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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 72/06
Rechtsgebiete: BGB, MTV


Vorschriften:

BGB § 305 c Abs. 2
MTV § 24
§ 305 c Abs. 2 BGB (Unklarheitenregelung) führt bei dem verwendeten Formular-Arbeitsvertrag zur dynamischen Verweisung auf die jeweilige BAT-Vergütung und die jeweilige nach Berufsjahren zu bemessende, Gehaltsstufe.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 21.09.2006, Aktenzeichen 1 Ca 232/06 teilweise abgeändert:

In Höhe weiterer 1.825,27 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Von den Kosten erster Instanz trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3. Von den Kosten der Berufung trägt der Kläger 7/10, die Beklagte 3/10.

Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche des Klägers. Wegen der Sachanträge und des Parteivortrages erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts (Bl. 150 ff. der Akte) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Ansprüche, soweit sie nicht nach § 70 BAT verfallen waren, als begründet erachtet und ausgeführt, ein Anspruch auf Tariflohnerhöhung sei nach § 14 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 5 Ziff. 1 DSK-TV Sozialdienste gGmbH Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem 35. Vergütungstarifvertrag (BAT) gegeben. Dem Arbeitsvertrag sei weder eindeutig eine Festlegung der Vergütung auf die bei Vertragsschluss aktuelle Tarifvergütung, noch dass die jeweilige Tarifvergütung gemeint sei. Die Unklarheitenregelung nach § 305c Abs. 2 BGB führe zu einer Auslegung zu Lasten der Beklagten, weshalb von zeitdynamischer Verweisung auszugehen sei. Das gelte auch für die Frage, nach welcher Stufe der jeweiligen Vergütungsgruppe sich die Grundvergütung des Klägers bemesse. Für den Zeitraum März 2004 bis April 2006 stünden dem Kläger daher insgesamt 2.804,77 EUR brutto nebst Zinsen zu.

Das Urteil ist der Beklagten am 09.11.2006 zugestellt worden. Mit der am 11.12.2006 (Montag) beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und innerhalb der bis 09.02.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 08.02.2007 ausgeführten Berufung rügt die Beklagte, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.11.2005, 5 AZR 128/05, gebe die Auffassung des Klägers nicht her, dass die Beklagte verpflichtet sei, Stufenerhöhungen weiterzugeben. Im DSK-Tarifvertrag sei betreffend der Stufenerhöhung eine eigenständige Regelung getroffen worden. Ebenso wie bei der Änderung der Vergütungsgruppe erfolge eine Stufenerhöhung ausweislich des Arbeitsvertrages nach Überprüfung des Arbeitgebers. Ein Anspruch auf Höherstufung, die im Übrigen nicht ausdrücklich bewilligt werde, bestehe demnach nicht. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Tariflohnerhöhung nach dem 35. Vergütungstarifvertrag. Wie das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 09.02.2005 (5 AZR 284/04) festgestellt habe, ergebe sich kein Anspruch auf Tariflohnerhöhung aus dem Arbeitsvertrag. Die Beklagte meint, § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrages sei eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht tarifgebunden sei. Der BAT sei "nicht gelebt" worden, lediglich Tariflohnerhöhungen seien in der Vergangenheit weitergegeben worden.

Die Beklagte meint, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe sie dem Kläger sogar zuviel bezahlt. Sie liest das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.11.2005 (5 AZR 128/05) so, dass keine andere Vergütung als die im Arbeitsvertrag beschriebene zu beanspruchen sei. Vorliegend ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag Vergütung nach KR 3/1. Der Arbeitsvertrag sei nie geändert worden. Die Vergütung nach KR 3/1 betrage 1.247,11 EUR bzw. 1.259,58 EUR, zuzüglich allgemeine Zulage und Ortszuschlag stehe dem Kläger damit allenfalls 2.001,98 EUR brutto monatlich bzw. ab Dezember 2005 2.032,62 EUR brutto monatlich zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - 1 Ca 232/06 - abzuändern und die Klage insgesamt kostenpflichtig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, § 5 des Arbeitsvertrages sei als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB anzusehen, was zur Anwendbarkeit der Unklarheitenregelung führe. An der Auslegung ändere die fehlende Tarifgebundenheit der Beklagten nichts. Der BAT sei sehr wohl bei der Beklagten "gelebt worden". Soweit Ansprüche für die Zeit ab 01.01.2005 geltend gemacht würden, sei die Vorschrift des § 24 MTV vom 24.09.2004 (Bl. 119 ff. der Akte) maßgeblich. Der Kläger habe deshalb Anspruch in Höhe der bis dahin ihm zustehenden Vergütung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, in gehöriger Form und Frist eingelegte und ausgeführte Berufung der Beklagten hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Dem Kläger stehen restliche Vergütungsansprüche für die Zeit bis zum 31.12.2004 zu; im Übrigen ist die Klage unschlüssig.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Verfahren am 09.11.2005 (insbesondere: 5 AZR 128/05, AP Nr. 4 zu § 305c BGB) entschieden, dass Arbeitnehmern der Beklagten auf der Grundlage der mit ihnen jeweils abgeschlossenen Arbeitsverträge ein Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhung nach dem 35. VTV zusteht. Diesen Entscheidungen lagen Arbeitsverträge zugrunde, die mit demjenigen des Klägers identisch sind. Den dort zugrunde gelegten Rechtssätzen und der Auslegung der Formulararbeitsverträge der Beklagten durch das Bundesarbeitsgericht schließt sich die erkennende Kammer in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht in vollem Umfang an.

Bei den Regelungen der §§ 5 und 13 des Arbeitsvertrages handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Das hat zur Folge, dass Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen. In § 5 des Arbeitsvertrages sind die Vergütungsregelungen des BAT in Bezug genommen. Dabei handelt es sich um eine dynamische Verweisung auf die jeweilige BAT-Vergütung. Zwar ergibt sich nach Wortlaut und Zusammenhang der arbeitsvertraglichen Regelung kein eindeutiges Auslegungsergebnis, so dass auch nach Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethode nicht behebbare Zweifel bleiben. Wegen der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB führt dies jedoch zu einer Auslegung zu Lasten der Beklagten. Das hat zur Folge, dass der Kläger nach § 5 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit dem 35. VTV Anspruch auf die geltend gemachten Tariflohnerhöhungen hat.

Soweit die Beklagte unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.02.2005 (5 AZR 284/04) zu einem anderen Ergebnis kommt, übersieht sie, dass das Bundesarbeitsgericht in der oben zitierten Entscheidung vom 09.11.2005 im Einzelnen ausgeführt hat, dass und weshalb der streitgegenständlich Sachverhalt anders gelagert ist.

Soweit die Beklagte - erstmals im Berufungsverfahren - gemeint hat, der Kläger sei ohnehin "überbezahlt", da ihm lediglich die im Arbeitsvertrag genannte Tarifgruppe und Stufe zustünden, überzeugt das nicht. In erster Instanz ist es unstreitig gewesen, dass die Beklagte den Kläger bereits seit Januar 2002 nach der Vergütungsgruppe KR 4, Stufe 2 und Ortszuschlag Klasse 2, Stufe 2 vergütet, seit Oktober 2002 nach Vergütungsgruppe K 4, Stufe 3 (vgl. insoweit den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils). Darüber hinaus hat der Kläger unter anderem die Gehaltsabrechnung 10/02 (Bl. 12 der Akte) vorgelegt. Diese von der Beklagten ausgestellte Abrechnung weist in der ersten Zeile folgendes aus: "Tarif BAT KR-Tarif (Anlage 1 B) Gruppe 04, Stufe 3". In der letzten Zeile teilt die Beklagte mit: "Tarifgruppe/Stufe hat sich von 04/02 auf 04/03 geändert". Die Abrechnung 01/2002 (Bl. 106 der Akte) lautet in der ersten Zeile: "Tarif BAT KR-Tarif (Anlage 1 B) Gruppe 04, Stufe 2". Aus den Abrechnungen ergibt sich zum einen, dass der Kläger sehr wohl in eine höhere Tarifgruppe als die arbeitsvertraglich vereinbarte eingruppiert war und dass die Beklagte darüber hinaus eine Höherstufung vorgenommen hat. Dafür, dass die von der Beklagten selbst vorgenommene Höhergruppierung heute nicht mehr gültig sein soll, ist nichts ersichtlich.

2. Dem Kläger steht auch ab Oktober 2004 eine höhere Gehaltsstufe, nämlich die Stufe 4 zu. Nach § 14 des Arbeitsvertrages gelten für die Arbeitsbedingungen im Übrigen die Bestimmungen des Tarifvertrages zwischen der DSK Sozialdienste gGmbH in Rheinland-Pfalz und der Gewerkschaft öffentliche Dienste Transport und Verkehr (Bl. 118 ff. der Akte). Danach finden auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer zunächst der BAT Anwendung (§ 2 DSK-TV). § 27 BAT gilt mit der Maßgabe, dass die Grundvergütungen in den Vergütungsgruppen nicht nach Lebensalter, sondern nach Berufsjahren zu bemessen sind (§ 3 DSK-TV). Nachdem der Kläger am 01.10.1998 bei der Beklagten als Krankenpflegehelfer eingetreten ist, ist er seit 01.10.2004 in der 4. Vergütungsstufe zu vergüten.

Auch hinsichtlich der Vergütungsstufe ist der Arbeitsvertrag der Parteien nicht eindeutig. Es lässt sich zunächst sowohl die Auslegung der Beklagten, wonach die Vergütungsstufe in § 5 des Arbeitsvertrages statisch beschrieben ist vertreten, wie auch die Auffassung des Klägers, mit der Bezugnahme auf den BAT sowie den DSK-Tarifvertrag sei eine dynamische Verweisung gewollt. Da es sich, wie oben ausgeführt, bei § 5 des Arbeitsvertrages um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, gilt auch insoweit die Unklarheitenregelung nach § 305c BGB. Die Beklagte als Verwenderin der Allgemeinen Geschäftsbedingung muss die ihr nach nachteilige, nach dem Wortlaut und Sinn der Vertragsklausel mögliche Auslegung gegen sich gelten lassen.

3. Dem Kläger stehen Ansprüche allerdings lediglich bis zum 31.12.2004 zu; im Übrigen ist die Klage nicht schlüssig.

Der Kläger hat bereits in der Klageschrift vorgetragen, seit 01.01.2005 finde das zwischen ver.di und P. geschlossene Tarifwerk Anwendung. Er hat im Berufungsverfahren den Vergütungstarifvertrag Nr. 1 vom 24.09.2004 (Bl. 107 ff. der Akte) sowie den Manteltarifvertrag vom 24.09.2004 (Bl. 119 ff. der Akte) vorgelegt. Der Vergütungstarifvertrag Nr. 1 enthält unterschiedliche Vergütungstabellen (Angestellte West und Ost, Angestellte im Pflegebereich West und Ost sowie Ortszuschlagstabellen sowie Anlagen zur allgemeinen Zulage). Die mit "KR" bezeichneten Vergütungsgruppen des BAT finden sich in diesem Tarifwerk nicht wieder. Es wäre deshalb Sache des Klägers gewesen, im Einzelnen vorzutragen, wie er nach dem nunmehr geltenden Vergütungstarifvertrag einzugruppieren und einzustufen ist. Die weiterhin auf die BAT-Vergütung gerichtete Klage ist unschlüssig.

Soweit der Kläger meint, er habe nach § 24 MTV mindestens Anspruch auf Vergütung in der bisherigen Höhe, folgt die Kammer dem nicht. Diese Norm sieht für den Fall, dass sich aus der Anwendung des neuen Tarifvertrages und diesen ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge ein niedrigeres Gesamteinkommen als vor Inkrafttreten des Tarifvertrages ergibt, zwei besondere Regelungen vor: Zum einen bleibt bei Arbeitnehmern, die wie der Kläger am 30.09.2004 bereits bei der Beklagten beschäftigt waren und deren Stufung nach Berufsjahren bzw. Lebensalter erfolgte, die Stufung solange bestehen, bis die Anspruchsvoraussetzungen dieses Tarifvertrages zur Höherstufung erfüllt sind. Die Vorschrift löst einen etwaigen Konflikt der Stufenberechnung nach § 12b MTV und § 27 BAT im Sinne einer Besitzstandwahrung hinsichtlich der erreichten Gehaltsstufe. Über die Eingruppierung ist damit aber nichts gesagt.

Darüber hinaus sollen Arbeitnehmer, deren bisherige Vergütung in Form eines Festbetrages höher ist als diejenige, die sie nach den Regelungen des neuen Tarifvertrages bekommen würden, einen entsprechenden Differenzbetrag als persönliche Zulage erhalten. Der Kläger hat seine bisherige Vergütung nicht in Form eines Festbetrages erhalten. Die Vergütung war vielmehr zusammengesetzt aus Grundvergütung, Ortszuschlag und allgemeiner Zulage und richtete sich hinsichtlich ihrer Höhe nach den Beträgen des BAT (§ 5 des Arbeitsvertrages). Dies Besitzstandsklausel nach § 24 MTV erfasst damit den Kläger nach ihrem Wortlaut nicht. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien auch alle anderen denkbaren Gehaltsreduzierungen, die durch die Anwendung des neuen Tarifvertrages entstehen konnten, absichern wollten, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Insbesondere hätte es der oben zitierten differenzierten Besitzstandsklausel nicht bedurft, wenn das bisherige Gesamteinkommen, das in der Protokollnotiz noch besonders definiert ist, ohnehin insgesamt abgesichert sein sollte.

Auf die Berufung der Beklagten war die Klage daher wegen der ab Januar 2005 beanspruchten Vergütungsdifferenzen, das sind 1.825,27 EUR brutto nebst Zinsen, abzuweisen; im Übrigen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt dem Verhältnis des Obsiegens der Parteien in erster und zweiter Instanz.

Die Revision ist für den Kläger zugelassen worden, da das Urteil hinsichtlich der Besitzstandsklausel von einem Urteil der 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 22.06.2007, 18 Sa 14/07) abweicht.

Für die Beklagte ist die Revision entsprechend § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen worden, da die Frage, ob der in einer Vielzahl von Fällen verwendete Formulararbeitsvertrag der Beklagten eine dynamische Verweisung auf den BAT bzw. DSK-TV bezüglich der Höherstufung enthält, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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