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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 15.02.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 49/06
Rechtsgebiete: BAT, SGB IX, TzBfG, SchwbG


Vorschriften:

BAT § 59 Abs. 1
BAT § 59 Abs. 1 UA 1
BAT § 59 Abs. 1 UA 1 Satz 1
SGB IX § 2 Abs. 3
SGB IX § 68
SGB IX § 68 Abs. 2
SGB IX § 68 Abs. 3
SGB IX § 69
SGB IX § 69 Abs. 1
SGB IX § 85
SGB IX § 90 Abs. 2a
SGB IX § 92
TzBfG § 15 Abs. 2
TzBfG § 21
SchwbG § 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2006 - 15 Ca 5972/05 - wird, soweit der Klageantrag nicht eingeschränkt worden ist, zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird für das beklagte Land zugelassen.

Streitwert im zweiten Rechtszug: 7.146,00 EUR

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen nach der Regelung des § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 BAT beendet worden ist, weil die Klägerin nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers erwerbsgemindert ist.

Die am ... August 1952 geborene Klägerin war seit dem 23. August 1989 bei dem beklagten Land als Fachlehrerin im Angestelltenverhältnis mit einem vollen Lehrauftrag beschäftigt. Die Parteien sind tarifgebunden. Auf den Inhalt der von der Klägerin vorgelegten Kopie des Arbeitsvertrags (Anl. 1 - Bl. 9 der Akte des Arbeitsgerichts) wird Bezug genommen.

Seit 10. Juni 2002 ist die Klägerin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 06.05.2004 (Anl. 2 - Bl. 10 der Akte des Arbeitsgerichts) teilte die Klägerin dem damaligen Oberschulamt mit, dass bei ihr ein Grad der Behinderung von 30 bestehe und dass sie die Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen beantragt habe (Kopie des Antrags Anl. 3 - Bl. 11 - 14 der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit Bescheid vom 17. Mai 2004 wies die Bundesagentur für Arbeit durch die Agentur für Arbeit Waiblingen diesen Antrag zurück (Anl. 4 - Bl. 15 der Akte des Arbeitsgerichts). Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur mit Bescheid vom 01.03.2005 zurück (Anl. 5 - Bl. 16-20 der Akte des Arbeitsgerichts). Die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht Stuttgart (Aktenzeichen S 15 AL 1848/05) erledigte sich in der Hauptsache, weil sich die Bundesagentur bereit erklärte, die Gleichstellung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung auszusprechen. Dies geschah dann mit Bescheid der Arbeitsagentur Waiblingen vom 20. September 2005 mit Wirkung vom 07. April 2004 (Anl. 1 zum Schriftsatz der Klägerin vom 27.09.2005 - Bl. 64 der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 23.09.2004 (Anl. B1 - Bl. 45-47 der Akte des Arbeitsgerichts), den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 28. September 2004, wurde der Klägerin mit Wirkung vom 01. Februar 2003 zunächst Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Eintritt der Regelaltersgrenze zugesprochen. Auf den Widerspruch der Klägerin hin wurde ihr mit Bescheid vom 23.08.2005 für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 30. April 2007 befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 14.10.2005 - Bl. 67-83 der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit Schreiben vom 20. April 2005 (Anl. B2 - Bl. 48/49 der Akte des Arbeitsgerichts), fragte das beklagte Land beim Integrationsamt an, ob dieses die Rechtsauffassung des Landes teile, dass für eine beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin die Zustimmung des Integrationsamts nicht erforderlich sei. Für den Fall jedoch, dass das Integrationsamt die Zustimmung für erforderlich halte, werde rein vorsorglich "um Zustimmung des Integrationsamtes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ersucht". Hierauf teilte dieses dem beklagten Land mit Schreiben ohne Datum, beim beklagten Land eingegangen am 10. Mai 2005, mit, "Personen (Feststellungsbescheid mit einem GdB von weniger als 50) während des Widerspruchs- und Klageverfahrens im Gleichstellungsverfahren, haben keinen besonderen Kündigungsschutz nach dem SGB IX".

Einen vorsorglichen Antrag auf Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellte das beklagte Land beim Integrationsamt in der Folge nicht mehr.

Mit Schreiben vom 23.05.2005 (Anl. 8 - Bl. 23 der Akte des Arbeitsgerichts) teilte das beklagte Land der Klägerin mit, ihr Arbeitsverhältnis ende "infolge teilweiser Erwerbsminderung / voller Erwerbsminderung gemäß § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 BAT" zum 30. September 2004.

Mit der am 15. Juni 2005 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des Landes, ihr Arbeitsverhältnis sei gem. § 59 Abs. 1 BAT aufgelöst worden.

Hierzu hat sie im Einzelnen ihre Rechtsauffassung vorgetragen, wonach die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zustimmung des Integrationsamts nicht habe eintreten können, obwohl ihre Gleichstellung erst danach erfolgt sei.

Die Klägerin hat folgenden Antrag gestellt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder mit Ablauf des 30.09.2004 noch mit Ablauf des 31. August 2005 aufgrund Eintritts der auflösenden Bedingung des § 59 Abs. 1 BAT aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat unter Bezugnahme auf weitere Äußerungen des Integrationsamts und auf § 90 Abs. 2a SGB IX sowie die Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs die Auffassung vertreten, es habe der Zustimmung des Integrationsamts nach §§ 92, 85, 68 SGB IX nicht bedurft, weil zum Zeitpunkt des Eintritts der auflösenden Bedingung die Bundesagentur die Gleichstellung nicht ausgesprochen habe. Es hat sich allerdings nur der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2004 berühmt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Wegen der diesbezüglichen Entscheidungsgründe des Urteils wird auf Blatt 120 bis 133 der Akte des Arbeitsgerichts verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des beklagten Landes, mit der es seinen Klageabweisungsantrag unter weiterer Darlegung seiner Rechtsansicht, das Arbeitsverhältnis habe am 30. September 2004 geendet, und unter Hinweis auf hierzu bereits ergangene Rechtsprechung weiterverfolgt. Demgegenüber bittet die Klägerin um die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt ihrer im Berufungsrechtszug vorgelegten Schriftsätze wie auch das angefochtene Urteil Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und auch sonst zulässige Berufung des beklagten Landes ist nach diesseitiger Auffassung in der Sache im Wesentlichen nicht gerechtfertigt. Der Begründung des Arbeitsgerichts, mit der es der Klage stattgegeben hat, soweit sie sich gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2004 richtet, wird jedenfalls im Ergebnis gefolgt. Es hat aus diesseitiger Sicht zu Recht die Auffassung vertreten, die Wirkung des § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 BAT könne erst mit dem Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamts nach § 92 in Verbindung mit § 85 und § 68 Abs. 3 SGB IX eintreten. Da eine solche nicht vorliegt, auch kein bestandskräftiges Negativattest, besteht das Arbeitsverhältnis noch.

1. Das Rechtsschutzinteresse an der Feststellungsklage bezüglich einer Beendigung zum 30. September 2004 kann der Klägerin nicht abgesprochen werden. Auch wenn derzeit die beiderseitigen Hauptpflichten ruhen, weil die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die vertragsgemäßen Arbeitsleistungen zu erbringen, ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin derzeit nur einen befristeten Rentenanspruch hat und deshalb nicht auszuschließen ist, dass die beiderseitigen Hauptpflichten wieder aufleben können. Die Klage ist fristgerecht erhoben. Bei der Regelung des § 59 Abs. 1 BAT mag es sich um eine auflösende Bedingung im Sinne des § 21 TzBfG handeln. Dann muss binnen drei Wochen nach dem Eintritt der Bedingung, aufgrund derer das Arbeitsverhältnis enden soll, Klage erhoben werden. Dies ist nicht geschehen. Denn wenn die Bedingung wirksam wäre, hätte das Arbeitsverhältnis am 30. September 2004 geendet. Allerdings ist § 15 Abs. 2 TzBfG entsprechend anzuwenden. Die am 15. Juni 2005 erhobene Klage ist vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Arbeitgebers vom 23.05.2005 am 27. Mai 2005 bei Gericht eingegangen. Einer Sachprüfung steht also nichts im Wege.

2. Soweit sich die Klage allerdings gegen eine mögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2005 gerichtet hat, berühmt sich das beklagte Land einer solchen Beendigung nicht. Deshalb hat die Klägerin ihre Klage auf die Frage der Beendigung zum 30. September 2004 beschränkt.

3. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Schutz des § 92 SGB IX genießt, auch wenn zum Zeitpunkt des Eintritts der in § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 BAT genannten Bedingung - das Vorliegen der entsprechenden Merkmale ist im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig, vgl. hierzu auch BAG, Urteil vom 15. März 2006 - 7 AZR 332/05 - ZTR 2006, 548 ff. - ein Bescheid über die Gleichstellung der Klägerin noch nicht vorgelegen hat. Dies ist aus zwei Gründen aber der Fall, nachdem das beklagte Land schon vor Eintritt der Bedingung über den gestellten Antrag der Klägerin unterrichtet war. Diese beruft sich zu Recht darauf, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 92, 85 SGB IX noch nicht eingetreten ist. Denn die Bedingung kann erst nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamts wirksam das Arbeitsverhältnis auflösen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten die von ihm entwickelten Grundsätze zum Erhalt des Sonderkündigungsschutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer, deren Schwerbehindertenantrag zumindest vor Ausspruch der Kündigung gestellt und dem Arbeitgeber auch innerhalb eines Monats nach Ausspruch der Kündigung bekannt gegeben war (BAG Urteil vom 5. Juli 1990 - 2 AZR 8/90 - AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG 1986) auch für den erweiterten Beendigungsschutz nach § 22 SchwbG, jetzt 92 SGB IX (BAG, Urteil vom 28. Juni 1995 - 7 AZR 555/94 - AP Nr. 6 zu § 59 BAT). Danach reichte es für die Notwendigkeit, die Zustimmung der zuständigen Behörde zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzuholen, auch aus, wenn der Antrag auf Gleichstellung schon vor dem Eintritt der Bedingung gestellt und der Arbeitgeber rechtzeitig von der Antragstellung unterrichtet wurde. Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend unstreitig gegeben. An der sich hieraus ergebenden Rechtslage bezüglich einer Sachgestaltung wie der vorliegenden hat sich durch die Einfügung des § 90 Abs. 2a SGB IX nichts geändert.

Die mit Wirkung zum 01. Mai 2004 - also noch zu einem Zeitpunkt, bevor die Umstände eingetreten sind, die die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 BAT bezüglich des Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitparteien erfüllen - neu eingefügte Bestimmung soll ausweislich der amtlichen Begründung (BT-Drs. 15/2357 Seite 24, zu Nr. 21, zu Buchstabe b) gewährleisten, dass der Arbeitgeber zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX erbracht ist, außerdem aber auch, wenn im anhängigen Anerkennungsverfahren das Versorgungsamt ohne Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellungen treffen konnte. Allerdings ist zutreffend, dass die Gleichstellung ein konstitutiver Akt ist, der als solcher zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung (hier: des Eintritts der Bedingung) grundsätzlich vorliegen muss.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die etwa vom OVG Koblenz im Urteil vom 07. März 2006 (7 A 11298/05 - NZA 2006, 1108) vertretene Auffassung, dass ein zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht beschiedener Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch nur dann die Notwendigkeit einer Zustimmung des Integrationsamts auslöst, wenn das Versorgungsamt, also die untere Verwaltungsbehörde, ohne Verschulden des behinderten Menschen über den Antrag zu diesem Zeitpunkt nicht (positiv) entschieden hat. Diese Auffassung erscheint zu sehr am Wortlaut verhaftet, weil es nicht der Wille des Gesetzgeber sein kann, dass sich etwaige Fehler in der Entscheidungsfindung im Bereich des Versorgungsamts zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken können, wenn nämlich das Versorgungsamt zu Unrecht und rechtsfehlerhaft die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch verneint. Aus diesseitiger Sicht geht bei sachgerechter Auslegung des § 90 Abs. 2a SGB IX die verspätete Entscheidung der zuständigen Behörde nur dann zu Lasten des Arbeitnehmers, wenn dieser nicht die Ursache für die Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Entscheidet aber das Versorgungsamt fehlerhaft, muss sich der Arbeitnehmer auch auf eine korrigierende Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder der zuständigen Gerichte berufen können. Die gesetzliche Regelung hat insoweit nur zum Inhalt, dass bei rechtzeitiger Antragstellung und hinreichender Förderung des Verfahrens durch den Antragssteller das Versorgungsamt über den Antrag nicht rechtzeitig entscheiden konnte. Weist es aber unter dieser Voraussetzung dann den Antrag zu Unrecht zurück, trifft das Gesetz keine Bestimmung dahingehend, dass mit dieser Entscheidung das Zustimmungserfordernis des Integrationsamts entfiele. Das Risiko einer fehlerhaften Entscheidung des Versorgungsamts dem Arbeitnehmer aufzubürden erscheint vom gesetzgeberischen Wollen kaum umfasst und wäre auch unverständlich. Das Versorgungsamt hätte ja in einem solchen Fall rechtzeitig entscheiden können, wenn es die Rechtslage zutreffend erkannt hätte.

Im Übrigen macht sich die Kammer die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 17. Januar 2006 (8 Sa 1052/05 - zitiert nach "juris") zu Eigen, wonach der Gesetzgeber mit der Bekämpfung von so genannten Missbrauchsfällen im Grunde an der bisherigen, von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestalteten Rechtslage nichts ändern wollte, nachdem die Initiative des Bundesrats abgelehnt worden war, die Zustimmungspflicht des Integrationsamts nur vorzusehen, wenn der Anerkennungsbescheid zum Kündigungszeitpunkt bereits vorliegt. Nach diesseitiger Auffassung ist das Verhältnis zwischen den beiden Fallgruppen, die für das Eingreifen der Ausnahmeregelung des § 90 Abs. 2a SGB IX maßgeblich sind, so zu lösen, dass der Nachweis nur dann nicht als erbracht anzusehen ist, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft nicht offensichtlich und auch trotz frühzeitiger und zügig sowie sachgerecht betriebener Antragstellung beim Versorgungsamt kein (positiver) Feststellungsbescheid erlangt ist. Denn dass die bloße Antragstellung, wenn sie nur rechtzeitig ist, ausreichen kann, zeigt ja die zweite Alternative.

Wendet man diese Bestimmung auch auf das Gleichstellungsverfahren an, käme es darauf an, dass der Antragsteller alles in seiner Macht Stehende getan hat, um eine rechtzeitige Entscheidung über seinen Gleichstellungsantrag zu erlangen. Dies ist aber vorliegend geschehen, wenn die Klägerin bereits im Mai 2004, also vor Eintritt der nach § 59 Abs. 1 BAT maßgeblichen Ereignisse, bereits eine, allerdings negative, Entscheidung erlangte, die sie allerdings nicht gegen sich bestandskräftig werden ließ, sondern mit Erfolg bekämpfte.

Wenn diese Vorschrift aber überhaupt auch auf diejenigen Arbeitnehmer anzuwenden wäre, die einen Antrag auf Gleichstellung gestellt haben, müsste entsprechend der Begriff "Versorgungsamt" durch den die zuständige Behörde bezeichnenden Begriff ersetzt werden. Dies wäre die Bundesagentur für Arbeit. Nach der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Vorstellung des Gesetzgebers soll § 90 Abs. 2a SGB IX unter anderem ausschließen, dass der besondere Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Legt man diese Vorstellung zugrunde, kann der Ausschluss des besonderen Kündigungsschutzes, wie oben ausgeführt, nicht die Fallgestaltungen betreffen, in denen die Verwaltungsbehörden nicht sachgerecht entscheiden, obwohl die Voraussetzungen vorliegen. Hätte vorliegend die Bundesagentur zeitgerecht zutreffend entschieden, wäre die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Zustimmung des Integrationsamts abhängig gewesen. Richtig ist zwar, dass die Gleichstellung nach § 68 Abs. 2 SGB IX konstitutiv wirkt. Sie ist aber andererseits mit Rückwirkung auf den Tag der Antragstellung versehen. Diese Regelung liefe aber leer, wenn die Rückwirkung gerade in dem für den Arbeitnehmer besonders existenziell wichtigen Bereich der Fortdauer des Arbeitsverhältnisses sich nicht durchsetzen könnte, wenn die Antragstellung vor dem maßgeblichen Ereignis (Kündigung, auflösende Bedingung) erfolgt ist und der Arbeitgeber hiervon auch unterrichtet ist.

Dies muss mindestens dann gelten, wenn die Umstände, die eine Feststellung nach § 68 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 SGB IX gebieten, klar zutage treten und eine andere Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre. Dies ist aber vorliegend der Fall, weil die Klägerin unstreitig ihren Arbeitsplatz wegen § 59 Abs. 1 BAT nicht erhalten kann, wenn sie nicht gleichgestellt und deshalb der Eintritt der Bedingung an die Zustimmung des Integrationsamts nicht geknüpft ist. Insofern kann die Rückwirkung der Gleichstellung sich nur sachgerecht durchsetzen, wenn nach rückwirkender positiver Bescheidung des Antrags die Verhältnisse des Gleichgestellten den Verhältnissen eines schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, dessen Schwerbehinderung offensichtlich gegeben ist. Vorliegend kommt noch hinzu, dass im Hinblick darauf, dass ein Leistungsaustausch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht stattfindet, im Bereich des § 92 SGB IX ein Bedürfnis für eine weite Auslegung des § 90 Abs. 2a SGB IX nicht gegeben ist.

b) Selbst wenn schon nicht diese Erwägungen überzeugen sollten, ist jedenfalls der von Düwell (BB 2004, 2811 ff., 2813 unter III 4) vertretenen Auffassung zu folgen, dass § 90 Abs. 2a SGB IX auf die gleichgestellten Arbeitnehmer keine Anwendung finden kann, da der Gesetzgeber nur auf das Anerkennungsverfahren der schwerbehinderten Menschen abhebt. Weder der Begriff des anderweitigen Nachweises (geschweige denn die Offensichtlichkeit der Schwerbehinderung nach der Gesetzesbegründung, wenn die Gleichstellung doch konstitutiven Charakter, wenn auch mit Rückwirkung, hat) noch die ausdrückliche Erwähnung des Versorgungsamts anstelle eines allgemeinen Begriffs wie "zuständige Behörde", der auch die Bundesagentur für Arbeit umfassen könnte, lassen einen Anhaltspunkt dafür erkennen, dass die Regelung nicht ausschließlich das Anerkennungsverfahren nach § 69 SGB IX zum Gegenstand hat. Die vom VGH Baden-Württemberg im Urteil vom 20. Juni 2006 (9 S 604/06 - nicht veröffentlicht, zitiert nach "juris") getroffene Entscheidung ist auf das verwaltungsrechtliche Verfahren ausgerichtet und auf die Frage, ob das Integrationsamt einen Antrag des Arbeitgebers bescheiden muss, obwohl das Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Diese für die verwaltungsrechtliche Seite maßgebliche Entscheidung hat auf die arbeitsrechtliche Behandlung der Problematik insoweit jedenfalls vorliegend keinen Einfluss, als über das Vorliegen einer Ausnahme im Bereich des besonderen Kündigungsschutzes die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zu befinden haben (vgl. Kuhlmann in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX § 90 Rdnr. 48). Durch den nachträglich ergangenen mit Rückwirkung ausgestatteten Bescheid der Bundesagentur steht nachträglich fest, dass eine ohne Zustimmung des Integrationsamts herbeigeführte Beendigung des Arbeitsverhältnisses sich jetzt als unwirksam erweist, wenn sich das Integrationsamt außerstande gesehen hat, die Zustimmung zur Beendigung mangels Vorliegens der Voraussetzungen für das Verfahren zu erteilen und diese Entscheidung als so genanntes "Negativattest" zu dem Zeitpunkt, in dem die Gleichstellung erfolgt, noch nicht bestandskräftig ist. Soweit im Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 2005 (9 Sa 961/04 - zitiert nach "juris") eine andere Auffassung vertreten wird, fehlt nach diesseitiger Auffassung eine Auseinandersetzung mit der Fragestellung, ob § 90 Abs. 2a SGB IX überhaupt auf das Gleichstellungsverfahren Anwendung findet und, wenn ja, mit welcher Rechtsfolge. Vielmehr hat § 90 Abs. 2a SGB IX keine Auswirkung auf das Gleichstellungsverfahren, weil diese Regelung sich nur auf das Anerkennungsverfahren nach § 69 und nicht die Feststellung der Gleichstellung nach § 68 SGB IX bezieht. Eine entsprechende Anwendung für das Gleichstellungsverfahren scheidet schon vom Regelungsgegenstand her aus, wenn auf ein Verfahren Bezug genommen wird, das für die Gleichstellung nicht einschlägig ist. Es handelt sich auch bei § 90 Abs. 2a SGB IX, wie schon die Gesetzesüberschrift verrät, um eine Ausnahmebestimmung, die bereits deshalb nicht der erweiternden Auslegung fähig ist. Die entsprechende Anwendung der für die schwerbehinderten Menschen zutreffenden Regelungen auf die Gleichgestellten nach § 68 Abs. 3 SGB IX erfolgt insoweit, als die Schwerbehinderung Tatbestandsmerkmal der dort erwähnten Gesetzesbestimmungen ist. Soweit auf besondere Verfahrensbestimmungen, die ausschließlich auf schwerbehinderte Menschen zutreffen, verwiesen wird, ist nicht ersichtlich, dass die anderweitigen Verfahrensbestimmungen des § 68 SGB IX entsprechend Anwendung finden sollen, zumal die für das Verfahren über einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch geltenden Entscheidungsfristen im Verfahren bei der Bundesagentur für Arbeit auch keine, nicht einmal entsprechende, Anwendung finden. Überdies hat ja in Bezug auf die Klägerin ein Verfahren nach § 69 SGB IX bereits stattgefunden, allerdings mit für sie insoweit negativem Ergebnis, als ihre Schwerbehinderung gerade nicht festgestellt worden ist.

Schließlich mag sich das Integrationsamt vor Ausspruch der Gleichstellung zu Recht weigern, über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung usw. zu befinden, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Aber auch diese Entscheidung wäre mit Rechtsmitteln für den Arbeitnehmer anfechtbar, soweit ein Bescheid (Negativattest) überhaupt ergeht, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt das Verfahren für den Arbeitnehmer offen bleibt. Ein solches Negativattest, dessen Zulässigkeit rechtlich noch nicht geklärt ist, ist aber hier nicht ergangen. Eine solche Entscheidung hätte die Klägerin mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs bekämpfen können. Es liegt hier jedoch nur eine unverbindliche Äußerung einer Rechtsmeinung des zuständigen Integrationsamts vor, sodass auch unter diesem Aspekt nicht feststeht, dass eine Zustimmung des Integrationsamts nicht erforderlich ist.

4. Nach allem ist das Arbeitsverhältnis mangels bislang nicht erteilter Zustimmung des Integrationsamts nicht nach § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 BAT beendet worden, sodass der Klage, soweit sie sich auf den 30. September 2004 bezieht, vom Arbeitsgericht zu Recht stattgegeben wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO zu Lasten des beklagten Landes, weil die Klägerin wirtschaftlich in vollem Umfang obsiegt hat. Das Arbeitsverhältnis besteht fort. Die Rücknahme des weiter gehenden Klageantrags hat keine wirtschaftlichen Auswirkungen. Deshalb ist auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung nicht zu ändern.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts bei Abschluss des Berufungsverfahrens erfolgt wegen § 63 Abs. 2 GKG. Der Wert bestimmt sich nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Er ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG auch für das Interesse des beklagten Landes maßgeblich, das hinsichtlich des Streitgegenstandes komplementär zu dem der Klägerin ist.

Ende der Entscheidung

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