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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.01.2008
Aktenzeichen: 3 Ta 259/07
Rechtsgebiete: TzBfG, GKG, RVG, ZPO


Vorschriften:

TzBfG § 8
GKG § 42 Abs. 4 Satz 1
GKG § 42 Abs. 4 Satz 2
GKG § 42 Abs. 5 Satz 1
GKG § 48 Abs. 1
GKG § 48 Abs. 2
GKG § 63 Abs. 2
RVG § 23 Abs. 3 Satz 2
RVG § 32
RVG § 33
RVG § 33 Abs. 1
ZPO §§ 3 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird unter Zurückweisung ihrer weiter gehenden Beschwerde der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2007 - 8 Ca 371/06 - abgeändert:

Der Streitwert wird auf 21.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts, wobei unklar ist, ob sie nach § 63 Abs. 2 GKG oder nach § 33 RVG erfolgt ist.

Der Streit der Parteien betraf ein Begehren des Klägers auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit in den Sommermonaten nach § 8 TzBfG von 45 auf 40 Stunden bei täglicher Beendigung der Arbeitszeit um spätestens 16 Uhr, weil er ab 17 Uhr am Unterricht im Abendgymnasium teilnehmen wollte. Er strebt das Abitur an, um später ein Studium auf technischem Gebiet aufnehmen zu können. Weiterhin hat der Kläger noch einen Antrag auf Entfernung (wohl einer Mehrfertigung) einer Abmahnung aus der Personalakte rechtshängig gemacht. Diesen hat das Arbeitsgericht mit 1.000.00 EUR bewertet. Diese Bewertung wird von der Beschwerde nicht beanstandet.

Das Verfahren hat durch einen vor dem Landesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 22 Sa 19/07 in einem anderen Rechtsstreit zwischen den Parteien am 05. Juni 2007 abgeschlossenen Gesamtvergleich geendet.

Mit Schriftsatz vom 04.07.2007, beim Arbeitsgericht eingegangen am 05. Juli 2007 (Bl. 84 der Akte) haben die Beteiligten zu 1 um Festsetzung des Streitwerts auf mindestens 50.000,00 EUR gebeten. Mit Beschluss vom 23. Oktober 2007 hat das Arbeitsgericht den "Wert des Gegenstandes" auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Dabei hat es nach "§§ 3 ff. ZPO" die Abmahnung mit 1.000,00 EUR und das Teilzeitverlangen mit 4.000,00 EUR bewertet. Zu letzterem hat es zur Begründung im Wesentlichen angeführt, es handele sich bei einem solchen Verlangen um ein Weniger gegenüber einer Klage gegen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Deshalb könne ihr Wert nicht höher sein als der in § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG vorgesehene Wert. Ferner hat es eine Rechtsmittelbelehrung erteilt, die unter anderem den Inhalt hat, der Beschluss könne binnen zwei Wochen nach Zustellung mit der Beschwerde angefochten werden. Der Beschluss ging aber den Beteiligten formlos zu.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, die sich im Wesentlichen darauf stützt, dass die Lebensplanung des Klägers und die durch eine höherwertige Ausbildung erzielbaren höheren Verdienstchancen zu berücksichtigen seien.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie hierher vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise auch in der Sache gerechtfertigt. Der Streitwert ist auf 21.000,00 EUR festzusetzen.

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist unklar. Beteiligt wurden am Verfahren nur der Kläger und seine Prozessbevollmächtigten. Einerseits wird der "Wert des Gegenstands" festgesetzt. Damit lässt das Gericht offen, ob es den Wert des Streitgegenstands im Sinne des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 63 Abs. 2 GKG oder den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 RVG festsetzen wollte. Die Beteiligung von Kläger und Prozessbevollmächtigten am Wertfestsetzungsverfahren unter Ausschluss der im Ausgangsverfahren durch Bevollmächtigte des Arbeitgeberverbands vertretenen Beklagten ist neutral für diese Frage. Denn angesichts des Prozessvergleichs und des Auftretens von Bevollmächtigten des Arbeitgeberverbands konnte die Beteiligung der Beklagten am Wertfestsetzungsverfahren nach § 63 Abs. 2 GKG unterbleiben. Ihre Interessen werden hiervon nicht berührt. Für einen Beschluss nach § 63 Abs. 2 GKG spricht, dass sich der Bewertungsmaßstab nach "§§ 3 ff. ZPO" richtet. Ein Beschluss nach § 33 RVG müsste sich am Maßstab des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG orientieren. Für einen Beschluss nach § 33 RVG spricht wiederum die Rechtsmittelbelehrung, die von einer nur befristet möglichen Beschwerde ausgeht. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung erfolgte dann jedoch eine formlose Mitteilung des Beschlusses an die Parteien. Dies ist allerdings eine Behandlung der Sache durch die Geschäftsstelle, die offen lässt, ob sie von einem entsprechenden richterlichen Willensentschluss getragen wird.

Diese Unklarheit ist für das Beschwerdeverfahren dadurch zu beseitigen, dass davon ausgegangen wird, dass das Arbeitsgericht das Richtige tun wollte und einen Beschluss nach § 63 Abs. 2 GKG erlassen hat. In diesem Sinne kann die angefochtene Entscheidung ausgelegt werden. Denn es handelt sich um eine Wertfestsetzung in einem Verfahren, bei dem sich die Gerichtsgebühr nach dem Streitwert richtet. Dass das Verfahren durch Prozessvergleich geendet hat und deshalb Gerichtsgebühren entfallen (Vorbemerkung 8 zu Teil 8 KV GKG), ist für diese Frage nicht von Bedeutung. Die Beschwerdeführer haben sonach zutreffend Streitwertfestsetzung beantragt. Im angefochtenen Beschluss ist dieser Antrag beschieden. Für eine Überleitung in das zutreffende Verfahren besteht infolgedessen vorliegend kein Anlass.

2. Der vom Arbeitsgericht festgesetzte Streitwert wird den Interessen des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 40 GKG) nicht gerecht. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das Arbeitsgericht an den tatsächlichen Interessen des Klägers, die für den Streitwert maßgeblich sind, orientiert hat. Vielmehr geht es von der unzutreffenden Auffassung aus, die Tatsache, dass § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG den Streitwert dann auf eine bestimmte Grenze reduziert, wenn es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, führe dazu, dass diese Obergrenze auch dann beachtet werden müsse, wenn es nur um Einschränkungen hinsichtlich der Vergütung oder der Arbeitszeit geht. Diese Auffassung verkennt den Regelungsgehalt der Ausnahmebestimmung des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Nur für den Fall eines wirtschaftlich für den Arbeitnehmer besonders bedeutsamen Streits, nämlich um den Bestand des Arbeitsverhältnisses als solchen, hat das Gesetz einen im Verhältnis zum tatsächlichen wirtschaftlichen Wert eines Arbeitsverhältnisses fiktiv niedrigen Wert bestimmt, um das Verfahren zu verbilligen und für diese typischerweise existenziell bedeutsamen Rechtsstreitigkeiten eine sich aus hohen Prozesskosten ergebende Zugangsbarriere aus dem Weg zu räumen. Außerhalb dieser und der für Eingruppierungsstreitigkeiten und wiederkehrenden Leistungen vorgesehenen Sonderbestimmungen gelten die allgemeinen Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit demselben Regelungsgehalt wie in den übrigen Gerichtsbarkeiten. Da sich die Streitwertbestimmung, die in erster Linie für die Gerichtsgebühren maßgeblich ist, über § 32 RVG auch auf die Höhe des Gebührenanspruchs des Rechtsanwalts auswirkt, ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z. B. Beschluss vom 23. August 2005 - 1 BvR 46/05 - NJW 2005, 2980) darauf zu achten, dass die vom Gesetzgeber bereits getroffene Entscheidung über die Höhe des Streitwerts nicht durch die Gerichte zum Nachteil der beruflichen Interessen der Anwaltschaft (Art. 12 Abs.1 GG) weiter eingeschränkt wird. Dies betrifft in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall eine unzulässige Doppelbewertung (die bereits in der Höhe des für den Streitwert zu berücksichtigenden Rahmensberücksichtigten fiskalischen Gründe dürfen nicht noch einmal bei der Bewertung des Einkommens erneut berücksichtigt werden). Dieser Rechtsgedanke ist auch vorliegend anzuwenden. Hätte der Gesetzgeber auch in weniger bedeutsamen Rechtsstreitigkeiten eine generell niedrige Streitwertfestsetzung herbeiführen wollen, hätte er dies getan. Die ausdrückliche Beschränkung auf die in § 42 Abs. 4 Satz 1 und 2 und Abs. 5 Satz 1 GKG genannten Streitigkeiten zeigt, dass gerade kein allgemein niedrigerer Streitwert für das arbeitsgerichtliche Verfahren vorgesehen wird. Abgesehen davon, dass methodisch zweifelsfrei dieses Ergebnis zu ermitteln ist, weil die genannten Bestimmungen nicht analogiefähig sind, führte eine andere Verfahrensweise zu einer Ausdehnung des gesetzgeberischen Plans auf Tatbestände, die dieser ausdrücklich nicht anders behandelt wissen wollte als in Verfahren vor den anderen Gerichtsbarkeiten. Denn dies ist der Sinn der Vereinheitlichung der Bestimmungen des Kosten- und Gebührenrechts. Es ist verfehlt, mit Gründen der Logik den Widerspruch zwischen den Bewertungen etwa von Bestandsstreitigkeiten mit den etwa höheren Bewertungen wirtschaftlich vergleichsweise weniger bedeutsamen Streitigkeiten harmonisieren zu wollen, weil es gerade das gesetzgeberische Ziel ist, gerade diese und nur diese Streitigkeiten nicht nach dem wirklichen wirtschaftlichen Wert zu bewerten, sondern mit einem fiktiven niedrigeren Wert. Dieser fiktive Wert kann nicht zu dem wirklichen wirtschaftlichen Wert einer anderen Streitigkeit in Beziehung gesetzt werden. Diese "Unstetigkeitsstelle" ist vom Gesetzgeber gewollt und deshalb nach Art. 20 Abs. 3 GG von den Gerichten hinzunehmen, nicht aber zu korrigieren, indem der gesetzgeberische Plan auf Sachverhalte ausgedehnt wird, die er offensichtlich nicht gemeint hat. Die Verbilligung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens im Übrigen hat der Gesetzgeber durch eine niedrigere Gerichtsgebühr, durch den Wegfall der Vorschusspflicht und den Wegfall der Zweitschuldnerhaftung herbeigeführt. Darüber hinaus aus diesen gesetzlichen Regelungen die Legitimation für eine weitere Verbilligung des Verfahrens herzuleiten und über die gesetzliche Regelung hinaus weitere Elemente der Verfahrensverbilligung einzuführen, lässt sich mit der gesetzlichen Regelung nicht vereinbaren und führt im Ergebnis zu dem vom Bundesverfassungsgericht im oben angeführten Beschluss bemängelten Zustand, dass eine gesetzliches Anliegen, das in konkreten Regelungen seinen Niederschlag gefunden hat, zum Nachteil der Rechtsanwälte über diese bereits zu duldenden Einschränkungen des gesetzlichen Vergütungsanspruchs hinaus noch weitere Einschränkungen hinzufügt.

3. Zutreffend ist das Arbeitsgericht bei der Bewertung von § 3 ZPO ausgegangen, der über § 48 Abs. 1 GKG anzuwenden ist. Diese Vorschrift kommt als Maßstab für die Schätzung des Gebührenstreitwerts aber nur in vermögensrechtlichen Streitigkeiten in Betracht. Denn im Falle einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit bemisst sich der Streitwert nach § 48 Abs. 2 GKG. Er orientiert sich dann nicht am Interesse desjenigen, der das Verfahren einleitet, sondern an den in dieser Vorschrift genannten Umständen. Das Teilzeitverlangen ist aber eine vermögensrechtliche Streitigkeit (vgl. Beschluss der Kammer vom 15. Februar 2002 - 3 Ta 5/02 - NZA-RR 2002, 325). Eine solche liegt vor, wenn sie nicht auf Geld oder Geldeswert gerichtet ist und nicht einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis entstammt. Zwar ist das erste Merkmal erfüllt, wenn der Antrag wirtschaftlich auf einen Umstand gerichtet ist, der keinen Vermögenswert beinhaltet, sondern vielmehr auf einen solchen verzichtet. Unzweifelhaft ergibt sich der Anspruch nach § 8 TzBfG aber aus dem als vermögensrechtlich zu begreifenden Arbeitsverhältnis. Es geht um die Verurteilung zu einer Willenserklärung, mit der dieses vermögensrechtliche Rechtsverhältnis inhaltlich geändert wird. Der Kläger strebt aber auch nicht eine anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft in der gewonnenen zusätzlichen Zeit an, sodass auch nicht deren wirtschaftliche Verwertbarkeit zugrunde zu legen ist (auf dem Arbeitsmarkt erzielbare Vergütung). Vielmehr will der Kläger die gewonnene Zeit dafür nutzen, einen Bildungsabschluss zu erreichen, der ihm attraktivere Berufschancen einräumt. Damit macht er ein Interesse geltend, das nicht nur wirtschaftlich geprägt ist, sondern in erster Linie seine Bildung und seine soziale Stellung in der Gesellschaft betrifft. Es geht in erster Linie um persönlichkeitsbezogene Werte. Erhöhte Chancen, die Arbeitskraft gewinnbringender oder mit größerer Identifikationsmöglichkeit verwerten zu können, sind demgegenüber mittelbare Reflexe in Bezug auf den Klagegegenstand. Dieser bezieht sich darauf, dem Kläger die erforderliche freie Zeit für seine Weiterbildung zu gewähren. Dass sich dies durch eine bessere Verwertung der Arbeitskraft auszahlen wird, ist nur eine Chance und eine mittelbare Folge dieses Umstands, nicht aber Gegenstand des Klageantrags. Für die Wertberechnung sind aber nicht mittelbare Folgen, sondern nur der unmittelbare Klagegegenstand maßgeblich.

4. Die Abstraktion von den langfristigen wirtschaftlichen Interessen des Klägers, die die Beschwerdeführer für maßgeblich halten, führt aber dazu, dass nicht von dem Wert ausgegangen werden kann, den diese angegeben haben. Auch wenn dieser Wert offenbar mit Billigung des Klägers ermittelt wurde, nimmt er offenbar seinen gedanklichen Ausgangspunkt bei Umständen, die nicht den unmittelbaren Klagegegenstand betreffen. Der vom Kläger angestrebte Bildungsabschluss, der mithilfe der ihm nach den geänderten Vertragsbedingungen zusätzlich zur Verfügung stehenden Zeit und aufgrund des früheren Arbeitsendes von ihm erreicht werden kann, hat aber unter dem Gesichtspunkt des Selbstwertgefühls und der sozialen Stellung in der Gesellschaft aufgrund eines solchen Bildungsstands und dem persönlichen Gewinn, der aus einer solchen Qualifikation folgt, einen nicht unerheblichen Wert. Auch bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten können immaterielle Interessen (Affektionsinteresse) bei der Bewertung herangezogen werden, wenn gerade diese Anlass für den Rechtsstreit sind und diesem seinen Sinn verleihen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 1991 - XII ZR 244/90 - FamRZ 1991, 547 f.). Dieses Interesse ist aber gerade kennzeichnend für die angestrebte Arbeitszeitverkürzung, wenn damit nicht eine anderweitige entgeltliche Verwendung der Arbeitskraft angestrebt wird, sondern familiäre oder sonstige ideelle Umstände dieses Bestreben tragen. Dieser Wert wird vorliegend mit 20.000,00 EUR im Rahmen des § 3 ZPO für angemessen erachtet. Dieser Wert ist mit dem Wert der Abmahnungsklage zu addieren (§ 39 Abs. 1 GKG). Die weiter gehende Beschwerde ist deshalb zurückzuweisen.

5. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Ende der Entscheidung

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