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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 27.01.2000
Aktenzeichen: 4 Sa 71/99
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GKG, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
BGB § 613a
BGB § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB § 613a Abs. 1 Satz 4
GKG § 25 Abs. 2
ArbGG § 72a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 Sa 71/99

verkündet am 27.01.2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer, den ehrenamtlichen Richter Kuhn und den ehrenamtlichen Richter Ruoff auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 29. April 1999 - 8 Ca 479/98 - abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.196,25 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 4. März 1999 zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Wert des Gegenstands im 2. Rechtszug: 1.196,25 DM

Von der Mitteilung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen, da das Urteil der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die rechnerisch unstreitige Forderung des Klägers, die sich aus dem für den Zeitraum vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1998 gültigen Lohnabkommen für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18.12.1996 ergibt, wonach sich die Vergütung ab 01. April 1998 um 2,5 % erhöhte (§ 2.1 des Lohnabkommens), ist begründet, weil die entsprechende Tarifnorm auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anzuwenden ist. Sie ist Inhalt des Arbeitsvertrags zwischen ihnen.

Die Beklagte hat mit Wirkung vom 01. November 1995 einen von mehreren Betrieben der damaligen B. GmbH & Co. KG im Sinne des § 613a BGB übernommen. Die B. KG hatte für die in ihrem Unternehmen in allen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer durch einen Firmentarifvertrag mit der zuständigen Industriegewerkschaft Metall umfassend die Geltung der für das Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden zwischen der IG Metall und dem Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V. abgeschlossenen Tarifverträge vereinbart. Diese Tarifverträge galten danach in der jeweiligen Fassung mit allen künftigen Änderungen und Ergänzungen (vgl. § 3 des Firmen-TV, Kopie Bl. 25 der arbeitsgerichtlichen Akte) für die Beschäftigten der B. KG. Solche Blankettverweisungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unbedenklich zulässig bei engem sachlichen Zusammenhang, auch in der Form einer dynamischen Verweisung (vgl. BAG, Beschluss vom 13. August 1986 - 4 ABR 2/86 - AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; Beschluss vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 98/88 - AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; ebenso: Beschluss vom 08. März 1995 - 10 AZR 27/95 - AP Nr. 5 zu § 1 TVG Versicherungsvertrag). Zwar können Tarifvertragsparteien grundsätzlich ihre Rechtssetzungsbefugnis nicht auf Dritte übertragen. Jedoch ist dies dann möglich, wenn ein enger sachlicher Zusammenhang der beiden Geltungsbereiche besteht (II 3 a der Gründe). Die Tarifbindung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt ergibt sich aus seiner (noch fortbestehenden) Verbandszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1 TVG).

Dieser aufgrund der beiderseitigen Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis einwirkende Firmen-Anerkennungs-Tarifvertrag verlor zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs seine normative Wirkung, weil die Beklagte, die den Betrieb übernommen hat, weder als Tarifvertragspartei in die Rechtsstellung der B. GmbH & Co. KG eintrat noch in der Folge durch zwei- oder dreiseitige Vereinbarung mit der IG Metall Vertragspartner dieses Tarifvertrags wurde. Es kam auch nicht zu einem Abschluss eines anderen Tarifvertrags mit der Beklagten, der auf das Arbeitsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter normativ einwirken könnte. Soweit die Beklagte den Firmentarifvertrag vorsorglich noch am 28. Dezember 1995 zum 31. März 1996 kündigte, ändert dies an der Rechtslage nichts. Diese Kündigung war wirkungslos, weil die Beklagte nicht Partei des Tarifvertrags war und auch sonst keine Rechtsmacht für die Ausübung eines solchen Gestaltungsrechts darlegen konnte. Darüber hinaus hätte auch eine Kündigung des Tarifvertrags durch die berechtigte Partei keine Auswirkungen mehr gehabt. Denn mit Vollendung des Betriebsübergangs wurde der bislang kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit geltende Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Vertragsrecht, das zwischen den nunmehrigen Arbeitsvertragsparteien Anwendung fand, transformiert. Die dem Betriebsübergang zeitlich nachfolgende Kündigung des Firmentarifvertrags hätte ja allenfalls die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB beseitigt (Satz 4), für sich allein aber keine inhaltliche Änderung am Vertragsinhalt herbeigeführt. Eine kollektiv- oder einzelvertragliche Änderung der Rechtslage durch neuen Tarifvertrag oder individualrechtlichen Änderungsvertrag behauptet aber auch die Beklagte nicht.

Von der individualrechtlichen Weitergeltung nach dieser Vorschrift werden auch Firmentarifverträge erfasst (vgl. KR-Pfeiffer, 5. Aufl. § 613a BGB Rz. 93 m.w.Nw.). Ob etwas anderes dann gilt, wenn der Firmentarifvertrag ausschließlich für den übernommenen Betrieb gilt oder alle Betriebe, auf die ein unternehmensweiter Firmentarifvertrag Anwendung findet, von einem einzigen Erwerber übernommen werden, kann hier dahingestellt bleiben, da vorliegend der Firmentarifvertrag für eine Mehrheit von Betrieben abgeschlossen wurde, die Beklagte aber nur einen dieser Betriebe übernommen hat. Insoweit liegen die Verhältnisse so, als ob ein Verbandstarifvertrag Anwendung gefunden hätte (vgl. zum Meinungsstand in der Literatur: Wiedemann-Oetker, TVG 6. Aufl., § 3 Rz. 157 - 159 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ErfK-Preis, § 613a BGB Rz. 68 m.w.Nw.). Da beide Parteien insoweit übereinstimmend von einer einzelvertraglichen Fortgeltung des Firmentarifvertrags mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten ausgehen, bedarf dies hier keiner vertiefenden Betrachtung mehr.

Soweit die Rechtssetzungslegitimation durch die ursprünglichen Tarifvertragsparteien nach dem Betriebsübergang nicht mehr auf beiden Seiten besteht, kann die in Vertragsrecht transformierte tarifliche Regelung nur in der Form und mit dem Inhalt weitergelten, wie sie sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs darstellte. Für künftige Änderungen gibt es kein rechtliches Einfallstor, soweit dies zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags nicht ausdrücklich vereinbart war. Lediglich die nachträgliche Beendigung des Tarifvertrags hat nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB die Folge, dass die Änderungssperre des Satzes 2 entfällt. Deshalb sind die Vertragsparteien nicht an der nach diesem Zeitpunkt vereinbarten Änderung tariflicher Regelungen beteiligt (vgl. BAG, Urteil vom 13. November 1985 - 4 AZR 309/84 - AP Nr. 46 zu § 613a BGB). Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Vertragsparteien von jeglicher Dynamik ausgeschlossen sind. Soweit diese bereits in den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Regelungen ihren Niederschlag gefunden haben, gelten die erst in der Zukunft in Kraft tretenden, aber bereits verbindlich vereinbarten Normen als Vertragsrecht weiter, sofern nicht zuvor ein kollektiv- oder individualrechtlicher Änderungsvertrag diese Wirkung beseitigt. Ein nachträglich zwischen den (ursprünglichen) Tarifvertragsparteien vereinbarter Eingriff in eine solche Dynamik hingegen wirkt sich auf eine nach § 613a Abs. 1 Satz 2 als Vertragsrecht fortgeltende Regelung nicht mehr aus.

Vertragsrecht geworden ist nach dem Betriebsübergang der Firmentarifvertrag in seiner damaligen Fassung. Dieser hatte zum Inhalt die Geltung aller einschlägigen gegenwärtigen und zukünftig vereinbarten einschlägigen Verbandstarifverträge in Form einer dynamischen Verweisung. Mit diesem Inhalt ging er als vertragliche Regelung in die individuellen Rechtsbeziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein. Nur auf den Inhalt dieses Tarifvertrags kommt es an. Zwar wären die Regelungen der Verbandstarifverträge nur mit dem am 01. November 1995 geltenden Inhalt Vertragsinhalt geworden, wenn diese kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der damaligen Arbeitsvertragsparteien unmittelbar gegolten hätten und mangels Tarifgebundenheit der Beklagten nicht als Tarifrecht auch im vorliegenden Arbeitsverhältnis anzuwenden gewesen wären. Das Einfrieren des Rechtszustands betrifft den Tarifvertrag, der kraft kollektivrechtlicher Wirkung auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. Dies ist ausschließlich der Firmentarifvertrag mit dem Inhalt, den er zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatte.

Der Gegenstand der damaligen Regelung war die dynamische Verweisung auf die gegenwärtigen und zukünftig vereinbarten tarifvertraglichen Regelungen der Metallindustrie im Bereich Nordwürttemberg/Nordbaden. Diese Dynamik ist als eingefrorener Inhalt des Firmentarifvertrags Bestandteil der arbeitsvertraglichen Regelungen geworden. Die Rechtswirkung ist demnach so, als ob die Arbeitsvertragsparteien die Geltung der jeweiligen tariflichen Regelungen aus diesem Bereich einzelvertraglich vereinbart hätten. Diese Wirkung wird von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fingiert. Für eine Änderung dieser vertraglichen Regelung dahingehend, dass nur die am 01. November 1995 geltenden Tarifverträge anzuwenden seien, gibt es keine gesetzliche Grundlage.

Diesem Ergebnis steht auch nicht der erkennbare Gesetzeszweck entgegen. Es soll vorbehaltlich anderweitiger kollektivrechtlicher Regelungen der Rechtszustand für ein Jahr nach Betriebsübergang gesichert werden, der zu diesem Zeitpunkt bestanden hat. Im Fall einer zulässigen kollektivrechtlichen Blankettverweisung auf andere Tarifnormen verbleibt es bei diesem Inhalt. Zwar ergeben sich inhaltlich Unterschiede, wenn Tarifverträge unmittelbar oder nur aufgrund einer tarifvertraglichen Blankettverweisung gelten. Dies kann sich aber zum Vorteil oder zum Nachteil der ursprünglich einem solchen Verweisungstarifvertrag unterworfenen Arbeitnehmer auswirken und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, die Rechtswirkungen eines Tarifvertrags in dem Zustand, in dem er sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs befand, zu verlängern. Darüber hinaus bleibt insoweit auch die Rechtseinheit mit den Arbeitnehmern erhalten, die nicht tarifgebunden waren, auf deren Arbeitsverhältnisse aber der Verweisungstarifvertrag kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme (oder auch betrieblicher Übung) anzuwenden war. Hier kann kein Zweifel bestehen, dass dann, wenn die Inbezugnahmevereinbarung sich auf den jeweiligen Firmentarifvertrag bezog, auch die sich aus diesem ergebende Dynamik bezüglich der anerkannten Verbandstarifverträge vereinbart war. Eine andere Frage, die hier nicht zu erörtern ist, wäre aber, ob auch eine dynamische einzelvertragliche Verweisung auf die jeweils geltenden Firmentarifverträge nur noch mit dem Inhalt gelten könnte, wie er für tarifgebundene Arbeitnehmer nach § 612a Abs. 1 Satz 2 gilt.

An diesem Ergebnis ändert sich nichts durch den Hinweis der Beklagten, ihre Rechtsvorgängerin habe gerade die Form eines Firmentarifvertrags mit Blankettverweisung gewählt, um sich leichter von der Geltung der Verbandstarife lösen zu können. Deshalb sei auch die die Nachwirkung betreffende Klausel im Tarifvertrag gestrichen worden. Nach § 613a BGB gehen die kollektivrechtlichen Bindungen der Tarifvertragsparteien nicht über, da sie nicht beide Tarifvertragsparteien betreffen. Das Anliegen, von dem die Beklagte spricht, ließe sich durch eine kollektive Regelung (Neuabschluss des Firmentarifvertrags zwischen der Beklagten und der IG Metall) leicht bewerkstelligen. Ansonsten verblieb nur die Möglichkeit der Änderung des Arbeitsvertrags mit den rechtlich zulässigen Instituten. Eine kollektivrechtliche Vereinbarung der für das Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang nicht mehr beiderseits zuständigen Tarifparteien, die hier allerdings auch nicht vorliegt, kann die Rechtswirkungen des Gesetzes nicht ändern, da es sich insoweit um zwingendes Gesetzesrecht handelt. Nur die für das Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang zuständigen Tarifvertragsparteien können eine anderweitige kollektivrechtliche Regelung treffen. Eine solche liegt hier aber nicht vor, so dass es bei den Rechtswirkungen des Firmentarifvertrags mangels Änderung dieser Vertragsbedingungen nach dem Betriebsübergang verbleibt.

Hieraus folgt, dass der fragliche Lohntarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien kraft (fiktiver) einzelvertraglicher Inbezugnahme der jeweiligen Verbandstarifverträge der Metallindustrie im Bereich Nordwürttemberg/Nordbaden verbleibt. Deshalb steht der streitgegenständliche Anspruch dem Kläger entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Beklagten zu.

Nach allem ist auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abzuändern, weil die zulässige Klage begründet ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der nach § 25 Abs. 2 GKG durch Beschluss festzusetzende Gegenstandswert ergibt sich aus der Summe der Klageforderungen (§ 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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