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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: 3 Ta 7/04
Rechtsgebiete: BetrVG, GKG, ZPO, KSchG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 113
BetrVG § 113 Abs. 1
BetrVG § 113 Abs. 3
GKG § 19 Abs. 1 Satz 2
GKG § 19 Abs. 1 Satz 3
GKG § 25 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG § 25 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 5
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
KSchG § 10
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1, letzter Satzteil
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 Ta 7/04

Beschluss vom 04. Februar 2004

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer ohne mündliche Verhandlung am 04. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 25. November 2003 - 5 Ca 511/03 - abgeändert: Der Gebührenstreitwert wird auf 48.365,73 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Festsetzung des Gebührenstreitwerts im Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts nach § 25 Abs. 2 GKG. Das Ausgangsverfahren hat durch Prozessvergleich geendet.

Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine Kündigungsschutzklage gegen eine betriebsbedingte Kündigung, eine weitere Feststellungsklage, die auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungstermin hinaus gerichtet war, und ein Antrag auf Bezahlung einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG. Im angefochtenen Beschluss hat das Arbeitsgericht den Wert für den Abfindungsantrag aus der Höhe eines Abfindungsanspruchs bestimmt, der sich aus einem nach Erhebung der Klage vereinbarten Sozialplan ergibt, diesen Wert aber nicht mit dem Wert der Feststellungsklage(n) addiert, sondern, da der Wert der Abfindungsklage der höhere war, aus diesem den Gebührenwert im Sinne des § 25 Abs. 2 GKG entnommen (12.653,72 EUR).

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Sie wollen ohne weitere Bezifferung des Beschwerdeantrags die Addition der Gebührenwerte erreichen. Die weiteren Beteiligten haben sich in diesem Verfahren nicht geäußert.

II.

Die trotz unterlassener Bezifferung des mit ihr verfolgten Antrags zulässige Beschwerde hat im Ergebnis Erfolg. Der Gebührenstreitwert nach § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG ist in Höhe eines Abfindungsanspruchs nach § 113 BetrVG festzusetzen, der 18 Bruttomonatsbezügen des Klägers im Rahmen des beendeten Arbeitsverhältnisses entspricht. Die Anträge der Beteiligten sind im Rahmen des § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG nicht von Belang. Im Einzelnen gilt Folgendes:

Die beiden Feststellungsanträge sind jeweils in Höhe des Einkommens des Beschwerdeführers für ein Kalendervierteljahr (8.060,96 EUR) zu bewerten. Beide Werte sind infolge der erforderlichen teleologischen Reduktion des § 5 ZPO nicht zu addieren. Beide Anträge betreffen das nämliche wirtschaftliche Interesse des Klägers. Durch den zweiten Feststellungsantrag wird gegenüber dem Ersten kein zusätzlicher wirtschaftlicher Wert in den Rechtsstreit eingeführt. Dies ist auch nicht Gegenstand der Beschwerde, sodass sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen.

Der Abfindungsanspruch (Hilfsantrag) ist in Höhe von 48.365,73 EUR zu bewerten, weil der Anspruch aus dem Sozialplan jedenfalls deshalb, weil dieser erst nach Klageerhebung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart worden ist, keinen Einfluss auf den Wert der Klageforderung haben konnte. Maßgeblich sind nämlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 15 GKG). Zu diesem Zeitpunkt bestand ein Abfindungsanspruch des Beteiligten zu 2 aus dem Sozialplan noch nicht. Die Klage wurde nach Abschluss des Sozialplans überdies auch nicht nachträglich für ein späteres Verfahrensstadium auf diesen Anspruch eingeschränkt. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers, das er zum Zeitpunkt der Klageerhebung an der Durchsetzung des Anspruchs hatte. Es handelt sich um einen unbezifferten Klageantrag. Der Kläger stellte sonach die Höhe des Anspruchs in das Ermessen des Gerichts. Dass er gleichwohl vom Höchstsatz nach § 10 KSchG ausging, ergibt sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführer, denen der Beteiligte zu 2 nicht entgegengetreten ist. Deshalb ist von diesem Wert auszugehen.

Diese Werte sind aber nicht zu addieren.

Allerdings ist § 12 Abs. 7 Satz 1, letzter Satzteil auf Fälle wie den vorliegenden nicht anwendbar. Diese Vorschrift ist ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nach nur auf Abfindungen anzuwenden, die im Rahmen des Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung festgesetzt werden. Soweit eine Abfindung nach § 113 BetrVG eingeklagt wird, ist die Wirksamkeit einer Kündigung gerade Voraussetzung. Gegenstand ist also nicht mehr ein Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses oder über eine Kündigung. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass die als Ausnahmeregelung generell nicht analogiefähige Bestimmung des § 12 Abs. 7 Satz 1, letzter Satzteil, nicht eingreift. Soweit § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BetrVG auf § 10 KSchG Bezug nimmt, handelt es sich nur um eine Rechtsfolgenverweisung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs haben mit einem Streit im Sinne des § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG nichts zu tun.

Bei dem unbezifferten Zahlungsantrag handelt es sich aber um einen echten Hilfsantrag im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG. Zwar ist er nicht ausdrücklich als Hilfsantrag anhängig gemacht worden. Dies ergibt aber eine entsprechende Auslegung der Anträge. Im Rahmen des Auslegungsvorgangs ist zwar zunächst auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen. Jedoch darf eine Prozesspartei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden. Vielmehr ist zu ihren Gunsten stets davon auszugehen, dass sie im Zweifel mit ihrer Prozesshandlung das bezweckt, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht. Bei dieser Würdigung darf auf Umstände außerhalb des Schriftstücks zurückgegriffen werden. Wie auch sonst bei Deutungen von Prozesserklärungen sind alle Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2000 - VIII ZR 210/99 - NJW 2000, 3216 m.w.Nw.). Vorliegend konnte der Leistungsantrag aber nur Erfolg haben, wenn die Feststellungsklagen abgewiesen werden. Dementsprechend sind die Anträge auszulegen.

Dies kann aber nicht dazu führen, dass der Wert des Hilfsantrags mit dem der Hauptanträge kumuliert wird (vgl. etwa Beschluss der Kammer vom 10. November 2003 - 3 Ta 153/03 - www.lagbw.de/Ta/3ta15303.htm). Der Streitwert ist nach § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3 GKG zu bestimmen. Danach findet grundsätzlich eine Zusammenrechnung von Haupt- und Hilfsanspruch statt, soweit auch über den Hilfsanspruch eine Entscheidung ergeht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 GKG) oder nach Abs. 4 der Rechtsstreit - wie hier - durch Vergleich erledigt wird. Soweit sich die Beschwerdebegründung gegen die Anwendung des Abs. 4 ausspricht, geht sie offenbar von einem nicht aktuellen Gesetzeswortlaut aus, wie überdies auch häufig die Kommentarstellen, die sich mit dieser Problematik befassen (vgl. etwa KR-Friedrich, § 4 KSchG Rdnr. 282, soweit ein Bezug auf Entscheidungen hergestellt wird, die von einer Gesetzesfassung ausgehen, wie sie vor dem Kostenrechtsänderungsgesetz vom 24. Juni 1994 - BGBl. I 1325 - gegolten hat).

Eine Zusammenrechnung findet nach § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG allerdings dann nicht statt, wenn der Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Haupt- und Hilfsansprüche haben hier jedoch denselben Gegenstand, weil sie auf demselben Anspruchsgrund beruhen. Zu Unrecht wird bei dieser Frage teilweise darauf abgehoben, ob der Streitgegenstand identisch sei. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung dieser Gesetzesbestimmung zeigt aber, dass mit dem Wort Gegenstand in § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht der Streitgegenstand im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gemeint sein kann. Dann beträfe die Regelung nur die Fälle, in denen ein und derselbe Antrag (oder im Falle der Widerklage sein kontradiktorisches Gegenteil) mehrfach eingeklagt worden wäre. Dafür bestünde aber kein Regelungsbedarf, weil der Fall, dass im Verhältnis zum Hauptantrag ein identischer Hilfsantrag gestellt wird, selten eintreten wird. Hierfür gibt es in der Regel keinen Sinn. Der Gegenstand im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG muss sich also lediglich auf den Klagegrund, den Lebenssachverhalt, aus dem der prozessuale Anspruch hergeleitet wird, beziehen. Dass der Begriff des Gegenstands nichts mit dem Streitgegenstand des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu tun hat, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach ist entscheidend für die Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG, ob die Ansprüche einander ausschließen und damit notwendigerweise die Zuerkennung des einen Anspruchs mit der Aberkennung des anderen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 - III ZR 115/02 - NJW-RR 2003, 713 m.w.Nw.; vgl. auch die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs - Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6962, S. 63 -, in dem mit dem Zusammenrechnungsausschluss bei demselben Gegenstand "die von der Rechtsprechung entwickelte Unterscheidung zwischen dem prozessualen und dem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff" übernommen worden ist). Nach diesem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff sind für das Merkmal "desselben Gegenstandes" zwei Voraussetzungen erforderlich, nämlich dass die Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können und dass sie auf dasselbe Interesse gerichtet sind (vgl. auch insoweit LAG Brandenburg, Beschluss vom 1.9.2000 - 6 Ta 70/00 - JurBüro 2001, 95 für den Fall eines Haupt- und Hilfsantrags bei der Eingruppierungsklage; Hartmann, Kostengesetze 33. Aufl., § 19 GKG Rdnr. 9 ff.). Diese beiden Voraussetzungen werden auch unter dem Begriff der (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Identität zusammengefasst.

Die vorliegende Klage betraf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis noch - mangels wirksamer Kündigung - bestand, oder ob es geendet hat mit der Folge, dass wirtschaftlich an die Stelle der aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Vergütungsansprüche der Abfindungsanspruch als Kompensation für die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlittenen Nachteile - dies sind im Wesentlichen die entgangenen Vergütungsansprüche - tritt. Beide Ansprüche mit sich überschneidender Zielsetzung schließen sich gegenseitig aus. Deshalb ist von einer Identität des Gegenstandes im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG auszugehen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht diesbezüglich ausgeführt, dass es sich beim Nachteilsausgleich um ein "Minus" gegenüber dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses handele. Nach Auffassung Lappes (Die Entwicklung des Gerichts- und Notarkostenrechts im Jahr 2001 - NJW 2002, 266, 267) soll beim echten Hilfsantrag - für den Fall des Misserfolgs des Hauptantrags - immer wirtschaftliche Identität vorliegen, weil der Kläger "das eine oder das andere will". Deshalb werde nie addiert. Ob sich dies mit der vorstehend zitierten Auffassung des Bundesgerichtshofs vereinbaren lässt (in der genannten Entscheidung wurde deshalb eine Addition vorgenommen, weil Gegenstand des Hauptantrags und des Hilfsantrags nebeneinander hätten eingeklagt werden können), ist hier nicht zu entscheiden.

Nach allem hat die Beschwerde im vorgenannten Rahmen Erfolg, sodass die angegriffene Entscheidung entsprechend abzuändern ist.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 25 Abs. 4 GKG).

Ende der Entscheidung

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