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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.02.2000
Aktenzeichen: 3 Sa 63/99
Rechtsgebiete: EKT, BGB, TVG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

EKT § 10 Abs. 2
EKT § 10 Abs. 3
EKT § 10 Abs. 4
BGB § 123
BGB § 611
TVG § 1 Abs. 1
TVG § 2
TVG § 2 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 2 Nr. 1
ArbGG § 72 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 Sa 63/99

verkündet am 09. Februar 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Höfle, den ehrenamtlichen Richter Späth und den ehrenamtlichen Richter Hackel auf die mündliche Verhandlung vom 09.02.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 30.09.99 - 2 Ca 262/ 99 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auf Grund am 22.06.1999 eingereichter Klage darüber, ob der Vergütungsanspruch des Klägers durch Tarifvertrag wirksam gesenkt wurde. Der Kläger ist seit 01.01.1978 bei der Beklagten angestellt. In dem Formular-Anstellungsvertrag ist u.a. bestimmt,

"Für das Angestelltenverhältnis gilt der mit den Gewerkschaften abgeschlossene Ersatzkassentarifvertrag (EKT) mit den dazugehörigen Anlagen. Künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge gelten vom Tage des Inkrafttretens auch für Ihr Anstellungsverhältnis."

Der EKT ist abgeschlossen einerseits von der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen, der die Beklagte als Mitglied angehört. Andererseits von - neben anderen - der Gewerkschaft HBV und der Gewerkschaft DAG, deren Mitglied der Kläger von 1987 bis 30.09.1998 war.

Im hier interessierenden Zeitraum war der Kläger als "Dienststellenleiter der Klinik ... 'Haus S.' in B." beschäftigt. Er erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe 12 von Abschn. D der Anlage 5 zum EKT, die sich nach "Gehaltstabelle II" der Anlage 3 zum EKT bemißt.

Die Beklagte hat wegen der wirtschaftlichen Folgen der Einschnitte im "Kurwesen" mit dem "Verband der weiblichen Arbeitnehmer e.V.", dem "DHV Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband" und der DAG mit Wirkung zum 01.02.1998 gleichlautende, als "Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT" bezeichnete Vereinbarungen geschlossen, wonach die Anlage 5 zum EKT durch Einfügung einer "Protokollnotiz Nr. 3" dahin geändert wird, dass "in den Kureinrichtungen "Haus ...", "Haus S." und "Haus ..." entspricht das sich aus den Vergütungsgruppen ergebende Gehalt der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter ab dem 01. Februar 1998 dem Faktor 0,85. Für die am 31. Januar 1998 in den Kureinrichtungen nach Satz 1 beschäftigten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vollzieht sich dies in folgender Weise:

"3.1 Ab 01. Februar 1998 beträgt das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT 90 v. H.

3.2 Darüber hinaus vermindert sich das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT ab 01. Februar 1998 in 36 Monatsschritten, bis am 31. Januar 2001 monatlich 5 v. H. Minderung erreicht sind."

In dieser Vereinbarung hat sich die Beklagte - u.a. - verpflichtet, die genannten Kureinrichtungen in bestimmter Weise "... auf Dauer, mindestens jedoch auf 10 Jahre, weiterzubetreiben" (vgl. im einzelnen VABl. 60/62).

Als Datum des Vertragsschlusses ist in den Urkunden der "17.03.1998" genannt. Die DAG hat die von ihr unterzeichnete Fertigung der Vertragsurkunde der Beklagten mit Schreiben vom 30.04.1998 zurückgereicht, das dieser am 07.05.1998 zugegangen ist.

Die Beklagte hat hierauf ab Januar 1999 dem Kläger lediglich noch die "gekürzte" Vergütung bezahlt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, für diese Maßnahme fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die Beklagte sei daher verpflichtet, für die Zeit vom 01.01.1999 bis 30.06.1999 die monatlichen, dem Betrag nach streitlosen, Differenzbezüge zu bezahlen.

Der Kläger hat beantragt,

a) 1.120,35 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999

b) 1.133,69 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.03.1999

c) 1.147,03 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.04.1999

d) 2.320,73 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.05.1999

e) 1.173,70 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.06.1999

f) 1.187,04 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.07.1999

zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den gegenteiligen Rechtsstandpunkt vertreten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, der Vergütungsanspruch des Klägers sei als Folge des Ergänzungstarifvertrages zum EKT, der als solcher wirksam sei, entsprechend abgesenkt worden. Darin liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagbegehren weiter. Er meint nach wie vor, es fehle an einem wirksamen Tarifvertrag, zumal die Beklagte gegen die Friedenspflicht verstoßen habe. Außerdem liege, und zwar insbesondere im Verhältnis zu den Beschäftigten der Bildungseinrichtung, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu bezahlen

a) 1.120,35 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999

b) 1.133,69 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.03.1999

c) 1.147,03 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.04.1999

d) 2.320,73 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.05.1999

e) 1.173,70 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.06.1999

f) 1.187,04 DM brutto nebst 4% Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 01.07.1999.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Erwägungen der Berufung seien rechtlich nicht tragfähig.

Ergänzend wird auf die von den Parteien im zweiten Rechtszug gewechselte Schriftsätze, deren Inhalt mündlich vorgetragen ist, die zu den Akten gegebenen Unterlagen, sie bildeten den Gegenstand der mündlichen Verhandlung, und die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg; die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Klagbetrag zu bezahlen.

A) Die Klage ist sachbescheidungsfähig.

1. Das Klagbegehren umfasst eine bestimmte (sogenannte objektive) Vielheit artgleicher (Teil-) Klagen (§ 260 ZPO). Der Klagvortrag kann auf der Grundlage der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze (vgl. etwa BGH vom 22.05.1995 - II ZB 2/95 -; vom 24.09.1997 - VII ZR 187/96 -) nicht dahin verstanden werden, über die weiteren Ansprüche solle nur entschieden werden, wenn die Klage hinsichtlich des Anspruchs für den Monat Januar 1999 für begründet erachtet werden sollte.

2. Ihre Zulässigkeit begegnet auch im Lichte der Teil-Klage keinen durchgreifenden Bedenken. Der Klagantrag ist unter Berücksichtigung der zu seiner Begründung gemachten Ausführungen als sogenannte Gesamt-Teil-Klage zu verstehen. Der Kläger unterwirft den - behaupteten - monatlichen Gehaltsanspruch zur Gänze der Rechtshängigkeit. Er lässt sich auf den hiernach auszuurteilenden Betrag die von der Beklagten geleisteten Zahlungen lediglich "anrechnen". Das ist bei der hier gegebenen Sachlage zulässig (vgl. Stein-Jonas-Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 253 Rn. 67).

B) Die Klage ist nicht begründet.

Als Anspruchsgrundlage kommt lediglich in Betracht § 611 BGB i.V.m. dem EKT und den Anhängen 5 (Vergütungsmerkmale) und 4 (Gehaltstabelle II).

Die hier interessierenden Inhaltsnormen gelten unmittelbar und zu Gunsten des Klägers zwingend (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), denn er als Mitglied der DAG, (gemäß § 2 Abs. 1 TVG) einer Vertragspartei des EKT, und die Beklagte als Mitglied der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen, gleichfalls einer Vertragspartei des EKT (§ 2 Abs. 1 TVG), sind tarifgebunden. Das Ende der Mitgliedschaft des Klägers in der DAG ließ seine Tarifgebundenheit - hier von Bedeutung - unberührt (§ 3 Abs. 3 TVG). Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, auf dieser Rechtsgrundlage sei der Klaganspruch an sich nach Grund und Höhe gerechtfertigt. Die Entscheidung hängt deshalb davon ab, ob sich die (tarifliche) Rechtslage im klagegegenständlichen Zeitraum dahin geändert hat, dass der Kläger Anspruch lediglich auf das "gekürzte" Gehalt hatte. Der einzelvertraglichen Inbezugnahme "des EKT" kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Nach ihrem Wortlaut und ihrer Funktion für das Vertragsverhältnis der Parteien soll diese Abrede dem Kläger die, aber auch nur die Rechtsstellung (einzelvertraglich) vermitteln, die er inne hätte, wenn das Arbeitsverhältnis zufolge seiner Tarifbindung dem für den Arbeitgeber maßgebenden Tarifrecht unterworfen wäre.

Diese Frage ist zu bejahen.

I. Zwischen der Beklagten und der DAG ist ein formgerechter Tarifvertrag zustande gekommen.

1. Die Vorgenannten haben einen Vertrag geschlossen, wobei die Annahmeerklärung der DAG - jedenfalls - in der Rückgabe der von ihr unterzeichneten Fertigung der Vertragsurkunde zu sehen ist. Damit ist der Vertrag spätestens am 07.05.1998 zustande gekommen, denn an diesem Tag ging die von der DAG abgegebene Erklärung der Beklagten zu (§ 130 Abs. 1 BGB). Zweifel an der Rechtsmacht der für die Parteien Handelnden sind nicht aufgezeigt; auf den - sonst - naheliegenden Gesichtspunkt der Genehmigung (§ 177 BGB) kommt mithin nichts an.

2. Bei dem Vertrag handelt es sich um einen Tarifvertrag. Die Vereinbarung wurde von einem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft, also von Tariffähigen (§ 2 Abs. 1 TVG), geschlossen. Der Vertrag enthält (u.a.) Bestimmungen über die Vergütung einer unbestimmten Vielzahl von seinem Geltungsbereich unterworfenen Arbeitsverhältnissen, mithin Inhaltsnormen im Sinn von §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Vertragschließenden haben diesbezüglich die Form der sogenannten Protokollnotiz gewählt; das ist in gegenwärtigem Zusammenhang unschädlich.

3. Der Tarifvertrag ist formgerecht (§ 1 Abs. 2 TVG; § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB), denn die DAG hat den von der Beklagten unterzeichneten Vertragsentwurf ihrerseits unterschrieben.

II. Dieser Tarifvertrag ist als solcher rechtswirksam.

1. Die Mitgliedschaft der Beklagten in der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen schränkt ihre rechtliche Handlungsfähigkeit im hier interessierenden Zusammenhang nicht ein.

a) Es gibt keine in ihrem Verhältnis zur DAG wirkende Regel objektiven Rechts, die es ihr verböte, mit dieser einen Tarifvertrag abzuschließen, der für einen bestimmten Teil ihres Unternehmens die Vergütungsregelung in einem Punkt ändert.

b) Zu der Frage, um was für ein rechtliches Gebilde es sich bei der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen handelt, ist nichts vorgetragen. Dieser Punkt bedurfte jedoch auch keiner weiteren Aufklärung. Gleichviel welcher Figur des Verbandsrechts diese Verbindung zuzuordnen ist und was die Satzung insoweit regelt, entfaltet ein im Abschluß des hier interessierenden Vertrags zu sehender Verstoß der Beklagten gegen für dieses Innenverhältnis geltenden Regeln keine Wirkungen für das Außenverhältnis zwischen ihr und der DAG. Die Stellung als Mitglieder dieser "Gemeinschaft" beschränkt weder die Befähigung zu rechtsgeschäftlichem Handeln, noch beseitigt sie die Tariffähigkeit, also die Fähigkeit, Partei eines Tarifvertrages zu sein (§ 2 Abs. 1 TVG; vgl. Oetker, in: Wiedemann, 6. Aufl., 1999, § 2 TVG Rn. 112 ff).

Vorliegend ist im übrigen unbedenklich anzunehmen, die "Gemeinschaft" habe von dem Abschluss des Tarifvertrages Kenntnis erlangt und das Verhalten der Beklagten - jedenfalls nachträglich - gebilligt.

2. Es ist ferner nicht an dem, dass die vertragsschließenden Parteien über den Regelungsgegenstand nicht tarifvertraglich "verfügen" konnten.

Auf Seiten der Arbeitnehmer haben den EKT mehrere Verbände abgeschlossen. Das begründet aber keinen Einheitstarifvertrag in dem Sinne, dass die mehreren Verbände in Beziehung auf diesen (nur) gemeinsam berechtigt, aber auch verpflichtet wären. Der Gegenstand des Tarifvertrages erscheint nicht seiner Natur nach als eine unteilbare Leistung (vgl. §§ 431, 432 BGB) in dem Sinne, dass die Mehreren sachnotwendig zu einer - hier von Bedeutung - <nur> gemeinschaftlichen Berechtigung verbunden sind, wobei von einer BGB-Gesellschaft auszugehen wäre (Löwisch-Rieble, TVG, § 1 Rn. 344). Eine durch ausdrückliche Erklärung oder durch schlüssiges Verhalten der auf Arbeitnehmerseite beteiligten Verbände geschaffene Vereinbarung solchen Inhalts läßt sich als getroffen nicht feststellen. Das liegt angesichts des jedenfalls im Zeitpunkt des Abschlusses des EKT gegebenen wettbewerblichen Konkurrenzverhältnisses zwischen diesen Verbänden nach der Lebenserfahrung ohnedies recht fern.

Es bedarf deshalb keiner Erwägung zu der Frage, ob und gegebenenfalls welche Grenzen sich insoweit im Hinblick auf die diesen Verbänden durch Verleihung der Tariffähigkeit zuerkannten Aufgaben ergeben.

3. Die Erwägung des Klägers zur Friedenspflicht trägt seinen Standpunkt nicht.

a) Ein Verstoß gegen die - sogenannte relative - Friedenspflicht liegt nicht vor. Sie hinderte die tarifunterworfene Beklagte in ihrer Eigenschaft als Tariffähiger nicht, an die Gewerkschaft DAG mit dem Ziel heranzutreten, für einen bestimmten Bereich ihres Unternehmens eine tarifliche Sonderregelung zu vereinbaren. Wenn sie dabei auf die im Falle der Nichteinigung mögliche Folge der Schließung der Kureinrichtungen hinweist, so stellt das keine Maßnahme des Arbeitskampfes dar, worauf es (allein) ankommt (vgl. BAG vom 31.10.1958 - 1 AZR 632/57; vom 21.12.1982 - 1 AZR 411/80; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, § 22 II 5 b, S. 1084).

b) Ein solcher Verstoß hätte nicht die Nichtigkeit des Tarifvertrages zur Folge, sondern gäbe - hier von Interesse - (allein) der DAG ein außerordentliches Lösungsrecht an die Hand, wobei unerheblich ist, ob man insoweit das Recht der Anfechtung aus § 123 BGB eingreifen läßt (zum Meinungsstand: vgl. Löwisch-Rieble, aaO § 1 Rn. 355).

III. Geht man hiernach mit dem Kläger von einer Mehrheit ranggleicher Regeln aus, wird ihr Verhältnis zueinander vom Grundsatz der Spezialität bestimmt. Der Änderungstarifvertrag geht als die speziellere der allgemeinen Regel vor. Wie sich die Rechtslage in Bezug auf nicht oder anders, etwa in der Gewerkschaft HBV organisierte Arbeitnehmer in ihrem Verhältnis zur Beklagten darstellt, bedarf hier keiner Prüfung. Selbst wenn man mit dem Kläger insoweit davon ausgeht, es sei ein Fall der Tarifpluralität gegeben, vermöchte das seinen Standpunkt nicht zu tragen. Das Arbeitsgericht hat darauf hingewiesen, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei diese Problematik mit dem Grundsatz der Spezialität zu lösen. Unter Beachtung der - verfassungsrechtlich gesicherten - Individual- und Verbandsautonomie liegt allerdings die Erwägung näher, bei Inhaltsnormen dieser Art, die auch im weitesten Sinne nicht mehr als sogenannte Betriebsnormen verstanden werden können, habe es bei der Pluralität sein Bewenden. Die von dem Kläger betonte Gefahr, das begründe Unfrieden im Betrieb, rechtfertigt es nicht, den hier interessierenden Tarifvertrag mit einer Art "Günstigkeitsprinzip" zu überspielen.

IV. Inhaltlich bestehen keine Unwirksamkeitsgründe.

1. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, durch die im Ergänzungstarifvertrag zum 01.02.1998 angeordnete Rückwirkung werde schutzwürdiges und berechtigtes Vertrauen verletzt. Dieser Gesichtspunkt führte bei den hier gegebenen Umständen nicht zur Nichtigkeit des Tarifvertrages, sondern im Wege geltungserhaltender Reduktion zur Eingrenzung des zeitlichen Umfangs der Tarifwirkung. Ihr Beginn wäre - spätestens - auf den 01.06.1998 zu bestimmen. Die Klagforderung betrifft jedoch den Zeitraum ab 01.01.1999. Hiervon abgesehen ergibt sich aus dem Klagvortrag ein solcher Verstoß nicht, denn spätestens ab dem Zeitpunkt des Eintritts in die Vertragsverhandlungen mußten die potentiell Normunterworfenen damit rechnen, es komme zu einer den Intensionen der Beklagten auch Rechnung tragenden ("verbösernden") Lösung, und zwar nicht erst für die fernere Zukunft.

2. Die Annahme, die Regelung sei gleichheitswidrig ist, ist unzutreffend. Die Sache nötigt nicht zu Ausführungen darüber, ob die Tarifvertragsparteien an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind, gegebenenfalls wie diese Bindung ausgestaltet ist (Stichworte: unmittelbar/mittelbar; status negativus/Schutzanspruch; vgl. zum Stand von Rechtsprechung und Literatur zuletzt - soweit ersichtlich - Belling, ZFA 99, 547). Zu Gunsten des Klägers können auch die Grenzen vernachlässigt werden, die die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mit dem Regelungsinstrument Vertrag als die der rechtlich bindenden Willensübereinstimmung in typisierter Betrachtungsweise gleichgewichtiger Parteien bedingen. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "unter steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln". Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Normgeber an wesentlich gleiche Sachverhalte unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, die sich weder aus der Natur der Sache noch sonst einem im Lichte des Normzwecks vernünftigen Grund rechtfertigen. Das Bundesarbeitsgericht hat ausgesprochen, unter Berücksichtigung des normgeberischen Ermessens könne von einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz allenfalls dann die Rede sein, wenn "es die TVparteien versäumt hätten, bei der Regelung der Mindestvergütung ... tatsächl. Gleichheiten oder Ungleichheiten von solchem Gewicht zu berücksichtigen, dass sie bei einer am allgemeinen Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen und sich deswegen die Tarifregelung als offensichtl. sachfremd und willkürlich darstellen würde" (vom 25.03.1981 - 4 AZR 1012/78; zur sogenannten "mittelbaren Diskriminierung" vgl. vom 10.09. 1997 - 4 AZR 264/86).

So liegt es hier nicht. Die Anlage 5 - "Tätigkeitsmerkmale" des EKT sieht im Abschnitt D "Kureinrichtungen und Bildungszentrum" für die darin Beschäftigten eigenständige Tätigkeitsmerkmale vor, die wiederum zwischen "Kureinrichtung" und "Bildungszentrum" unterscheiden. Es werden also unterschiedliche Tätigkeiten je eigenständiger tariflicher Bewertung zugeführt. Und schon deshalb fehlt es an der (wesentlichen) Gleichheit der (z.B.) eines "Geschäftsführer des Kurzentrums" und (z.B.) eines "Bildungszentrum-Verwaltungsleiter" sowie Arbeitnehmern außerhalb von Kureinrichtungen und Bildungszentrum. Die Beklagte hat sich im Rahmen ihrer unternehmerischen Einschätzungsprärogative vor die Entscheidung gestellt gesehen, die dem Wettbewerb durch private Anbieter ("Leistungserbringer") ausgesetzten Kureinrichtungen - in welcher Form auch immer - aufzugeben oder die dafür aufzuwendenden Personalkosten deutlich zu verringern. Die Gewerkschaften haben sich nachdrücklich für die Weiterführung der Einrichtungen als solche der Beklagten ausgesprochen, die zu führen sie nicht von Gesetzes wegen gehalten ist. Diesen aus der Sicht der Normgeber auf die Arbeitsverhältnisse der in den Kureinrichtungen beschäftigten Mitarbeitern bezüglichen ("isolierten") Interessenkonflikt haben die Tarifvertragsparteien - wie im Tatbestand dargestellt - einer einvernehmlichen Lösung zugeführt. Der Kläger verkennt die rechtliche Kontrolldichte: Es mag in Bezug auf diese Arbeitsverhältnisse andere Möglichkeiten gegeben haben, etwa der Herabgruppierung oder sonstiger Änderungen der Tätigkeitsmerkmale. Man konnte ferner daran denken, alle vom persönlichen Geltungsbereich des EKT erfassten Arbeitsverhältnisse einer Lohnkürzung zu unterwerfen. Indessen kommt es nicht darauf an, vielmehr ist allein entscheidend, ob die von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Regelung - bildhaft und verkürzt formuliert - "Lohnverzicht gegen Arbeitsplatzgarantie" zu einem mit dem Gerechtigkeitsgedanken nicht mehr zu vereinbarenden Sonderopfer führt. Das ist zu verneinen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1, 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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