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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: 21 TaBV 5/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
ArbGG § 69 Abs. 3
ArbGG § 80
ArbGG § 81
ArbGG § 82
ArbGG § 83
ArbGG § 83 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 83 Abs. 2
ArbGG § 84
ArbGG § 98
ArbGG § 98 Abs. 1 S. 2
ArbGG § 98 Abs. 1 Satz 4
ArbGG § 98 Abs. 1 Satz 6
BetrVG § 76 Abs. 1 S. 1
BetrVG § 76 Abs. 2
BetrVG § 87 Abs. 1
BetrVG § 111 Nr. 1
BetrVG § 111 Nr. 4
BetrVG § 111 Satz 1
BetrVG § 111 Satz 3 Ziffer 4
BetrVG § 112a Abs. 1 Nr. 4
KSchG § 17 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 21 TaBV 5/05

Verkündet am 20.12.2005

Im Beschlussverfahren

wegen Errichtung einer Einigungsstelle

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht aufgrund mündlicher Anhörung vom 11.10.2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin/Beteiligten Ziffer 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14.07.2005 - Aktenzeichen 19 BV 125/05 - wird hiermit zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht ist nicht eröffnet.

Gründe:

A.

In entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 und 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) wird von einer ausführlichen Darstellung des Prozessstoffes abgesehen, nachdem ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht gegeben ist. Statt dessen wird auf den Inhalt des angefochtenen arbeitsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen.

In der Beschwerdeinstanz streiten die Beteiligten weiter über die Frage, ob der von der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin durchgeführte Personalabbau in ihren Betrieben eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Nr. 1 BetrVG bzw. § 112a Abs. 1 Nr. 4 BetrVG darstellt und ob im Hinblick auf die von ihr beabsichtigte Veränderung in der Führungsstruktur von einer Betriebsänderung gemäß § 111 Nr. 4 BetrVG auszugehen ist.

Der antragstellende Gesamtbetriebsrat und Beschwerdegegner hat in erster Instanz beantragt:

1. Zum Vorsitzenden einer zu bildenden Einigungsstelle über die Vereinbarung eines Interessenausgleichs und Sozialplans und erforderlichenfalls über die Entscheidung über einen Sozialplan anlässlich der Betriebsänderung durch Betriebseinschränkung im Wege des Personalabbaus und durch Änderungen der Betriebsorganisation in den Betrieben der Firma S. GmbH wird Herr Richter S., am Arbeitsgericht Freiburg, bestellt.

2. Die Zahl der Beisitzer dieser Einigungsstelle wird für jede Seite auf 4 Personen festgesetzt.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin hat beantragt,

den Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem, den Prozessbevollmächtigten der Beteiligten Ziffer 2 am 22.07. und denen des Beteiligten Ziffer 1 am 25.07.2005 zugestellten Beschluss vom 14.07.2005 dem Antrag des Beteiligten Ziffer 1 im Wesentlichen entsprochen und - unter Antragszurückweisung im Übrigen - die Zahl der Beisitzer auf 2 Personen je Seite festgesetzt. Es erachtete den Bestellungsantrag für schlüssig begründet; entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten Ziffer 2 sei die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig, da bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht nicht sofort erkennbar sei, dass die Voraussetzungen für die Errichtung einer Einigungsstelle nicht vorlägen.

Hiergegen wendet sich die Beteiligte Ziffer 2 mit ihrer am 04.08.2005 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangenen Beschwerde (LAG Akte Bl. 1 - 8). Das Vorbringen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren erschließt sich im Übrigen aus dem Schriftsatz der Beteiligten Ziffer 2 vom 06.10.2005 (LAG ABl. 46 - 49) sowie den Schriftsätzen des Beteiligten Ziffer 1 vom 17.08. und 23.09.2005 (LAG ABl. 12 - 26 bzw. 39 - 45). Darauf wird Bezug genommen.

Die Beteiligte Ziffer 2 rügt im Wesentlichen, für einen Interessenausgleich im Zusammenhang mit dem Personalabbau in ihren Betrieben sei die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Soweit Aufhebungsverträge mit den Mitarbeitern abgeschlossen worden und Mitarbeiter ausgeschieden seien oder ausscheiden würden, sei die Maßnahme abgeschlossen, weitere Aufhebungsvertragsangebote seien nicht geplant. Selbst wenn eine Interessenausgleichspflicht vorgelegen hätte, so bestünde sie nach Abschluss der Maßnahme nicht mehr, was bereits das LAG Brandenburg in seiner Entscheidung vom 08.07.1997, AiB 1997, 726, entschieden habe. Verhandlungen über einen Interessenausgleich machten keinen Sinn mehr, wenn die "Würfel bereits gefallen seien" und sowohl das "Ob" als auch das "Wie" der Betriebsänderung feststünden oder wenn die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden sei. Die Möglichkeit der Nachholung des Interessenausgleichs bestehe nicht. Dem könne nicht entgegengesetzt werden, dass der Interessenausgleich in der Einigungsstelle sowieso nicht erzwingbar sei und es deshalb relativ gleichgültig sei, ob die Einigungsstelle auch für den Interessenausgleich zuständig sei oder nicht. Im Hinblick darauf, dass der Interessenausgleich in Einigungsstellen auch bei seiner Nichterzwingbarkeit zu allerlei taktischen Manövern benutzt werde, habe sie einen Anspruch darauf, dass die Unzuständigkeit der Einigungsstelle durch Zurückweisung des Antrags festgestellt werde.

Gleiches gelte für die angebliche Änderung der Führungsstruktur. Das Arbeitsgericht habe diesbezüglich eine reine unsubstantiierte Spekulation des Antragstellers übernommen. Der Offensichtlichkeitsmaßstab beziehe sich jedoch nicht auf den Vortrag eines der Beteiligten, sondern auf feststehende bzw. zumindest greifbare Tatsachen. Solche seien nicht vorgetragen und könnten auch nicht vorgetragen werden.

Die Einigungsstelle könne aber auch für den Sozialplan nicht gebildet werden. Es sei nicht richtig, dass sie eine Vorgabe gehabt habe, 108 Mitarbeiter abzubauen. Zutreffend sei vielmehr, dass sie bereits begonnen gehabt habe, sich von leistungsschwachen Mitarbeitern zu trennen, als die entsprechenden Abbaupläne der Konzernmutter bekannt gemacht worden seien. Die Trennung von leistungsschwachen Mitarbeitern im Wege von Aufhebungsverträgen stellten deshalb kein bloßes Auswahlkriterium dar. Nachdem die betroffenen Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis ausgeschieden seien und entsprechende Abfindungszahlungen erhalten hätten, sei auch für die Aufstellung eines Sozialplans kein Raum mehr.

Dementsprechend beantragt die Beteiligte Ziffer 2 im zweiten Rechtszug:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14.07.2005, Az.: 19 BV 125/05 wird abgeändert und der Antrag des Beteiligten Ziffer 1 insgesamt zurückgewiesen.

Der Beteiligte Ziffer 1 beantragt seinerseits,

die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 zurückzuweisen.

Er verteidigt in erster Linie die angefochtene arbeitsgerichtliche Entscheidung.

Soweit die Beteiligte Ziffer 2 geltend mache, dass die Betriebsänderung im Wege des Abschlusses von Aufhebungsverträgen bereits abgeschlossen sei, treffe dies nicht zu. Unstreitig seien unternehmensweit insgesamt 170 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Personalabteilung bzw. über die eingeschalteten Führungskräfte angesprochen worden. Hinsichtlich dieser Personen habe es die eindeutige Aussage der Personalleiterin auf der Sitzung des Gesamtbetriebsrates am 27./28.04.2005 gegeben: "Es werden nur Mitarbeiter angesprochen, von denen sich die S. trennen möchte". Am 24.05.2005 habe sie zudem erklärt, dass nur Mitarbeiter angesprochen worden seien, die nicht schulungsfähig seien; Schulung sei nicht das Allheilmittel für manchen Mitarbeiter. Daraus ergebe sich, dass die Geschäftsleitung derzeit und auch in Zukunft nach wie vor die Absicht verfolge, sich von den Mitarbeitern, die zwar ein Aufhebungsvertragsangebot erhalten, dieses jedoch nicht unterzeichnet hätten, zu trennen. Diese Absicht werde dadurch unterstrichen, dass die Personalleiterin R. deutlich gemacht habe, dass die Geschäftsleitung nicht gewillt sei, für solche Mitarbeiter weiterhin Geld für Qualifizierungsmaßnahmen auszugeben. Am 30.05.2005 habe Frau R. gesagt: "Schulungen für diese Mitarbeiter nützen nichts, wenn die Mitarbeiter wirklich schlecht sind. Viele dieser Mitarbeiter sind schon in der Skill-Initiative, die kaum etwas gebracht hat". Frau R. habe auch nicht ausgeschlossen, dass die Aktion mit Angeboten für den Abschluss von Aufhebungsverträgen wiederholt werden könnte.

Die Beteiligte Ziffer 2 verfolge auch weiterhin das Ziel, die Zahl der Führungskräfte und der vertrieblichen Mitarbeiter abzubauen. Seinem, des Beteiligten Ziffer 1, Vortrag erster Instanz, dass ein weiterer Abbau von 20 Führungskräften geplant sei, was eine weitere Reduzierung von 40% ausmache, sei die Beteiligte Ziffer 2 nicht mit einer berichtigten Sachverhaltsdarstellung entgegen getreten. Unstreitig seien auch Führungskräfte auf den Abschluss von Aufhebungsverträgen angesprochen worden. Auch sein Vortrag, dass die Reduzierung der Anzahl der vertrieblichen Mitarbeiter von 36 im Mai 2005 auf lediglich 10 Mitarbeiter angestrebt werde, sei unbestritten geblieben. Die jetzt neu beabsichtigte weitere Reduzierung der Zahl der Führungskräfte stelle qualitativ eine wesentliche Änderung der Betriebsorganisation dar.

Sein Vorbringen hat der Beteiligte Ziffer 1 durch eine Reihe von Protokollausschnitten aus Gesamtbetriebsratssitzungen glaubhaft gemacht.

Dem Sachvortrag des Beteiligten Ziffer 1 ist die Beteiligte Ziffer 2 mit ihrem Schriftsatz vom 06.10.2005 entgegengetreten. Weder sei die Behauptung richtig, Herr v. T. habe einen Abbau von 55 Mitarbeitern in den eigenen IT-Services mitgeteilt, noch habe sich die Zahl der einer Führungskraft durchschnittlich zugeordneten Mitarbeiter von 20 auf 35 erhöht. Zwar hätten neben einer Reihe von Mitarbeitern auch einige Führungskräfte einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen, dies habe jedoch nicht dazu geführt, dass sich die Anzahl der einer Führungskraft zugeordneten Mitarbeiter nahezu verdoppelt hätte. Eine Führungskraft sei durchschnittlich für 23 Mitarbeiter verantwortlich, also grade einmal für 15% mehr Mitarbeiter als die vom Beteiligten Ziffer 1 genannten 20 Mitarbeiter. Zwar gebe es Anweisungen für Führungskräfte, ihre Tätigkeiten bei den Kunden auf eine bestimmte Art und Weise zu erfassen, eine Anweisung, bei den Kunden fakturierbare Tätigkeiten zu leisten, um einen Personalabbau bei den Beratern/Consultants zu kompensieren, gebe es aber nicht. Was die vertrieblichen Mitarbeiter angehe, so frage es sich, auf welche Zeiträume und Vergleichszahlen der Beteiligte Ziffer 1 Bezug nehme. Aktuell seien 20 Personen mit vertrieblichen Aufgaben befasst, hinzu kämen weitere 5, die an die I. verliehen seien. Eine gravierende Reduzierung der Vertriebsorganisation habe es nicht gegeben. Hinzu komme, dass sie, die Beteiligte Ziffer 2, zu weit überwiegenden Teilen ihre Aufträge von dem Konzern erhalte. Es treffe auch nicht zu, dass vertriebliche Mitarbeiter, die künftig als Berater tätig werden sollten, eine Gehaltsrückstufung erfahren oder ihren Anspruch auf einen Firmenwagen verlieren würden. Auch die Behauptung, dass die Abteilung Qualitätsmanagement verkleinert werde, sei unsubstantiiert. Das Contract-Management werde nicht ausgelagert, lediglich das Projekt-Office reduziert.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.

B.

I.

Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 ist zulässig. Sie ist an sich statthaft (§ 98 Abs. 2 S. 1 ArbGG) und form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingereicht und zugleich ordnungsgemäß ausgeführt worden (§ 98 Abs. 2 S. 2 und 3 in Verbindung mit § 87 Abs. 2 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit überzeugender Begründung, welcher sich das Beschwerdegericht anschließen kann, hat das Arbeitsgericht dem Antrag des Beteiligten Ziffer 1 entsprochen und den Richter am Arbeitsgericht Freiburg, S., zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem unter A beschriebenen Regelungsgegenstand bestellt sowie die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei festgelegt. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen. Die hiergegen von der Beteiligten Ziffer 2 im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Argumente rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Zu ihrem Vorbringen sei Folgendes angemerkt:

1. Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 BetrVG "bei Bedarf" eine Einigungsstelle zu bilden. Kommt zwischen den Betriebspartnern über die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer keine Einigung zustande, so entscheidet darüber auf Antrag das Arbeitsgericht (§ 76 Abs. 2 S. 2, 3 BetrVG). Dieser Antrag kann wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle für den Gegenstand, mit dem sie sich befassen soll, nur zurückgewiesen werden, wenn die Unzuständigkeit "offensichtlich" ist (§ 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG).

a) Der Begriff der "Zuständigkeit" entstammt dem Prozessrecht. In diesem wird unter Zuständigkeit die Befugnis (und damit auch die Pflicht) eines bestimmten Gerichts und innerhalb dieses Gerichts die Befugnis eines Richters, Spruchkörpers oder sonstiger Rechtspflegeorgane verstanden, im Einzelfall die ihm nach dem Gesetz und nach der Geschäftsverteilung zugewiesene Gerichtsbarkeit auszuüben (vergleiche Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Auflage, § 1 Rz. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Auflage, Grdz. § 1, Rz. 1).

Davon zu unterscheiden ist die materielle Frage der Begründetheit eines bestimmten Begehrens, über die zu befinden ist. Diese ist gegeben, wenn der Tatsachenstoff, der einer Entscheidung zugrunde zu legen ist, das Begehren rechtfertigt (vergleiche Zöller-Greger, a. a. O., vor § 253, Rz. 25a).

b) Daraus folgt zunächst, dass es im Rahmen der gemäß § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG vorzunehmenden Prüfung, ob die Einigungsstelle "offensichtlich unzuständig" ist, nicht so sehr darauf ankommt, ob sich für das Begehren, über das nach dem Willen des Arbeitgebers oder des Betriebsrates die Einigungsstelle entscheiden soll, offensichtlich keine materielle Anspruchsgrundlage findet, ob es also unbegründet ist und die Einigungsstelle ihm letztlich nicht stattzugeben hätte. Zu fragen ist vielmehr grundsätzlich nur, ob das Betriebsverfassungsgesetz für diesen Konflikt der Einigungsstelle offensichtlich keine formelle Zuständigkeit zuweist (vergleiche LAG Köln, NZA 1995, 445; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07. August 1995 - 11 TaBV 1/95 - n. v; Beschluss vom 03.12.1997 - 21 TaBV 3/97), wenn also ein Mitbestimmungsrecht von Gesetzes wegen für den konkreten Streitfall gar nicht vorgesehen ist.

Dem Fall der formellen Unzuständigkeit der Einigungsstelle sind nach Auffassung des erkennenden Gerichtes allerdings die Fälle gleichzusetzen, in denen der Bestellungsantrag im Verfahren nach § 98 ArbGG offensichtlich unbegründet ist, wenn beispielsweise der Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan begehrt, obwohl im Betrieb unstreitig weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dem steht der Fall gleich, dass in einer Auslegungsfrage eine Mitbestimmungskompetenz des Betriebsrates durch unangefochtene höchstrichterliche Rechtsprechung verneint worden ist.

Immer dann, wenn ein Regelungsgegenstand zu den Materien gehört, die nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes Gegenstand der Beteiligung des Betriebsrates an wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Angelegenheiten des Betriebes sein sollen, kommt die Zuständigkeit der Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 BetrVG in Betracht. Nur dann, wenn der konkrete im Bestellungsverfahren auch dem Gericht dargelegte Sachverhalt, der auch der Einigungsstelle nach dem Willen eines Betriebspartners unterbreitet werden soll, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Beteiligungsrecht des Betriebsrates vernünftigerweise unterliegen kann, ist die Einigungsstelle unzuständig und gegebenenfalls auch "offensichtlich unzuständig".

Das Bestellungsverfahren ist von seinem Gesetzeszweck her kein Beschlussverfahren im eigentlichen Sinne. In ihm kann nicht verlässlich entschieden werden, ob die Einigungsstelle zuständig ist. Es soll lediglich die nach § 76 Abs. 2 BetrVG 1972 an sich gebotene Einigung der Betriebsparteien über die Person des Vorsitzenden und die Zahl der Beisitzer ersetzen, wenn diese nicht zustande kommt. Es geht in diesem Verfahren also nur um die Errichtung der Einigungsstelle zur Herstellung ihrer formalen Funktionsfähigkeit. Probleme der Zuständigkeit der Einigungsstelle, die sowohl von grundsätzlichen Rechtsfragen als auch von den tatsächlichen Umständen des einzelnen Falles abhängen können, lassen sich in diesem Verfahren schon deswegen nicht sinnvoll entscheiden, weil hier der Rechtsweg zum Bundesarbeitsgericht verschlossen ist. Diesem eingeengten Zweck des Bestellungsverfahrens entspricht auch die vom Gesetzgeber vorgesehene Besetzung der Gerichte in beiden Instanzen (keine ehrenamtlichen Richter), die Verkürzung der Einlassungs- und Ladungsfristen auf 48 Stunden und die Vorgabe nach § 98 Abs. 1 Satz 6 ArbGG an das Arbeitsgericht, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages den Beschluss den Beteiligten zuzustellen. Diese kurze Fristenregelung wurde durch das Job-Activ-Gesetz vom 10.12.2001 dahingehend ergänzt, dass der Beschluss spätestens innerhalb von 4 Wochen zugestellt werden muss. Allein durch diese kurze Fristenregelung ergibt sich die eindeutige Tendenz, dass zeitraubende Rechtsprobleme im Rahmen von § 98 ArbGG nicht geklärt werden können. Wäre dies der Fall, dann müsste das Gericht zwangsläufig gegen die Fristenregelungen in § 98 Abs. 1 Satz 6 ArbGG verstoßen, es liefe diese gesetzliche Bestimmung ins Leere oder aber das Gericht würde eine Entscheidung treffen, die weitgehend unter Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG (ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs) zustande kommen müsste (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.08.2005 - Az.: 2 TaBV 40/05 - m. w. N.).

Abzulehnen ist in diesem Verfahren die Bestellung der Mitglieder der Einigungsstelle also nur, wenn die Einigungsstelle "offensichtlich unzuständig" ist. Überflüssiges soll vermieden werden. Wenn von vornherein feststeht, dass eine etwaige von der Einigungsstelle getroffene Regelung wegen fehlender Mitbestimmungskompetenz des Betriebsrates keinen Bestand haben wird, ist ein Einigungsstellenverfahren sinnlos und überflüssig. Dies ist aber nach der gesetzlichen Regelung der Ausnahmefall. Nur bei Offensichtlichkeit kann die Bestellung abgelehnt werden. Im Regelfall ist also zu bestellen. "Offensichtlich" ist ein Ergebnis des empirischen oder rationalen Erkennens nur, wenn es Zweifeln nicht begegnet. Deswegen können im Bestellungsverfahren weder tatsächliche Verhältnisse im Wege einer Beweisaufnahme noch rechtliche Verhältnisse hinsichtlich der Regelungskompetenz des Betriebsrates im Wege der Auslegung geklärt werden. Denn was des tatsächlichen oder auslegungsmethodischen Beweises bedarf, ist nicht zweifelsfrei und deswegen nicht offensichtlich.

Wenn also Streit darüber besteht, ob der Gegenstand der angestrebten betrieblichen Regelung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unter einen Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 BetrVG oder entsprechenden Vorschriften subsumierbar ist, so sind diese Fragen - vorweg oder nachträglich - im allgemeinen Beschlussverfahren zu klären. Überdies entscheidet die Einigungsstelle zunächst auch selbst - wenn auch nicht verbindlich - über ihre Zuständigkeit (vergleiche dazu auch den Beschluss des LAG Berlin vom 27.01.1993 - 1 TaBV 5/92; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Februar 1996 - 12 TaBV 1/96 - sowie die frühere Rechtsprechung der 7. Kammer des LAG Baden-Württemberg: Beschluss vom 02. Mai 1984 - 7 TaBV 1/84; Beschlussverfahren 7 TaBV 9/86 ff.; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08. Juli 1997 - 16 TaBV 11/96 -; Beschluss vom 03.12.1997 - 21 TaBV 3/97 -; LAG Köln, Beschluss vom 06.06.2005 - 2 TaBV 18/05).

Der von dieser Auslegung des § 98 ArbGG abweichenden Rechtsauffassung, es müsse eine Beweisaufnahme stattfinden, wenn der Sachverhalt, aus dem sich der von der zu bildenden Einigungsstelle zu entscheidende Regelungsstreit ergeben soll, unter den Beteiligten streitig ist (vgl. Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Auflage, § 98 Rdnr. 21a m.w.N.), vermag die erkennende Beschwerdekammer nicht zu folgen. Ihr Argumentationsansatz, dass § 98 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auf die §§ 80 - 84 ArbGG und damit auf die in § 83 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ArbGG vorgeschriebene Amtsermittlung verweise, verfängt letztendlich nicht, weil die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften -jedenfalls hinsichtlich der Erforschung streitiger Tatsachen - durch die zeitlichen Vorgaben in § 98 Abs. 1 Satz 6 ArbGG weitgehend beschränkt ist. Diese abweichende Meinung hat sich wohl in einer Zeit herausgebildet, als eine Verknappung der "Ressource Recht" noch unbekannt war und die personellen sowie sachlichen Möglichkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit überschätzt worden sind. Sie überdehnt ohne zwingenden Sachgrund den Anwendungsbereich des § 98 ArbGG und kann wohl aufgrund der jüngsten Novellierungen dieser Vorschrift als überholt gelten.

2. Unter Zugrundelegung obiger Maßstäbe ist die zu bildende Einigungsstelle in Bezug auf die näher beschriebenen Regelungsgegenstände entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten Ziffer 2 nicht "offensichtlich unzuständig" im Sinne des § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG.

a) Soweit der Beteiligte Ziffer 1 vorgetragen hat, die Geschäftsleitung der Beteiligten Ziffer. 2 habe beschlossen, im Rahmen einer Personalreduzierungsentscheidung des I.-Konzerns alle so genannten "Low-Performer", potentiell ca. 15% aller Mitarbeiter, über Aufhebungsvertragsangebote zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zu bewegen, und dass dementsprechend ca. 170 Mitarbeiter angesprochen seien, erscheint es - nachdem unstreitig bereits 108 Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen haben - nicht ausgeschlossen, dass es sich bei diesem Vorgang um eine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111 Nr. 1 BetrVG, jedenfalls im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 4 BetrVG handeln könnte. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und zum Abschluss eines Sozialplanes erscheint deshalb nicht von vorneherein ausgeschlossen zu sein. Inwieweit die Behauptungen des Beteiligten Ziffer 1 zutreffen oder schlichtweg aus der Luft gegriffen sind, kann im Rahmen des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG nicht festgestellt werden, vielmehr ist dies von der zu bestellenden Einigungsstelle zu prüfen.

Die Beteiligte Ziffer 2 kann in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg einwenden, der Antrag des Beteiligten Ziffer 1 sei schon deshalb unbegründet, weil die Betriebsänderung, wäre eine solche gegeben, bereits abgeschlossen sei. Denn nach dem weiteren Vorbringen des Beteiligten Ziffer 1 erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Geschäftsleitung der Beteiligten Ziffer 2 über die bereits abgeschlossenen Aufhebungsverträge hinaus noch weitere 60 Mitarbeiter, die es abgelehnt hatten, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, zum Ausscheiden zu bewegen versuchen wird. Dafür könnten die angeblichen Äußerungen der Personalleiterin Riepe der Beteiligten Ziffer 2 sprechen, wonach sich die Beteiligte Ziffer 2 in jedem Fall von den so genannten Low-Performern trennen werde, da diese letztendlich nicht schulungsfähig seien, obwohl man für Qualifizierungsmaßnahmen viel Geld ausgegeben habe. In diese Richtung könnte ferner deuten, dass sich die Beteiligte Ziffer 2 bis zum Schluss der mündlichen Anhörung außer Stande sah, verbindlich zu versichern, dass eine Freisetzung der von ihr angesprochenen weiteren Mitarbeiter, welche den Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt hatten, nicht erfolgen werde.

Der Hinweis der Beteiligten Ziffer 2 auf den Beschluss des LAG Brandenburg vom 08.07.1997 erscheint nach allem unbehelflich.

b) Entsprechendes gilt hinsichtlich der von dem Beteiligten Ziffer 1 behaupteten Betriebsänderung durch Änderungen der Betriebsorganisation in den Betrieben der Beteiligten Ziffer 2.

Eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation im Sinne des § 111 Satz 3 Ziffer 4 BetrVG liegt vor bei einer einschneidenden, weitgehenden Änderung des Betriebsaufbaus bzw. der Gliederung des Betriebs oder der Zuständigkeiten (vgl. BAG AP Nr. 8 zu § 111 BetrVG). Ihr muss erhebliche Bedeutung für das betriebliche Gesamtgeschehen zukommen (BAG a.a.O. Nr. 10). Dies ist immer dann der Fall, wenn sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Dies ergibt eine an systematisch-teleologischen Kriterien orientierte Auslegung des § 111 Satz 3 Ziffer 4 BetrVG unter Berücksichtigung der in § 111 Satz 1 BetrVG zum Ausdruck gekommenen Wertungen. Dabei sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Feststellung, wann ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist, die Zahlenangaben des § 17 Abs. 1 KSchG maßgeblich (BAG AP Nr. 26 und 30 zu § 111 BetrVG). Dabei kommen als wesentliche Nachteile im Sinne der Bestimmung nicht nur materielle Nachteile, wie beispielsweise der Verlust des Arbeitsplatzes bzw. die Minderung des Arbeitsentgelts in Betracht, sondern auch immaterielle Nachteile, wie z.B. Belastungen durch Leistungsverdichtung und höhere Qualifikationsanforderungen (vgl. dazu LAG Hamm, Urteil v. 22.07.2003 - Az.: 19 Sa 541/03, LAG Report 2003, 340 ff.).

Da der Beteiligte Ziffer 1 behauptet, die Zahl der Führungskräfte im Unternehmen der Beteiligten Ziffer 2 sei bis Ende 2003 bereits von 100 auf 49 reduziert worden und nunmehr sei ein weiterer Abbau um 20 Personen geplant, so dass die verbleibenden 30 Führungskräfte etwa 800 Projektmitarbeiter führen sollen, der Schlüssel von ursprünglich 1:20 auf 1:40 verdoppelt werde, könnte darin eine Betriebsänderung durch eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation in obigem Sinne liegen, nachdem mit einer Reduzierung der Führungskräfte eine Leistungsverdichtung und damit einhergehende Belastungen verbunden wären, die weit mehr als 30 Mitarbeiter betreffen würde, so dass das Quorum des § 17 Abs. 1 KSchG erfüllt wäre. Ob die Behauptungen des Beteiligten Ziffer 1 tatsächlich zutreffen, kann wiederum im vorliegenden Bestellungsverfahren nicht geprüft werden. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen wird die zu bildende Einigungsstelle zu treffen haben .

Nicht nachvollziehbar erscheint indes, inwieweit die von dem Beteiligten Ziffer 1 behauptete Reduzierung der Zahl der vertrieblichen Mitarbeiter von 36 Personen im April 2005 auf lediglich 10 Mitarbeiter eine Organisationsänderung beinhalten soll, durch welche ein erheblicher Teil der Belegschaft nachteilig betroffen sein soll. Diese Frage soll indes gar nicht Regelungsgegenstand der zu bestellenden Einigungsstelle sein, wie sich aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses unter II. vor 2. ergibt.

Nach allem konnte der Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 kein Erfolg beschieden sein.

Sie war ohne weiteres zurückzuweisen.

C.

Dieses Beschlussverfahren ist kostenfrei (vergleiche § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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