Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 06.02.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 39/06
Rechtsgebiete: TV der Deutschen Post AG Nr. 444


Vorschriften:

TV der Deutschen Post AG Nr. 444 § 8
TV der Deutschen Post AG Nr. 444 § 9
TV der Deutschen Post AG Nr. 444 § 10
Beginn und Dauer der Leistungen nach den §§ 8 bis 10 Tarifvertrag der Deutschen Post AG richten sich nach dem konkreten Arbeitplatzwechsel, nicht nach dem Zeitpunkt der Rationalisierungsmaßnahme.
Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.05.2006 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Mehraufwendungen (Fahrmehrkosten und zeitlicher Mehraufwand) wegen der Versetzung von der Dienststätte K. zur Dienststätte S. mit Wirkung ab 01.07.2004 gem. den §§ 8 bis 10 des Tarifvertrages der D. AG Nr. 444 in der Fassung vom 10.09.2003 zu erstatten für jeden Einsatztag des Klägers in der Dienststelle S..

2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen tariflichen Anspruch des Klägers auf Fahrtkostenerstattung und finanziellen Ausgleich für zeitlichen Mehraufwand im Zusammenhang mit einer Versetzung. Wegen des Parteivortrages und der Sachanträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 17.05.2006 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag des Klägers betreffend der oben genannten Leistungen für den Zeitraum 01.07.2004 bis 30.04.2005 und einer Quote von 20 % für jeden Einsatztag des Klägers an der Dienststelle S. stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterfalle dem sachlichen und personellen Anwendungsbereich des Tarifvertrages Nr. 444 der D. in der Fassung vom 10.09.2003 (im Folgenden: Tarifvertrag Nr. 444); bei der Übertragung der Aufgaben der Abteilung Bau- und Immobiliencenter der Beklagten auf die D. Immobilienservice GmbH zum 01.05.1999 handle es sich um eine Änderung der Ablauforganisation im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Tarifvertrag Nr. 444. Dieser Tarifvertrag regle nicht ausdrücklich, ob für die nach den §§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 5 vorzunehmende Abschmelzung der Erstattungsleistung auf den Zeitpunkt der Organisationsänderung als Rationalisierungsmaßnahme oder aber auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Vollzugs einer Versetzung abzustellen sei. Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen und die Systematik des Tarifvertrages zeigten aber, dass auf die Rationalisierungsmaßnahme abzustellen sei. Selbst Arbeitnehmer, die bereits mit Wirkung zum 01.05.1999 im Zuge der Organisationsänderung an eine andere Dienststelle versetzt worden seien und die weiterhin an dieser Dienststelle tätig seien, hätten einen für den Zeitraum von sechs Jahren begrenzten Anspruch auf Erstattung von Mehraufwendungen, obwohl sie von der Organisationsänderung unmittelbar und fortdauernd nachteilig betroffen seien. Arbeitnehmer wie der Kläger, die erst zu einem späteren Zeitpunkt durch eine Versetzung nachteilig betroffen seien, würden gegenüber den erstgenannten Arbeitnehmern besser gestellt, wenn sie ebenfalls ihre Mehraufwendungen für die Dauer von sechs Jahren erhielten. Eine solche Besserstellung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifparteien diese Besserstellung gewollt hätten, seien dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Zudem spreche § 10 Abs. 4 Tarifvertrag Nr. 444 für die eben dargestellte Auslegung. Wenn in dieser Tarifvorschrift besonders geregelt sei, dass für die Bemessung der zusätzlichen Wegezeit der Zeitpunkt des Arbeitplatzwechsels maßgeblich sei, zeige dies, dass die Tarifparteien eben nicht generell auf den Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels hätten abstellen wollen. Ein weitergehender Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.07.1999, die die zurückkehrenden Arbeitnehmer lediglich so stellen wolle, als hätten sie einem Übergang ihres Beschäftigungsverhältnisses widersprochen. Ein Erstattungsanspruch des Klägers über den 30.04.2005 hinaus bestünde aber auch dann nicht, wenn der Kläger einem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen hätte und die Versetzung erst zum 01.07.2004 erfolgt wäre.

Das Urteil ist dem Klägervertreter am 22.05.2006 zugestellt worden. Mit der am 20.06.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 24.07.2006 (Montag) ausgeführten Berufung rügt der Kläger, nach Sinn und Zweck der §§ 9, 10 Tarifvertrag Nr. 444 sei nicht auf das Datum der Organisationsmaßnahme, sondern auf den jeweiligen Vollzug der Maßnahme abzustellen. Arbeitnehmern, die erst später von der Organisationsänderung betroffen würden, habe ein mit der Versetzung beginnender Anspruch für die Dauer von sechs Jahren zu-gebilligt werden sollen. Eine Besserstellung gegenüber den Arbeitnehmern, die früher versetzt würden, trete dadurch nicht ein. Der Wortlaut des § 8 Tarifvertrag Nr. 444 deute darauf hin, dass auf die konkrete Verlagerung des Arbeitsplatzes abgestellt werde; denn die Versetzung sei eine konkret auf das Arbeitsverhältnis bezogene Maßnahme. § 10 Tarifvertrag Nr. 444 spreche nicht für einen früheren Zeitpunkt. Insbesondere der Verweis auf § 5 Tarifvertrag Nr. 444 lasse diese Auslegung nicht zu. Da die Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel sich ständig änderten, sei es sachgemäß, für die Berechnung einen bestimmten Zeitpunkt festzuschreiben. Dass dieser Zeitpunkt der Arbeitsplatzwechsel sei, bestätige die Auffassung des Klägers. Funktion des § 10 Tarifvertrag Nr. 444 sei eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die gesamte Zeitdauer. Da sowohl die sofort als auch die später versetzten Arbeitnehmer einen auf die Dauer von sechs Jahren begrenzten Ausgleich erhielten, sei eine Besserstellung der später versetzten nicht gegeben.

Der Kläger beantragt,

es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Mehraufwendungen (Fahrmehrkosten und zeitlicher Mehraufwand) wegen der Versetzung von der Dienststätte K. zu der Dienststätte S. mit Wirkung ab 01.07.2004 gem. § 8 bis 10 des Tarifvertrages der D. AG Nr. 444 in der Fassung vom 10.09.2003 zu erstatten, für jeden Einsatztag des Klägers in der Dienststelle S..

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, der Berufungsantrag lasse unklar, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten werden solle; die Berufung sei deshalb unzulässig. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, die vom Kläger verlangte Auslegung würde sehr wohl eine Besserstellung gegenüber solchen Arbeitnehmern bedeuten, die zeitlich unmittelbar nach dem Vollzug der Rationalisierungsmaßnahme umgesetzt, abgeordnet oder versetzt würden; denn diese hätten längstens Ansprüche auf Erstattung von Mehraufwendungen bis zum 30.04.2005, wogegen der Kläger für einen Zeitraum danach Leistungen verlange. Die Tarifvertragsparteien hätten dies nicht gewollt, es entspreche auch nicht der Umsetzungspraxis bei der Beklagten. Die Beklagte hält es für denkbar, dass dem Kläger keinerlei Erstattung nach dem Tarifvertrag Nr. 444 zusteht, da seine Versetzung wegen der Ausübung des Rückkehrrechtes erfolgt sei. Die Beklagte meint, die vom Kläger favorisierte Auslegung der Tarifvorschrift führe zu willkürlichen Ergebnissen. Versetzungen, die "nach Jahr und Tag" erfolgten, seien äußert schwer mit der jeweiligen Rationalisierung in Zusammenhang zu bringen. Die Tarifvertragsparteien hätten nicht gewollt, dass nach dem 30.04.2005 noch Leistungen nach dem Tarifvertrag Nr. 444 zu zahlen seien.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 15 ff. der Akte) und die Berufungserwiderung (Bl. 36 ff. der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Arbeitsgericht zugelassene und damit nach § 64 Abs. 2a ArbGG statthafte, in gehöriger Form und Frist eingelegte und ausgeführte Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht - über den 30.04.2005 hinaus - Mehraufwendungsersatz nach den §§ 8 bis 10 des Tarifvertrages der D. AG Nr. 444 zu.

Die Zulässigkeit der Berufung scheitert auch nicht an den konkret gestellten Anträgen. Gem. § 520 Abs. 3 Ziff. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung unter anderem enthalten die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Die Anträge müssen bestimmt genug sein, um dem Gericht unter Berücksichtigung der Anfechtungsgründe eine Entscheidung in der Sache möglich zu machen. Ein förmlicher Berufungsantrag ist dabei nicht nötig; es muss aber aus Berufungsschrift oder Berufungsbegründung zu entnehmen sein, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angegriffen wird und welche Abänderungen erstrebt werden (Zöller, Zivilprozessordnung, § 520 Rz. 32 mit Rechtsprechungsnachweisen). Nachdem der Kläger in der Berufungsbegründung ausführt, das Arbeitsgericht Stuttgart hätte die Beklagte "richtigerweise verpflichten müssen, auch über den 30.04.2005 hinaus dem Kläger die Mehraufwendungen zu ersetzen und die Höhe der Erstattung nicht auf 20 % begrenzen dürfen" ergibt sich zweifelsfrei, dass der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt und das Urteil insoweit angreift, als es den Feststellungsantrag zurückgewiesen hat.

Der Feststellungsantrag ist auch vollumfänglich begründet; das Berufungsgericht folgt der Auslegung des Klägers, wonach ihm für einen Zeitraum von sechs Jahren die Leistungen nach den §§ 8 bis 10 des Tarifvertrages Nr. 444 zustehen.

Dass der Kläger dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages Nr. 444 unterfällt, ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Nach allgemeiner Ansicht ist bei der Tarifvertragsauslegung zunächst vom Wortlaut auszugehen; es ist sodann der tarifliche Gesamtzusammenhang (systematische Auslegung) zu berücksichtigen. Die Entstehungsgeschichte ist jedenfalls dann maßgeblich, wenn eine eindeutige Tarifauslegung nach Tarifwortlaut und tariflichen Gesamtzusammenhang nicht möglich ist (BAG AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung). Sodann ist der Zweck der jeweiligen Tarifvertragsbestimmung zu berücksichtigen. Neben dem konkreten Regelungszweck sind allgemeine Normzwecke zu berücksichtigen wie Rechtssicherheit und Praktikabilität, wodurch insbesondere Wertungswidersprüche vermieden werden können.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ergibt sich, dass für den Beginn der Zahlungen nach den §§ 9, 10 Tarifvertrag Nr. 444 nicht das Wirksamwerden der Rationalisierungsmaßnahme als solche maßgeblich ist. Zunächst spricht der Wortlaut für die Auslegung des Klägers: § 8 Tarifvertrag Nr. 444 knüpft für die Zahlungen an den zusätzlichen Aufwand an, der den Arbeitnehmern "durch den Einsatz an einer neuen Dienststelle" entsteht. § 9 Tarifvertrag Nr. 444 sieht für die Berechnung der Fahrtkostenerstattung einen Vergleich der bisherigen Fahrtkosten mit den Fahrtkosten vor, die sich unter Zugrundelegung der kürzesten verkehrsüblichen Strecke zwischen Wohnung und neuer Dienststätte ergeben. § 10 Tarifvertrag Nr. 444 knüpft für den Ausgleich für zeitlichen Mehraufwand an den "Wechsel zu einer neuen Dienststätte" an. Eine Verknüpfung der Leistungen mit der Rationalisierungsmaßnahme als solcher erfolgt dagegen nicht. Soweit § 9 Abs. 1 Satz 2 sowie § 10 Abs. 5 Tarifvertrag Nr. 444 eine Absenkung der Leistungen vorsehen, die jeweils "mit dem vierten Jahr" (bzw. je nach Entgeltgruppe mit dem dritten oder vierten Jahr) beginnen sollen, sehen auch diese Absenkungsregelungen keinen Rekurs auf die in § 1 Tarifvertrag Nr. 444 definierten Maßnahmen vor.

Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Zahlungen sind in § 8 Tarifvertrag Nr. 444 beschrieben: Die betroffenen Arbeitnehmer sollen einen finanziellen Ausgleich für ihren zusätzlichen Aufwand durch den Einsatz an der neuen Dienststelle erhalten. Bereits diese Vorschrift hebt auf den jeweiligen individuellen Zusatzaufwand ab. Auch die folgenden Vorschriften sehen detaillierte Berechnungswege vor, die auf die jeweils betroffene Person zugeschnitten sind: Nach § 9 Abs. 2 Tarifvertrag Nr. 444 ist für die Berechnung der Fahrmehrkosten die jeweilige Wohnung des betroffenen Arbeitnehmers maßgeblich (und nicht etwa die bisherige Dienststelle). § 10 Abs. 4 stellt für die Bemessung der zusätzlichen Wegezeit auf den Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels ab. Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Tarifvertragsparteien auf die betroffenen Arbeitnehmer, ihren konkreten Wohnort und den neuen Dienstort sowie den jeweiligen Wechsel vom alten zum neuen Dienstort abgehoben haben. Der Zeitpunkt der Rationalisierung ist für die detaillierten Regelungen nicht bzw. nur insoweit von Bedeutung, als die Zahlungen nicht vor der Rationalisierungsmaßnahme beginnen können, da ihr Anlass gerade der rationalisierungsbedingte Wegfall oder Verlagerung des Arbeitsplatzes sein muss.

Ist Sinn und Zweck der Zahlungen nach §§ 9 und 10 Tarifvertrag Nr. 444 somit der Ausgleich konkret entstehender Aufwendungen der Arbeitnehmer, so ergibt sich bereits hieraus, dass die Leistungen mit dem Entstehen des Mehraufwandes, somit zusammen mit der Versetzung, beginnen.

Auch Gründe der Praktikabilität sprechen für eine Anknüpfung an die Versetzung: so wird die jeweilige Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 TV Nr. 444 nicht an einem Tag vollzogen werden können; abgesehen von den "Planungs- und Implementierungsphasen" (§ 1 Abs. 2 TV Nr. 444), die schon begrifflich einen Zeitraum, keinen Stichtag bezeichnen können, sind auch die sonst aufgeführten Maßnahmen jeweils so komplex und aufwändig, dass eine Fixierung auf ein bestimmtes Datum geradezu willkürlich erscheint. Allenfalls käme dafür der jeweils letzte Rationalisierungsschritt (also der Abschluss der Maßnahme) in Betracht, was aber dazu führen müsste, dass Arbeitnehmer, die zu einem früheren Zeitpunkt versetzt würden, zunächst keine Leistungen erhalten könnten. Dies erscheint widersinnig und kann von den Tarifvertragsparteien so nicht gewollt gewesen sein.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch gerade die Tatsache der Abschmelzung: Ersichtlich soll damit einerseits die finanzielle Belastung des Arbeitgebers begrenzt werden; andererseits kann von den von einer Versetzung Betroffenen erwartet werden, innerhalb einer erheblichen, aber überschaubaren Frist von vier Jahren ihre persönliche Lebensführung entweder auf den neuen Arbeitsort einzustellen, einen Umzug oder (erneuten) Arbeitplatzwechsel zu erwägen oder aber die zeitliche und finanzielle Mehrbelastung selbst zu schultern. Eine Auslegung, wie sie die Beklagte favorisiert, würde dagegen dazu führen, dass einem erst im vierten Jahr nach der Rationalisierungsmaßnahme versetzter Arbeitnehmer ein - im Vergleich zu seinen Kollegen - unangemessen kurzer Zeitraum verbliebe, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, und er darüber hinaus von Anfang an nur gekürzte Erstattungsbeträge erhielte, obwohl sein finanzieller und zeitlicher Mehraufwand ebenso hoch ist wie der eines früher versetzten Kollegen.

In diesem Zusammenhang vermag das Berufungsgericht der Rechtsansicht der Beklagten nicht zu folgen, ihre Auslegung diene gerade der Gleichbehandlung aller von der jeweiligen Maßnahme Betroffenen. Wie oben ausgeführt hat das Anknüpfen der Leistungen nach den §§ 9, 10 Tarifvertrag Nr. 444 eine Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer zur Folge, indem die später Versetzten nämlich Leistungen nur einen gekürzten Zeitraum lang und zu einem Bruchteil der ursprünglichen Leistungshöhe erhalten. In dem späteren Einsetzen der Leistung kann keine Besserstellung gegenüber den früher Versetzten erkannt werden: Die Beklagte geht offenbar davon aus, die später Versetzten stellten sich deshalb besser, weil sie noch für eine bestimmte Zeit am alten Arbeitsort bleiben konnten, während der sich die Kollegen bereits die Belastungen durch den Arbeitsplatzwechsel aussetzten mussten, und erhielten nun die Leistungen nach dem Tarifvertrag "zusätzlich". Sie bezögen damit noch zu einem Zeitpunkt Leistungen nach dem Tarifvertrag, zu der die (früher versetzten) Kollegen bereits ohne Erstattung am neuen Arbeitsplatz tätig sein müssten. Eine solche Gegenrechnung von (dauerhafter) Beschäftigung am neuen Arbeitsort und hinausgeschobener Leistung nach dem Tarifvertrag Nr. 444 ist aber fehlerhaft. Der Tarifvertrag Nr. 444 sieht nämlich nicht vor, dass die volle, vierjährige Leistungszeit nur dann zum Tragen kommt, wenn der jeweilige Arbeitnehmer dauerhaft oder doch länger als vier Jahre am neuen Arbeitsort arbeitet. So erhält ein "spiegelbildlicher" Arbeitnehmer, der bereits mit Beginn der Rationalisierungsmaßnahme versetzt wird und nach Ablauf von vier Jahren an den alten Arbeitsplatz zurückkehrt oder aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, also die Zusatzbelastung nur genau vier Jahre auf sich zu nehmen hat, die volle Leistung nach den §§ 9, 10 Tarifvertrag Nr. 444. Eine irgendwie geartete Besserstellung der später versetzten Arbeitnehmer wie dem Kläger gegenüber einem solchen Arbeitnehmer kann nicht erkannt werden.

Auch der Verweis des Arbeitsgerichts auf die Vorschrift des § 10 Abs. 4 Tarifvertrag Nr. 444 überzeugt nicht. Der Sinn dieser Vorschrift erschöpft sich offensichtlich nicht in einer "Ausnahmeregelung" zur sonstigen allgemeinen Stichtagsregelung (Anknüpfung an die Rationalisierungsmaßnahme), sondern besteht auch in der Festschreibung einer einmal ermittelten Zusatzwegezeit. In der Tat unterliegen Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsunternehmen zum einen regelmäßigen Änderungen durch die Sommer-/Winterfahrpläne einerseits und die Berücksichtigung von Schulferienzeiten im öffentlichen Nahverkehr andererseits. Hinzu kommen sonstige, einmalige Fahrplanänderungen. Ohne die Vorschrift des § 10 Abs. 4 Tarifvertrag Nr. 444 wäre auch nicht etwa der Beginn der Rationalisierungsmaßnahme maßgeblich für die Berechnung der dann fiktiven Wegezeit. Vielmehr müssten Fahrplanänderungen jeweils zur Neuberechnung der Wegezeit führen. Die Funktion des § 10 Abs. 4 Tarifvertrag Nr. 444 liegt also tatsächlich und hauptsächlich darin, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die gesamte Zeitdauer der Versetzung festzuschreiben.

Dagegen kann die von der Beklagten bisher geübte Verwaltungspraxis (Anknüpfung an die Rationalisierungsmaßnahme) das Auslegungsergebnis nicht beeinflussen.

Nach alldem war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und festzustellen, dass dem Kläger die Erstattung von Mehraufwendungen nach den §§ 8 bis 10 Tarifvertrag Nr. 444 für jeden Einsatztag an der Dienststelle S. zustehen.

Da die Beklagte unterlegen ist, trägt sie die Kosten des Rechtsstreites.

Die Revision ist zugelassen worden, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Auslegung der §§ 8 bis 10 Tarifvertrag Nr. 444 kann für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen maßgeblich sein, da der Tarifvertrag bundesweit gilt und die Rationalisierungsmaßnahmen bei der Beklagten nicht abgeschlossen sind.

Ende der Entscheidung

Zurück