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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.10.2001
Aktenzeichen: 3 Ta 100/01
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, BRAGO, ZPO, GKG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 13 Abs. 2 Nr. 2
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 103
BetrVG § 103 Abs. 1
ArbGG § 12 Abs. 7
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1
BRAGO § 8 Abs. 2 Satz 2 HS 2
BRAGO § 8 Abs. 2 Satz 3
BRAGO § 10
BRAGO § 10 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 3
GKG § 25
BGB § 611
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 Ta 100/01

Beschluss vom 04.Oktober 2001

In dem Wertfestsetzungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Höfle ohne mündliche Verhandlung am 04.10.2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu Nr. 1 wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.08.2001 - 20 BV 10/01 - dahin abgeändert, dass der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der Beteiligten zu Nr. 3 auf 8.000,-- DM festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Im Ausgangsbeschlussverfahren hat der Arbeitgeber (= Beteiligter zu Nr. 1)auf Zustimmung des Betriebsrats (= Beteiligter zu Nr. 2) zur Kündigung seines Mitglieds Franz-Josef D. angetragen. Das Verfahren hat sich nach außergerichtlicher Einigung zwischen den Arbeitsvertragsparteien durch Rücknahme des Antrags erledigt.

Auf den Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats (= Beteiligte zu Nr. 3) hat das Arbeitsgericht den Wert des Gegenstandes ihrer anwaltlichen Tätigkeit auf 13.218,39 DM, das ist ein Vierteljahresverdienst des Herrn D., festgesetzt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Arbeitsgebers, der meint, der Wert betrage 8.000,-- DM.

II.

Die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BRAGO an sich statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie hat Erfolg.

1. Den Gegenstand der Bewertung (§ 7 Abs. 1 BRAGO) bildet in - wie vorliegend - zivilgerichtlichen Verfahren der Streitgegenstand der Ausgangssache. Das war das Gestaltungsbegehren des Arbeitgebers, die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Herrn D. zu ersetzen.

2. Der Maßstab für die Bewertung ist vorliegend der Bestimmung des § 8 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BRAGO zu entnehmen. Hiernach beträgt der Gegenstandswert kraft normativer Festlegung 8.000,-- DM. Eine Abweichung von diesem Wert in der einen oder anderen Richtung setzt Tatsachen voraus, die ihn als erkennbar unangemessen, mithin funktionswidrig, erscheinen lassen.Welche Umstände hierbei berücksichtigungsfähig und berücksichtigungsbedürftig sind, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Das ergibt sich aber mit hinreichender Sicherheit aus dem Zweck der Vorschrift. Sie will für ihren Funktionsbereich die Angemessenheit der (gesetzlichen) Vergütung des Rechtsanwalts im Gegenleistungsverhältnis des Dienstvertrages (vgl. § 612 Abs. 2 BGB) gewährleisten. Zu berücksichtigen sind mithin alle Umstände, die - außerhalb der einzelnen Gebührentatbestände im gerichtlichen Verfahren - für den "Wert" der Leistung des Rechtsanwalts bestimmend sind (siehe Bundesverfassungsgericht E 18, 103 [107] zu § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG; vgl. ferner § 30 Abs. 2 KostO, dem die Bestimmung des § 8 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BRAGO nachgebildet ist). Demnach ist in erster Linie auf die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache abzustellen, denn sie sind es, die die Arbeit des Rechtsanwalts nach Dauer und Intensität zuvörderst bestimmen. Sodann ist das Interesse des Auftraggebers (d. i. der Betriebsrat), in diesem Sinne die Bedeutung der Sache, zu berücksichtigen und sind sonstige im Einzelfall wertbildende Umstände ins Auge zu fassen.

Dagegen scheidet eine analoge Anwendung von § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG aus. Die Vorschrift kann auch sonst nicht zur Ermessenskonkretisierung dienlich gemacht werden. Hierfür gibt es keinen diskussionsfähigen methodischen Ansatz.

Für eine Analogie fehlt es bereits an der Ausgangsvoraussetzung des Bestehens einer Regelungslücke. Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BRAGO regelt die Wertbemessung für alle nicht vermögensrechtlichen Gegenstände eines gerichtlichen Verfahrens, für die es - wegen sachlicher Gebührenfreiheit - an Wertvorschriften für die Gerichtsgebühren fehlt. Überdies ist die Vorschrift des Arbeitsgerichtsgesetzes im hiesigen Zusammenhang nicht analogiefähig. Ausgangspunkt ist insoweit (gemäß § 12 Abs. 1 GKG) die Bestimmung des § 3 ZPO. Maßgebend ist danach das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewertende sogenannte Angreiferinteresse. Aus Gründen des Sozialschutzes für rechtsuchende Arbeitnehmer hat der Gesetzgeber (unter anderem) dem Ermessen des § 3 ZPO in § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG (allein) für die dort bezeichneten Rechtsstreitigkeiten eine Obergrenze gezogen, bildhaft gesprochen, der Regelung der Zivilprozessordnung "einen Deckel" aufgesetzt. Das Beschlussverfahren hat er zwar frei von Gerichtskosten gestaltet (§ 12 Abs. 5 ArbGG), eine die Anwaltsgebühren betreffende einschränkende Sonderregelung ist jedoch, anders als in § 8 Abs. 2 Satz 3 BRAGO, nicht getroffen. Der Gesetzgeber hat es bei dem Höchstwert von 1 Million DM belassen. Zudem kann nicht von einer Vergleichbarkeit gesprochen werden. Dies zunächst deshalb, weil es im Wertfestsetzungsverfahren nach § 25 GKG um die Grundlage für die Bemessung der staatlichen Gebühren geht, die im Wege der Wirkungserstreckung auf die Bemessung der gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts erweitert wird. Demgegenüber betrifft das Verfahren nach § 10 BRAGO allein den Gegenleistungsanspruch des Rechtsanwalts im Dienstvertragsverhältnis nach § 611 BGB. Zum andern betrifft die Regelung des Arbeitsgerichtsgesetzes eine vermögensrechtliche Streitigkeit, während hier der Wert der anwaltlichen Tätigkeit in einer nicht vermögensrechtlichen Auseinandersetzung zu bestimmen ist. Entscheidend ist nicht das - gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG auf den dortigen Höchstbetrag reduzierte - sogenannte Angreiferinteresse; im Rahmen von § 8 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BRAGO kommt es insoweit auf das Interesse des Auftraggebers an (Wertbeziehung nach § 612 Abs. 2 BGB).

Schließlich führt der Betriebsrat keine Bestandsstreitigkeit im Sinne von § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG. Er wird an der Primär-Beurteilung - und Entscheidung der Rechtsfrage beteiligt, ob ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund gegeben ist oder nicht. Verneint er diese Frage, wird die (Letzt-)Entscheidung dieser Rechtsfrage den dazu berufenen Gerichten überantwortet. Ferner ist die Interessenlage wesensverschieden gestaltet. Der Arbeitnehmer bekämpft die außerordentliche Kündigung, um sich sein Arbeitsverhältnis zu bewahren. Das Interesse des Betriebsrats wird in erster Linie davon bestimmt, sich als Organ der Betriebsverfassung zu erhalten, und zwar in der personellen Zusammensetzung, wie sie durch den Legitimationsakt der Wahl bestimmt ist. Die damit notwendigerweise einhergehende individuelle Schutzrichtung des Zustimmungserfordernisses tritt gleichsam als Reflex hinter den Gesichtspunkt des Organschutzes zurück. Die Bestimmung des § 103 Abs. 1 BetrVG ist keine Qualifizierung eines "Grundtatbestandes" in § 102 Abs. 1 BetrVG, sondern ein aliud.

Darauf, ob das Verfahren "präjudizielle Wirkung" für den etwaigen Bestandsschutzstreit zwischen dem Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber hat, kommt für das Dienstleistungsverhältnis zwischen dem Betriebsrat und seinem Prozessbevollmächtigten nichts an.

3. Dem Organschutzinteresse des Betriebsrats kommt Gewicht zu. Es ist jedoch nichts für die Annahme behauptet oder ersichtlich, bei einer "etwaigen" Entlassung des Herrn D. gerate man auch nur in die Nähe der in § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG bestimmten Voraussetzung. In tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht war die Sache recht einfach gelagert. Damit kommt ein höherer als der normativ bestimmte Gegenstandswert nicht in Betracht.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Da die Beschwerde Erfolg hat, entstehen keine Gerichtsgebühren, und außergerichtliche Kosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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