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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 08.10.2001
Aktenzeichen: 6 Sa 60/01
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, InsO, BGB, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
VVG § 166 Abs. 2
InsO § 80 Abs. 1
BGB § 133
BGB § 157
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 Sa 60/01

verkündet am 08. Oktober 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 6. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stolz, den ehrenamtlichen Richter Beran und die ehrenamtliche Richterin Rodenfels auf die mündliche Verhandlung vom 08.10.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 10.05.2001 - 1 Ca 531/00 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von einer ausführlichen Darstellung des Prozessstoffes wird im Hinblick auf § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen, nachdem das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Revision nicht unterliegt. Stattdessen wird auf den Inhalt des angefochtenen arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem sie zur Freigabe des bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Waiblingen unter dem Aktenzeichen HL 9/2000 hinterlegten Betrags von DM 70.597,06 nebst Hinterlegungszinsen an den Kläger unter Abweisung ihrer Widerklage verurteilt worden ist, Berufung eingelegt.

Sie ist weiterhin der Meinung, dass der Rückkaufswert aus der von der Schuldnerin mit der Süddeutschen Lebensversicherung a.G. abgeschlossenen Direktversicherung unter der Versicherungsnummer L 216807-6 zur Insolvenzmasse gehöre und nicht dem Kläger als Bezugsberechtigten zustehe. Denn dem Kläger sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nur ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, wie sich aus dem Versicherungsschein und dem Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung ergebe. So spreche schon die grafische Gestaltung dieser beiden Dokumente dafür, dass sich die Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts nur auf den Ablauf der Versicherungsdauer beziehen könne, dies ergebe sich im Übrigen auch aus dem Wortlaut selbst, da die verschiedenen Varianten der Bezugsberechtigung nummeriert und von der Gestaltung her räumlich getrennt seien. Die Erklärung der Parteien sei somit nicht auslegungsbedürftig, sie sei vom Wortlaut her eindeutig. Der Umstand, dass ein Widerruf des Bezugsrechts nach Eintritt des Versicherungsfalles nicht mehr möglich sei, spreche nicht für die Auffassung des Arbeitsgerichts. Dieses unterstelle zu Unrecht, dass die Vertragsparteien nichts in den Vertragstext aufnehmen wollten, was nur deklaratorischer Natur sei.

Selbst wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das mit dem Vertrag Gewollte nicht mit dem Wortlaut übereinstimme und keine nur deklaratorische Erklärung habe abgegeben werden sollen, so bedeute dies, dass keine eindeutige Erklärung vorliege, so dass nach der gesetzlichen Regelung des § 166 Abs. 2 VVG nur ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt sei. Eine Auslegung der Erklärung im Sinne der Unwiderruflichkeit sei somit nicht möglich.

Die Beklagte hat daher in zweiter Instanz den Antrag gestellt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 10.05.2001 - 1 Ca 531/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen und den Kläger zu verurteilen, der Auszahlung des beim Amtsgericht Waiblingen unter dem Aktenzeichen HL 9/2000 hinterlegten Betrags von DM 70.597,06 nebst Hinterlegungszinsen an die Beklagte zuzustimmen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger entgegnet, die Beklagte nehme zu Unrecht an, dass die Unwiderruflichkeit der Bezugsberechtigung erst dann greife, wenn der Versicherungsvertrag abgelaufen sei. Er sei vielmehr ab Vertragsbeginn der unwiderruflich Begünstigte und habe damit abweichend von § 166 Abs. 2 VVG unmittelbar ein Recht auf die Versicherungsleistung erworben. Dieser sofortige Rechtserwerb umfasse auch den während der Dauer der Versicherung anfallenden Anspruch auf etwaige Rückvergütung. In diesem Sinne verstehe auch die Lebensversicherung selbst die abgeschlossene Vereinbarung. Der überlebende Ehegatte habe allerdings einen Leistungsanspruch nur bei Eintritt des Versicherungsfalles, also beim Tod des Klägers. Die Benennung des überlebenden Ehegatten könne aber an dem sofortigen Bezugsrecht des Klägers als unwiderruflich benannten Begünstigten nichts ändern, so dass ihm der Leistungsanspruch mit Ausnahme des Eintritts des Versicherungsfalles des Todes sofort zustehe.

Im Übrigen verweist der Kläger auf den Vortrag erster Instanz.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 10.05..2001 ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 518, 519 ZPO). Sie konnte aber keinen Erfolg haben.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend von einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung des Klägers ausgegangen und hat der Klage somit entsprochen und die Widerklage abgewiesen.

Der Anspruch des Klägers auf Freigabe des beim Amtsgericht Waiblingen hinterlegten Betrags aus der SBK - Lebensversicherung mit dem Versicherungsschein Nr. L 216807-6 vom 31.12.1981 erfolgt aus dem arbeitsrechtlichen Versorgungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin, deren Verwaltungs- und Verfügungsrecht gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf die Insolvenzverwalterin übergegangen ist, denn Nebenpflicht aus dem arbeitsvertraglichen Verhältnis ist auch die Freigabe des beim Amtsgericht hinterlegten Rückkaufswertes aus der Lebensversicherung, wenn dem Kläger nach dem Versicherungsverhältnis ein unwiderrufliches Bezugsrecht zusteht, da gemäß der Rechtsprechung (BGHZ 45, 165, Prölss-Martin VVG, 25. Aufl., Anm. 2 zu § 166 VVG) bei Unwiderruflichkeit der Bezugsberechtigung bei Eintritt der Unwiderruflichkeit, d.h. mit Abschluss des Lebensversicherungsvertrags, dem Kläger sofort auch das aufschiebend bedingte Bezugsrecht zusteht einschließlich des Anspruchs auf den Rückkaufswert.

Der Kläger ist gemäß den Angaben im Versicherungsschein und dem Antrag auf Abschluss der Lebensversicherung vom 21.12.1981 als unwiderruflich Bezugsberechtigter eingesetzt worden. Im Versicherungsschein ist unter der Rubrik: Bezugsberechtigt ausgeführt: Beim Ableben der versicherten Person der dann lebende Ehegatte beim Ablauf der Versicherungsdauer die versicherte Person - unwiderruflich - .

Nach den §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Jeder Auslegung vorausgehen muss die Feststellung des Erklärungstatbestandes, d.h. die Ermittlung der für die Auslegung relevanten Tatsachen. Voraussetzung der Auslegung ist, dass die Willenserklärung auslegungsbedürftig ist. Hat die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, ist für eine Auslegung kein Raum. Die Willenserklärung muss auslegungsfähig sein. Gegenstand der Auslegung ist nicht einfach die Erklärung, sondern die Erklärung als Willenserklärung. Daher konstituiert das Gesamtverhalten der Beteiligten den Auslegungsgegenstand. Es ist in der Regel geboten, die zu einem Rechtsgeschäft führenden Verhandlungen in das Auslegungsverfahren einzubeziehen. Nur aus der Eigenart des auszulegenden Rechtsgeschäft kann sich die Notwendigkeit einer Einschränkung des Auslegungsgegenstandes ergeben. Nach einer in der Rechtsprechung (BGH vom 20.12.1974, DB 1975, 442) verbreiteten Formel ist bei der Auslegung das Gesamtverhalten der Erklärenden einschließlich aller Nebenumstände, etwaiger Vorbesprechungen sowie des Zwecks der Erklärung zu berücksichtigen. Die Erklärung als das wichtigste Element im Gesamtverhalten der Erklärenden erfolgt regelmäßig ausdrücklich. Das Verbot der Buchstabeninterpretation bildet einen der Schwerpunkte des normativen Gehalts von § 133 BGB. Ungeachtet des Verbots der ausdrücklichen Auslegung hat jede versuchte Interpretation einer ausdrücklichen Erklärung von ihrem Wortlaut auszugehen. Es ist demnach von der Ermittlung des Vorliegens einer Willenserklärung und der Feststellung ihres Textes auszugehen und ohne Haften am Buchstaben der wirkliche Wille des Erklärenden sowie das maßgebliche Verständnis des Erklärungsempfängers zu ermitteln (Münchener Kommentar, BGB, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 39 ff. zu § 133 BGB).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend festzustellen, dass unter Umständen der Erklärungsinhalt insoweit als auslegungsbedürftig anzusehen ist, wenn man die Interpretation der Beklagten für möglich hält, dass sich das Wort: Unwiderruflichkeit nur auf den Passus: "bei Ablauf der Versicherungsdauer der versicherten Person" bezieht. Ein eindeutiger Erklärungsinhalt in diesem Sinne liegt allerdings nicht vor, da sich regelmäßig die Unwiderruflichkeit auf die Bezugsberechtigung insgesamt beziehen soll. Falls man somit von einer Auslegungsbedürftigkeit, somit einem nicht eindeutigen Erklärungsinhalt ausgeht, ist die Auslegung nach den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht schon wegen § 166 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, wie die Beklagte meint, da eine ausdrückliche Erklärung im Versicherungsvertrag bezüglich der Unwiderruflichkeit vorliegt, die gesetzliche Regelung des § 166 Abs. 2 VVG aber gerade den Fall regeln will, dass keine Bestimmung insoweit getroffen ist. Das ergibt sich aus der Formulierung in § 166 Abs. 2 VVG: "Wenn der Versicherungsnehmer nichts Abweichendes bestimmt." Da vorliegend sowohl im Versicherungsantrag als auch im Versicherungsschein der Begriff der Unwiderruflichkeit verwendet wird, haben die Vertragsschließenden eine Bestimmung getroffen, die unter Umständen, auslegungsbedürftig ist, wenn man der Meinung ist, dass sie sich nicht ganz zweifelsfrei auf die Bezugsberechtigung als solche bezieht.

Die Auslegung des Wortlauts unter Einbeziehung der sonstigen Umstände, insbesondere des zwischen Kläger und Schuldner bestehenden Versorgungsverhältnisses, das allerdings vom Versicherungsvertrag zu unterscheiden ist, ergibt, dass sich der auf den Versicherungsschein gesetzte Begriff: - unwiderruflich - auf die versicherte Person als solche beziehen soll. Es ist zwar der Beklagten zuzugestehen, dass nach der Rechtsprechung (BAG vom 28.03.1995 - 3 AZR 373/94 und BAG vom 17.10.1995 - 3 AZR 622/94) allein die Tatsache der sogenannten Gehaltsumwandlung nicht dazu führt, dass der Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht in die Insolvenzmasse des Schuldners fällt, da es insoweit auf die Bestimmungen im Lebensversicherungsvertrag ankommt, in dem dem Arbeitnehmer auch in diesem Fall lediglich ein widerrufliches Bezugsrecht auf die Versicherungsleistungen eingeräumt sein kann. Vorliegend haben aber die Vertragspartner des Versicherungsverhältnisses den terminus technicus der Unwiderruflichkeit verwendet, der im Zusammenhang mit der Bezugsberechtigung angewandt wird. Es wäre auch nicht zutreffend gewesen, diesen Begriff beim Ableben der versicherten Person der ersten Alternative der Anspruchsberechtigung hinzuzufügen, da der überlebende Ehegatte keine unwiderrufliche Bezugsberechtigung erwerben sollte, diese Bestimmung sollte sich vielmehr auf die vom Versicherungsnehmer zu unterscheidende versicherte Person beziehen. Insoweit erscheint es auch nicht als unlogisch den Zusatz: -"unwiderruflich"- hinter "die versicherte Person" zu setzen, auch wenn in dem betreffenden Passus nicht nur die Bezugsberechtigung, sondern auch der Auszahlungszeitpunkt, nämlich der Ablauf der Versicherungsdauer, geregelt worden ist. Da aber sowohl in der Versicherungspolice als auch in dem Antrag auf Abschluss der Lebensversicherung der Begriff der Unwiderruflichkeit jeweils unter der Rubrik: "Bezugsberechtigt" erscheint, ist dieser Zusatz auf das Bezugsrecht selbst zu beziehen und nicht lediglich, wie die Beklagte meint, auf den Auszahlungszeitpunkt, nämlich den Ablauf der Versicherungsdauer. Das gilt unabhängig davon, ob deklaratorische Erklärungen der Parteien sinnvoll oder üblich sind. Im Rahmen der Auslegung ist allerdings zu beachten, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Vertragsschließenden keine sinnlosen oder überflüssigen Erklärungen abgeben wollen, sondern dass den Erklärungen auch Rechtswirkungen folgen sollen, insbesondere, wenn es sich, wie vorliegend bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung um einen feststehenden Begriff in diesem Zusammenhang handelt. Auch wenn, wie bereits ausgeführt wurde, der Umstand der Gehaltsumwandlung nicht automatisch ohne ausdrückliche Bestimmung zu einer Unwiderruflichkeit der Bezugsberechtigung im Versicherungsvertrag führt, so ist dieser Umstand allerdings bei der Auslegung einer im Versicherungsvertrag enthaltenen Erklärung mitzuberücksichtigen, da bei der Auslegung das Gesamtverhalten der Erklärenden einschließlich aller Nebenumstände sowie der Zweck de Erklärung miteinzubeziehen sind. In diesem Umfang erlangt auch die Tatsache, dass der Beitrag für die Lebensversicherung des Klägers keine zusätzliche Leistung des Schuldners darstellte, sondern dass der Kläger insoweit einen entsprechenden Abzug von seinem Gehalt hinnehmen musste, Bedeutung. Man kann somit nicht davon ausgehen, dass die Erklärung im Versicherungsvertrag und im Versicherungsantrag bedeutungslos ist, so dass dem Kläger gemäß § 166 Abs. 2 VVG nur ein widerrufliches Bezugsrecht auf die Versicherungsleistungen aus dem Lebensversicherungsvertrag eingeräumt war und der Anspruch auf die Versicherungsleistungen in der Insolvenz des Schuldners somit zur Insolvenzmasse gehört.

Somit hat der Kläger als unwiderruflich Bezugsberechtigter mit Abschluss des Versicherungsvertrags sofort das aufschiebend bedingte Bezugsrecht erworben, einschließlich des Anspruchs auf den Rückkaufswert.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm war deshalb als unbegründet zurückzuweisen, da dem Kläger der Anspruch auf die hinterlegte Versicherungssumme zusteht. Die Widerklage der Beklagten auf Freigabe dieses Betrags durch den Kläger ist zu Recht abgewiesen worden.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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