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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 06.01.2009
Aktenzeichen: 15 Sa 2311/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 62 Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 62 Abs. 1 Satz 3
ArbGG § 64 Abs. 7
ZPO § 707 Abs. 1
ZPO § 719 Abs. 1
1. Eine drohende Betriebseinstellung kann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigen.

2. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts kommt regelmäßig auch dann in Betracht, wenn der Schuldner es versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren einen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zu stellen.

Die Kammer gibt damit ihre entgegenstehende Entscheidungslinie aus dem Beschluss vom 23.8.2007 - 15 Sa 1630/07 - NZA RR 2008, 42 auf.


Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Beschluss

15 Sa 2311/08

In Sachen

Tenor:

wird die Zwangsvollstreckung aus dem am 25. September 2008 verkündeten Urteil des Arbeitsgerichts Berlin - 62 Ca 63.192/07 - einstweilen eingestellt.

Gründe:

I.

Das Arbeitsgericht verurteilte den Beklagte zu 2) zur gesamtschuldnerischen Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Höhe von 57.795,- €.

Gegen dieses Urteil hat auch der Beklagte zu 2) Berufung eingelegt. Die Klägerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem vorbezeichneten Urteil.

Der Beklagte zu 2) macht geltend und versichert dies an Eides statt, dass die Zwangsvollstreckung zu einer Zerschlagung des Betriebes führen würde. Zwar verfüge er über Anteile an 2 Grundstücken, doch seien die eingetragenen Belastungen zu Gunsten der Kreissparkasse H. höher als der aktuelle Verkehrswert. Das wesentliche Betriebsvermögen bestehe im sog. Good-will des Unternehmens. Müsse er eine eidesstattliche Versicherung abgeben, würde er gegenüber der Kreissparkasse H. nicht mehr als kreditwürdig erscheinen. Diese würde die Kredite kündigen und auf einer Rückzahlung der grundbuchlich gesicherten Kredite bestehen. Sollte sein Anteil an dem gemeinsamen Unternehmen gepfändet werden, käme es ebenfalls zu einer Zerschlagung des Betriebes. Zwar könne er im Falle des Obsiegens im Berufungsverfahren Schadensersatzansprüche geltend machen, doch könne das Unternehmen nicht fortgesetzt werden, denn die Auftraggeber hätten sich längst abgewendet. Daher sei die Zwangsvollstreckung einzustellen.

Die Klägerin meint, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sei lediglich die Folge der gesetzlich zugestandenen Vollstreckungsmöglichkeiten. Bei der Vollstreckungsforderung handele es sich lediglich um einen kleinen Teil der aktuellen Beitragsforderung. Angesichts der eigenen Liquidität könne sie auch Schadensersatz leisten.

II.

1. Nach §§ 64 Abs. 7, 62 Absatz 1 Satz 3 ArbGG i. V. m. 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ist für die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung das Gericht zuständig, bei dem die Hauptsache anhängig ist (Germelmann u.a. 5. Aufl., § 62 ArbGG Rdnr. 32). Da die Berufung schon eingelegt war, ist somit das Landesarbeitsgericht zuständig.

Die Entscheidung erfolgt gem. §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 1 Nr. 6, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG durch den Vorsitzenden der Kammer allein.

2. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nach §§ 62 Absatz 1 Satz 3 i. V. m. 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nur möglich, wenn die Beklagte glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Diese Voraussetzung ist erfüllt.

Bei der Vollstreckung aus einem Zahlungstitel besteht ein nicht zu ersetzender Nachteil u.a. dann, wenn die Einstellung des Betriebes droht (LG Mannheim 26.8.2005 - 7 O 506/04 - juris Rn 74; Baumbach u.a. § 707 ZPO Rn 10). Der BGH hält es insofern vor allem für problematisch, dass eine aufgelöste Gesellschaft oder Genossenschaft nur unter Beeinträchtigung des Unternehmenswertes in eine werbende Gesellschaft zurückverwandelt werden kann, wobei diese Beeinträchtigung finanziell nur schwer fassbar und deshalb nicht auszugleichen ist (BGH 5.9.1986 - II ZR 225/86 - DB 1986, 2428). Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin genügend liquide bezogen auf mögliche Schadensersatzforderungen ist.

Der Beklagte zu 2) hat hier nachvollziehbar dargelegt, dass bei allen Varianten der Zwangsvollstreckung eine Zerschlagung des Unternehmens die Folge wäre.

Der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts steht nicht entgegen, dass der Beklagte zu 2) es versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren einen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zu stellen. Soweit die hiesige Kammer in einer früheren Entscheidung ( 23.8.2007 - 15 Sa 1630/07 - NZA-RR 2008, 42) den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Revisionsverfahren aufgestellt hat (Bundesgerichtshof vom 31.10.2000 - XII ZR 3/00 - NJW 2001, 375; vom 3.7.1991 - XII ZR 262/90 - NJW-RR 1991, 1216) auch für das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren gefolgt war, wird hieran nicht mehr festgehalten. Die Entscheidungen des BGH, aber auch des BFH (15.4.1981 - IV S 3/81 - juris) und des BVerwG (19.6.1998 - 6 AV 2/98 - NJW 1999, 79) beruhen letztlich auf der Erwägung, dass ein Vollstreckungsschutzantrag bei einem Revisionsgericht nur als letztes Hilfsmittel des Vollstreckungsschuldners in Betracht kommen darf. Dies ist nicht identisch mit der Interessenlage derjenigen Parteien, die anders als im Revisionsverfahren noch eine zweite Tatsacheninstanz vor sich haben (KG Berlin 6.6.2000 - 5 U 1112/00 - MDR 2000, 1455). Die Übertragung der Sichtweise der Revisionsgerichte auf das arbeitsgerichtliche erstinstanzliche Verfahren würde ferner zu einer Befrachtung dieses Verfahrens mit der vorsorglichen Antragstellung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG führen, so dass zusätzliche Verzögerungen eintreten könnten (LAG Baden-Württemberg 26.8.2008 - 5 Sa 52/08 - juris Rn 23). Auch besteht erstinstanzlich kein Anwaltszwang. Damit würde sich eine Hinweispflicht des Arbeitsgerichts ergeben, wobei zumindest bei einer Verletzung dieser Pflicht letztlich auch im Berufungsverfahren noch die Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragbar sein müsste (aaO Rn 24). Soweit der BGH über das Revisionsverfahren hinaus darauf abstellt, dass eine Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Rahmen des § 719 ZPO im Gegensatz zu § 712 ZPO auch ohne Gewährung rechtlichen Gehörs möglich ist, trifft dies nur auf besonders dringliche Eilfälle zu (BVerfG 13.3.1973 - 2 BvR 484/72 - BVerfGE 34, 344). All dies spricht dafür, zumindest im Regelfall auch bei Versäumung eines vorangegangenen Schutzantrages nach § 62 I 2 ArbGG die Einstellung der Zwangsvollstreckung im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren zu erlauben.

Rechtlich unerheblich ist, inwiefern die Klägerin noch weitere Ansprüche gegen die Beklagte meint zu haben.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Nach § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet eine Anfechtung des Beschlusses nicht statt. Insofern kann die Rechtsbeschwerde durch ein Landesarbeitsgericht selbst dann nicht zugelassen werden, wenn es von anderen obergerichtlichen Entscheidungen abweicht (BAG vom 5.11.2003 - 10 AZB 59/03 - NZA 2003, 1421).

Berlin, den 6. Januar 2009

Ende der Entscheidung

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