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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 4 Ta 7/04
Rechtsgebiete: RPflG, ZPO, BSHG, KSchG


Vorschriften:

RPflG § 11 Abs. 1
ZPO § 115 Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 1
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
BSHG § 88
BSHG § 88 Abs. 2 Ziff. 8
BSHG § 88 Abs. 2 Nr. 8
BSHG § 88 Abs. 3
KSchG § 9
KSchG § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 4 Ta 7/04

Stuttgart, den 08.07.2004

In dem Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter ohne mündliche Verhandlung am 08.07.2004

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten Ziff. 1 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 02.03.2004 - 4 Ca 612/02 - abgeändert:

Der Beteiligte Ziff. 1 hat keinen Betrag aus dem Vermögen zu zahlen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte Ziff. 1/Kläger wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts, wonach ihm auferlegt wurde, aus seinem Vermögen einen Betrag von € 640,00 auf die Prozesskosten zu bezahlen.

Der am 10.04.1947 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger führte unter den Aktenzeichen 4 Ca 612/02 bzw. 21 Sa 54/03 einen Kündigungsrechtsstreit beim Arbeitsgericht Reutlingen bzw. beim Landesarbeitsgericht, mit dem er sich gegen eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung seines Arbeitgebers vom 12.09.2002 zum 30.09.2002 wandte. Mit Beschluss vom 04.11.2002 bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe. Der Kläger bezog zu diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld in Höhe von € 244,86. Für die zweite Instanz bewilligte das Landesarbeitsgericht dem Kläger mit Beschluss vom 05.06.2003 ebenfalls ratenfreie Prozesskostenhilfe. Die Höhe des Arbeitslosengeldes belief sich nunmehr auf € 243,53 wöchentlich.

In der Berufungsinstanz schloss der Kläger mit dem Arbeitgeber am 06.11.2003 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.09.2002 endete. Der Arbeitgeber zahlte an den Kläger eine Sozialabfindung in Höhe von € 8.000,00 in drei Raten, wobei die erste Rate in Höhe von € 4.000,00 zum 01.12.2003 und die zweite und dritte Rate in Höhe von je € 2.000,00 zum 01.03. und 01.04.2004 fällig werden sollten. Mit Beschlüssen vom 16.04.2003 und 28.01.2004 setzte das Arbeitsgericht die an den beigeordnete Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung für die I. Instanz auf € 644,42 und für die zweite Instanz auf € 1.106,80 fest.

Im Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 28.01.2004 erteilte das Arbeitsgericht dem Kläger den Hinweis, dass es aufgrund der vom Arbeitgeber zu zahlenden Abfindung einen Vermögenseinsatz in Höhe von € 1.751,02 für zumutbar halte. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schriftsatz vom 16.02.2004. Mit Beschluss vom 02.03.2004 setzte das Arbeitsgericht den aus dem Vermögen aufzubringenden Betrag auf € 640,00 fest. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, die Abfindung von € 8.000,00 liege deutlich über der Schongrenze, die im vorliegenden Fall € 2.813,00 betrage. Grundsätzlich seien 10 % des Nennwerts der Abfindung als Vermögenseinsatz zu leisten. Im Hinblick auf den aktuellen Arbeitslosenhilfebezug werde der Vermögenseinsatz jedoch auf 8 % reduziert.

Gegen den ihm am 08.03.2004 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 08.04.2004 sofortige Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, bei der Abfindungszahlung handele es sich um wirtschaftlich zweckgebundenes Vermögen, welche er nicht auf die Prozesskostenhilfe zu verwenden brauche. Darüber hinaus sei der Abfindungsbetrag nicht in einer Summe, sondern in drei Raten ausbezahlt worden. Zwischenzeitlich liege ihm der Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe vor. Der Zahlbetrag liege nur noch bei € 164,36 wöchentlich. Er benötige die Abfindung für seine Lebensführung.

Mit Beschluss vom 11.05.2003 half das Arbeitsgericht Reutlingen der sofortigen Beschwerde nicht ab, sondern legte sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Im Beschwerdeverfahren hat sich der Vertreter der Staatskasse mit Schriftsatz vom 28.06.2004 dahingehend geäußert, dass der Einsatz der Sozialabfindung im vorliegenden Fall eine besondere Härte für die Partei darstellen könne. Die Freibeträge und Wohnkosten überstiegen die Einnahmen des Klägers um monatlich ca. € 500,00. Darüber hinaus seien die Arbeitsplatzaussichten des Klägers zu berücksichtigen.

II.

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Abänderung der Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen nach § 120 Abs. 4 ZPO liegen nicht vor.

1. Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Im vorliegenden Fall liegt eine nachträgliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Denn mit ihren Beschlüssen vom 04.11.2002 bzw. 05.06.2003 hatten das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und mangels eines einsetzbaren Vermögens auch keinen aus dem Vermögen zu zahlenden Betrag festgesetzt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers änderten sich erst aufgrund des Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht vom 06.11.2003, wonach sich der Arbeitgeber verpflichtete, an den Kläger eine Sozialabfindung in Höhe von € 8.000,00 zu bezahlen, zahlbar in Höhe von € 4.000,00 zum 01.12.2003 und in Höhe von je € 2.000,00 zum 01.03. bzw. zum 01.04.2004.

2. Im Grundsatz hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden, dass die dem Kläger zugeflossene Abfindung einen Vermögenswert darstellt, der im Rahmen der Prozesskostenhilfe gemäß § 115 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist. Nach der genannten Vorschrift hat die Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. § 88 des Bundessozialhilfegesetzes gilt entsprechend. Nach der mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung stellt eine Sozialabfindung im Sinne des §§ 9, 10 KSchG einen nach § 115 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigenden Vermögenswert dar (vgl. nur aus der neueren Zeit: LAG Hamm, 10.04.2003 - 4 Ta 750/02 - zitiert nach Juris; LAG Niedersachsen, 28.03.2003 - 17 Ta 87/03 - LAGE Nr. 1 zu § 115 ZPO 2002; OLG Sachsen-Anhalt, 30.10.2002 - 4 W 60/02 - zitiert nach Juris; LAG Nürnberg, 27.01.2000 - 3 Sa 140/99 - JurBüro 2000, 314; Künzl/Koller, Prozesskostenhilfe, 2. Auflage, Rz 206; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Auflage Rz 316; Musielak-Fischer, ZPO, 3. Auflage, § 115 Rz 52; eher für die Einordnung als Einkommen Zöller-Philippi, ZPO. 24. Auflage, § 115 Rz 5; Münchener Kommentar-Wax, 2. Auflage, § 115 Rz 86).

Die Gegenauffassung, wonach die Sozialabfindung nach §§ 9, 10 KSchG als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes zweckgebunden und daher nicht als Vermögen einzusetzen ist (LAG Bremen, 20.07.1988 - 1 Ta 38/88 - LAGE Nr. 29 zu § 115 ZPO; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 61. Auflage, § 115 Rz 51), teilt die Kammer nicht. Es trifft zwar zu, dass die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG ebenso wie eine Sozialplanabfindung dazu dient, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile auszugleichen oder zumindest abzumildern. Die Sozialabfindung hat somit eine Entschädigungs- und Überbrückungsfunktion (KR-Spilger, 6. Aufl., § 10 KSchG Rz. 11; BAG, 21.10.2003 - 1 AZR 407/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 163). Andererseits ist der Arbeitnehmer aber in der Verwendung der Sozialabfindung frei; eine Zweckbindung besteht nicht. Es gibt auch keinen Sachgrund dafür, dass die Staatskasse die Kosten der Prozessführung tragen soll, wenn dem Arbeitnehmer das Kapital zur Prozessführung zur Verfügung steht oder nachträglich zur Verfügung gestellt wird. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe soll die Situation von bemittelten und unbemittelten Parteien bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angleichen (vgl. nur BVerfG, 07.04.2000 - 1 BvR 81/00 - AP ZPO § 114 Nr. 12). Die unbemittelte Partei soll aber nicht besser gestellt werden. Ob im konkreten Fall die Sozialabfindung als Vermögen eingesetzt werden muss, ist eine Frage der Zumutbarkeit nach § 115 Abs. 2 ZPO.

3. Im vorliegenden Fall bedarf es keiner grundsätzlichen Entscheidung, nach welchen Maßstäben der Einsatz einer Sozialabfindung auf die Prozesskosten zumutbar ist, insbesondere ob eine Bindung der Gerichte an die Zumutbarkeitsregelungen des Sozialhilferechts besteht oder nicht (vgl. die Nachweise bei LAG Hamm, 10.04.2003, a.a.O.). Das Arbeitsgericht hat sich insoweit der ständigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Hamm angeschlossen, wonach die bedürftige Partei grundsätzlich 10 % des Nennwerts einer Sozialabfindung einzusetzen hat, wenn das gesetzliche Schonvermögen nach § 88 Abs. 2 Ziff. 8 BSHG in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11.02.1988 überschritten wird (vgl. nur LAG Hamm, 10.04.2003, a.a.O.; gegen eine derartige, pauschalierende Betrachtung LAG Niedersachsen, 28.03.2003, a.a.O.; LAG Rheinland-Pfalz, 06.03.1995 - 4 Ta 14/95 -LAGE Nr. 51 zu § 115 ZPO). Den Umstand, dass der Kläger nunmehr Arbeitslosenhilfe bezieht, hat das Arbeitsgericht als besondere Notlage im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG gewertet und deswegen die Anrechnung auf 8 % der Abfindungssumme beschränkt.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer hat das Arbeitsgericht jedoch mit dieser nach wie vor pauschalierenden Betrachtungsweise die besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Es trifft zwar zu, dass das Vermögen des Klägers das Schonvermögen überschreitet, das der bedürftigen Partei nach der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG verbleiben muss. Nach § 1 Abs. 1 Ziff. 1 a) dieser Verordnung unterfällt ein Betrag von € 2.300,01 zuzüglich eines Betrages von € 256,00 für jede unterhaltsberechtigte Person dem sogenannten Schonvermögen, wenn die Sozialhilfe vom Vermögen des Hilfesuchenden abhängig ist. Im vorliegenden Fall wären hiernach € 2.813,00 anrechnungsfrei. Nach § 2 der Verordnung ist der maßgebende Betrag angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage des Hilfesuchenden besteht.

Es ist jedoch weiter zu berücksichtigen, dass die Sozialhilfe nach § 88 Abs. 3 BSHG nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den Bedürftigen eine Härte bedeuten würde. Dabei kann eine Härte nicht erst dann angenommen werden, wenn die bedürftige Partei die Sozialabfindung ganz oder zumindest überwiegend einsetzen müsste (so LAG Hamburg, 13.08.1997 - 1 Ta 3/97 - LAGE Nr. 52 zu § 115 ZPO). Vielmehr ist auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der bedürftigen Partei abzustellen. Hiernach muss der Kläger die - mittlerweile vollständig - gezahlte Sozialabfindung insgesamt nicht einsetzen. Denn im bis zum 30.09.2002 bestehenden Arbeitsverhältnis verfügte der Kläger über ein Nettoeinkommen von rd. € 1.600,00. Ab dem 01.10.2002 bezog der Kläger zunächst Arbeitslosengeld von rd. € 240,00 und nach dessen Auslaufen ab dem 24.01.2004 Arbeitslosenhilfe. Die Arbeitslosenhilfe beläuft sich auf € 164,36 wöchentlich, also auf € 711,68 monatlich. Das Familieneinkommen hat sich somit, selbst wenn man das mittlerweile gezahlte Wohngeld von € 87,00 berücksichtigt, auf weniger als 50 % des früheren Nettoeinkommens reduziert. Wie der Vertreter der Staatskasse zutreffend ausgeführt hat, übersteigen die anzurechnenden Freibeträge für Kläger, Ehefrau und Kind sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung das Einkommen des Klägers (unter Berücksichtigung des Kindergelds und des Wohngelds) um nahezu € 500,00. Es kommt hinzu, dass der mittlerweile 57-jährige Kläger als Maurer nur äußerst beschränkte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat. Angesichts des anhaltenden Arbeitsplatzabbaus in der Baubranche ist damit zu rechnen, dass der Kläger langfristig arbeitslos sein wird. Um auch nur zeitweise den bisherigen sozialen Standard der Familie sichern zu können, ist der Einsatz der Sozialabfindung für den Lebensunterhalt unabdingbar. Unter den gegebenen Umständen würde es für den Kläger eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG darstellen, wenn er auch nur einen Teil der Sozialabfindung auf die Prozesskosten einsetzen müsste.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO). Eine Gerichtsgebühr nach der Gebührenziffer 9302 des Gebührenverzeichnisses ist nicht zu erheben, weil die sofortige Beschwerde Erfolg hatte. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde waren nicht gegeben, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung zu § 88 Abs. 3 BSHG handelt.

Ende der Entscheidung

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