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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.06.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 1/05
Rechtsgebiete: MTV, ZPO, BGB, TVG


Vorschriften:

MTV § 19 Nr. 4
MTV § 20
MTV § 20 Abs. 1
MTV § 20 Abs. 1 Satz 1
MTV § 20 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 259
BGB § 308 Nr. 4
BGB § 133
BGB § 157
BGB §§ 305ff
BGB § 307
BGB § 308 Nr. 4
BGB § 315
BGB § 611
TVG § 4 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes - Kammern Freiburg - Urteil

Aktenzeichen: 9 Sa 1/05

Verkündet am 17.06.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 9. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfeiffer, den ehrenamtlichen Richter Brucker und den ehrenamtlichen Richter Vosseler auf die mündliche Verhandlung vom 17.06.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 16.11.2004 - 4 Ca 365/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, von der pauschalen Reisekostenerstattung auf Einzelabrechnung umzustellen.

Der am 21.02.1952 geborene, ordentlich unkündbare Kläger ist seit 01.07.1974 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Versicherungswirtschaft, im Außendienst beschäftigt. Er ist als Arbeitnehmer im ungefähr 10.000 Arbeitnehmer umfassenden Außendienst der Beklagten in deren Niederlassung in F tätig. Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 09.07.1974 heißt es auszugsweise wie folgt:

"Die beiderseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus diesem Vertrag einschließlich der beigefügten Anlagen, aus dem Tarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (Teile I, III und IV) und aus den gesetzlichen Bestimmungen..."

Nach der Unterschriftenzeile im Arbeitsvertrag sind die "beigefügten Anlagen" namentlich aufgelistet. Die in Bezug genommene "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte" lautet unter 2.5 Reisekostenpauschale wie folgt:

"2.5.1 Auszahlung der Reisekostenpauschale Die Zahlung der Reisekostenpauschale erfolgt zusammen mit den Bezügen des laufenden Monats.

2.5.2 Kürzung der Reisekostenpauschale bei Ausfalltagen Auf die Reisekostenpauschale hat der / die Außendienstangestellte nur dann in voller Höhe Anspruch, wenn die Reisetätigkeit nicht durch Ausfalltage eingeschränkt wurde. Ausfalltage sind Tage, an denen der / die Außendienstangestellte keine Außendiensttätigkeit ausgeübt hat, z. B. wegen der nachstehend aufgeführten Gründe:

- Erholungsurlaub

- außerordentlicher Urlaub

- Krankheit

- Reisesperre (im Kündigungsfall) Wehrübungen u. Ä.

- ganztägige Bürotätigkeit z. B. in einem Geschäftshaus der Gesellschaft

- mehrtägige Schulungsveranstaltungen und Tagungen.

Bei mehrtägigen Schulungsveranstaltungen und Tagungen bleibt ein Tag von der Kürzung ausgenommen. In die vorstehenden Ausfallzeiten fallende Samstage bleiben bei der Kürzung unberücksichtigt. Ausgefallene Reisetage sind der Geschäftsstelle nach Ablauf eines Kalendermonats, spätestens bis zum dritten des Folgemonats, mit dem Formular VALLG4420Z0 zu melden.

Für jeden Ausfalltag kürzt die Gesellschaft im darauf folgenden Monat 1/22 der Reisekostenpauschale.

2.5.3 Umfang der mit der Reisekostenpauschale abgegoltenen Ausgaben Mit der Zahlung der Reisekostenpauschale werden alle durch Dienstreisen verursachten Ausgaben abgegolten (auch sonstige Kosten, wie z. B. für die Gepäckbeförderung und -aufbewahrung, Parkgebühren u.ä. sowie Aufwendungen für Schäden, die am Kraftfahrzeug entstehen, und Haftpflicht-, Kasko- und Reisegepäck-Versicherungsbeiträge). Ferner sind alle im Geschäftsinteresse aufgewendeten Kosten für Porto und Telefongespräche mit dieser Pauschale abgegolten.

2.5.4 Änderung der Reisekostenpauschale Bei Änderung der Dienststellung und / oder des Arbeitsgebietes wird die Reisekostenpauschale neu festgesetzt. Ab der siebten Krankheitswoche und für volle Monate der Reisesperre entfällt die Reisekostenpauschale."

Die Beklagte zahlte an den Kläger von Beginn des Arbeitsverhältnisses an zur Abgeltung aller im Zusammenhang mit der Reisetätigkeit entstandenen Kosten eine monatliche Pauschale. Die Pauschale ist steuer- und sozialversicherungspflichtiges Entgelt, das sich beim Kläger, der die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht überschreitet, rentenerhöhend auswirkt. Mit Wirkung zum 01.01.2003 änderte die Beklagte 2.5.2 der Reisekostenpauschale dahin, dass letztere Pauschale um 2/12 gekürzt wurde, aber keine weiteren Kürzungen wegen Erholungsurlaub, Schulungsveranstaltungen und Tagungen, Krankheit bis zu fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr und Bürotätigkeit auf der Geschäftsstelle mehr vorgenommen werden.

Jahr für Jahr erhielt der Kläger von der Beklagten einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag, in dem u. a. die monatliche Reisekostenpauschale gegebenenfalls neu festgesetzt wurde. In den sprachlich übereinstimmenden Nachträgen für 2003 und 2004 heißt es jeweils:

"Nachtrag zum Vertrag vom ....................... Ab 01.01.2003 gilt für die mit einer Eintragung versehene Textziffer folgende Vertragsänderung:

......................................

5. Reisekostenpauschale (monatlich): Euro 420,00

......................................

Mit dem Inkrafttreten dieses Nachtrages erlöschen alle früheren das Arbeitsverhältnis betreffenden Vereinbarungen mit der Gesellschaft, soweit sie dem Inhalt dieses Nachtrages entgegenstehen.

Der Nachtrag wird von den Vertragsparteien in zwei Ausfertigungen unterzeichnet."

Die Nachträge wurden auch tatsächlich jeweils von beiden Vertragsparteien unterzeichnet. Seit 01.01.2003 bis einschließlich Juni 2004 betrug die Reisekostenpauschale monatlich jeweils Euro 420,00. Im Jahre 2003 kündigte die Beklagte den Arbeitnehmern im Außendienst an, mit Wirkung ab 01.01.2004 von der Pauschalabrechnung auf Einzelabrechnung umzustellen. Tatsächlich führte die Beklagte den Systemwechsel mit Wirkung ab 01.07.2004 unternehmensweit gegenüber allen Arbeitnehmern im Außendienst ein. Mit Schreiben vom 28.06.2004 erklärte der Kläger ausdrücklich, er stimme einer Veränderung des mit ihm abgeschlossenen Arbeitsvertrages hinsichtlich der Art und Weise der Reisekostenerstattung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu. Da der Kläger bislang keine Einzelabrechnungen bei der Beklagten einreichte, leistete die Beklagte seit Juli 2004 weder pauschal noch nach konkretem Aufwand berechnet Zahlungen auf die Reisekosten.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung und kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für das Versicherungsgewerbe Anwendung (fortan: MTV). Dessen § 20 lautet:

"Fahrtauslagen und Spesen 1. Notwendige tatsächliche Fahrtauslagen werden den Angestellten gemäß vorheriger schriftlicher Vereinbarung ersetzt. Pauschale Abgeltung kann vereinbart werden.

2. Spesen werden je nach Art der Tätigkeit und der Arbeitsgebiete auf Grund von Erfahrungssätzen berechnet und in freier Vereinbarung schriftlich festgelegt."

Nach § 19 Nr. 4 MTV wird die Monatsvergütung für Angestellte im Außendienst am letzten Arbeitstag im Monat fällig.

Die Beklagte setzte den Kläger persönlich erstmals mit Schreiben vom 07.06.2004 über den Systemwechsel im Reisekostenwesen in Kenntnis. Mit seiner bei Gericht am 23.08.2004 eingegangenen und der Beklagten am 26.08.2004 zugestellten Klage verlangt der Kläger die Bezahlung der Reisekostenpauschale für die Zeit ab Juli 2004 in Höhe von monatlich jeweils Euro 420,00 brutto.

Der Kläger hat behauptet und im Wesentlichen geltend gemacht, bei Gehaltsverhandlungen habe die Beklagte stets darauf hingewiesen, die Reisekosten würden pauschal und großzügig abgerechnet werden. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten handele es sich bei der Reisekostenpauschale um vertraglich vereinbartes Entgelt, das die Beklagte nicht einseitig ändern könne. Da die Pauschale stets sozialversicherungspflichtiges Entgelt gewesen sei, liege er mit seinem Verdienst oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung. Er sei deshalb seit 1985 privat krankenversichert. Mit dem Wegfall der Pauschale sei er ab dem 01.07.2004 in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 1.680,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus jeweils Euro 420,00 ab 01.08.2004, 01.09.2004, 01.10.2004 und 01.11.2004 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, beginnend mit dem Monat November 2004 dem Kläger zusätzlich zu seinem Monatsgehalt eine Reisekostenpauschale von Euro 420,00 brutto zu zahlen, und zwar jeweils mit Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz ab dem ersten des Folgemonats.

3. Hilfsweise zu Klagantrag Nr. 2:

Die Beklagte wird verurteilt, beginnend mit dem Monat November 2004 dem Kläger zusätzlich zu seinem Monatsgehalt eine Reisekostenpauschale in Höhe von Euro 420,00 brutto zu bezahlen und zwar jeweils nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz ab dem ersten des Folgemonats, sofern nicht folgende Bedingungen erfüllt sind:

- Beendigung des Arbeitsverhältnisses

- Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit von mehr als 5 Arbeitstagen im Kalenderjahr

- Gewährung von unbezahltem Urlaub

- Unentschuldigtes Fehlen des Klägers

- Teilnahme des Klägers an Wehrübungen oder sonstiger ehrenamtlicher Tätigkeit während der Arbeitszeit

- Verhängung einer Reisesperre nach Ausspruch einer Kündigung

- Gewährung von außerordentlichem Urlaub

- Ruhen des Arbeitsverhältnisses oder vertragliche Änderung der Reisekostenpauschale

- Freistellungsphase im Falle einer Altersteilzeitvereinbarung

4. Hilfsweise zu Klagantrag Nr. 3:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeweils zu Anfang des Folgemonats beginnend mit dem Monat November 2004 eine Reisekostenpauschale von Euro 420,00 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet und im Wesentlichen geltend gemacht, dem Kläger fehle für sämtliche Klaganträge das Rechtschutzbedürfnis, da sie zur Zahlung von Reisekostenerstattung bereit sei, sofern der Kläger die Einzelabrechnung vorlege. Die Klage auf künftige Leistung sei unzulässig, da noch nicht sicher sei, ob ein Anspruch überhaupt entstehe. Anspruchsgrundlage für die Reisekostenerstattung sei allein § 20 MTV, daneben bestehe kein vertraglicher Anspruch.

Das Arbeitsgericht entsprach mit Urteil vom 16.11.2004 den Klaganträgen 1 und 3 im Wesentlichen mit der Begründung, für Klagantrag Nr. 1 bestehe ein Rechtschutzinteresse, die Reisekostenpauschale sei arbeitsvertraglich vereinbart und als solche auch nicht tarifwidrig, Klagantrag Nr. 3 sei gemäß § 259 ZPO zulässig und entsprechend Klagantrag Nr. 1 auch in der Sache begründet. Im Übrigen wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Gegen das der Beklagten am 15.12.2004 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts legte diese mit beim Landesarbeitsgericht am 11.01.2005 eingegangenem Schriftsatz Berufung ein und führte diese innerhalb der mit Verfügung vom 04.02.2005 bis zum 15.03.2005 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit beim Berufungsgericht am 15.03.2005 eingegangenem Schriftsatz aus.

Die Beklagte rügt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts. Sie hält die Klage für unzulässig, da es dem Kläger an einem Rechtschutzbedürfnis fehle. Ebenfalls sei die Klage unbegründet, ein individualarbeitsvertraglicher Anspruch des Klägers auf die Reisekostenpauschale bestehe nicht. Soweit § 20 MTV von einer zutreffenden "Vereinbarung" spreche, gehe es nicht um eine rechtsbegründende Vereinbarung, sondern um eine so genannte Erfüllungsvereinbarung. Jedenfalls aber könne sie sich zur Rechtfertigung ihres Systemwechsels auf ein stillschweigendes Widerrufsrecht berufen. Wegen der weiteren Einzelheiten ihrer Rechtsausführungen wird auf ihren Schriftsatz vom 15.03.2005 ergänzend Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 16.11.2004 - Az. 4 Ca 365/04 - aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Berufung und hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeweils zu Anfang des Folgemonats beginnend mit dem Monat November 2004 eine monatliche Reisekostenpauschale von Euro 420,00 zu zahlen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt den Rechtsansichten der Beklagten entgegen. Ein stillschweigendes Widerrufsrecht scheide schon deshalb aus, weil in Ziffer 2.5.4 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte zu einem bestimmten Anwendungsfall ein Widerrufsrecht vereinbart worden sei. Ein weitergehendes Widerrufsrecht bestehe nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf seinen Schriftsatz vom 14.04.2005 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Klageanträgen 1 und 3 entsprochen. Die Beklagte ist an das System der Reisekostenpauschale arbeitsvertraglich gebunden. Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung des Systemwechsels auch nicht auf ein Widerrufsrecht berufen. Ein solches Recht hat sich die Beklagte nämlich nicht vorbehalten. Das Widerrufsrecht wäre aber auch nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

1. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

2. Als Ergänzung zu den arbeitsgerichtlichen Erwägungen und zur Beantwortung der Angriffe der Berufung sieht sich die Berufungskammer veranlasst, noch Folgendes auszuführen: a) Dem Angriff der Beklagten, dem Kläger stehe für Klagantrag Nr. 1 kein Rechtschutzbedürfnis zur Seite, kann nicht gefolgt werden. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ein solches angenommen. Das Rechtschutzbedürfnis für eine Leistungsklage ergibt sich grundsätzlich aus der Nichterfüllung des geltend gemachten materiellen Anspruchs (z. B. BGH, Urteil vom 09.11.1979 - I ZR 24/78 - NJW 1980, 1843 f, zu III. der Gründe m. w. N.). Ausnahmsweise fehlt ein Rechtschutzbedürfnis, wenn ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger, nicht schutzwürdiger Interessen ausgenutzt werden soll, wenn der Kläger kein Urteil braucht, weil er alle erforderlichen Rechtschutzziele ebenso sicher wie wirkungsvoll auf schnellerem und billigerem Wege erreichen kann oder er einen vollstreckbaren Titel für den Anspruch bereits besitzt (z. B. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage, vor § 253 Rn. 27 m. w. N.). Die Ausnahmetatbestände liegen ersichtlich nicht vor. Soweit die Beklagte entgegnet, der Kläger könne durch Einreichung von Einzelkostenabrechnungen seine Reisekosten für den in Rede stehenden Zeitraum erlangen, schließt dies das Rechtschutzbedürfnis nicht aus. Die Parteien streiten nämlich gerade darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, vom Kläger zur Erstattung der Reisekosten Einzelabrechnungen zu verlangen. Der Verweis der Beklagten auf die Möglichkeit der Einzelabrechnung entspricht nicht dem Begehren des Klägers.

b) Zutreffend hat das Arbeitsgericht auf die Verpflichtung der Beklagten erkannt, dem Kläger für die Monate Juli bis Oktober 2004 monatlich jeweils Euro 420,00 als Reisekostenpauschale zu bezahlen.

aa) Anspruchsgrundlage ist der Arbeitsvertrag der Parteien vom 09.07.1974 in Verbindung mit 2.5.1 und 2.5.2 der Anlage 1 (Allgemeine Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte) i. V. m. dem Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 19.12.2002. Auf der Grundlage der vom Arbeitsgericht angezogenen Auslegungsgrundsätze nach §§ 133, 157 BGB handelt es sich um einen arbeitsvertraglichen Anspruch. Für den Anspruchsgrund ergibt sich dies bereits aus dem Einleitungssatz des Arbeitsvertrags der Parteien vom 09.07.1974. Darin ist bestimmt, dass sich die beiderseitigen Rechte und Pflichten u. a. auch aus den beigefügten Anlagen, die unter dem Unterschriftenfeld enumerativ aufgeführt sind, ergeben. Durch die von den Parteien gewählte Inkorporationstechnik wird auf die Allgemeine Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte verwiesen, die ausschließlich und nicht etwa alternativ das System der Reisekostenpauschale beinhaltet. Die vom Kläger verlangte Anspruchshöhe folgt aus der parteivereinbarten Vertragsänderung vom 19.12.2002, die als Nachtrag zum Vertrag vom - hier: 09.07.1974 bezeichnet ist. Darin heißt es weiter, dass mit dem In-Kraft-Treten dieses Nachtrages alle früheren das Arbeitsverhältnis betreffenden Vereinbarungen mit der Gesellschaft erlöschen, soweit sie dem Inhalt dieses Nachtrags entgegenstehen. Der Kläger erhält seit Aufnahme seiner Beschäftigung als Angestellter im Außendienst bei der Beklagten am 01.07.1974 ununterbrochen in Übereinstimmung mit den vorgenannten Arbeitsvertragsinhalten die Reisekostenpauschale. Ebenso wurde die Höhe der Reisekostenpauschale durchgängig in all den Jahren in der vorgenannten Art und Weise festgelegt.

bb) Der Vertragscharakter des Systems Reisekostenpauschale ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht aus dem Umstand, dass die Reisekostenpauschale der Einkommensteuer und der Sozialversicherungspflicht unterworfen ist. Die sozialversicherungsrechtliche und einkommensteuerrechtliche Gesetzeslage hat keine konstitutive Bedeutung für die Qualität der arbeitsrechtlichen Bewertung der Leistung (z. B. Seifert, Manteltarifvertrag für das Versicherungsgewerbe, 6. Auflage, Stand 01.01.2003, § 20 Rn. 3). Nach 2.5.3 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte werden mit der Zahlung der Reisekostenpauschale alle durch Dienstreisen verursachten Ausgaben abgegolten. Insofern handelt es sich um Aufwendungsersatz. Dass sich die als Bruttobetrag ausgewiesene Reisekostenpauschale rentensteigernd auswirkt, ist lediglich ein Rechtsreflex, der seine Grundlage nicht in der Parteiabrede hat. Ebenso verhält es sich mit der Erkenntnis, dass der Kläger infolge des in Rede stehenden Systemwechsels nunmehr der gesetzlichen Krankenversicherung unterfällt. Die insoweit vom Kläger angezogenen Rechtsinstitute des Vertrauensschutzes und des Besitzstandes haben nach Auffassung der Kammer keinen Einfluss auf die rechtliche Bewertung der Qualität der in Rede stehenden Leistung.

Der Angriff der Berufung, es handele sich bei der Pauschalierungsabrede lediglich um eine Erfüllungsvereinbarung der Parteien, überzeugt die Kammer nicht. Die Beklagte verkennt, dass die pauschalierte Abgeltung von Reisekosten als tariflich erlaubte Ausnahme zu § 20 Abs. 1 MTV schon vom Wortlaut her eine Vereinbarung und damit einen Vertrag der Parteien voraussetzt (vgl. Arbeitsgericht Siegen, Urteil vom 20.01.2005 - 3 Ca 1680/04 - zu 2. der Gründe).

Dass es sich insoweit um einen konstitutiven Begründungsakt der Parteien handelt, entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 21.07.1993 - 4 AZR 471/92 - AP-Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge Versicherungsgewerbe, zu B III 2 c aa und bb der Gründe). Dementsprechend haben sich auch die Parteien seit Vertragsbeginn verhalten.

c) Die arbeitsvertraglich vereinbarte Reisekostenpauschale verstößt auch nicht gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 des auch kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend geltenden Manteltarifvertrags für das Versicherungsgewerbe. Nach § 4 Abs. 3 TVG sind von der tariflichen Regelung abweichende Abmachungen u. a. dann zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind. So verhält es sich vorliegend. § 20 Abs. 1 Satz 2 MTV enthält eine Öffnung dahin, dass eine pauschale Abgeltung vereinbart werden kann. Hiervon haben vorliegend die Parteien Gebrauch gemacht. Die Parteien haben insoweit auch ihre Regelungsbefugnis nicht überschritten. Die in der Reisekostenpauschale nach 2.5.3 beinhalteten Kostenelemente weichen von der tariflichen Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 1 MTV nicht ab (vgl. auch BAG, Urteil vom 21.07.1993 - 4 AZR 471/92 - a. a. O., zu B III 2 c der Gründe).

d) Soweit die Beklagte zur Rechtfertigung der Systemänderung auf ein stillschweigend vorbehaltenes Widerrufsrecht abstellt, kann ihr nicht gefolgt werden.

aa) Einen ausdrücklichen Widerruf hat sich die Beklagte unstreitig nicht vorbehalten.

Ein solcher ist weder im Arbeitsvertrag vom 09.07.1974 enthalten noch in den inkorporierten Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte. Zwar bestimmt 2.5.4 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Außendienstangestellte, dass bei Änderung der Dienststellung und / oder des Arbeitsgebietes die Reisekostenpauschale neu festgesetzt wird. Hierin ist jedoch kein Widerrufsrecht für die in Rede stehende Umstellung des Systems von der Pauschale zur Einzelkostenabrechnung zu sehen. Im Übrigen beruft sich die Beklagte auch nicht auf ein ausdrückliches Widerrufsrecht. Sie stellt vielmehr auf ein stillschweigendes Widerrufsrecht ab.

bb) Aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.11.2000 (- 2 AZR 547/99 - AP-Nr. 64 zu § 2 KSchG 1969, zu II 1 b der Gründe) kann entnommen werden, dass ein stillschweigender Widerrufsvorbehalt entsprechend der Umstände des Einzelfalles möglich ist. Demgegenüber heißt es noch in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.06.1995 (- 5 AZR 126/94 - AP-Nr. 1 zu § 611 BGB Personalrabatt, zu 2 der Gründe) "Widerrufsvorbehalte müssen aber unmissverständlich kundgetan werden". Damit ist gemeint, der Vorbehalt müsse eindeutig vorbehalten sein (vgl. auch Leitsatz 1 der zitierten Entscheidung). Dies wird auch in der Literatur so gesehen (z.B. ErfK/Preis, 5. Auflage, § 611 BGB Rn. 691 m.w.N.). Der Beklagten ist vorliegend auch zuzugestehen, dass die Pauschalierung von Aufwendungsersatz entsprechend seiner Zwecksetzung aufgrund der für beide Seiten erkennbaren Interessenlage durchaus systemimmanent widerrufbar ist. Aufwendungsersatz hat keinen Vergütungscharakter, er gleicht Aufwendungen aus, die der Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten aufgewendet hat. Betrieblich verursachte Aufwendungen sind auszugleichen, nicht mehr und nicht weniger.

Dafür stehen das Pauschalierungssystem und das System des Einzelkostennachweises zur Verfügung. Eine beiderseitige Widerruflichkeit der Pauschalierungsabrede mag grundsätzlich auch dem beiderseitigen Interesse entsprechen, da auch der Kläger ein Eigeninteresse daran hat, eine Erhöhung der Reisekostenerstattung durchsetzen zu können, sofern die Pauschale nicht mehr zur Deckung der ihm tatsächlich entstehenden Kosten ausreicht. Ist schon fraglich, worin die Ausübung eines Widerrufsrechts dem Kläger gegenüber überhaupt gesehen werden kann, ging ihm doch mit Ausnahme des Schreibens vom 07.06.2004 insoweit keine entsprechende Erklärung der Beklagten zu, ergibt sich nach Auffassung der Kammer jedenfalls vorliegend, dass im Hinblick auf die seit 1974 durchgängig dem Grunde und der Höhe nach abredegemäß erfolgten Praxis entsprechend dieser Umstände von einem stillschweigenden Widerrufsvorbehalt nicht ausgegangen werden kann.

cc) Aber selbst dann, wenn ein stillschweigender Widerrufsvorbehalt vorläge, wäre der Widerruf gemessen am Maßstab des § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

(1) Bei dem unterstellten Widerrufsvorbehalt handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305ff BGB. Dem steht nicht entgegen, dass die gegenüber ca. 10.000 Arbeitnehmern im Außendienst dann gleichermaßen gegebenen Widerrufsvorbehalte nicht vorformulierte Vertragsbedingung sind.

Dem Tatbestandsmerkmal "vorformuliert" steht eine "Speicherung im Kopf" des Verwenders gleich (Däubler/Dorndorf, AGB - Kontrolle im Arbeitsrecht, 1. Auflage, 2004, § 305 BGB Rn. 8 m. z. N.). Im Übrigen darf wegen der fehlenden Vorformulierung keine Besserstellung der beklagten Arbeitgeberin in Bezug auf den Prüfungsmaßstab die Folge sein (Gesichtspunkt des Wertungswiderspruches).

(2) Der angenommene Widerrufsvorbehalt würde den formellen Anforderungen von §§ 308 Nr. 4, 307 BGB nicht gerecht werden. Neben der fehlenden Transparenz ("klar und verständlich", § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) mangelt es auch an der Erkennbarkeit der Angemessenheit und Zumutbarkeit des konkludenten Widerrufsrechts. Die Berufungskammer schließt sich den Ausführungen des BAG in seiner Entscheidung vom 12.01.2005 (-5 AZR 364/04-NZA 2005, 465ff, zu B I 5 der Gründe) ausdrücklich an, von der abzuweichen sie keine Veranlassung hat. Widerrufsgründe sind nicht erkennbar.

(3) Das als unwirksam bewertete (angenommene) Widerrufsrecht fällt vorliegend, obgleich es sich um einen so genannten Altfall handelt (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2005-5 AZR 364/04-a.a.O., zu B I 6 und B II 1 der Gründe) ersatzlos weg. Obschon sich die Beklagte selbst auf ein stillschweigendes Widerrufsrecht berufen hat, hat sie für die Systemumstellung kraft des unterstellten ausgeübten Widerrufsrechts keine Gründe genannt. Von daher ist ein erheblicher Vortrag der Beklagten hinsichtlich der vom BAG (Urteil vom 12.01.2005-5 AZR 364/04-a.a.O., zu B II 2 und 3 der Gründe) angenommenen ergänzenden Vertragsauslegung nicht gegeben.

(4) Im Übrigen würde angesichts der vorgenannten Umstände (Pauschale seit 1974, unveränderte Praxis, rentensteigernde Wirkung, Unterschreiten der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung) die Ausübungskontrolle im Einzelfall nicht billigem Ermessen gemäß § 315 BGB entsprechen. Die mit dem Systemwechsel zu Gunsten der Beklagten von der Berufungskammer angenommene eintretende Ersparnis der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung würden mithin die mit dem Systemwechsel verbundenen Nachteile des Klägers nicht aufwiegen, zumal der Ersparnisgesichtspunkt in der Vergangenheit für die Beklagte kein Beweggrund für einen Systemwechsel war.

e) Auch soweit das Arbeitsgericht Klagantrag Nr. 3 als zulässig angesehen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Verurteilung zu künftigen Leistungen ist § 259 ZPO. Da die Beklagte die Bezahlung der Reisekostenpauschale definitiv verweigert, besteht die tatbestandlich vorausgesetzte Besorgnis, die Beklagte werde sich künftigen Leistungen entziehen. In Übrigen hat der Kläger in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 13.03.2003 - 5 AZR 755/00 - EzA § 259 ZPO Nr. 1, zu I 1 der Gründe) folgsam die für den Anspruch auf die Reisekostenpauschale maßgeblichen Bedingungen in den Antrag aufgenommen. Demgemäß ist vor Erteilung der Vollstreckungsklausel zu prüfen, ob die für die künftige Leistung der Reisekostenpauschale im Tenor ausgeworfenen Bedingungen vorliegen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Berufungskammer misst der im Streite stehenden Berechtigung der Beklagten, einen Systemwechsel im Bereich der Reisekostenerstattung vorzunehmen, grundsätzliche Bedeutung zu, da nach Auskunft der Beklagten derzeit bundesweit noch ungefähr 70 Rechtsstreite anhängig sind.

Ende der Entscheidung

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