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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.02.2003
Aktenzeichen: 4 Sa 1/03
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 707 Abs. 1
ZPO § 709
ZPO § 719
ZPO § 719 Abs. 1
ZPO § 788 Abs. 1
ZPO § 917 a.F.
ZPO § 917 Abs. 2
ArbGG § 62
ArbGG § 62 Abs. 1
ArbGG § 62 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 4 Sa 1/03

04.02.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter

ohne mündliche Verhandlung am 26.03.2003

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.2002 - 22 Ca 9148/02 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beklagte/Berufungsklägerin begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.2002, das sie im vorliegenden Verfahren mit dem Rechtsmittel der Berufung angegriffen hat.

Mit dem o.a. Urteil verurteilte das Arbeitsgericht Stuttgart die Beklagte, an den Kläger Urlaubsgeld für das Jahr 2002 in Höhe von € 1.158,00 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.07.2002 zu bezahlen. Gegenstand des Rechtsstreits war die Frage, ob die Beklagte das Urlaubsgeld im Hinblick auf Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers kürzen darf. Neben dem hiesigen Rechtsstreit waren beim Arbeitsgericht Stuttgart weitere gleichgelagerte Verfahren anhängig. Gegen das ihr am 11.12.2002 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 08.01.2003 Berufung ein. Mit ihrer am 17.01.2003 eingereichten Berufungsbegründung stellte die Beklagte zugleich den Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts vorläufig einzustellen. Sie teilte hierbei mit, sie habe den Kläger am 07.01.2003 aufgefordert, im vorliegenden Fall - ebenso in den vier anhängigen Parallelverfahren - auf die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts zu verzichten. Mit Schreiben vom 13.01.2003 habe die Vertreterin des Klägers mitgeteilt, dass sie die Zwangsvollstreckung einleiten werde, falls nicht bis zum 17.01.2003 die Zahlung eingegangen sei.

Zur Begründung ihres Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung trägt die Beklagte vor, der Kläger sei am 30.08.2002 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Nach Mitteilung seiner Prozessbevollmächtigten habe er seinen Lebensmittelpunkt nach Griechenland verlegt. Sie werde vermutlich im Fall eines Obsiegens das Urlaubsgeld nicht mehr zurückerhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.2002 - 22 Ca 9148/02 - vorläufig einzustellen.

Der Kläger beantragt,

den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.2002 - 22 Ca 9148/02 - zurückzuweisen.

Er trägt vor, der Antrag sei bereits deshalb zurückzuweisen, weil die Berufung keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Diesbezüglich nehme er in vollem Umfang auf die Ausführungen im Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart Bezug. Zwischen den Parteien sei eine Kürzungsvereinbarung, das Urlaubsgeld entsprechend den Krankentagen zu kürzen, nicht getroffen worden. Als eine Einstellung der Zwangsvollstreckung erfolgen sollte, müsse diese gegen Zahlung einer entsprechenden Sicherheitsleistung erfolgen. Dem Kläger sei angesichts des Insolvenzrisikos nicht zuzumuten, dass die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung eingestellt werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 16.01.2003 und 29.02.2003 verwiesen.

II.

Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist gemäß den §§ 709, 719 ZPO, § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG zulässig, jedoch unbegründet.

1. Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kann in den Fällen des § 707 Abs. 1 und des § 719 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung aus einem nicht rechtskräftigen Urteil nur dann eingestellt werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen werde. Anders als nach den zitierten Vorschriften der Zivilprozessordnung dürfen sich die Gerichte für Arbeitssachen hierbei nicht mit einer Abwägung der wechselseitigen Schutzbedürfnisse des Gläubigers und des Schuldners im Rahmen einer Ermessensentscheidung begnügen. Ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne des § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die Wirkungen der Zwangsvollstreckung nicht wieder rückgängig gemacht werden können, durch die Zwangsvollstreckung also nicht mehr korrigierbare Tatsachen geschaffen werden (Germelmann u.a., ArbGG, 4. Aufl., § 62 Rz. 14; Schaub, Arbeitsgerichtsverfahren, 7. Aufl., § 46 Rz. 6; LAG Bremen 26.05.1998 - 4 Ta 30/98 - LAGE ArbG 1979 § 62 Nr. 26). Will der Kläger titulierte Vergütungsansprüche vollstrecken, so liegt ein nicht zu ersetzender Nachteil nicht schon dann vor, wenn die Rückforderung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die Beitreibung der vollstreckten Vergütungsansprüche wegen der Vermögenslosigkeit des Klägers von vornherein aussichtslos erscheint (Schaub a.a.O., Rz. 7; Germelmann a.a.O., Rz. 16; Gift/Bauer, Das Urteilsverfahren E Rz. 1692).

2. Nach den dargestellten Maßstäben ist im vorliegenden Fall die Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht gegeben. Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihres Antrags ausschließlich darauf, der Kläger sei am 30.08.2002 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Er habe nach Mitteilung seiner Prozessbevollmächtigten seinen Lebensmittelpunkt nach Griechenland verlegt.

a) Dieses Vorbringen genügt nicht für die Annahme, dass die Betreibung des vollstreckten Betrags wegen der Vermögenslosigkeit des Klägers von vornherein aussichtslos erscheint. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Berufung der Beklagten Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Denn dieser Gesichtspunkt spielt im Rahmen des § 62 Abs. 1 ArbGG grundsätzlich keine Rolle (Germelmann, a.a.O., Rz. 14). Entscheidend ist, dass die Rückkehr des Klägers nach Griechenland für sich allein keine Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigt. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass eine Vollstreckung im Ausland häufig höhere Kosten (die allerdings nach § 788 Abs. 1 ZPO der Vollstreckungsschuldner zu tragen hat) und ggf. auch größere bürokratische Schwierigkeiten mit sich bringt. Maßgebend ist jedoch Folgendes:

Der Staat Griechenland war seit 01.10.1999 Vertragsstaat des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 60 Aufl., Schlussanhang V C Rz. 4). Dieses Übereinkommen ist ab 01.03.2002 durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (abgedruckt bei Baumbach/Lauterbach, a.a.O. unter Schlussanhang V C (A)) abgelöst worden. Diese Verordnung gilt für alle EG-Staaten außer Dänemark.

Auf Grund dieser völkerrechtlichen bzw. jetzt europarechtlichen Rechtslage hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 01.10.1998 für den Fall des Arrestes die bisher in § 917 Abs. 2 enthaltene Regelung geändert, wonach es als zureichender Arrestgrund anzusehen ist, wenn ein Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste. Dies gilt nicht mehr, wenn das Urteil nach dem Übereinkommen vom 27.09.1968 bzw. jetzt nach der Verordnung vom 22.12.2000 vollstreckt werden müsste. Mit dieser Ergänzung wurde der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Rechnung getragen, wonach die bisherige Regelung in § 917 Abs. 2 ZPO wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht nicht mehr anzuwenden ist (Urteil vom 10.02.1994 - C - 398/92 - NJW 1994, 1271; Zöller-Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., § 917 Rz. 15 mit zahlreichen Nachweisen). Der Europäische Gerichtshof hat zur Begründung ausgeführt, dass die in § 917 ZPO a.F. getroffene Unterscheidung zwischen der Inlands- und Auslandsvollstreckung im Geltungsbereich des Übereinkommens vom 27.09.1968 nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt sei, weil alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien des genannten Übereinkommens seien und die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Entscheidungen sowie die der damit verbundenen Risiken in allen Mitgliedstaaten gleich seien.

b) Die in § 917 Abs. 2 Satz 2 ZPO getroffene Entscheidung des Gesetzgebers ist auch im Rahmen der Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG zu beachten. Wenn der Gesetzgeber im Eilverfahren über den Arrest die Vollstreckung eines Urteils im europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr als zureichenden Arrestgrund ansieht, dann kann die Entscheidung nicht anders ausfallen, wenn bereits ein vorläufig vollstreckbares Urteil erster Instanz vorliegt und der Vollstreckungsschuldner im Falle des Obsiegens in zweiter Instanz seinen Rückforderungsanspruch im europäischen Wirtschaftsraum beitreiben müsste. In beiden Fällen ist die Unterscheidung zwischen Inlands- und Auslandsvollstreckung nicht mehr durch objektive Umstände gerechtfertigt, weil auf Grund der genannten völkerrechtlichen bzw. jetzt europarechtlichen Regelungen die Voraussetzungen für die Vollstreckung von Entscheidungen und die damit verbundenen Risiken in allen Mitgliedsstaaten gleich sind (ebenso LAG Schleswig-Holstein 12.06.1998 - 3 Sa 213a/98 - LAGE § 62 ArbGG 1979 Nr. 25 (wenn auch mit anderer Begründung); Germelmann u.a., ArbGG, 4. Aufl., § 62 Rz. 16). Die von Gift/Baur (Das Urteilsverfahren, Teil E Rz. 1692) vertretene Gegenauffassung ist überholt, weil die Autoren die Neuregelung in § 917 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht berücksichtigen konnten.

III.

Über den Einstellungsantrag konnte der Vorsitzende allein entscheiden, nachdem den Parteien zuvor rechtliches Gehör gewährt worden (§ 64 Abs. 7, § 55 Abs. 1 Ziff. 6 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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