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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 3 Sa 21/08
Rechtsgebiete: TVöD-BT-V, BRKG, TVöD, BAT


Vorschriften:

TVöD-BT-V § 44
TVöD-BT-V § 44 Abs. 2
TVöD-BT-V § 44 Abs. 2 Satz 1
TVöD-BT-V § 47
TVöD-BT-V § 47 Kap. I Nr. 10 Abs. 1
TVöD-BT-V § 47 Kap. I Nr. 10 Abs. 3
TVöD-BT-V § 47 Nr. 10 Abs. 5
TVöD-BT-V § 47 Nr. 10 Abs. 5 1. Alt.
BRKG § 2
TVöD § 6 Abs. 2 Satz 1
TVöD § 8 Abs. 2
BAT § 15
BAT § 15 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 22. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 09. April 2008 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert wird im zweiten Rechtszug auf 1.809,51 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Frage, ob bislang nicht durch Freizeit ausgeglichene nicht anrechenbare Reisezeiten finanziell abzugelten sind.

Der in W. im R.-M.-K. wohnhafte Kläger steht zur Beklagten seit 1973 als Schiffs- und Geräteführer in einem Arbeitsverhältnis. Dieses bestimmt sich aufgrund beiderseitiger Tarifbindung sowie kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme nach den tariflichen Regelungen des TVöD-Bund. Wegen des Inhalts des zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrags wird auf die in Fotokopie vorgelegte Vertragsurkunde (Anl. K4 - Bl. 9 der Akte des Arbeitsgerichts) Bezug genommen. Der Kläger erhält Vergütung nach Entgeltgruppe 8 TVöD-Bund und ist einer individuellen Zwischenstufe 5/6 zugeordnet. Der Arbeitsplatz des Klägers befindet sich auf dem von ihm geführten Schiff auf dem N., einer Bundeswasserstraße, im Außenbezirk M. des Wasser- und Schifffahrtsamtes S. Als Arbeitsort ist B. vereinbart (Kopie der Niederschrift nach dem Nachweisgesetz - Bl. 61 der Berufungsakte). Der Kläger hat arbeitstäglich von seinem Wohnsitz aus den jeweiligen Liegeplatz des Schiffes aufzusuchen. Von dort kehrt er regelmäßig abends wieder nach Hause zurück. Diese Fahrten behandelt die Beklagte gemäß § 47 Kap. I Nr. 10 Abs. 1 und 3 TVöD-BT-V als Dienstreise im Sinne des § 44 TVöD-BT-V in Verbindung mit § 2 BRKG. Für den Kläger gilt eine feste Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche. Die Dienstreisezeiten liegen täglich jeweils außerhalb der Arbeitszeit. Sie ergeben sich aus den in Bl. 62 bis Bl. 66 der Berufungsakte für die Zeit vom 04. Oktober 2005 bis 30. November 2006 vorgelegten Erfassungsbögen. Die entsprechenden Angaben sind unstreitig. Danach errechnete der Kläger für diesen Zeitraum 123,77 Stunden, für die er Freizeitausgleich nach §§ 44, 47 TVöD-BT-V zu beanspruchen hat. Im fraglichen Zeitraum erhielt er eine monatliche Vergütung von 2.427,35 EUR brutto.

Der Freizeitausgleich für die genannten 123,77 Stunden wurde dem Kläger bislang nicht gewährt. Mit Schreiben vom 12.11.06 (Anl. K7 - Bl. 12 der Akte des Arbeitsgerichts) machte der Kläger zunächst die finanzielle Abgeltung von bis dahin aufgelaufenen 69,82 Stunden, und mit Schreiben vom 23.05.07 (Anl. K8 - Bl. 13 der Akte des Arbeitsgerichts) von weiteren 53,95 Stunden geltend. Dies lehnte die Beklagte ab.

Mit der Klage erstrebt der Kläger die finanzielle Abgeltung dieser Dienstreisestunden. Er hat die Ansicht vertreten, Reisezeiten, die nicht innerhalb des nach § 8 Abs.2 TVöD bestimmten Zeitraums durch die Beklagte durch Freizeit ausgeglichen worden seien, seien abzugelten. Demzufolge errechne sich auf der Basis einer monatlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 169 Stunden und einem Stundensatz von 14,62 die nachstehend ersichtliche Klageforderung.

Der Kläger hat folgenden Antrag gestellt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.809,51 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Reisezeiten seien keine Arbeitszeiten. Deswegen komme eine finanzielle Abgeltung nach § 8 Abs. 2 TVöD nicht in Betracht.

Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Urteil der Klage in vollem Umfang entsprochen, da die fragliche Reisezeit als Arbeitszeit zu werten sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass eine finanzielle Abgeltung nicht in Betracht komme, weil es sich bei Zeiten einer Dienstreise nicht um Arbeitszeit handele.

Demgegenüber bittet der Kläger um die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des Vortrags der Parteien in seinen Einzelheiten wird auf den Inhalt ihrer im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze sowie des angefochtenen Urteils, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist auch in der Sache gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat aus diesseitiger Sicht zu Unrecht der Klage stattgegeben. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht.

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Streitgegenstand noch hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 8 Abs. 2 TVöD. Gegenstand dieser Bestimmung ist der Teil der Arbeitszeit, der die durchschnittliche tariflich zulässige Arbeitszeit in einem bestimmten Bezugszeitraum überschreitet. Dieser Bezugszeitraum beträgt mangels anderweitiger Bestimmung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 TVöD ein Jahr. Der Kläger geht von sechs Monaten aus, weil er meint, der Ausgleichszeitraum errechne sich weiterhin nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BAT, denn für die Beklagte sei im Dienstbereich des Klägers noch kein anderer Ausgleichszeitraum bestimmt. Dies ist für die Bestimmung des Streitgegenstands unschädlich. Jedenfalls ist Gegenstand des Anspruchs nach § 8 Abs. 2 TVöD nicht eine konkrete zeitlich fixierte Arbeitsstunde, sondern der Saldo zwischen der tarifvertraglich zulässigen Arbeitszeit im Bezugszeitraum und der tatsächlich geleisteten. Wenn der Kläger aber anstelle des Saldos konkrete Dienstreisezeiten zum Bezugspunkt seiner Klageforderung macht, betrifft dies die Schlüssigkeit seines Vorbringens und die Richtigkeit seiner Berechnung, lässt aber den Streitgegenstand nicht zweifelhaft erscheinen. Mindestens aus seinem Vorbringen im Berufungsrechtszug ergibt sich auch, dass es sich bei der fraglichen Dienstreisezeit um solche Stunden handelt, die im Sinne des § 44 Abs. 2 in Verbindung mit § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V jeweils außerhalb der von ihm täglich abzuleistenden und abgeleisteten, also nicht innerhalb der mindestens anzuerkennenden Arbeitszeit liegen. Auch die Tage, an denen die Reisezeit im jeweiligen Umfang angefallen sein soll, lassen sich aus der zur Akte gereichten Aufstellung (Bl. 62 bis 66 der Berufungsakte) ersehen. Diese Feststellung ist jedoch zur Bestimmung des Streitgegenstands erforderlich, weil auch dann, wenn die behauptete Stundenzahl unstreitig ist, aus dem Vortrag des Klägers ersichtlich sein muss, dass seinen Forderungen ein konkreter Sachverhalt zu Grunde liegt und es sich dabei nicht um eine Fiktion handelt.

2. Die sonach zulässige Klage ist aber nicht begründet.

a) Dabei bestehen bereits Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Vorbringens des Klägers insoweit, als sich seinem Vorbringen nicht entnehmen lässt, dass er im Ausgleichszeitraum des § 6 Abs. 2 Satz 1 TVöD eine durchschnittliche Arbeitszeit aufzuweisen hat, die 39 Stunden in der Woche übersteigt. Dieser Ausgleichszeitraum ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits zu § 15 BAT so zu berechnen, dass fortlaufend für jede Woche in die Durchschnittsberechnung der Zeitraum von einem Jahr abzüglich eine Woche vor der jeweiligen Woche und von einem Jahr abzüglich eine Woche nach dieser Woche in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen ist (vgl. BAG vom 30. März 2000 - 6 AZR 680/98 - AP Nr. 2 zu § 15 BAT-O m.w.Nw. zum Ausgleichszeitraum von 26 Wochen). Soweit, wie hier, nichts anderes bestimmt ist, ist der Jahreszeitraum als maximaler Ausgleichszeitraum maßgeblich. Dies bedeutet, dass ein Anspruch des Klägers aus der von ihm herangezogenen Anspruchsgrundlage nur hergeleitet werden kann, wenn für jede Woche dargelegt wird, dass unter Berücksichtigung der von ihm genannten Dienstreisezeiten der Durchschnitt von 39 Stunden überschritten wurde. Dass vor und nach dem streitigen Zeitraum die durchschnittliche Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche in jeder Woche erreicht wurde, wird von ihm nicht dargelegt. Auch bei fester Arbeitszeit ist es möglich, dass in der einen oder anderen Woche die durchschnittliche Arbeitszeit von 39 Stunden nicht erreicht wird. Dies ist nach den vom Kläger vorgelegten Abrechnungsunterlagen (Bl. 67 bis 79 der Berufungsakte) auch der Fall. Soweit sie in einzelnen Wochen überschritten wurde, wäre dies nur dann von Bedeutung, wenn kein Ausgleich über eine Überstundenvergütung erfolgt ist.

b) Auf diese Frage kommt es aber letztlich nicht an, weil sich aus den Darlegungen des Klägers nicht ergibt, dass ihm aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen der ihm zustehende und als solcher unstreitige Freizeitausgleich im jeweiligen Ausgleichszeitraum nicht gewährt werden konnte. Nur unter dieser Voraussetzung wird aber nach § 8 Abs. 2 TVöD die im Ausgleichszeitraum den durchschnittlichen Stundensatz überschreitende Arbeitsstunde finanziell abgegolten. Der Abgeltungsanspruch folgt also nicht bereits daraus, dass die zulässige Arbeitszeit im Ausgleichszeitraum überschritten wurde, sondern nur daraus, dass aus betrieblichen/dienstlichen Gründen ein Freizeitausgleich nicht möglich war. Aus dem Vortrag des Klägers lässt sich aber nicht ersehen, dass er sich jemals um einen Freizeitausgleich vergeblich bemüht hätte und dass ihm dieses Verlangen aus betrieblichen Gründen abgeschlagen worden wäre. Damit füllt aber der Vortrag des Klägers ein erforderliches Tatbestandsmerkmal für die von ihm angezogene Anspruchsgrundlage nicht aus. Bereits aus diesem Grund tritt die von ihm erstrebte Rechtsfolge nicht ein, sodass es auf die von den Parteien und dem Arbeitsgericht erörterte Frage, ob der Anspruch auf Abgeltung durch Freizeit nach § 47 Nr. 10 Abs. 5, 1. Alt. TVöD-BT-V sich in einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung nach § 8 Abs. 2 TVöD umwandeln kann, ob also der Anspruch auf Freizeitausgleich wie Arbeitszeit zu werten ist, nicht mehr ankommt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung noch behauptet, der Dienstbetrieb bräche zusammen, wenn er Freizeitausgleich nehme. Dem ist die Beklagte entgegengetreten und bot dem Kläger an, sofort den Freizeitausgleich zu nehmen. Dass der Kläger aber jemals einen Anspruch auf Freizeitausgleich geltend gemacht hätte, der von der Beklagten aus betrieblichen Gründen abgelehnt worden wäre, ergibt sich auch aus diesem Vorbringen nicht.

c) Aber auch aus folgendem weiteren Umstand ergibt sich nach diesseitiger Auffassung die Unschlüssigkeit der Klage: Unterstellt, der Kläger hätte nicht die Bezahlung konkreter Dienstreisezeiten, sondern einen Saldo nach § 8 Abs. 2 TVöD eingeklagt, stünde ihm der eingeklagte Betrag ebenfalls nicht zu. Die genannte Tarifbestimmung trägt der Tatsache Rechnung, dass bei der Verteilung der Arbeitszeit auf den jeweiligen Bezugszeitraum für die Berechnung des Durchschnitts für einzelne "Überhangstunden" ein Freizeitausgleich nicht stattgefunden hat. Wie oben ausgeführt, lässt sich dies nur fließend Woche für Woche anhand des davor und dahinter liegenden Referenzzeitraums errechnen. Da die außerhalb der festen Arbeitszeit liegende Reisezeit nicht als Arbeitszeit anerkannt wird, was sich ohne weiteres aus § 44 Abs. 2 Satz 1 TVöD-BT ergibt, kann sie auch nicht in dem zu bildenden Saldo der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit auf der Guthabenseite auftauchen. Damit führt zwar ein Freizeitausgleich nach § 47 TVöD-BT-V zu einer Verminderung der Guthabenstunden aus der Sicht des Arbeitnehmers. Wird der Freizeitausgleich nicht gewährt, kann sich daraus aber keine Erhöhung der tatsächlichen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit im Referenzzeitraum ergeben. Soweit bei gleitender Arbeitszeit die Umrechnung in Arbeitszeit erfolgt, liegt darin keine Ungleichbehandlung, weil auch dieser Umstand nicht zu einer Erhöhung des Entgelts, sondern gemäß der Protokollerklärung zu § 8 Abs. 2 TVöD auch nur zu einem höheren Freizeitguthaben führt. Auch aus diesem Grund ist die Klage sonach unbegründet.

Damit ist auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Dies zieht zulasten des Klägers die Kostenfolge des § 91 ZPO nach sich.

Mit Rücksicht auf § 63 Abs. 2 GKG ist der Gebührenstreitwert nach Abschluss der Instanz festzusetzen. Er bemisst sich nach der Höhe der Hauptforderung.

Ende der Entscheidung

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