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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.06.2007
Aktenzeichen: 9 Ta 8/07
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 115
ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 a)
ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b)
SGB XII § 82 Abs. 2
SGB XII § 82 Abs. 2 Nr. 4
SGB XII § 90
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 25.04.2007 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg - Ka. Offenburg - vom 11.04.2007, 10 Ca 29/07 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird für den Kläger zugelassen.

Gründe:

A.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden, sofortigen Beschwerde die Bewilligung von ratenfreier Prozesskostenhilfe mit der Begründung, auch für ihn als Bezieher von Krankengeld sei der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO zu berücksichtigen.

Mit Beschluss vom 11.04.2007 hatte das Arbeitsgericht Freiburg - Ka. Offenburg - dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und angeordnet, dass auf die Prozess-/Verfahrenskosten Monatsraten in Höhe von Euro 75,-- zu zahlen sind. Es ging dabei als Einkommen des Klägers von dem von diesem bezogenen Krankengeld aus und setzte hiervon Beträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII, nämlich Beiträge für Versicherungen sowie den Freibetrag für die Partei sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung ab, nicht jedoch den Betrag nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO.

Aufgrund des verbleibenden einzusetzenden Einkommens ergab sich eine Ratenzahlungsverpflichtung des Klägers in Höhe von monatlich Euro 75,--.

Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.04.2007 zugestellt. Hiergegen legte er mit Schriftsatz vom 25.04.2007, beim Arbeitsgericht am 26.04.2007 eingegangen, sofortige Beschwerde ein.

Diese begründete er damit, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts fehlerhaft sei, weil auch der Kläger erwerbstätig sei, wenn er auch derzeit lediglich Krankengeld beziehe. Auch das vom Kläger bezogene Krankengeld sei Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne von § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO. Daher sei auch von diesem der Erwerbstätigen-Bonus von Euro 173,-- monatlich abzusetzen, bei dessen Berücksichtigung sich die monatlichen Raten auf Euro 15,-- reduzierten.

Mit Beschluss vom 30.04.2007 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht vorgelegt. Es hat zur Begründung ausgeführt, beim Krankengeld handele es sich zwar um Einkommen, jedoch nicht um Erwerbseinkommen aufgrund einer selbstständigen oder unselbstständigen Tätigkeit. Das Krankengeld sei eine Lohnersatzleistung für die durch die Krankheit bedingte Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit. Für die Zubilligung des Erwerbstätigen-Bonusses fehle jedoch der Zweck dieser Regelung, nämlich der Ausgleich eines tatsächlichen mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Mehraufwandes.

B.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

I.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Krankengeld kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit darstellt, so dass der Erwerbstätigen-Bonus des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO hier nicht anzuwenden ist. Zunächst wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss vom 30.04.2007 Bezug genommen.

II.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

1. Nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO ist Voraussetzung für die Absetzung des Erwerbstätigen-Bonus, dass die Partei ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Das Gesetz knüpft nach seinem Wortlaut weder an das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses oder einer sonstigen Erwerbstätigkeit an, sondern Voraussetzung ist, dass die Partei aus einer Erwerbstätigkeit ein Einkommen erzielt, also zum einen das Bestehen einer Erwerbstätigkeit, zum anderen die Erzielung von Einkommen hieraus.

Bei dem Krankengeld handelt es sich, was auch der Kläger nicht bestreitet, um Einkommen im Sinne dieser Vorschrift. Der Kläger mag auch weiterhin als erwerbstätig gelten, auch wenn er seit längerer Zeit arbeitsunfähig ist, da das Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Der Begriff der Erwerbstätigkeit ist im Zusammenhang des § 115 ZPO nicht näher bestimmt, sondern wird vorausgesetzt. Er wird in verschiedenen Vorschriften verwendet. Da die Prozesskostenhilfe eine besondere staatliche Sozialleistung darstellt, ist es naheliegend, zur Bestimmung des Begriffs der Erwerbstätigkeit auf sozialgesetzliche Vorschriften zurückzugreifen. Im SGB XII wird der Begriff lediglich in § 90 ohne nähere Definition verwendet, während er im SGB II vielfach anzutreffen ist, jedoch auch hier vorausgesetzt wird.

Die allgemeine Definition des Begriffs der Erwerbstätigkeit ist daher für die Auslegung des § 115 ZPO heranzuziehen.

Erwerbstätigkeit kann umfassend beschrieben werden als nichtselbstständige Arbeit, die auf Arbeitsentgelt gerichtet ist oder selbstständige Tätigkeit, die auf Arbeitseinkommen gerichtet ist. Kennzeichen der Erwerbstätigkeit ist die Entgeltlichkeit einer Arbeitstätigkeit (Gagel/Fuchsloch, SGB III., § 63, Stand Dezember 2006, Rn. 115 ff.).

In diesem Sinne ist das Krankengeld kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit, denn es wurde dem Kläger gerade nicht für die Erbringung einer bestimmten Arbeitsleistung bezahlt, sondern deshalb, weil der Kläger gerade nicht in der Lage war, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (so auch Gagel, SGB III., § 20, Rn. 23). Nach dem Wortlaut des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO stellt das Krankengeld kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit dar.

2. Auch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung gebietet kein anderes Ergebnis. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO trägt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 87, 173 ff.) Rechnung, wonach zum Mindestbedarf des Lebensunterhalts ein Mehraufwand, der mit einer Erwerbstätigkeit verbunden ist, gehört, der durch den Werbungskostenabzug nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Vorschrift dient also dazu, durch eine Pauschalierung der mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Kosten sicherzustellen, dass die Partei durch die von ihr zu tragenden Prozesskosten nicht in einer Weise belastet wird, dass ihr nicht mehr das Existenzminimum verbleibt.

Bezieht die Partei Krankengeld, so ist sie in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis regelmäßig bereits 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Dadurch reduzieren sich in vielen Fällen die Kosten, die mit der Erwerbstätigkeit verbunden sind ganz erheblich oder entfallen vollständig (darauf hinweisend auch LAG Rheinland-Pfalz, 21.3.2006, 2 Ta 25/06). Neben den Kosten wie Fahrtkosten oder besonderen berufsbezogenen Aufwendungen, die als Werbungskosten geltend gemacht werden können, entfallen insbesondere sonstige Kosten wie beispielsweise für zusätzliche Verpflegung durch die Abwesenheit in der häuslichen Wohnung, oder für die Bekleidung oder deren Reinigung und ähnliche Kosten, die nicht durch Werbungskostenabzug geltend gemacht werden können.

Soweit es sich um Fahrtkosten handelt, entfallen diese häufig auch, aber nicht zwingend, weil beispielsweise eine einmal gekaufte Jahreskarte trotzdem zu zahlen ist. Allerdings können diese Kosten dann darüber hinaus als Werbungskosten nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 a) ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII geltend gemacht und abgesetzt werden.

Der Zweck des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO, das für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Grunde zu legende Einkommen der Partei um diese anfallenden "Unkosten" der Berufstätigkeit zu vermindern, entfällt daher typischerweise, wenn die Partei über einen längeren Zeitraum, nämlich mindestens 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Aus diesem Grunde läuft der Zweck der Vorschrift dann ins Leere und unter dem Gesichtspunkt einer theologischen Auslegung ist es ebenfalls nicht geboten, dass bei Bezug von Krankengeld der Erwerbstätigen-Bonus zu berücksichtigen ist.

Auch wenn man darüber hinaus davon ausgeht, dass § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b) ZPO einen Anreiz für die Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit schaffen will, so gebietet das nicht eine Auslegung der Vorschrift in dem Sinne, dass auch bei Bezug von Krankengeld der Erwerbstätigen-Bonus zu berücksichtigen ist. Im Falle des Bezuges von Krankengeld kann die Partei gerade keine Erwerbstätigkeit ausüben, so dass eine Anreizfunktion ins Leere liefe. Zudem wäre dann Erwerbstätigen-Bonus ihr auch in einer Situation zuzubilligen, in der eine Erwerbstätigkeit gerade nicht ausgeübt wird.

Sofern die Partei durch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses weiterhin Ausgaben hat, die mit der Erzielung des Einkommens aus der Arbeitstätigkeit notwendigerweise verbunden sind und durch die Unterbrechung der Arbeitstätigkeit nicht entfallen, hat die Partei immer noch die Möglichkeit, diese nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 a) i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII vom Einkommen abzusetzen. Auch dies zeigt, dass die Notwendigkeit, den Erwerbstätigen-Bonus bei Bezug von Krankengeld zu gewähren, nicht besteht.

Aus den genannten Gründen war die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen.

III.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist und in der bisherigen Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte - soweit ersichtlich - nicht geklärt wurde. Das Landesarbeitsgericht Köln (11 Ta 322/98, zitiert nach JURIS) geht inzidenter davon aus, dass auch beim Bezug von Krankengeld ein Erwerbstätigen-Freibetrag zu berücksichtigen ist, während das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (2 Ta 25/06, zitiert nach JURIS) davon ausgeht, dass dieser nicht zu berücksichtigen ist.

Ende der Entscheidung

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