufstellung des Entgeltsystemes mit all seinen Einzelheiten sowie die Bildung von Gehaltsgruppen nach bestimmten Kriterien einschließlich der isolierten Festsetzung der Wertunterschiede nach Prozentsätzen oder sonstigen Bezugsgrößen (vergleiche hierzu BAG AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung mit weiteren Nachweisen). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates umfaßt alle kollektiven Tatbestände, soweit es um Strukturformen des Entgeltes einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht (BAG, Urteil vom 27.06.1995 - 1 AZR 998/94).

bb) Vorliegend hat der Beklagte durch seine Entscheidung, ab 01.01.1998 bei Abschluß von Änderungs- oder Neuverträgen Vergütung nicht mehr entsprechend dem tarifvertraglichen Entgeltsystem des MTV Nr. 2 in Verbindung mit TV Nr. 3 unter Einbeziehung der Lebensaltersstufen und eine Bewährungsaufstieges, sondern unter Ausschluß von Lebensaltersstufen und eines Bewährungsaufstieges zu gewähren, ein kollektives neues Vergütungssystem in seinen Einrichtungen eingeführt. Dazu ist der im Betrieb der Klägerin gebildete Betriebsrat unstreitig nicht gehört worden. Darin liegt eine Mißachtung des zwingenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates.

Ob es sich möglicherweise bei der Einordnung von Arbeitnehmern in Lebensaltersstufen nach § 21 MTV Nr. 2 in Verbindung mit dem TV Nr. 3 und dem Vergütungs-TV um eine Eingruppierung im Sinne des § 99 Absatz 1 BetrVG gehandelt hat - verneinend das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Beschluß vom 16.03.1999, Aktenzeichen 5(6) TaBV 53/98, und das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seinem Beschluß vom 16.11.1998, Aktenzeichen 15 TaBV 5/98 -, kann bei der Prüfung, ob das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 verletzt ist, letztendlich dahingestellt bleiben. Maßgeblich erscheint vielmehr, ob der Arbeitgeber eine andere als die bisherige Vergütungsordnung anwendet; und dies ist vorliegend zu bejahen. Während die unveränderte tarifliche Gesamtregelung eine Staffelung der Vergütung nach dem Lebensalter sowie einen Bewährungsaufstieg vorsah, wendet er nunmehr eine Vergütungsordnung an, welche diese Differenzierungsmerkmale nicht mehr aufweist. Damit verfährt der Beklagte nicht mehr nach der vormaligen Vergütungsordnung, sondern hat sie in einzelnen Punkten umgestaltet, so daß sie von dieser abweicht. Es handelt sich zugleich um einen kollektiven Tatbestand einer Entgeltregelung mit abstrakten Merkmalen. Der Einwand des Beklagten, der Betriebsrat habe bei der Bestimmung der Vergütungshöhe kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG, berücksichtigt nicht, daß die Einteilung in Lebensaltersstufen nicht die Höhe der vom Beklagten einzusetzenden Entgeltaufwendungen betrifft und dieser weiterhin auf die Regelungen des gekündigten Vergütungstarifvertrages zurückgreift. Die Gehaltstabellen bleiben als solche unverändert. Die Entscheidung des Beklagten, anstelle des bisher geltenden Stufensystemes nur noch die bislang niedrigste Stufe für die Vergütung heranzuziehen, ist im übrigen - wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluß vom 27.06.2000, Aktenzeichen 1 ABR 36/99, festgestellt hat - eine Eingruppierungsentscheidung, weil er von dem bisherigen System Abstand nimmt und es durch ein System ersetzt, das solche Alterssprünge nicht beinhaltet.

Da diese neue Entgeltordnung ohne Zustimmung des Betriebsrates eingeführt worden ist, liegt ein Verstoß gegen § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 vor, der auch zur Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung im AV der Parteien führt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind alle individualrechtlichen Erklärungen und Maßnahmen des Arbeitgebers, die die Rechtsstellung des Arbeitnehmers verschlechtern sollen, unwirksam, wenn das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht beachtet worden ist: Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung (vergleiche hierzu Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, Randnummern 480 ff. mit weiteren Nachweisen). Die individualrechtlichen Sanktionen sollen sicherstellen, daß das Mitbestimmungsrecht beachtet wird. Derjenige, der sich betriebsverfassungswidrig verhält, soll sich Dritten (insbesondere Arbeitnehmern) gegenüber nicht auf rechtsgeschäftliche Handlungen berufen können, aufgrund welcher das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates verletzt worden ist.

2. Aus der Unwirksamkeit der Vergütungsabrede zwischen den Parteien im AV folgt, daß ab 01.09.1998 die Höhe der vom Beklagten geschuldeten Vergütung für die von der Klägerin geleisteten Dienste nicht mehr bestimmt war. Diese ist deshalb gemäß § 612 Absatz 2 BGB zu ermitteln: Geschuldet ist die übliche Vergütung, die für gleiche ohne ähnliche Dienstleistungen im Betrieb des Beklagten mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse gewöhnlich gewährt wird. Dies ist - nachdem der Beklagte bis Ende 1997 sämtliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach dem tarifvertraglichen Vergütungssystem entlohnt hat und die weit überwiegende Mehrzahl von ihnen weiterhin im Wege der tarifvertraglichen Nachwirkung entlohnt, genau diejenige Vergütung, welche die Klägerin geltend gemacht hat, und die betragsmäßig zwischen den Parteien unstreitig ist.

Der Beklagte kann im Hinblick auf die ihn inkriminierende Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 nicht einwenden, eine betriebsübliche Vergütung habe es ab 01.01.1998 nicht mehr gegeben, an welcher sich die Klägerin gemäß § 612 Absatz 2 BGB orientieren könne, zumal für die Neu- und Änderungsverträge nach dem 01.01.1998 neue Bedingungen gelten. Dies ist nach Auffassung des Berufungsgerichts die Konsequenz aus der Anwendung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei der Verletzung von zwingenden Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates.

Aus alledem folgt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für den Vergütungszeitraum vom 01.09.1998 bis 30.09.1999 eine restliche Monatsvergütung von jeweils DM 121,03 brutto zu gewähren sowie restliche Weihnachtsgratifikation für 1998 in Höhe von DM 96,00 brutto zu zahlen.

II.

Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus den §§ 286 Absatz 1, 284, 288 in Verbindung mit § 614 BGB und § 308 Absatz 1 ZPO.

Nach allem war das angefochtene arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und der Beklagte nach den Anträgen der Klägerin - wie aus dem Urteilstenor ersichtlich - zur Zahlung zu verurteilen.

C

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Danach hat diejenige Partei die Kosten des Rechtsstreites zu tragen, die letztendlich unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Beklagte.

2. Die Zulassung der Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache geboten, nachdem unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Reichweite der sich aus einem Verstoß gegen zwingende Mitbestimmungsrechte ergebenden Rechtsfolgen bestehen und davon eine Vielzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Beklagten im gesamten Bundesgebiet betroffen ist.

Ende der Entscheidung

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