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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 46/07
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 11
MTV § 11 Ziff. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 26.04.2007 - 1 Ca 493/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision zum BAG wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Differenzlohnansprüche der Klägerin für die Zeit von Juli bis September 2006, die sich aus der von der Klägerin begehrten Eingruppierung in die Gehaltsgruppe III des Tarifvertrags über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für Arbeitnehmer/innen und Auszubildende des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22.03.2006, gültig ab 01.04.2005 ergeben.

Die am ... 1968 geborene Klägerin ist seit 07.04.2003 bei der Beklagten als Kassiererin mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 120,06 Stunden im Monat beschäftigt. Die Beklagte betreibt bundesweit Einrichtungshäuser, eines davon in U. mit einer Gesamtverkaufsfläche von 18.000 m², davon 12.000 m² Möbelsortiment, 6.000 m² Randsortimente wie Hausrat, Kunstgewerbe, Bilder, Kunstgegenstände, Haushalt, Heimtex, Tisch- und Bettwäsche, Beleuchtungskörper, Zubehör, Teppich und Fußböden, und in geringerem Umfang auch Lebensmittel. Die Beklagte erzielt 50 % ihres Umsatzes mit dem Randsortimenten außerhalb des Möbelhandels.

Im gesamten Markt gibt es mit Ausnahme des Restaurants keine Kassen in den einzelnen Fachabteilungen, sondern nur die zentralen Hauptkassen im Ausgangsbereich.

Nach dem Arbeitsvertrag vom 02.04.2003 finden die einschlägigen gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung, so auch die Tarifverträge des Einzelhandels in Baden-Württemberg.

Der Tarifvertrag über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22.03.2006, gültig ab 01.04.2005, enthält u.a. folgende Regelungen:

Gruppe II Tätigkeitsmerkmale:

Einfache kaufmännische Tätigkeiten, für die die Tätigkeitsmerkmale einer höheren Beschäftigungsgruppe nicht zutreffen. Beispiele:

Verkäufer und Verkäuferinnen, Kassierer/innen mit einfacher Tätigkeit, auch an SB-Kassen, Angestellte am Packtisch mit Kontrolltätigkeit.

Gruppe III Tätigkeitsmerkmale:

Tätigkeiten, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt werden. Beispiele:

Erste Verkäufer/innen (Lagererste), Sortimentskontrollen, Kassierer/innen mit gehobener Tätigkeit, z.B. an Etagen-, Bereichs-, Regional- und Sammelkassen sowie an Verbrauchermarkt- und sonstigen SB-Kassen, Kassenaufsichten. Der Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 13.01.1994 in der Fassung vom 28.07.2003 enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 11 Einreihung der Arbeitnehmer/innen in Beschäftigungsgruppen und Lohnstufen ... 2. Für die Einreihung des/der Angestellten in eine Beschäftigungsgruppe ist ausschließlich die Art seiner/ihrer Tätigkeit entscheidend. Maßgeblich sind die jeder Gruppe vorangestellten Tätigkeitsmerkmale. Die bei den Beschäftigungsgruppen aufgeführten Beispiele sind weder erschöpfend, noch für jeden Betrieb zutreffend. ... 3. Für die Einreihung in die Gruppen II bis V ist eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung mit zwei- oder dreijähriger Ausbildungszeit erforderlich. Dieser Ausbildung steht eine kaufmännische oder gleichwertige Berufstätigkeit von insgesamt drei Jahren nach Vollendung des 18. Lebensjahres gleich. ...

Die Klägerin erhält ihre Vergütung nach der Beschäftigungsgruppe II des Gehaltstarifvertrags. Sie hat ihre Forderungen auf Eingruppierung in die Beschäftigungsgruppe III mit Schreiben vom 23.10.2006 geltend gemacht. Die Beklagte hat die Ansprüche mit Schreiben vom 02.11.2006 abgelehnt.

Die Klägerin meint, sie habe Anspruch auf Vergütung nach Beschäftigungsgruppe III des Gehaltstarifvertrags. Sie übe ihre Tätigkeit an einer Verbrauchermarktkasse aus, bei der Beklagten handele es sich nicht nur um ein Möbelhaus, sondern um einen Verbrauchermarkt, da dort eine Vielzahl von Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs verkauft würden. Selbst wenn es sich nicht um einen Verbrauchermarkt handele, sei die Klägerin in Vergütungsgruppe III einzugruppieren, da es sich um einen sonstigen SB-Markt im Sinne der Gruppe III des Gehaltstarifvertrags handele. Der Tarifvertrag führe an dieser Stelle für größere Einheiten errichtete Kassen auf, wie z.B. Etagen-, Bereichs-, Regional- und Sammelkassen. Es seien damit Verkaufseinheiten gemeint, die eine gewisse Größe hätten und damit einhergehend wesentlich dichtere Arbeitsvorgänge von den Kassiererinnen abverlangten. Auch forderten die Tätigkeiten von der Klägerin selbständige Entscheidungen, die sie im Rahmen von allgemeinen Direktiven zu treffen habe. So gehöre z.B. zu ihrem Aufgabenbereich, neue Kolleginnen und Kollegen einzulernen. Auch habe die Klägerin bei Waren der sogenannten Fundgrube und bei den Mitnahme-Waren der Beklagten eigenständige Entscheidungen zu treffen.

Die Klägerin hat daher in der ersten Instanz beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 720,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB auf je EUR 180,00 brutto seit dem 01.08., 01.09., 01.10. und 01.11.2006 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 360,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klageerweiterung zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 540,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Zustellung der Klageerweiterung zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Vortrag der Klägerin enthalte schon keine Tatsachen, aufgrund derer auf eine Eingruppierung in die Beschäftigungsgruppe III des Gehaltstarifvertrags geschlossen werden könne. Für die Frage der Eingruppierung komme es auf die überwiegend verrichtete Tätigkeit an. Der Vortrag der Klägerin ließe nicht ansatzweise darauf schließen, dass sie Tätigkeiten, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisung auszuüben wären, verrichte. Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter dauere in der Regel zwischen ein und drei Stunden, die Artikel in der Fundgrube seien mit Preisaufklebern versehen, anhand derer der Kunde den Preis feststellen könne. Der Klägerin sei es ausdrücklich untersagt, eigenmächtig Preise in die Kasse einzugeben.

Die Tarifgruppen der Beschäftigungsgruppen III bis IV sähen grundsätzlich eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung vor, die Klägerin sei aber lediglich einfache Kassiererin. Die von der Klägerin zu bedienende Kasse sei eine vollautomatische EDV-gesteuerte Kasse, die auch mit einem Scanner ausgerüstet sei. Über den Kassiervorgang hinausgehende Tätigkeiten, wie z.B. Kassenabrechnung o.ä. habe die Klägerin nicht zu verrichten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, dass der Klägerin ein Gehalt nach Vergütungsgruppe III des Tarifvertrags über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildende des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22.03.2006 zustehe. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folge den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Betrieb der Beklagten um einen Verbrauchermarkt im Sinne dieses Tarifvertrags handele. Der tarifliche Begriff des Verbrauchermarktes sei der Auslegung zugänglich und damit justiziabel. Nach der Rechtsprechung des BAG (für alle BAG vom 17.04.2003 - 8 AZR 482/01 -) sei ein Verbrauchermarkt ein Ladengeschäft des Einzelhandels, das eine Verkaufsfläche von mindestens 1.000 m² aufweise, sowohl Nahrungs- und Genussmittel als auch andere Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs anbiete, vorwiegend als Selbstbedienungsladen geführt werde und verkehrsgünstig mit guter Parkmöglichkeit gelegen sei.

Die Klägerin sei in einem Markt tätig, der mit 18.000 m² Gesamtverkaufsfläche die Mindestgröße um das 18-fache übersteige. Neben Möbeln würden in den einzelnen Fachabteilungen Hausrat, Kunstgewerbe, Heimtex, Bettwaren, Beleuchtungskörper nebst Zubehör sowie Teppich, Pflanzen und Katzen- sowie Hundebedarfsartikel verkauft. Die Waren seien, soweit es sich um Dekorations- und Tierbedarfsartikel handele, eher dem kurz- bis mittelfristigen Bedarf zuzurechnen, soweit es sich um Möbel handele eher dem mittelfristigen bis längerfristigen Bedarf. Daneben würden auch in verhältnismäßig geringem Umfang Nahrungs- und Genussmittel verkauft. Das Ladengeschäft werde als Selbstbedienungsladen geführt und sei mit günstiger Verkehrsanbindung und umfangreichen Parkmöglichkeiten gelegen. Soweit das Sortiment der Beklagten von der Definition des Verbrauchermarkts insoweit abweiche, als die dort verkauften Waren tendenziell weniger dem kurz- und mittelfristigen Bedarf als eher mittel- und langfristigem Bedarf zuzuordnen seien und der Anteil der verkauften Nahrungs- und Genussmittel verhältnismäßig gering sei, sei diese Abweichung unerheblich.

Daneben seien auch die Tätigkeitsbeispiele der Etagen-, Bereichs- und Regionalkassen erfüllt, da sich das Verkaufsgebäude der Beklagten über zwei Stockwerke erstrecke und sich die für das gesamte Gebäude zuständigen Kassen am Ende des Markts in unmittelbarer Nähe zu dessen Ausgang befänden. Deshalb käme es auf die Frage, ob die Klägerin Tätigkeiten ausübe, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisung ausgeübt würden, oder ob es sich bei ihren Aufgaben um gehobene Kassiertätigkeiten handele, nicht an, da die Klägerin die den allgemeinen gefassten Tätigkeitsmerkmalen beigefügten konkreten Beispiele erfülle.

Gegen das ihr am 21.05.2007 zugegangene Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 26.04.2007 hat die Beklagte Berufung eingelegt, die am 21.06.2007 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Sie hat diese innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ausgeführt.

Die Beklagte trägt in zweiter Instanz insbesondere vor, die Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten sei nicht in die Beschäftigungsgruppe III des Tarifvertrags einzustufen. Sowohl bei der Einstufung des Möbelhauses der Beklagten als Verbrauchermarkt als auch der Kasse als Etagenkasse beruhe das Urteil des Arbeitsgerichts auf Rechtsfehlern. Ein Möbelhaus wie das der Beklagten erfülle die Definition des BAG zum Verbrauchermarkt nicht. Zum einen biete es nur in sehr geringem Umfang Nahrungs- und Genussmittel an, der Umsatz liege bei weniger als 1 % des Gesamtumsatzes, zum anderen finde er nur auf 5 - 10 % der Verkaufsfläche statt. Zudem würden bei der Beklagten fast ausschließlich Waren des mittel- und langfristigen Bedarfs verkauft. Hierunter fielen auch die Waren des Randsortiments. Die Differenzierung in kurz- bzw. mittelfristige und längerfristige Bedarfsartikel sei auch gerechtfertigt. Einen Verbrauchermarkt als Selbstbedienungsladen zeichne u.a. aus, dass hier Waren des täglichen Bedarfs angeboten würden. Hier kenne der Kunde die Ware, die er erwerben möchte. Tauchten Fragen auf, so sei die Kassiererin zugleich Kundenberaterin. Diese Umstände seien der Grund für die unterschiedliche Eingruppierung von Kassiererinnen mit einfacher und gehobener Tätigkeit. Daher sei es ungerechtfertigt, bei der Beklagten auf die Vielfalt des Sortiments abzustellen. Die Kassiererin habe lediglich die verschiedenen Waren zu scannen und den so ermittelten Betrag entgegenzunehmen. Sie habe keinerlei einzelne Auskünfte zu geben und müsse keine Sonderangebote kennen, da diese zuvor in das Computersystem eingegeben worden seien. Die Kassiererinnen müssten insoweit keine Spezialkenntnisse aufweisen.

Das Arbeitsgericht nehme zu Unrecht an, dass es unerheblich sei, ob vorwiegend Waren des kurz- oder mittelfristigen oder längerfristigen Bedarfs angeboten würden. Es könne nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht auf die Vielfalt des Sortiments ankommen.

Auch die Einstufung der Kasse als Etagenkasse sei rechtsfehlerhaft. Eine solche habe gegenüber den sonstigen Kassen eine übergeordnete Funktion wahrzunehmen. Im Möbelhaus der Beklagten gebe es aber keine weiteren Kassen, so dass eine übergeordnete Funktion nicht gegeben sei.

Bei der Beklagten liege eine einfache Kassenstruktur vor. Reklamationen, Umtausch, Warenausgaben würden anders als an Etagenkassen in Warenhäusern an einem separaten Schalter durchgeführt. Das gleiche gelte auch für Bereichs- und Regionalkassen.

Bei den von der Klägerin zu verrichtenden Tätigkeiten handele es sich um klassische einfache Kassiertätigkeit, die innerhalb kurzer Zeit erlernt werden könne.

Die Beklagte hat daher in der zweiten Instanz den Antrag gestellt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 26.04.2007 - 1 Ca 493/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin entgegnet, das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Möbelhaus der Beklagten um einen Verbrauchermarkt handele. auch stellten die Kassen der Beklagten Etagenkassen im Tarifsinne dar. Aufgrund dieser Umstände erfülle die Klägerin zwei Regelbeispiele der Gehaltsgruppe III des maßgeblichen Tarifvertrags.

Bei der Beklagten handele es sich entgegen ihrer Meinung um einen Verbrauchermarkt, denn ein solcher sei ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit mindestens 800 m² Verkaufsfläche, der ein breites Sortiment an Ge- und Verbrauchsgütern des kurz- und mittelfristigen Bedarfs überwiegend in Selbstbedienung anbiete.

Die Tätigkeit der Klägerin entspreche den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen der Beschäftigungsgruppe III schon deswegen, weil sie eine tarifliche Beispielstätigkeit ausübe. Die Tätigkeit der Klägerin sei die einer Kassiererin in einem Verbrauchermarkt wie es das tarifliche Tätigkeitsbeispiel der Gehaltsgruppe III vorsehe. Die Klägerin habe das gesamte Warensortiment der Beklagten abzukassieren. Auf die Ausübung zusätzlicher Tätigkeiten wie Geldwechseln, das Führen einer Wechselkasse, Kassieren von Anzahlungen, Abwicklung von Auswahlen usw. komme es hier nicht an.

Da die Klägerin die entsprechende Tätigkeit ausübe, sei die Tarifgruppe III auch für sie anwendbar.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 26.04.2007 - 1 Ca 493/06 - ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517, 519, 520 ZPO). Sie konnte aber keinen Erfolg haben.

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht die Differenzbeträge für die Zeit von Juli bis September 2006 zugesprochen, die sich aus der von der Klägerin begehrten Eingruppierung in die Beschäftigungsgruppe III des Tarifvertrags über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildende des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22.03.2006, gültig ab 01.04.2005, ergeben.

Der betreffende Tarifvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

Beschäftigungsgruppe III Tätigkeitsmerkmale:

Einfache kaufmännische Tätigkeiten, für die die Tätigkeitsmerkmale einer höheren Beschäftigungsgruppe nicht zutreffen. Beispiele:

Verkäufer und Verkäuferinnen, Kassierer/innen mit einfacher Tätigkeit, auch an SB-Kassen, Angestellte am Packtisch mit Kontrolltätigkeit. ...

Gruppe III Tätigkeitsmerkmale:

Tätigkeiten, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt werden. Beispiele:

Erste Verkäufer/innen (Lagererste), Sortimentskontrollen, Kassierer/innen mit gehobener Tätigkeit, z.B. an Etagen-, Bereichs-, Regional- und Sammelkassen sowie an Verbrauchermarkt- und sonstigen SB-Kassen. Kassenaufsichten.

Der Klägerin steht Arbeitsentgelt nach der Beschäftigungsgruppe III dieses Tarifvertrags zu, denn sie erfüllt das Tätigkeitsbeispiel der Kassiererin an Verbrauchermarktkassen.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Daher ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben (BAG vom 21.03.2001 - 10 AZR 41/00). Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 16.05.1995 - 3 AZR 395/94).

Die Klägerin ist 1968 geboren und seit dem 07.04.2003 bei der Beklagten als Kassiererin mit 120,06 Stunden pro Monat beschäftigt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem Betrieb der Beklagten in U. um einen Verbrauchermarkt im Sinne des Tarifvertrags. Nach der Rechtsprechung des BAG (BAG vom 08.02.1984 - 4 AZR 158/83, BAG vom 15.11.2001 - 8 AZR 271/01, BAG vom 17.04.2003 - 8 AZR 482/01) ist der tarifliche Begriff des Verbrauchermarkts der Auslegung zugänglich und damit justiziabel. Es liegt nahe, der seinerzeit vom Bundesarbeitsgericht im Wege der Auslegung entwickelten Definition allgemeine rechtliche Bedeutung beizumessen. Die Verwendung bzw. Definition des Begriffs "Verbrauchermarkt" im Tarifvertrag und in der Fachliteratur hat seit den ersten hierzu ergangenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts keine wesentliche Änderung erfahren. Nach diesen Grundsätzen ist ein Verbrauchermarkt ein Ladengeschäft des Einzelhandels, das eine Verkaufsfläche von mindestens 1.000 m² aufweist, sowohl Nahrungs- und Genussmittel als auch andere Waren des kurz- und mittelfristige Bedarfs (sogenannter Non-food-Bereich) anbietet, vorwiegend als Selbstbedienungsladen geführt wird und verkehrsgünstig mit guter Parkmöglichkeit gelegen ist, z.B. in Stadtrandlage. Die Tarifvertragsparteien in Baden-Württemberg haben in den vorliegend anzuwendenden Gehaltstarifverträgen den Begriff des "Verbrauchermarktes", so wie er vom Bundesarbeitsgericht 1984 verstanden worden ist, weiterhin unverändert und ohne nähere Bestimmungen verwendet. Wenn sie dies in Ansehung einer seit nahezu 15 Jahren unveränderten Auslegung des tariflichen Begriffs durch das Bundesarbeitsgericht so gehandhabt haben, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Auslegung für zutreffend halten. (BAG vom 17.04.2003 - 8 AZR 482/01).

Die Beklagte betreibt in U. einen Betrieb des Einzelhandels mit einer Gesamtverkaufsfläche 18.000 m², sie liegt somit weit über den von der Rechtsprechung für einen Verbrauchermarkt geforderten 1.000 m². Sie vertreibt neben Möbeln in wesentlichem Umfang (50 % ihres Umsatzes) Artikel aus Randsortimenten wie Hausrat, Kunstgewerbe, Bilder, Kunstgegenstände, Haushalt, Heimtex, Tisch- und Bettwäsche, Beleuchtungskörper, Zubehör, Teppiche und Fußböden und in geringem Umfang auch Lebens- und Genussmittel. Im gesamten Markt gibt es mit Ausnahme des Restaurants keine Kassen in den einzelnen Fachabteilungen, sondern nur zentrale Hauptkassen im Ausgangsbereich. Der Markt wird als Selbstbedienungsladen geführt.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die bei der Beklagten verkauften Waren nur teilweise dem kurz- und mittelfristigen Bedarf zuzuordnen sind, dass ein Großteil für den mittel- bzw. längerfristigen Verbrauch bestimmt ist, und dass der Anteil der Nahrungs- und Genussmittel nicht wesentlich ins Gewicht fällt. Der Verbrauchermarkt zeichnet sich aber insbesondere durch die Größe und Vielfalt des Sortiments aus, auf die Anteile der jeweils auf die einzelnen Bereiche entfallenden Waren kann es bei der Eingruppierung nicht entscheidend ankommen, denn insbesondere die Vielfalt der abzukassierenden Artikel macht die Eigenart eines Verbrauchermarkts aus, welche Qualität den Waren zukommt, ist dabei nur von untergeordneter Bedeutung. Bezüglich des Randsortiments wird bei der Beklagten wie auch sonst bei Verbrauchermärkten üblich keine besondere Beratung für die Kunden bereitgestellt. Bei dem Möbelmarktsortiment der Beklagten gelten dagegen andere Modalitäten, auf die es vorliegend aber nicht ankommt, da der Begriff des Verbrauchermarkts vorliegend im Wesentlichen vom Randsortiment, das aber 50 % des Umsatzes ausmacht, bestimmt wird.

Insoweit erfüllt die Klägerin das Tätigkeitsbeispiel der Beschäftigungsgruppe III des einschlägigen Tarifvertrags (Kassiererin mit gehobener Tätigkeit, z.B. an Verbrauchermarkt-Kassen).

Auf das Vorliegen der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale der Beschäftigungsgruppe III wie "Tätigkeiten, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt werden" kommt es beim Vorliegen eines Tätigkeitsbeispiels nicht mehr an (s. BAG vom 17.04.2003 a.a.O.). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass bei Vergütungsgruppen, in denen allgemein gefassten Tätigkeitsmerkmalen konkrete Beispiele beigefügt sind, die Erfordernisse der Tätigkeitsmerkmale regelmäßig dann erfüllt sind, wenn der Arbeitnehmer eine den Beispielen entsprechende Tätigkeit ausübt (BAG vom 07.07.1999 - 10 AZR 725/98). Das hat seinen Grund darin, dass die Tarifvertragsparteien selbst im Rahmen ihrer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewisse häufig vorkommende und typische Aufgaben einer bestimmten Vergütungsgruppe fest zuordnen können. Es ist somit kein Rückgriff auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale oder eine Abgrenzung zwischen einfacher und gehobener Kassierertätigkeit erforderlich. Denn die Tätigkeit in einem Verbrauchermarkt sehen die Tarifvertragsparteien selbst typisierend als "gehobene Tätigkeit" an. Es handelt sich insoweit um ein Beispiel innerhalb eines Regelbeispiels. Insoweit kommt es auf die unterschiedliche Darstellung der Parteien bezüglich der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten nicht an.

Auch die durch Einführung der modernen Scanner-Kasse vereinfachte Kassierertätigkeit ist nicht von entscheidender Bedeutung, denn sie hat in den Tarifverträgen des Einzelhandels noch keinen Niederschlag gefunden, es ist deshalb auf die dort genannten Tätigkeitsbeispiele abzustellen ohne Nachprüfung, ob die Unterscheidung zwischen einfacher und gehobener Kassierertätigkeit nach den heutigen Verhältnissen noch sinnvoll erscheint.

Allerdings kann dem Arbeitsgericht nicht darin gefolgt werden, dass die zentrale Kasse im Ausgangsbereich der Beklagten auch dem von den Tarifvertragsparteien verwendeten Begriff der "Etagenkasse" zuzuordnen ist, denn wie die Beklagte zutreffend ausführt, versteht das BAG in seiner Entscheidung vom 09.12.1987 (4 AZR 461/87) unter einer Etagenkasse im Sinn der tariflichen Vorschriften eine Kasse, die wie die Bereichs- und Regionalkassen eine sonstigen Kassen übergeordnete Funktion wahrzunehmen hat. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Ausführungen des BAG in seiner Entscheidung vom 08.02.1984 (4 AZR 465/81), wonach als Kriterium für eine Etagenkasse lediglich anzusehen ist, dass der Betrieb mehrere Etagen besitzt und die betreffende Kasse für eine dieser Etagen insgesamt allein zuständig ist. Es ist aber der Auslegung in der späteren BAG-Entscheidung der Vorzug einzuräumen, denn es kann nicht entscheidend auf die räumliche Gestaltung des Verkaufsgeschäfts ankommen, ob z.B. alle Verkaufstätigkeiten auf einer Ebene oder in mehreren Etagen abgewickelt werden.

Der Einwand der Beklagten, dass die Klägerin keine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung besitze, steht der Einordnung der Klägerin in die Beschäftigungsgruppe III des betreffenden Tarifvertrags nicht entgegen, denn § 11 Ziff. 3 des Manteltarifvertrags für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 13.01.1994 in der Fassung vom 26.07.2003 stellt der kaufmännischen Ausbildung mit 2- oder 3-jähriger Ausbildungszeit eine kaufmännische oder gleichwertige Berufstätigkeit von insgesamt 3 Jahren nach Vollendung des 18. Lebensjahres gleich. Diese Voraussetzungen erfüllt aber die Klägerin, die 1968 geboren und seit dem 07.04.2003 bei der Beklagten als Kassiererin beschäftigt ist, wenn sie ab Juli 2006 eine Vergütung nach der Beschäftigungsgruppe III fordert.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm war demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 9 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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