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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 4 TaBV 3/02
Rechtsgebiete: ArbGG, StPO, BGB, StGB, BetrVG, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 12 Abs. 5
ArbGG § 69 Abs. 3 Satz 2
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 83 Abs. 1
ArbGG § 87 Abs. 1
ArbGG § 87 Abs. 2
ArbGG § 89 Abs. 2
StPO § 170 Abs. 2
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
StGB § 147
StGB § 147 Abs. 2
BetrVG § 102
BetrVG § 103
BetrVG § 103 Abs. 1
BetrVG § 103 Abs. 2 Satz 1
KSchG § 15 Absatz 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 4 TaBV 3/02

verkündet am 15.01.2003

In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammer 4 - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter, den ehrenamtlichen Richter Grammel und den ehrenamtlichen Richter Killet auf die Anhörung der Beteiligten am 18.12.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Beschwerden der Beteiligten Ziffern 2 und 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.07.2002 - 24 BV 126/02 - abgeändert:

Der Antrag der Beteiligten Ziffer 1, die Zustimmung des Beteiligten Ziffer 2 zur fristlosen Kündigung des Beteiligten Ziffer 3 zu ersetzen, wird abgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A

Die Beteiligte Ziffer 1 (im folgenden: Arbeitgeberin) begehrt mit ihrem Antrag die Zustimmung des Beteiligten Ziffer 2 (im folgenden: Betriebsrat) zur beabsichtigten fristlosen Kündigung des Beteiligten Ziffer3 zu ersetzen. Grund für die beabsichtigte Kündigung ist die Überzeugung bzw. der Verdacht der Arbeitgeberin, der Beteiligte Ziff. 3 habe vorsätzlich Falschgeld in Verkehr gebracht.

Wegen des Sachverhaltes wird gemäß § 69 Absatz 3 Satz 2 in Verbindung mit § 87 Absatz 2 ArbGG auf I. der Gründe des arbeitsgerichtlichen Beschlusses verwiesen. Ergänzend ist folgendes festzuhalten:

Der Beteiligte Ziff. 3 ist ledig und keiner Person zum Unterhalt verpflichtet. Sein monatliches Bruttogehalt beträgt nach seinen Angaben im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zwischen DM 3500,00 und DM 4000,00 bzw. nach seiner Angabe im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht rund € 2 500,00.

In dem Geldsack, den der Beteiligte Ziff. 3 dem Fahrer des Geldtransportwagens Tim Coote am 26.02.2002 übergab, befand sich eine größere Menge "Silbermünzen". Der Beteiligte Ziff. 3 erhielt hierfür einen Gegenwert von € 530,00 von der Landeszentralbank.

Das Gespräch zwischen dem Beteiligten Ziff. 3 und dem Niederlassungsleiter, Herrn XXXXX, vom 18.03.2002 fand telefonisch statt. Im Laufe des wenig später stattfindenden Zustimmungsverfahrens beim Betriebsrat übergab Herr XXXXXXX dem Betriebsrat nicht nur das Anhörungsschreiben vom 21.03.2002, sondern am Folgetag ein weiteres Schreiben, das die Arbeitgeberin im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht zur Gerichtsakte reichte.

Gegen den Beteiligten Ziff. 3 wurde am 04.03.2002 ein Ermittlungsverfahren eingereicht. In dessen Rahmen wurden sowohl der Beteiligte Ziff. 3 selbst als auch der Fahrer XXXXXXX vernommen. Die Polizeidirektion XXXXXXXX hielt mit Ermittlungsbericht vom 16.05.2002 den Ermittlungsstand fest. Mit Verfügung vom 12.08.2002 stellte die Staatsanwaltschaft XXXXXX das Ermittlungsverfahren gegen den Beteiligten Ziff. 3 gemäß § 170 Absatz 2 StPO ein. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dem Beteiligten Ziff. 3 sei die vorgeworfene Tat nicht hinreichend sicher nachzuweisen.

Der Beteiligte Ziff. 3 erhielt von der Landeszentralbank den Gegenwert in Büro von zwei 5,00-DM-Münzen zurück. Die Begutachtung der restlichen vier 5,00-DM-Münzen ist nach Mitteilung der Beteiligten im Anhörungstermin noch nicht abgeschlossen.

Mit Beschluss vom 24.07.2002 ersetzte das Arbeitsgericht die Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen Kündigung des Beteiligten Ziff. 3. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 21.03.2002 zum Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört. Die Ausschlussfrist von zwei Wochen sei hierbei eingehalten worden, weil die Frist erst qm 18.03.2002 mit der Anhörung des Beteiligten Ziff. 3 durch Herrn XXXXX begonnen habe. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung sei als Verdachtskündigung auch wirksam, weil die Arbeitgeberin aufgrund der Aussortierung von sechs 5,00-DM-Münzen bei der Landeszentralbank den Verdacht haben durfte, der Beteiligten Ziff. 3 habe vorsätzlich Falschgeld in Verkehr gebracht. Durch den Verdacht sei das Arbeitsverhältnis unmittelbar berührt.

Gegen den ihnen am 12.08.2002 zugestellten Beschluss haben der Betriebsrat und der Beteiligte Ziff. 3 am 10.09. bzw. 09.09.2002 Beschwerde eingelegt und diese am 14.10.2002 (Montag) bzw. 09.10.2002 begründet. Der Betriebsrat trägt vor, die Arbeitgeberin habe ihn nicht zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung, sondern zu einer Tatkündigung angehört. Sie habe ihn über die "Tat" des Beteiligten Ziff. 3 unterrichtet, dass dieser Falschgeld-Münzen bei der Landeszentralbank habe abgeben lassen. Mangels Anhörung zu einer Verdachtskündigung könne sich die Arbeitgeberin nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung stützen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei auch insoweit fehlerhaft, als das Arbeitsgericht den Beginn der Zwei-Wochen-Frist auf den 18.03.2002 datiert habe. Die Arbeitgeberin sei bereits am 14.03.2002 von der Kriminalpolizei in vollem Umfang über den Sachverhalt informiert worden. Am 18.03.2002 seien durch Herrn XXXXXXX keine neuen Erkenntnisse geworden worden. Schließlich bestehe auch kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Denn bei der Aussortierung von Münzen handle es sich keineswegs um einen Vorgang, der äußerst selten vorkomme. Eine Aussortierung finde auch dann statt, wenn eine Münze beschädigt sei. Die Arbeitgeberin selbst überlasse dem XXXXXXX XXXXXX XX aussortierte Münzen zur weiteren Verwendung.

Der Beteiligte Ziff. 3 trägt vor, die Antragsschrift sei am 02.04.2002 außerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB eingegangen. Der stellvertretende Niederlassungsleiter, Herr XXXX, habe bereits am 14.03.2002 über alle erforderlichen Informationen verfügt. Es bestehe auch kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Das Arbeitsgericht habe den Anfall von sechs Münzen aussortierten Geldes in seiner Bedeutung falsch eingeschätzt. Das Auffinden von sechs nicht regelgerechten Münzen sei kein besonders schwerwiegender Umstand, der das Vertrauen des Arbeitgebers in die Person des Arbeitnehmers zerstöre. Darüber hinaus habe der Transport des privaten Geldsackes mit seiner geschuldeten arbeitsvertraglichen Tätigkeit nichts zu tun. Der Schwerpunkt des Vorwurfes liege eindeutig im privaten Bereich. Schließlich reduziere sich der Rechtsstreit angesichts der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft XXXXX auf die Rechtsfrage, ob es im Zustimmungsersetzungsverfahren auf den Zeitpunkt des Antrages auf Zustimmung oder auf den Verfahrensstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Nach seiner Auffassung müsse der jetzige Verfahrensstand berücksichtigt werden.

Der Betriebsrat und der Beteiligte Ziff. 3 beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.07.2002 - 24 BV126/02 - den Antrag der Beteiligten zu 1, die Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes, Herrn XXX XXXXX, Beteiligter zu 3, zu ersetzen, zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerden der Beteiligten Ziffern 2 und 3 zurückzuweisen.

Sie trägt vor, nach ihren Informationen habe es sich bei fünf der sechs eingezahlten Münzen um Falschgeld gehandelt. Letztlich sei aber der jetzige Verfahrensstand im Ermittlungsverfahren nur von untergeordneter Bedeutung. Zum Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrates habe sie davon ausgehen dürfen, dass der Beteiligte Ziff. 3 aus privaten Beständen Falschgeld in Umlauf gebracht habe. Falschgeld werde bei der Landeszentrabank allenfalls zwei- bis dreimal pro Jahr aussortiert. Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen habe sie von einem Tatverdacht ausgehen dürfen. Der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung sei auch fristgerecht gestellt worden. Nachweislich habe sich Herr XXXXXXX am 14.03.2002 nicht in der Niederlassung befunden. Er sei auch nicht telefonisch von Herrn XXXX über den Vorgang informiert worden. Im übrigen sei Herr XXXX nicht stellvertretender Niederlassungsleiter. Der gesamte Tatvorwurf habe erst durch das persönliche Gespräch vom 18.03.2002 mit dem Polizeibeamten verifiziert werden können. Der Beteiligte Ziff. 3 selbst habe Herrn XXXXXXX zu verstehen gegeben, dass er der Arbeitgeberin gegenüber keine Angaben machen wolle.

Eines Nachweises, dass es sich bei dem seinerzeit aussortierten Geldmünzen tatsächlich um Falschgeld gehandelt habe, bedürfe es nicht. Die Polizei habe Herrn XXXXXX mitgeteilt, dass es sich bei den aussortierten Münzen um Falschgeld handele. Es gehe um ein massives Vorkommen von Falschgeld. Soweit der Beteiligte Ziff. 3 darauf abstelle, dass es sich lediglich um eine private Verfehlung handeln könne, so sei dies unzutreffend. Der Beteiligte Ziff. 3 besitze eine besondere Vertrauensstellung in bezug auf die hier vorliegende Verfehlung, weil er in der Hartgeldbearbeitung tätig sei. Schließlich habe der Betriebsrat der Anhörung nicht entnehmen können, dass eine Tatbegehung im Sinne des § 147 StGB festgestanden habe. Dem Betriebsrat sei lediglich mitgeteilt worden, dass es sich bei den eingezahlten Münzen um Falschgeld handele. Dies sei zu diesem Zeitpunkt der Wissensstand von Herrn XXXXXX gewesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 Absatz 2 Satz 2 auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die Anhörungstermine verwiesen.

B

I.

Die Beschwerden des Betriebsrates und des Beteiligten Ziff. 3 sind gemäß § 87 Absatz 1 ArbGG statthaft. Sie sind auch gemäß § 87 Absatz 2 in Verbindung mit § 66 Absatz 1 ArbGG, § 89 Absatz 2 ArbGG in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch der ursprüngliche Hauptantrag, nachdem die Arbeitgeberin den Hilfsantrag, den Beteiligten Ziff. 3 aus dem Betriebsrat auszuschließen, im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht zurückgenommen hat.

II.

Die Beschwerden des Betriebsrates und des Beteiligten Ziff. 3 sind auch begründet. Das Arbeitsgericht hat die vorgenommene Zustimmungsersetzung damit begründet, die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört. Im vorliegenden Fall lägen auch schwerwiegende Verdachtsmomente vor, aufgrund derer das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört sei. Dieser Auffassung kann sich die Kammer nicht anschließen.

1. Nach § 103 Absatz 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates der Zustimmung des Betriebsrates. Nach § 103 Absatz 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Satz 1 KSchG hat die Arbeitgeberin dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB voraus. Es müssen also Tatsachen vorliegen, aufgrund derer die Arbeitgeberin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet kann (vergleiche nur BAG 08.06.2000 - 2 ABR 1/00 - AP BeschSchG § 2 Nr. 3 mit weiteren Nachweisen). Da in § 15 Absatz 1 Satz 1 KSchG ohne eigenständige Definition die in § 626 Absatz 1 BGB verwandten Formulierungen übernommen worden sind, gelten die zu § 626 Absatz 1 BGB entwickelten Grundsätze auch für die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung im Rahmen des § 15 Absatz 1 Satz 1 KSchG (vergleiche nur BAG 18.12.1993 - 2 AZR 526/92 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 35 mit weiteren Nachweisen).

Die Arbeitgeberin kann die beabsichtigte fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten Ziff. 3 ausschließlich auf den Vorwurf einer erwiesenen Vertragsverletzung (Tatkündigung) stützen. Die gegenteilige Auffassung des Arbeitsgerichts, der Betriebsrat sei zum Ausspruch einer Verdachtskündigung angehört worden, kann die Kammer nicht teilen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG 06.12.2001 - 2 AZR 496/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36) kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren oder sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Der Verdacht einer strafbaren Handlung oder eines vertragswidrigen Verhaltens stellt gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Er ist in der dem Betriebsrat mitgeteilten Behauptung, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, nicht enthalten (BAG 03.04.1986 - 2 AZR 324/85 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18). Dies hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG zur Folge, dass der Arbeitgeber den Kündigungsgrund der Verdachtskündigung nicht nachschieben kann, falls er den Betriebsrat hierzu nicht angehört hat (BAG a. a. O.; KR-Etzel, 6. Auflage, § 102 Randziffer 64b; APS-Koch, § 102 Randziffer 127). Da sich der Umfang der Mitteilungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat im Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG nach denselben Grundsätzen richtet wie im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG (BAG 18.08.1977 -2 ABR 19/77 - AP BetrVG 1977 § 103 Nr. 10), kann der Arbeitgeber im Zustimmungsersetzungsverfahren ebenfalls nur diejenigen Kündigungsgründe vorbringen, die er dem Betriebsrat mitgeteilt hat. Will der Arbeitgeber Kündigungsgründe nachschieben, so können diese nur dann berücksichtigt werden, wenn der Arbeitgeber deswegen zuvor den Betriebsrat vergeblich um die Zustimmung zur Kündigung ersucht hat (BAG 27.01.1977 - 2 ABR 77/76 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7; KR-Etzel, a. a. O., Randziffer 118; Kittner u. a., KSchR, 5. Auflage § 103 Randziffer 41).

b) Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat im Rahmen des Zustimmungsverfahrens nicht zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört. Dies ergibt die Auslegung der vorgelegten Unterlagen unter Berücksichtigung der Begleitumstände.

aa) Die Arbeitgeberin hat das Zustimmungsverfahren nach § 103 Absatz 1 BetrVG mit dem Anhörungsformblatt vom 21.03.2002 eingeleitet, dem eine Notiz vom selben Tag als Anlage beigefügt war. In der Anlage wird zwischen einer Tat- und einer Verdachtskündigung nicht unterschieden. Dies ist aber auch nicht erforderlich, weil es auf die Verwendung der juristischen Fachbegriffe nicht ankommt. Nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist entscheidend, wie der Betriebsrat die Erklärung bei objektiver Würdigung der Sachlage verstehen durfte.

Betrachtet man somit zunächst den Wortlaut der Erklärung, so gibt es für den Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung keine Anhaltspunkte. So heißt es im Satz 1 der Anlage im Sinne einer Feststellung, dass Herr XXXX gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen "hat". In den Sätzen 2 bis 4 wird sodann kurz der Sachverhalt geschildert. Hierbei wird im Satz4 ausgeführt, bei den abgegebenen Münzen handele es sich um Falschgeld. Zum entscheidenden Punkt, nämlich ob aufgrund eines vorsätzlichen Verhaltens des Beteiligten Ziff. 3 eine strafbare Handlung im Sinne des § 147 StGB vorliegt, schweigt sich die Notiz aus. Es heißt im Satz 5 lediglich, die Staatsanwaltschaft ermittle jetzt gegen Herrn XXXX.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts lässt sich aus diesen wenigen Sätzen nicht schließen, die Arbeitgeberin beabsichtige eine Verdachtskündigung. Die Anforderungen, die an den Umfang der Mitteilungspflicht zu stellen sind, ergeben sich aus dem Zweck des Beteiligungsverfahrens. Der Betriebsrat hat im Fall einer Verdachtskündigung anderen Gesichtspunkten nachzugehen als bei einer Tatkündigung. So wird er sich bei einer Verdachtskündigung regelmäßig die Frage stellen, ob der Arbeitnehmer zum Kündigungsvorwurf angehört worden ist und ob der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen hat. Regelmäßig führt daher der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung auch an, dass er den Arbeitnehmer angehört habe, dessen Erklärungen nicht ausreichend seien, ein schwerwiegender Tatverdacht trotz aller Aufklärungsbemühungen verbleibe und gerade deswegen das Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört sei. Keiner dieser Punkte ist in der Notiz von Herrn XXXXXX angesprochen.

bb) Aus dem im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht vorgelegten ergänzenden Schreiben vom 22.03.2002 konnte der Betriebsrat ebenso wenig schließen, die Arbeitgeberin beabsichtige den Ausspruch einer Verdachtskündigung. Offenbar hatte der Betriebsrat die Vorlage von Beweismaterial erbeten. Hierauf antwortete Herr XXXXX, dass der Betriebsrat alle Unterlagen zur Verfügung habe und wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens keine weiteren Unterlagen eingesehen werden könnten. Auch in diesem Schreiben wird weder auf eine Anhörung des Arbeitnehmers noch auf Aufklärungsmaßnahmen Bezug genommen. Wie im Schreiben vom Vortag erfolgte lediglich ein Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren. Allein hieraus war für den Betriebsrat aber nicht erkennbar, dass die Arbeitgeberin bereits den schwerwiegenden Tatverdacht als Kündigungsgrund heranziehen wollte. Denn ein Ermittlungsverfahren wird auch dann eingeleitet, wenn die Begehung einer Straftat offenkundig ist.

cc) Dafür, dass die Arbeitgeberin bei der Einleitung des Zustimmungsverfahrens nicht deutlich zwischen einer Tat- und einer Verdachtskündigung unterschied, spricht im übrigen der verfahrenseinleitende Antrag vom 02.04.2002 selbst. So schildert die Arbeitgeberin auf der Seite 3 des Antrages einen Sachverhalt, der den Vorwurf einer erwiesenen Straftat beinhaltet. Die Arbeitgeberin schließt mit der Aussage: "Herr XXXX hat sich damit zumindest gemäß § 147 Absatz 2 StGB strafbar gemacht.". Die Arbeitgeberin ging somit davon aus, zumindest der Versuch eines Vergehens nach § 147 StGB sei erwiesen.

Unter diesen Umständen stellt die Angabe von Herrn Justiziar XXXXXX im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht, Betriebsrat und Arbeitgeberin seien sich über den Ausspruch einer Verdachtskündigung im Klaren gewesen, eine Wertung dar, die von den Tatsachen nicht getragen wird. Eine derartige rein wertende Äußerung erfordert es auch nicht, gemäß § 83 Absatz 1 ArbGG weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhaltes zu ergreifen. Denn dazu müsste es Anhaltspunkte geben, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch nicht vollständig ist (Germelmann u.a., ArbGG, 4. Auflage, § 83 Randziffer 87).

Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. Denn trotz der ausführlichen Kritik des Betriebsrates an der Auslegung des Anhörungsschreibens durch das Arbeitsgericht sah sich die Arbeitgeberin zu einer Ergänzung ihres Vorbringens nicht veranlasst. Auch auf den Hinweis des Vorsitzenden im Anhörungstermin trug die Arbeitgeberin ausschließlich Wertungen, aber keine Tatsachen vor. Unter diesen Umständen war auch in Anbetracht des im Beschlussverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (vergleiche zuletzt BAG 11.03.1998 - 7 ABR 59/96 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 57) eine Vertagung des Anhörungstermines nicht erforderlich.

c) Die Arbeitgeberin hat auch im Laufe des Zustimmungsersetzungsverfahrens den Kündigungsgrund einer Verdachtskündigung nicht in zulässiger Weise nachgeschoben. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist während des Zustimmungsersetzungsverfahrens grundsätzlich zulässig. Wie oben unter a) ausgeführt ist, allerdings Voraussetzung, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat zu dem neuen Kündigungsgrund vergeblich um die Zustimmung zur Kündigung ersucht hat. Es genügt nicht, dass der Betriebsratsvorsitzende im Laufe des Beschlussverfahrens von dem neuen Kündigungsgrund Kenntnis erhält und auch diesem Kündigungsgrund entgegentritt (BAG 27.05.1975 -2 ABR 125/74 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 4).

3. Kann sich die Arbeitgeberin die beabsichtigte Kündigung somit nur auf den Vorwurf der erwiesenen Tat stützen, so hat sie nicht bewiesen, dass der Beteiligte Ziff. 3 vorsätzlich Falschgeld in Verkehr gebracht hat (dazu a). Selbst wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat zum Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört hätte, lägen aber auch die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung nicht vor (dazu b).

a) Die Arbeitgeberin hat nicht den Beweis erbringen können, der Beteiligte Ziff. 3 habe vorsätzlich Falschgeld in Verkehr gebracht. Entgegen der im Schriftsatz vom 16.12.2002 vom Beteiligten Ziff. 3 vertretenen Rechtsauffassung kommt der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft XXXXXXX aber insoweit keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn die Einstellung des Ermittlungsverfahrens begründet im arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Vermutung für die Unschuld des Arbeitnehmers. Die Beurteilung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren ist für die Gerichte für Arbeitssachen nicht bindend (BAG 20.08.1997 und 05.04.2001 - 2 AZR 217/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27 und 34).

Selbst wenn man aber zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, jedenfalls bei vier der sechs Münzen habe es sich um Falschgeld gehandelt, so gibt es keinen Beweis dafür, dass der Beteiligte Ziff. 3 diese vorsätzlich, also in Kenntnis der Fälschung, in Verkehr gebracht hat. Es ist zwar auffällig, wenn sich gleich mehrere falsche Münzen in den Händen einer Person befinden; allein dies ist aber kein Beweis. Die Auffassung von Herrn Justiziar XXXXXX im Anhörungstermin, es sei zumindest an Eventualvorsatz zu denken, erscheint nicht haltbar, nachdem die Unechtheit von Geldmünzen regelmäßig nur anhand ihres Gewichtes festgestellt werden kann. Keine Privatperson würde auf die Idee kommen, Geldmünzen zu wiegen.

b) Selbst wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat zum Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört hätte, lägen deren Voraussetzungen nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Arbeitgeberin ihrer Pflicht zur Anhörung des Arbeitnehmers genügt und alle zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen hat. Denn eine Verdachtskündigung würde schon daran scheitern, dass zwar ein Verdacht gegen den Beteiligten Ziff. 3 besteht, dieser aber nicht so schwerwiegend ist, dass er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die Arbeitgeberin hegt den Verdacht, der Beteiligte Ziff. 3 habe die Münzen in Kenntnis ihrer Falschheit bei der Landeszentralbank in Euromünzen umtauschen wollen. Zu Recht hat der Beteiligte Ziff. 3 demgegenüber darauf hingewiesen, dass die Einzahlung bei einer Landeszentralbank eine außerordentlich unkluge Methode ist, um Falschgeld in Umlauf zu bringen. In seiner Eigenschaft als Hartgelddisponent war der Beteiligte Ziff. 3 mit den Verfahrensabläufen vertraut. Er wusste also, dass die eingelieferten Geldmünzen von der Landeszentralbank geprüft wurden. Hätte der Beteiligte Ziff. 3 tatsächlich Falschgeld in Verkehr bringen wollen, so hätte es weitaus näher gelegen, das Falschgeld auf andere Weise in Verkehr zu bringen. Da gerade in den ersten beiden Monaten des Jahres 2002 auch in größerem Umfang Hartgeldbestände in Euromünzen umgetauscht wurden, wäre ein Umtausch selbst eines größeren Betrages nicht weiter aufgefallen. Man müsste daher schon von einer gewissen Naivität ausgehen, wenn er angenommen hätte, angesichts der großen Zahl der eingelieferten Geldmünzen würde das Falschgeld bei der Landeszentralbank nicht weiter auffallen.

Noch ferner liegend erscheint die Vermutung, der Beteiligte Ziff. 3 habe sich Geldmünzen, die von der Münzsortiermaschine der Arbeitgeberin aussortiert worden waren, angeeignet und dann bei der Landeszentralbank eingezahlt. Diese Vermutung wird im Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei vom 16.05.2002 geäußert. Eine derartige Vorgehensweise wäre noch naiver. In der Münzsortiermaschine werden nach den Bekundungen des Betriebsratsvorsitzenden im Anhörungstermin Münzen aus ganz unterschiedlichen Gründen aussortiert. Zum einen handelt es sich um Fremdwährungen; zum anderen um Münzen, die aus irgendwelchen Gründen Beschädigungen aufweisen. Werden sie nach mehrmaligem Befüllen immer wieder aussortiert, so werden sie dem XXXXXX XXXX XXX zur weiteren Verwendung überlassen. Hätte der Beteiligte Ziff. 3 ausgerechnet diese Münzen an sich genommen, um sie später bei der Landeszentralbank einzuzahlen, so hätte er ein hohes Risiko in Kauf genommen. Auch insoweit hätte es viel näher gelegen, die Münzen bei den üblichen Geschäften des täglichen Lebens in Umlauf zu bringen.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beteiligte Ziff. 3 am 25.01.2002 eine Abmahnung erhalten hat. Zwar hat der Beteiligte Ziff. 3 nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Arbeitgeberin gegen Dienstanweisungen verstoßen, indem er einen unverschlossenen Safebag mit Papiergeld in seinem Schreibtisch aufbewahrte. Wie die Arbeitgeberin aber selbst einräumt, konnte dem Beteiligten Ziff. 3 ein Vermögensdelikt nicht zur Last gelegt werden. Auch wenn der in der Abmahnung gerügte Vorfall ein nachlässiges Verhalten des Beteiligten Ziff. 3 belegt, so handelt es sich hierbei um einen weitaus weniger schwerwiegenden Vorwurf als bei dem Vorwurf des Inverkehrbringens von Falschgeld.

Fehlt es somit schon an einem schwerwiegenden Tatverdacht, so musste nicht mehr geprüft werden, ob die Arbeitgeberin den Beteiligten Ziff. 3 ordnungsgemäß angehört (was dieser bestritten hat) und alle zumutbaren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ergriffen hat. Ebenso wenig kam es darauf an, ob die Frist des § 626 Absatz 2 BGB gewahrt ist.

III.

Kosten werden gemäß § 12 Absatz 5 ArbGG in diesem Verfahren nicht erhoben. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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