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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: 17 Sa 1952/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 93
Der Insolvenzverwalter ist in einem nach § 93 InsO geführten Rechtsstreit berechtigt, einen Vergleich mit dem pers. haftenden Gesellschafter abzuschließen, auch wenn dies zu einem teilweisen Erlass der Forderungen führt.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

17 Sa 1952/06

Verkündet am 29.03.2007

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2007 durch den Vorsitzendern Richter am Landesarbeitsgericht D. als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Sch. und Herr G.

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. August 2006 - 97 Ca 73074/06 - geändert:

Die Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29. März 2006 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten seiner Säumnis.

Der Kläger hat die übrigen Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen und Zinsen verpflichtet ist. Dabei ist vor allem umstritten, ob sich die Klägerin einen Vergleich entgegenhalten lassen muss, der zwischen der Insolvenzverwalterin der GbR und dem Beklagten abgeschlossen wurde.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Beklagte war Gesellschafter der C. GbR, über deren Vermögen am 3. September 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Insolvenzverwalterin nahm den Beklagten wegen Insolvenzforderungen, zu denen auch die im hiesigen Rechtsstreit streitige Forderung der Klägerin gehörte, vor dem Landgericht Rostock (10 O. 141/03) in Anspruch. Sie vereinbarte in diesem Rechtsstreit mit dem Beklagten am 10. September 2003 einen gerichtlichen Vergleich, in dem der Beklagte eine Schuld von 79.824,75 EUR nebst Zinsen anerkannte. Die Insolvenzverwalterin ließ dem Beklagten nach, die Schuld in monatlichen Raten von 50,00 EUR zu tilgen. Sofern der Beklagte bis zum 31. Dezember 2004 einen Betrag von 4.500,00 EUR zahlen würde, sollte die restliche Schuld erlassen sein. Wegen der Einzelheiten des Vergleichs wird auf Bl. 70 d.A. verwiesen.

Der Beklagte zahlte an die Insolvenzverwalterin vor dem 31. Dezember 2004 zur Erfüllung des Vergleichs 4.500,00 EUR; auf die Forderung der Klägerin entfiel dabei ein Betrag von 259,77 EUR.

Die Klägerin hat den Beklagten nach Abschluss des Insolvenzverfahrens erneut wegen seiner persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der GbR in Anspruch genommen. Nachdem der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. März 2006 nicht erschienen war, hat das Arbeitsgericht den Beklagten durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur Zahlung von 5.426,62 EUR verurteilt. Der Beklagte hat gegen das ihm am 6. April 2006 zugestellte Versäumnisurteil am 7. April 2006 Einspruch eingelegt und geltend gemacht, er sei mit Wirkung vom 1. Oktober 2000 aus der GbR ausgeschieden; auch müsse sich die Klägerin den genannten Vergleich entgegenhalten lassen. Das Arbeitsgericht hat die Entscheidung aus dem Versäumnisurteil durch ein am 23. August 2006 verkündetes Urteil aufrechterhalten. Der Beklagte sei den von der Klägerin schlüssig dargelegten Forderungen nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Er habe gegenüber der Klägerin den Rechtsschein gesetzt, am 30. April 2001 noch Gesellschafter der GbR gewesen zu sein; hieran müsse er sich festhalten lassen. Die übrigen Einwendungen des Beklagten seien als unerheblich zu betrachten.

Gegen dieses ihm am 26. Oktober 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. November 2006 eingelegte Berufung des Beklagten, die er mit einem am 19. Dezember 2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Er hat vor allem geltend gemacht, ihm sei die streitbefangene Forderung durch den gerichtlichen Vergleich vom 10. September 2003 erlassen worden.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. August 2006 - 97 Ca 73074/06 - die Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Beklagte sei trotz des gerichtlichen Vergleichs vom 10. September 2003 zur Zahlung verpflichtet. Die Insolvenzverwalterin habe nicht die Rechtsmacht besessen, sich zu ihren - der Klägerin - Lasten zu vergleichen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Die Klage ist unter Aufhebung der Entscheidung aus dem Versäumnisurteil vom 29. März 2006 abzuweisen. Dem Anspruch der Klägerin steht der gerichtliche Vergleich vom 10. September 2003 entgegen.

1. Der Vergleich vom 10. September 2003 bezog sich auf die im vorliegenden Fall streitbefangenen Ansprüche. Die Insolvenzverwalterin der GbR hatte den Beklagten aufgrund seiner persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der GbR gemäß § 93 InsO in Anspruch genommen und dabei auch die von der Klägerin erneut verfolgten Beitrags- und Zinsansprüche gerichtlich geltend gemacht. Nach Nr. 3 des Vergleichs wurde dem Beklagten u.a. die auf den Forderungen der Klägerin beruhende Schuld erlassen, weil er bis zum 31. Dezember 2004 den vereinbarten Betrag von 4.500,00 EUR an die Insolvenzverwalterin gezahlt hat.

2. Der Vergleich vom 10. September 2003 ist rechtswirksam. Die Insolvenzverwalterin der GbR war entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere befugt, dem Beklagten die Forderung der Klägerin in der geschehenen Weise zu erlassen.

a) Wird über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit das Insolvenzverfahren eröffnet, kann gemäß § 93 InsO die persönliche Haftung eines Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Zweck dieser Vorschrift ist es, einen Wettlauf der Gesellschaftsgläubiger zu verhindern. Diese würden ansonsten versuchen, ohne Rücksicht auf die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens ihre Forderungen bei den Gesellschaftern durchzusetzen. Sind die Gesellschafter nur eingeschränkt leistungsfähig, wäre zu befürchten, dass andere Gläubiger mit ihren Forderungen ausfallen würden; dies widerspräche dem Zweck des Insolvenzverfahrens, eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu sichern (BAG, Urteil vom 28. Juli 2005 - 3 AZR 463/04 - AP Nr. 59 zu § 16 BetrAVG; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 1 AZR 504/03 - AP Nr. 32 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers). § 93 InsO entfaltet deshalb eine Sperr- und eine Ermächtigungswirkung. Die Gläubiger sind für die Dauer des Insolvenzverfahrens gehindert, ihre Ansprüche selbst geltend zu machen; sie verlieren ihre Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Ansprüche der Gläubiger im eigenen Nahmen treuhänderisch einzuziehen und als gesetzlicher Prozessstandschafter gerichtlich durchzusetzen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 193/05 - DB 2007, 51 f.; MünchKommInsO-Brandes, § 93 Rn. 14). Die Gläubiger bleiben materiell-rechtlich Inhaber der Forderungen; § 93 InsO bewirkt keinen gesetzlichen Forderungsübergang.

b) Es ist umstritten, ob § 93 InsO den Insolvenzverwalter zum Abschluss eines Vergleichs mit dem persönlich haftenden Gesellschafter ermächtigt, wenn dies zu einem teilweisen Erlass der Forderung führt (vgl. hierzu Krüger, NZI 2002, 367, 369 f.; Wessel, DZWIR 2002, 53, 55 f.; BK-InsO-Blersch/v.Olshausen, Stand Juli 2003; § 93 Rn. 7; Schmidt, KTS 2001, 373, 377; Fuchs, ZIP 2000, 1089, 1094). Gegen eine derartige Vergleichsbefugnis wird vor allem eingewandt, dass § 93 InsO den Insolvenzverwalter nur bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens berechtige, für die Gesellschaftsgläubiger zu handeln. Ein endgültiger Forderungsverzicht wirke jedoch über das Insolvenzverfahren hinaus; da die Gläubiger Inhaber der Forderungen blieben, müssten sie nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch in der Lage sein, ihre Ansprüche durchzusetzen. Die gegenteilige Auffassung hält demgegenüber den Insolvenzverwalter nach § 93 InsO für ermächtigt, Vergleiche über die ihm zur Einziehung zugewiesenen Forderungen abzuschließen, zumindest wenn dies Vorteile für die Masse mit sich bringt.

c) Die Berufungskammer hält den Insolvenzverwalter nach § 93 InsO für berechtigt, einen (Prozess-)Vergleich mit dem persönlich haftenden Gesellschafter über die Forderung eines Gesellschaftsgläubigers abzuschließen. Dies bringt bereits die treuhänderische Stellung des Insolvenzverwalters mit sich. Treuhandverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass dem Treuhänder nach außen mehr Rechte zukommen, als er sie im Verhältnis zu dem Treugeber ausüben darf (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 249/02 -, BGHZ 157, 178 ff. m.w.N.). Dass der Gesellschaftsgläubiger mit einem Vergleich über seine Forderung nicht einverstanden ist, berührt jedoch allein das Innenverhältnis zum Insolvenzverwalter; die nach außen wirkende Rechtsmacht des Insolvenzverwalters, sich im Rahmen des § 93 InsO über die Forderung zu vergleichen, wird hiervon nicht beeinträchtigt. Wird die Forderung - wie im vorliegenden Fall - gerichtlich geltend gemacht, ist ferner zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter als gesetzlicher Prozessstandschafter den Prozess im eigenen Namen als Partei kraft Amtes führt. Wie jeder anderen Partei eines Zivilprozesses steht auch ihm die Befugnis zu, über den Rechtsstreit als Ganzes zu verfügen und ihn z.B. durch Abschluss eines Vergleichs mit dem Prozessgegner zu beenden. Auch der Zweck des Insolvenzverfahrens, eine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger zu erreichen, spricht für eine Vergleichsbefugnis des Insolvenzverwalters. Dass der einzelne Gläubiger die persönliche Haftung eines Gesellschafters während des Insolvenzverfahrens nicht geltend machen kann, dient einem gemeinschaftlichen Interesse aller Gläubiger, das von dem Insolvenzverwalter wahrzunehmen ist. Im Übrigen kann ein von dem Insolvenzverwalter mit dem Gesellschafter abgeschlossener Vergleich zu einer höheren Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger führen als dies bei einer gesonderten Inanspruchnahme des Gesellschafters der Fall wäre. Häufig geht eine Insolvenz der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit mit einer Zahlungsunfähigkeit der Gesellschafter einher. Die Gesellschafter sind jedoch - wie auch der vorliegende Fall zeigen dürfte - im Interesse einer Gesamtbereinigung aller Ansprüche möglicherweise zu Zahlungen bereit, die von den Gläubigern bei einer Vollstreckung der Ansprüche nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wegen des gesetzlichen Pfändungsschutzes nicht durchgesetzt werden könnten. Die Gläubiger, deren Forderungen durch einen vom Insolvenzverwalter abgeschlossenen Vergleich verkürzt werden, sind zudem nicht schutzlos. Auch bei der Durchsetzung und Regelung von Ansprüchen nach § 93 InsO muss der Insolvenzverwalter dem Sorgfaltsmaßstab des § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO genügen; er muss "ordentlich und gewissenhaft" handeln. Wird der Vergleich den wirtschaftlichen Gegebenheiten bzw. den beiderseitigen Prozessrisiken nicht gerecht, kommt deshalb eine Schadensersatzverpflichtung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht. Ferner können die Gläubiger in der Gläubigerversammlung oder in einem Gläubigerausschuss mit dem Insolvenzverwalter ein Vorgehen nach § 93 InsO abstimmen. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, die Vergleichsbefugnis des Insolvenzverwalters einzuschränken.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 344 ZPO.

4. Die Berufungskammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob der Insolvenzverwalter im Rahmen eines nach § 93 InsO geführten Rechtsstreits einen Vergleich zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger abschließen kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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