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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 24.08.2000
Aktenzeichen: 6 Sa 19/00
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BGB §§ 293 ff.
BGB § 297
BGB § 611
BGB § 615
BetrVG § 99 Abs. 3
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 Sa 19/00

Verkündet am 24. August 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 6. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stolz, den ehrenamtlichen Richter Beiermeister und den ehrenamtlichen Richter Kirchgäßner auf die mündliche Verhandlung vom 24.08.2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.01.2000 - 11 Ca 7875/99 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand:

Nachdem das Urteil des Landesarbeitsgericht der Revision nicht unterliegt, wird von der Darstellung des Sachverhalts abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.01.2000 ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 1 u. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 518, 519 ZPO). Sie konnte aber keinen Erfolg haben.

Wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, sind Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn gemäß den §§ 611, 615, 293 ff. BGB für die Zeit vom 01.06.1997 bis 31.12.1999 nicht gegeben. Zwar besteht das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weiterhin, da die außerordentliche Kündigung der Beklagten und der Auflösungsantrag des Klägers keinen Erfolg hatten (11 Sa 7191/97 und 21 Sa 6/98). Annahmeverzug gemäß § 615 BGB kann aber nur eintreten, wenn der Arbeitnehmer gemäß den §§ 293 ff. BGB dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft in eigener Person zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise anbietet. Nach § 297 BGB ist der Annahmeverzug des Arbeitgebers ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungswillig und leistungsfähig ist. Das Leistungsvermögen muss sich auf die geschuldete Arbeit beziehen. Wie die Parteien im Termin vom 21.10.1999 vor dem Arbeitsgericht übereinstimmend erklärt haben, ist der Kläger aus gesundheitlichen Gründen außer Stande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, die im Entgraten von Stahl bestanden hat, zu erbringen.

Wie schon das Arbeitsgericht festgestellt hat, hat sich die geschuldete Arbeitsleistung des Klägers nach 14-jähriger Tätigkeit auf das Entgraten von Stahl konkretisiert. Zwar ist der Kläger gemäß mündlichem Arbeitsvertrag zuerst als Betriebselektriker bei der Beklagten eingestellt worden, er hat dann aber seit 14 Jahren die andere Tätigkeit ausgeübt, die Stelle des Betriebselektrikers ist weggefallen. Auch unabhängig von der Erklärung der Parteien in der Verhandlung vom 21.10.1999 ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten des Dr. A. vom 26.05.1997, dem arbeitsmedizinischen Gutachten der Dr. R. vom 26.02.1999 und dem Zusatzgutachten des Dr. L. vom 27.04.1999, dass der Kläger diese Tätigkeit aus medizinischer Sicht nicht mehr ausüben kann. Somit konnte der Kläger seine Arbeitsleistung weder wörtlich mit Schreiben vom 22.05.1997 noch tatsächlich im Betrieb, wie am 09.10.1998 und am 13.10.1998 geschehen, der Beklagten in der Weise anbieten, dass diese in Annahmeverzug geraten ist.

Ist der Arbeitnehmer zu der geschuldeten Arbeitsleistung nicht mehr fähig, so ergibt sich das Problem, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, ihm eine andere, dem Arbeitnehmer mögliche Arbeit zuzuweisen. Im Kündigungsrecht besteht das Ultima-Ratio-Prinzip, d.h. der Arbeitgeber hat zunächst eine Änderungskündigung auszusprechen, soweit ein Bedarf im Betrieb besteht. Daraus ergibt sich aber auch, dass sich der Vertragsinhalt nicht automatisch ändert. Dies stünde mit der vertraglichen Gestaltungsfreiheit nicht im Einklang. Annahmeverzug scheidet bei Angebotsunfähigkeit daher aus, aber der Arbeitgeber kann sich schadensersatzpflichtig machen. Auch bei einem Schwerbehinderten ist ein Anspruch auf Vertragsänderung denkbar, jedenfalls besteht aber nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf Lohnfortzahlung (s. dazu Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Rdnr. 16 ff. zu § 615 BGB).

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BAG vom 29.01.1997 NZA 1997, 709) ist ein Arbeitnehmer, der auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solch gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist. Ggf. hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrecht freizumachen und sich auch um die evtl. erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen. Zu einer weitergehenden Umorganisation oder zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens gem. § 99 Abs. 3 BetrVG ist der Arbeitgeber dagegen nicht verpflichtet. Dies bedeutet aber nicht, dass bei Verletzung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber automatisch in Annahmeverzug gerät, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung vor Änderung der Arbeitsbedingungen anbietet. So hat das BAG (BAG vom 10.07.1991 AP Nr. 1 zu § 14 SchwbG 1986) entschieden, dass dem Schwerbehinderten auch dann kein Lohnanspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 BGB) zusteht, wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtung, den Schwerbehinderten so zu fördern, dass er seine eingeschränkte Arbeitskraft durch entsprechende Tätigkeit noch einsetzen kann, verletzt hat. Eine Verletzung dieser Pflicht kann höchstens zu Schadensersatzansprüchen führen. Wollte man ihm dennoch nur wegen seiner Schwerbehinderung oder seiner Gleichstellung solche Ansprüche zuerkennen, wenn er seine eingeschränkte Arbeitskraft anbietet, läge hierin ein Verstoß gegen das Lohnfortzahlungsrecht, weil der Arbeitnehmer gar nicht in der Lage ist, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Müsste der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, unabhängig von seiner Einsatzmöglichkeit im Betrieb, Lohn zahlen, träfe ihn die abzulehnende Alimentationspflicht.

Die Frage, ob die Beklagte im Hinblick auf das längjährige Arbeitsverhältnis und die nunmehrige Schwerbehinderung und teilweise Leistungsunmöglichkeit des Klägers verpflichtet ist, dem Kläger einen leidensgerechten Einzelarbeitsplatz anzubieten, wie er in den ärztlichen Gutachten für den Kläger gefordert wird, ist von der Frage zu trennen, ob eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen, eine automatische Veränderung der Leistungsverpflichtung mit sich bringen könnte. Zum einen hat der Kläger vorliegend nicht dargetan, dass bereits zum Zeitpunkt seiner Arbeitsangebote freie bzw. freizumachende Arbeitsplätze bei der Beklagten vorhanden waren, die seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen entsprochen hätten; die Benennung solcher Arbeitsplätze zum jetzigen Zeitpunkt ist für die Entscheidung des Prozesses über die Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit von Juni 1997 bis Dezember 1999 unerheblich, der diesbezügliche Vortrag des Klägers könnte höchstens in einem Prozess über die Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im heutigen Zeitpunkt und in Zukunft Bedeutung erlangen. Einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Vergangenheit können sie nicht begründen.

Zum anderen wäre aber auch zu prüfen, ob eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen, wie bereits ausgeführt, eine automatische Veränderung der Leistungsverpflichtung mit sich bringen könnte. Der Inhalt des Arbeitsvertrags kann nur einvernehmlich oder durch Änderungskündigung geändert werden, zumal die Weiterbeschäftigung auch nur unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich sein kann. Im Übrigen wäre dann auch die Höhe der entgangenen Vergütung fraglich, da nicht feststeht, dass auch dieser neue Arbeitsplatz entsprechend dem alten Arbeitsplatz des Klägers beim Entgraten von Stahlrohren vergütet worden wäre.

Die Frage, ob die Beklagte in Zukunft bei Vorliegen der Voraussetzungen verpflichtet wäre, den Kläger auf einem geeigneten leidensgerechten Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, kann hier offen bleiben, sie wäre in einem entsprechenden Klageverfahren zu überprüfen, welches bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unter Umständen eine Möglichkeit darstellen würde, eine tatsächliche Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten zu schaffen. Der Beklagten wäre anzuraten, eine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger zu überprüfen, da auch bei einer evtl. Kündigung diese Frage in jedem Fall von Bedeutung wäre, denn die Kündigung ist immer nur das letzte Mittel (s. BAG vom 29.01.1997 a.a.O).

Aus diesen Gründen war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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