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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 05.08.2004
Aktenzeichen: 4 Ta 6/04
Rechtsgebiete: ZPO, KSchG, BGB, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 128 Abs. 4
ZPO § 313 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 567 Abs. 1 Ziff. 1
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 569 Abs. 2
ZPO § 569 Abs. 2 Satz 2
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 1
KSchG § 5 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 4 Satz 2
BGB § 130 Abs. 1
BGB § 242
ArbGG § 78 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 4 Ta 6/04

Stuttgart, den 05.08.2004

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter ohne mündliche Verhandlung am 05.08.2004

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.04.2004 - 28 Ca 13843/03 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf € 7.500,00 festgesetzt.

Gründe:

A

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen auf die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.07.2003 mit Ablauf des 31.12.2003 geendet hat.

Der am 06.07.1970 geborene Kläger war bei der Beklagten auf Grund verschiedener Arbeitsverträge seit 08.01.1996 beschäftigt. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 22.07.1998 betrug sein Bruttomonatsgehalt damals DM 4.525,00. Bei der Beklagten sind gerichtsbekannt mehr als 5 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt.

Der Kläger befand sich seit 10.03.2003 in Untersuchungshaft in der JVA T.. Auf Grund einer entsprechenden Mitteilung durch die Schwägerin des Klägers wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 13.03.2003, gerichtet an die Justizvollzugsanstalt T., an den Kläger und bat ihn um Mitteilung, wann mit seiner Arbeitsaufnahme wieder zu rechnen sei. Hierauf legitimierte sich mit Schreiben vom 28.03.2003 Herr Rechtsanwalt F. als Verteidiger des Klägers. Er teilte der Beklagten mit, dass dem Kläger ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen werde. Mit einer Hauptverhandlung sei nicht vor Juni 2003 zu rechnen. Er bat darum, den Kläger bis dahin unbezahlt von der Arbeit freizustellen. Dieser Bitte kam die Beklagte mit Schreiben vom 08.04.2003, gerichtet an Herrn Rechtsanwalt F. nach.

Mit Schreiben vom 03.06.2003, wiederum gerichtet an Herrn Rechtsanwalt F., bat die Beklagte erneut um Mitteilung, bis wann mit einer Wiederaufnahme der Arbeit gerechnet werden könne. Soweit ersichtlich, ging hierauf eine Antwort des Klägers nicht ein. Mit Schreiben vom 01.07.2003, erneut an Herrn Rechtsanwalt F. gerichtet, wiederholte die Beklagte ihre Bitte um Mitteilung, bis wann mit einer Arbeitsaufnahme durch den Kläger gerechnet werden könne. Sie setzte hierzu eine Frist bis 15.07.2003; andernfalls werde die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eingeleitet. Hierauf teilte Herr Rechtsanwalt F. mit Schreiben vom 02.07.2003 der Beklagten mit, der Kläger sei am 18.06.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Allerdings werde die weitere Verbüßung der Strafe zurückgestellt, wenn der Kläger an einer drei- bis viermonatigen stationären Drogenentziehungstherapie teilnehme. Die notwendigen Schritte seien eingeleitet; es fehle aber noch die Kostenzusage. Mit Schreiben vom 17.07.2003 teilte Herr Rechtsanwalt F. der Beklagten ergänzend mit, es stehe nunmehr fest, dass der Kläger in der ersten Hälfte des Monats September 2003 eine dreimonatige Drogenentziehungstherapie antreten werde. Bei erfolgreicher Teilnahme werde sich der Kläger vermutlich ab Mitte Dezember, spätestens jedoch ab Anfang oder Mitte Januar 2004 wieder in Freiheit befinden. Er bitte darum, dem Kläger keine Steine in den Weg zu legen. Auf dieses Schreiben äußerte sich die Beklagte nicht.

Mit Schreiben vom 21.07.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht zum 31.12.2003. Das Kündigungsschreiben wurde - nach Darstellung der Beklagten - am 23.07.2003 durch zwei Boten in den Briefkasten des Klägers unter dessen Privatanschrift in der G-Straße in S. eingeworfen.

In der Folgezeit bat der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 05.08.2003 aus der JVA Stammheim um Prüfung, ob die Möglichkeit bestehe, ihn während der Therapie zweimal pro Woche zur Arbeit einzuteilen. Mit Schreiben vom 19.08.2993 antwortete die Beklagte, dass sie keine Einsatzmöglichkeit sehe.

Mit seiner am 15.12.2003 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, während seiner Inhaftierung habe sich seine Schwägerin um die Wohnung gekümmert. Diese habe hierbei auch den Briefkasten geleert und gemäß einer getroffenen Absprache Briefe geöffnet, die Rechnungen enthielten. Seine Schwägerin habe ihm zugesagt, ihn während der Inhaftierung finanziell zu unterstützen. Er habe die Post erst durchgesehen, als er am 01.12.2003 aus der Therapie entlassen worden sei. Hierbei habe er das Kündigungsschreiben entdeckt.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die nachfolgende verspätete Klage wird nachträglich zugelassen.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.07.2003 zum 31.12.2003 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagzulassung zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie bestreite, dass die Schwägerin des Klägers das Kündigungsschreiben nicht geöffnet habe. Die Angaben in der Klageschrift und in der eidesstattlichen Versicherung der Schwägerin seien widersprüchlich. Die eidesstattliche Versicherung sei darüber hinaus unglaubwürdig. So habe der Kläger ca. Mitte November 2003 telefonisch Kontakt mit dem Betriebsratsmitglied H. gehabt und mit diesem über die Kündigung gesprochen. Selbst wenn man den Vortrag aber als wahr unterstelle, sei die Klage nicht nachträglich zuzulassen. Denn der Kläger habe seine Schwägerin anweisen müssen, die Post des Arbeitgebers auf eine mögliche Kündigung hin zu überprüfen. Denn bereits auf Grund der Vorkorrespondenz habe der Kläger mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.

Der Kläger hat erwidert, er bestreite mit Nichtwissen, dass das Kündigungsschreiben am 23.07.2003 per Bote zugestellt worden sei. Die Angaben der Schwägerin des Klägers seien zutreffend. Er habe zwar von der Kündigungsabsicht der Beklagten gewusst. Diese habe jedoch auch Kenntnis darüber gehabt, dass er sich in Strafhaft befinde. Die Vorkorrespondenz sei über Herrn Rechtsanwalt F. abgewickelt worden. Er habe nach dem Schreiben von Herrn Rechtsanwalt F. vom 17.07.2003 nicht damit rechnen müssen, dass ihm ein Kündigungsschreiben unter seiner Wohnanschrift zugestellt werde. Es sei mehr als nur eine Frage der Höflichkeit, ob man dieses Schreiben ignoriere oder beantworte. Mit dem Mitglied des Betriebsrats habe er erst im Dezember 2003 Kontakt gehabt.

Mit Beschluss vom 20.04.2004 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche Klagzulassung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe dafür Sorge tragen müssen, dass während seiner Abwesenheit sein Briefkasten regelmäßig geleert werde. Auf Grund der Vorkorrespondenz habe der Kläger damit rechnen müssen, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündige. Er habe daher seine Schwägerin anweisen müssen, auch die Post der Beklagten zu öffnen. Der Kläger habe auch damit rechnen müssen, dass das Kündigungsschreiben an seine Wohnanschrift zugestellt werde. Denn die Beklagte habe den aus ihrer Sicht sichersten Weg für eine Zustellung gewählt.

Der Beschluss vom 20.04.2004 wurde am 27.04.2004 an die Parteivertreter formlos zur Post gegeben und am 11.05.2004 gegen Empfangsbekenntnis an die Parteivertreter nochmals versandt. Der Klägervertreter unterzeichnete das Empfangsbekenntnis am 13.05.2004.

Mit Schriftsatz vom 12.05.2004, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, legte Herr Rechtsanwalt B. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.04.2004 sofortige Beschwerde ein. Mit Schriftsatz vom 21.05.2004, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 24.05.2004, der zwar nicht die Anschriften der Parteien, jedoch die Parteiverhältnisse erkennen lässt, begründete der Kläger die Beschwerde. Nach Aktenrückgabe an das Arbeitsgericht half dieses mit Beschluss vom 16.06.2004 der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte diese dem Landesarbeitsgericht vor.

Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe nicht nur über seinen Strafverteidiger, sondern auch über die Justizvollzugsanstalt T. und Stuttgart-Stammheim mit ihm korrespondiert. In dem Schreiben nach der Kündigung vom 19.08.2003 habe die Beklagte nicht erwähnt, dass das Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit gekündigt worden sei. Die Beklagte habe ein Vertrauen geschaffen, dass Erklärungen entweder an ihn direkt in der Justizvollzugsanstalt oder an seinen Strafverteidiger zugestellt würden. Das Arbeitsgericht habe ignoriert, dass die gesamte Korrespondenz mit Ausnahme des Kündigungsschreibens nicht an seine Wohnanschrift zugestellt worden sei. Bei der Vereinbarung mit seiner Schwägerin sei es darum gegangen, dass notwendige Zahlungsverpflichtungen erfüllt würden. Das Arbeitsgericht habe zudem übersehen, dass durch das Schweigen der Beklagten auf das Schreiben von Herrn Rechtsanwalt F. vom 17.07.2003 das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verletzt worden sei. Zudem sei es auch aus Sicht der Beklagten nicht der sicherste Weg gewesen, das Kündigungsschreiben durch Boten durch Einwurf in den Briefkasten zuzustellen.

Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht weiter geäußert, sondern lediglich auf Bitte des Vorsitzenden die vollständigen Unterlagen über die Vorkorrespondenz zur Gerichtsakte gereicht.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die Inhalte der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B

I.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie ist im Ergebnis in der gesetzlichen Form und Frist nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG, § 567 Abs. 1 Ziff. 1, § 569 Abs. 1 und 2 ZPO eingelegt und begründet worden. Zwar dürfte die Beschwerdeschrift vom 12.05.2004 nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen haben. Denn mangels Angabe der Partei- und Vertretungsverhältnisse im Schriftsatz vom 12.05.2004 ergab sich hieraus nicht, dass die sofortige Beschwerde namens und in Vollmacht des Klägers eingelegt werden sollte. Zwar muss gemäß § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Beschwerdeschrift nur die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde. Darüber hinaus muss sich aber zumindest im Wege der Auslegung ergeben, wer Beschwerdeführer ist. Insoweit gelten die Grundsätze, die zur Berufungseinlegung entwickelt worden sind, für die Einlegung der Beschwerde entsprechend (vgl. nur Zöller-Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 569 Rz. 7).

Der angegebene Mangel ist jedoch durch den Schriftsatz vom 21.05.2004, eingegangen am 24.05.2004, geheilt worden. Dieser Schriftsatz ist zwar als Beschwerdebegründung bezeichnet, kann aber als zulässige erneute Einreichung der sofortigen Beschwerde ausgelegt werden. Aus ihm ging nunmehr eindeutig hervor, wer Beschwerdeführer sein sollte. Die Angabe der ladungsfähigen Anschriften der Parteien war - ebenso wie bei der Einlegung der Berufung - keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Die erneute Einlegung der sofortigen Beschwerde erfolgte auch noch innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 20.04.2004 dem Kläger rechtswirksam erst am 13.05.2004 zugestellt wurde. Ein förmlicher Beschwerdeantrag war entbehrlich (Zöller-Gummer, a. a. O., Rz. 8); das Rechtsschutzziel des Klägers - Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 20.04.2004 und nachträgliche Klagzulassung - ist ohne weiteres ersichtlich.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist jedoch unbegründet, weil das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche Klagzulassung zutreffend zurückgewiesen hat.

1. Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagzulassung ist zulässig. Der Antrag vom 15.12.2003 enthielt die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen und der Mittel für deren Glaubhaftmachung (§ 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Nach dem vom Kläger vorgetragenen und glaubhaft gemachten Sachverhalt war zudem die Antragsfrist von zwei Wochen gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG eingehalten. Denn hiernach hatte der Kläger erst nach seiner Entlassung aus der stationären Therapie und Rückkehr in seine Wohnung am 01.12.2003 Kenntnis von dem Zugang der Kündigung vom 21.07.2003 erlangt. Die Beklagte hat zwar behauptet, der Kläger müsse zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von der Kündigung erlangt haben, weil er bereits Mitte November 2003 mit einem Betriebsratsmitglied über die Kündigung gesprochen habe. Der Kläger hat demgegenüber behauptet, er habe erst im Dezember 2003 mit dem besagten Betriebsratsmitglied über die Kündigung gesprochen. Ob dies ausreicht oder ob nicht eine weitere Glaubhaftmachung des ergänzenden Vorbringens erforderlich gewesen wäre, ist nicht zweifelsfrei. Zu Gunsten des Klägers ist die Kammer davon ausgegangen, dass die eidesstattliche Versicherung der Schwägerin, der Kläger habe erst mit ihr zusammen am 01.12.2003 das Kündigungsschreiben bei Durchsicht der Post entdeckt, zur Glaubhaftmachung ausreichend ist.

2. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage ist unbegründet. Nach § 5 Abs. 1 KschG (in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung) ist die Klage nur dann nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage und Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert ist, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Den Arbeitnehmer darf an der Versäumung der Drei-Wochen-Frist keinerlei Verschulden treffen, also in der Regel auch keine leichte Fahrlässigkeit. Maßgebend ist, was von dem Arbeitnehmer, der den Zulassungsantrag gestellt hat, in seiner konkreten Situation in seinem konkreten Fall an Sorgfalt gefordert werden konnte (vgl. nur KR-Friedrich, 6. Aufl., § 5 KSchG Rz. 13).

a) Dem Arbeitsgericht ist darin zuzustimmen, dass im Verfahren über die nachträgliche Zulassung nicht als Vorfrage zu entscheiden ist, ob die Kündigung der Beklagten vom 21.07.2003 dem Kläger rechtswirksam am 23.07.2003 zugegangen ist. Nach Auffassung der Kammer ist über einen Antrag auf nachträgliche Klagzulassung bereits dann zu entscheiden, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Möglichkeit der Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG besteht. Die Prüfung, ob die streitige Kündigung rechtswirksam zugegangen ist, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Denn entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts entfaltet eine Entscheidung im Verfahren über die nachträgliche Klagzulassung über die Frage, ob die Klagefrist versäumt ist, für das Hauptsacheverfahren keine Bindungswirkung. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer hierbei auf die in Rechtsprechung und Literatur bereits umfassend zusammengestellten Argumente Bezug (vgl. nur KR-Friedrich, a. a. O. Rz. 134; HaKo-Gallner, 2. Aufl., § 5 KSchG Rz. 5 ff.; LAG Baden-Württemberg, 26.08.1992 - 8 Ta 80/92 - LAGE § 5 KSchG Nr. 58; LAG Sachsen-Anhalt, 22.10.1997 - 5 Ta 229/97 - LAGE § 5 KSchG Nr. 92).

Angesichts dessen bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der vom Kläger erhobenen Rüge, das Arbeitsgericht habe nicht geprüft, ob sich gemäß § 242 BGB eine abweichende Würdigung zum Zugang der Kündigung ergeben könne. Es ist zwar zutreffend, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 02.03.1989 (2 AZR 275/88 - AP BGB § 130 Nr. 17 unter II 3. c der Gründe) ausgeführt hat, ausnahmsweise könne sich aus § 242 BGB eine andere Würdigung zum Zugang der Kündigung ergeben. Die Frage, ob derartige Umstände vorliegen, kann aber erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Im Verfahren über die nachträgliche Klagzulassung ist ausschließlich darüber zu entscheiden, ob den Kläger an der - unterstellten - Versäumung der Klagefrist ein Verschulden trifft oder nicht.

b) Das Arbeitsgericht hat ein Verschulden des Klägers an der Versäumung der Klagefrist tragend auf den Gesichtspunkt gestützt, dem Kläger sei die Kündigungsabsicht der Beklagten bekannt gewesen. Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.

Denn nach der Korrespondenz der Parteien bis zum Ausspruch der Kündigung war es zumindest offen, ob sich die Beklagte zu einer Kündigung entschließen werde. Zwar trifft es zu, dass die Beklagte bereits mit Schreiben vom 08.04.2003 sich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorbehielt. Gleichzeitig willigte sie aber ein, den Kläger bis zum Termin der Hauptverhandlung unbezahlt von der Arbeitsleistung freizustellen. Erst nachdem die Beklagte bis Ende Juni 2003 keine Nachricht des Klägers erhielt, setzte sie mit Schreiben vom 01.07.2003 eine Frist, bis zu deren Ablauf eine Nachricht des Klägers über den Zeitpunkt einer Arbeitsaufnahme eingegangen sein müsse. Die erbetene Nachricht des Klägers erfolgte sodann unverzüglich mit Schreiben von Herrn Rechtsanwalt F. vom 02.07.2003. In diesem Schreiben blieb lediglich offen, zu welchem präzisen Zeitpunkt der Kläger die stationäre Therapie antreten könne. Hierzu teilte Herr Rechtsanwalt F. mit Schreiben vom 17.07.2003, also nur wenig außerhalb der gesetzlichen Frist, ergänzend mit, der Kläger werde die stationäre Therapie im Laufe des Monats September 2003 antreten und werde sich ab Mitte Dezember, spätestens aber ab Anfang oder Mitte Januar 2004 wieder in Freiheit befinden. Herr Rechtsanwalt F. verband diese Mitteilung mit dem ausdrücklichen Wunsch, die Beklagte möge dem Kläger keine Steine in den Weg zu legen, wobei sich diese Bemerkung offensichtlich auf die mögliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses bezog.

Dem Kläger ist darin Recht zu geben, dass er auf Grund dieser Korrespondenz davon ausgehen durfte, die Beklagte werde nicht ohne eine vorherige Mitteilung an Herrn Rechtsanwalt F. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aussprechen. Angesichts dessen Bitte, dem Kläger keine Steine in den Weg zu legen, hätte es dem Gebot der Höflichkeit entsprochen, wenn die Beklagte Herrn Rechtsanwalt F. eine Nachricht hätte zukommen lassen, dass an der Kündigungsabsicht festgehalten wird. Die Verfahrensweise der Beklagten ist zumindest befremdlich.

c) Die Handlungsweise der Beklagten wirkt sich jedoch im vorliegenden Verfahren über die nachträgliche Klagzulassung nicht zu Gunsten des Klägers aus, weil es das Verschulden des Klägers an der Verspätung der Klage nicht ausschließt. Denn die entscheidende Ursache für die Versäumung der Klagefrist liegt in dem schuldhaften Verhalten des Klägers begründet, für die Dauer seiner Abwesenheit keine Vorkehrungen für den Empfang aller eingehender Poststücke zu treffen.

aa) Welche Vorkehrungen eine Partei für Postzustellungen bei vorübergehender Ortsabwesenheit zu treffen hat, wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend folgendermaßen beurteilt: Jedenfalls ohne Vorliegen besonderer Umstände kann vom Arbeitnehmer nicht verlangt werden, dass er Vorsorge dafür trifft, dass ihn die Post des Arbeitgebers während einer vorübergehenden Ortsabwesenheit erreicht. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer konkreten Anlass zur Annahme hat, dass ihm während der Ortsabwesenheit gekündigt wird (zu § 5 KSchG: KR-Friedrich, a. a. O., Rz. 59; GK-Ascheid, 2. Aufl., § 5 Rz. 50; tendenziell weitergehend LAG Hamm, 28.03.1996 - 5 Ta 161/95 -LAGE § 5 KSchG Nr. 78; zu § 233 ZPO: Stein/Jonas-Roth, ZPO, 21. Aufl. § 233 Rz.64 Stichwort: Abwesenheit; Musielak-Grandel, ZPO, 3. Aufl., 233 Rz. 6; Zöller-Greger, a.a.O., § 233 Rz. 23 Stichwort: Abwesenheit). Allerdings darf der Arbeitnehmer nicht unabhängig von der Dauer seiner Ortsabwesenheit davon ausgehen, dass ihm bei Versäumung der Klagefrist die nachträgliche Klagzulassung gewährt werde. Insoweit kann nichts anderes gelten als im Fall von amtlichen Zustellungen, die den Bürger während einer längeren Ortsabwesenheit erreichen.

Hierzu gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 16.11.1972 - 2 BvR 21/72 - NJW 1973, 187; Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - NJW 1975, 1355; Beschluss vom 11.02.1976 - 2 BvR 849/75 - NJW 1976, 1537; Kammerbeschluss vom 03.05.1989 - 2 BvR 249/89 - zitiert nach Juris; vgl. auch Beschluss vom 06.10.1992 - 2 BvR 805/92 - NJW 1993, 847), dass es dem Bürger bei einer nur vorübergehenden und relativ kurzfristigen Abwesenheit nicht zuzumuten ist, im Hinblick auf mögliche Zustellungen besondere Vorkehrungen zu treffen. Die Unzumutbarkeit ergibt sich daraus, dass es bei einer relativ kurzfristigen Ortsabwesenheit in der Regel unpraktikabel ist, einen Nachsendeauftrag zu stellen oder einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Anders ist dies in den Fällen, in denen eine längere Ortsabwesenheit vorliegt. Hier steht der Aufwand, besondere Vorkehrungen für den Postempfang zu treffen, nicht mehr außer Verhältnis zum zeitlichen Verlust, der mit einer Wiedereinsetzung verbunden ist. Die Grenze, ab der nicht mehr von einer relativ kurzfristigen Ortsabwesenheit gesprochen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 11.02.1976 mit längstens 6 Wochen angegeben. Im Kammerbeschluss vom 03.05.1989 hat es ausgeführt, bei einer Abwesenheit von 11 1/2 Wochen sei die Versagung einer Wiedereinsetzung verfassungsmäßig nicht zu beanstanden.

bb) Nach diesen Grundsätzen handelte der Kläger schuldhaft, auch wenn man zu seinen Gunsten annimmt, er habe mit seiner Schwägerin vereinbart, dass diese Poststücke mit Rechnungen öffnet. Der Kläger wusste spätestens seit dem Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 18.06.2003, dass er für einen längeren Zeitraum nicht in Freiheit sein werde. So rechnete Herr Rechtsanwalt F. Mitte Juli 2003, dass der Kläger nicht vor Mitte Dezember aus der stationären Therapie entlassen werde. In seinem Schreiben vom 05.08.2003 gab der Kläger die Dauer der teilstationären Drogentherapie sogar mit 6 Monaten an. Der Kläger ging selbst davon aus, dass er während seiner Inhaftierung und während der Therapie seine Wohnung nicht aufsuchen könne. Andernfalls hätte er seiner Schwägerin nicht den Auftrag erteilt, die Post mit Rechnungen zu öffnen.

Diese Anweisung war allerdings unzureichend. Der Kläger hätte darüber hinausgehend seine Schwägerin bitten müssen, entweder sämtliche Post zu öffnen oder aber die nicht geöffnete Post an ihn in die JVA weiterzuleiten. Da diese Maßnahme unterblieb, konnte der Kläger das Kündigungsschreiben vom 21.07.2003 nicht zur Kenntnis nehmen. Hierin ist die entscheidende Ursache für die Versäumung der Klagefrist zu sehen. Denn dem Arbeitsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, die Kündigung in die Justizvollzugsanstalt oder an Herrn Rechtsanwalt F. zuzustellen. Die Zustellung der Kündigung in die Justizvollzugsanstalt war nicht der sicherste Weg, um den Zugang der Erklärung zu bewirken. Im Falle einer Verlegung in eine andere JVA (so auch offenbar hier geschehen zu einem nicht näher vorgetragenen Zeitpunkt) hätte zumindest eine Verzögerung des Zugangs auftreten können. Eine Zustellung der Kündigung an Herrn Rechtsanwalt F. schied schon deswegen aus, weil dieser ausweislich des vorgetragenen Sachverhalts in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten nicht empfangsbevollmächtigt war. Die Zustellung in der Wohnung verschaffte der Beklagten hingegen die erforderliche Rechtssicherheit, weil diese Form der Zustellung nach dem oben zitierten Urteil des Bundesarbeitsgerichts - von Ausnahmefällen abgesehen - den Zugang im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB bewirkt. Wenn dem Arbeitgeber mehrere Transportwege zur Verfügung stehen, so kann er sich für den sichersten entscheiden. Schließlich lässt sich ein Verschulden des Klägers auch nicht mit der Begründung verneinen, die Beklagte habe vor einer Kündigung Herrn Rechtsanwalt F. über ihre Kündigungsabsicht unterrichten müssen. Selbst wenn man dies annähme, bliebe es dabei, dass der Kläger das Kündigungsschreiben hätte zur Kenntnis nehmen können, wenn er seiner Schwägerin die Anweisung zur Öffnung oder Weiterleitung aller Poststücke gegeben hätte.

III.

Die Entscheidung konnte gemäß § 78 Satz 3 ArbGG, § 128 Abs. 4 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein ergehen. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Der Streitwert richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Die Kammer hat das Bruttoarbeitsentgelt des Klägers auf € 2.500,00 geschätzt. Die Rechtsbeschwerde ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 20.08.2002 - 2 AZB 16/02 - NZA 2002, 1228) nicht eröffnet.

Ende der Entscheidung

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