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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: 12 Sa 1463/05
Rechtsgebiete: KSchG, InsO


Vorschriften:

KSchG §§ 17 ff.
KSchG § 1 Abs. 2
InsO § 125
Der Begriff der Entlassung in §§ 17, 18 KSChG kann unter Anwendung nationaler Auslegungsregeln nicht im Sinne von Kündigungserklärung verstanden werden.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

12 Sa 1463/05

Verkündet am 20.12.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 12. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2005 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Hantl-Unthan als Vorsitzende sowie die ehrenamtliche Richterin Stock und den ehrenamtlichen Richter Schrader

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. Juni 2005 - 79 Ca 8986/05 - wie folgt abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Die zum Zeitpunkt der Kündigung 53 Jahre alte Klägerin, die keine Unterhaltspflichten hat, ist seit dem 1. Juni 1988 bei der Fa. G. & M. GmbH in Berlin als Druckvorlagenherstellerin beschäftigt. Am 1. März 2005 wurde über das Vermögen dieser Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 18. März 2005 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat der Arbeitgeberin einen Interessenausgleich mit Namensliste. Gegenstand war die Personalreduzierung um 13 Mitarbeiter, zu diesem Zeitpunkt waren bei der Arbeitgeberin 75 Mitarbeiter beschäftigt. Die Klägerin ist unter den zu kündigenden Arbeitnehmern im Interessenausgleich unter Nr. 1 aufgeführt (Ablichtung des Interessenausgleichs Blatt 23 bis 25 der Akte). Mit Schreiben vom 30. März 2005, der Klägerin nach ihrem Vortrag am 1. oder 2. April, nach dem Vortrag der Beklagten am 31. März 2005 um 13.50 Uhr zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. Juni 2005. Unter dem Datum des 25. April 2005 erstattete er bei der Arbeitsagentur eine Massenentlassungsanzeige, wegen deren Inhalts auf Blatt 26 bis 30 der Akte verwiesen wird. Der Anzeige war der Interessenausgleich vom 18. März 2005 beigefügt. Danach sollten zum 30. Juni 2005 neun Arbeitnehmer, darunter die Klägerin, zum 31. Mai 2005 ein Arbeit-nehmer und zum 30. April 2005 noch zwei Arbeitnehmer entlassen werden (Blatt 30 der Akte).

Am 15. April 2005 hat die Klägerin gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht Klage erhoben, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung bestritten und die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Massenentlassungsanzeige geltend gemacht.

Mit Urteil vom 7. Juni 2005 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 30. März 2005 nicht aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam. Nach den vorliegenden Zahlen sei davon auszugehen, dass mehr als 10 % der regelmäßig Beschäftigten innerhalb von 30 Kalendertagen gekündigt worden seien, so dass Anzeigepflicht nach § 17 KSchG bestanden habe. Unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 27. Januar 2005 hätte der Beklagte daher vor Ausspruch der Kündigung eine Anzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur erstatten müssen. Dies ergäbe die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts. Da der Beklagte diese Anzeige erst nach der Kündigung abgegeben habe, sei die Kündigung unwirksam. Auf Vertrauensschutz könne sich der Beklagte nicht berufen, da er die Kündigung erst nach Verkündung der EuGH-Entscheidung ausgesprochen habe.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Blatt 40 bis 42 der Akte, verwiesen.

Gegen dieses, ihm am 24. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Juli 2005 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangene und am 24. August 2005 begründete Berufung des Beklagten. Er vertritt die Auffassung, die kündigungsschutzrechtlichen Regelungen zur Massenentlassung seien einer Auslegung im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht zugänglich. Unter Anwendung der kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften habe er sich gesetzeskonform verhalten. Er trägt vor, sämtliche von der Klägerin bisher verrichteten Tätigkeiten fielen unter den Tätigkeitsbereich "Druckvorlagenherstellerin", hierzu gäbe es keine vergleichbaren Arbeitnehmer, so dass eine Sozialauswahl nicht durchzuführen gewesen sei.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. Juni 2005 - 79 Ca 8986/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt weiterhin die Auffassung, die Wirksamkeit der Kündigung scheitere bereits an einer ordnungsgemäß durchgeführten Massenentlassung. Darüber hinaus rügt sie die Sozialauswahl und meint, sie sei auch mit Mitarbeitern anderer Bereiche vergleichbar, da sie seit 1999 auch in der Auftragsvorbereitung und der Qualitätssicherung eingesetzt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 24. August 2005 (Blatt 54 ff. der Akte) und den Schriftsatz des Berufungsklägers vom 17. November 2005 (Blatt 91 ff. der Akte) sowie auf die Berufungsbeantwortung vom 28. September 2005 (Blatt 69 ff. der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung hat in der Sache auch Erfolg. Die zulässige und fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage ist nicht begründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Dies wird gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet. Diese Vermutung hat die Klägerin nicht widerlegt. Die Sozialauswahl ist nicht grob fehlerhaft im Sinne von § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Kündigung ist auch weder wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG noch wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Massenentlassung unwirksam.

1.

Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb des Schuldners entgegenstehen. Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 InsO wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist, wenn eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG geplant ist und zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Über das Vermögen des Arbeitgebers der Klägerin ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Beklagte als amtsgerichtlich bestellter Insolvenzverwalter hat mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich ausgehandelt, in dem die Klägerin als zu kündigende Mitarbeiterin namentlich genannt ist.

b) Der Interessenausgleich erfolgt wegen einer geplanten Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG. Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung i.S.d. § 111 S. 1 BetrVG u.a. auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Maßstab für die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Maß-geblich ist die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die voraussichtlich, wenn auch in mehreren Stufen, betroffen sein werden, sei es auch erst nach Ablauf mehrer Monate (vgl. BAG vom 22. Januar 2004, 2 AZR 111/02, EZA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 11). Nach den Angaben im Interessenausgleich soll das Personal um 13 Mitarbeiter reduziert werden. Bei einer Arbeitnehmerzahl von 75 entspricht dies der Quote, die § 17 Abs. 1 Satz Ziff. 2 KSchG vorsieht. Die Klägerin hat diesen Personalabbau und die dadurch bedingte Betriebsänderung auch nicht in Zweifel gezogen. Gründe, die gegen die Wirksamkeit des Interessenausgleichs sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Damit liegt ein wirksamer Interessenausgleich mit namentlich benannten zu kündigenden Arbeitnehmern vor.

c) Wird somit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, so obliegt es dem Arbeitnehmer, diese Vermutung zu widerlegen. Die Vermutung der dringenden betrieblichen Erfordernisse führt im Kündigungsstreit zur Beweislastumkehr. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorliegen, trägt der Arbeitnehmer (vgl. BAG vom 21.2.2002, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; KR-Weigand, 7. Aufl. 2004, § 125 InsO Rz. 20 m.w.Nw). Trägt der Arbeitnehmer keine der Vermutung widersprechenden Tatsachen vor, so ist vom Vorliegen des betriebsbedingten Kündigungsgrundes ohne weiteres auszugehen (BAG vom 28. August 2003, 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 m.w.Nw.). Dies ist vorliegend der Fall, denn die Klägerin hat keine die Vermutung widerlegenden Tatsachen vorgetragen.

2.

Die Sozialauswahl ist nicht zu beanstanden. Da die Klägerin in dem Interessenausgleich namentlich benannt ist, ist die Sozialauswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachzuprüfen. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit bezieht sich auf die Sozialauswahl insgesamt. Auch die Nichteinbeziehung anderer Arbeitnehmer wegen fehlender Vergleichbarkeit oder wegen berechtigter betrieblicher Interessen kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (vgl. BAG vom 28. August 2003, 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 m.w.Nw.). Insbesondere bei einer vom Insolvenzverwalter in Anwendung einer Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung ist die soziale Rechtfertigung nur noch in Ausnahmefällen in Frage zu stellen (BAG vom 28. August 2003, 2 AZR 368/02, a.a.O.). Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Darlegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, zunächst dem Arbeitnehmer, wobei von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen ist. Demnach ist es im Prozess zunächst Sache des Arbeitnehmers zu begründen, warum er mit Arbeitnehmern einer bestimmten Gruppe vergleichbar ist. Die bloße Behauptung, eine Vergleichbarkeit sei gegeben, reicht hierzu nicht aus. Soweit es ihm möglich ist, hat er darzulegen, welche Qualifikationsanforderungen bei der Ausübung der Tätigkeiten, für die er sich geeignet hält, zu erfüllen sind. Gleichzeitig hat er mitzuteilen, welche Fertigkeiten er wann und wie erworben hat und ob sie ihn zur Ausfüllung des von ihm angestrebten Arbeitsplatzes befähigen (vgl. BAG vom 5. Dezember 2002, 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849 m.w.Nw.).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei im Laufe ihres Arbeitsverhältnisses mit einer Reihe unterschiedlicher Aufgaben betraut gewesen. So sei in der zuletzt vorgenommenen Änderung des Aufgabenbereiches am 23. August 2002 festgehalten worden, dass sie zuvor in der Abteilung Druckvorstufe tätig gewesen sei und künftig im Bereich der Qualitätskontrolle eingesetzt werden solle, wobei sie auch in anderen Abteilungen habe aushelfen können. Ausweislich ihres Zeugnisses sei sie bereits seit 1999 in der Auftragsvorbereitung und Qualitätssicherung tätig gewesen und habe unter anderem Präsentationsmappen für die Kunden zusammengestellt und im Lager ausgeholfen. Sie sei daher auch mit anderen Mitarbeitern der Druckvorstufe, der Auftragsvorbereitung und der Qualitätskontrolle, aber auch mit Mitarbeitern anderer Abteilungen vergleichbar. Demgegenüber hat der Beklagte eingewandt, die von der Klägerin erledigten Aufgaben fielen allesamt in den Tätigkeitsbereich der Druckvorlagenherstellung und es gäbe es keinen Arbeitnehmer, dessen Tätigkeitsfeld mit dem der Klägerin vergleichbar sei. Nach der abgestuften Darlegungslast wäre es daher zunächst ausreichend aber auch erforderlich gewesen, wenn die Klägerin die Tätigkeit der von ihr für vergleichbar gehaltenen Mitarbeiter vorträgt und angibt, warum es sich dabei um vergleichbare Aufgabenbereiche und Qualifikationsanforderungen handeln soll. Dieser Vortrag liegt in ihrem Wahrnehmungsbereich und ist daher ohne weiteres von ihr zu leisten. Die Klägerin hat jedoch keinerlei Angaben zu den Tätigkeiten der von ihr für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmer, die sie noch nicht einmal namentlich benannt hat, gemacht. Die Angabe der Abteilung reicht hierfür nicht, denn die Sozialauswahl richtet sich nicht nach der Abteilung, in der die Mitarbeiter tätig sind, sondern danach, ob diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze wegfallen, nach ihren tatsächlichen Fähigkeiten und ihrem Arbeitsvertrag auf dem Arbeitsplatz eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt werden können.

3.

Fehler in der Betriebsratsanhörung sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht näher angeführt. Für die Anhörung des Betriebsrates vor einer Kündigung gemäß § 102 BetrVG gelten auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keine erleichterten Anforderungen (vgl. BAG vom 28. August 2003, 2 AZR 377/02, AP Nr. 134 zu § 102 BetrVG 1972 m.w.Nw.). Bei einer betriebsbedingten Kündigung darf sich der Arbeitgeber zwar nicht damit begnügen, dem Betriebsrat nur schlagwortartig die unternehmerische Entscheidung wie beispielsweise Personalabbau mitzuteilen, sondern er muss die deshalb beabsichtigten organisatorischen Maßnahmen mit ihren Auswirkungen auf die Arbeitsplätze näher erläutern (KR-Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Rz. 62d). Allerdings muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind, sog. subjektive Determinierung der Betriebsratsanhörung (vgl. BAG vom 7. November 2002, 2 AZR 599/01, AP Nr 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vom 24. Februar 2000, 8 AZR 167/99, NZA 2000, 764 jew.m.w.Nw). Hat sich der Arbeitgeber beispielsweise bei seiner unternehmerischen Entscheidung Personal abzubauen über die organisatorische Umsetzung keine weiteren Gedanken gemacht, so mag das zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führen, die Betriebsratsanhörung ist deshalb nicht unwirksam.

Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte dem Betriebsrat nicht sämtliche, für seinen Kündigungsentschluss maßgebenden Gründe mitgeteilt hat. Die Gründe für die Kündigung der Klägerin basieren auf der unternehmerischen Entscheidung, zur Schaffung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Fortsetzung des Betriebes das Personal um 13 Arbeitnehmer zu reduzieren. Dies wurde dem Betriebsrat mitgeteilt, denn dies steht ausdrücklich im Interessenausgleich. Weitere Informationen musste der Beklagte im Sinne der sog. subjektiven Determinierung dem Betriebsrat nur dann geben, wenn diese für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich waren. Solches ist hier nicht erkennbar und von der Klägerin nicht vorgetragen.

Der Beklagte hat auch unbestritten vorgetragen, dass die Sozialdaten und die jeweiligen Kündigungsfristen Gegenstand der Verhandlungen mit dem Betriebsrat waren. Dies wird bestätigt durch die Angaben in § 2 des Interessenausgleichs, wonach dem Betriebsrat bei der Erstellung der Namenslisten die Sozialdaten der Arbeitnehmer vorlagen.

Eine erneute Anhörung des Betriebsrats über die Anhörung im Rahmen des Interessenausgleichs hinaus war nicht erforderlich. Das Verfahren nach § 102 BetrVG kann mit den Verhandlungen über einen Interessenausgleich verbunden werden, die Verpflichtung des Arbeitgebers, neben den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Namensliste nach § 112 BetrVG auch den Betriebsrat zu den auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG anzuhören, macht keine Verdoppelung des Beteiligungsverfahrens notwendig (BAG vom 28. August 2003, 2 AZR 377/02, a.a.O.; vom 20. Mai 1999, 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101). Es ist zulässig und meist sogar zweckmäßig, beide Verfahren zusammenzufassen, damit der Betriebsrat gleichzeitig mit dem Abschluss des Interessenausgleichs auch zu den beabsichtigten Kündigungen Stellung nehmen kann (BAG vom 20. Mai 1999, 2 AZR 532/98, a.a.O.). Allerdings hat der Arbeitgeber dabei klarzustellen, dass er den Betriebsrat bereits zur Stellungnahme zu einer konkreten Kündigung ersucht. Sollen deshalb Interessenausgleich und Betriebsratsanhörung miteinander verbunden werden, so ist dies bei der Einleitung des Beteiligungsverfahrens klarzustellen (BAG vom 20. Mai 1999, 2 AZR 532/98, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es darüber hinaus auch zweckmäßig, bereits im Wortlaut des Interessenausgleichs zum Ausdruck zu bringen, dass mit der Unterzeichnung des Interessenausgleichs auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG hinsichtlich sämtlicher auszusprechenden Kündigungen abgeschlossen sein soll (BAG vom 20. Mai 1999, a.a.O). Dies ist vorliegend geschehen, denn in § 2 des Interessenausgleichs heißt es:

"Bei der Verhandlung über den Interessenausgleich und der Erstellung der Namensliste lagen dem Betriebsrat die Sozialdaten der Arbeitnehmer vor. Mit der Erstellung der Namensliste ist gleichzeitig das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zur Kündigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer eingeleitet worden. Die Erörterungen, die zur Erstellung der Namensliste geführt haben, sind gleichzeitig die förmliche Information des Betriebsrats über die Kündigungsgründe gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Betriebsrat gibt dazu folgende abschließende Stellungnahme ab: die Kündigungen werden zur Kenntnis genommen. Der Betriebsrat betrachtet das Anhörungsverfahren damit als abgeschlossen." (Blatt 32 der Akte).

4.

Die Kündigung ist auch nicht nach § 18 KSchG unwirksam.

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war der Beklagte verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, denn er beabsichtigte mehr als 10 % der im Betrieb der Schuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen zu entlassen, § 17 Abs. 1 Ziff. 2 KSchG. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG musste die Anzeige der zuständigen Arbeitsagentur vor der Entlassung erstattet werden. Diese Verpflichtung hat der Beklagte erfüllt.

a) Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist mit "Entlassung" im Sinne von §§ 17, 18 KSchG nicht bereits der Ausspruch der Kündigung, sondern erst die damit beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint (vgl. BAG vom 24. Februar 2005, 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766; vom 18. September 2003, 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375; vom 13. April 2000, 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144). Danach muss die Anzeige vor dem geplanten tatsächlichen Beendigungszeitpunkt erfolgen. Dies ist hier bei einer Beendigung zum 30. Juni mit der Anzeige vom 25. April 2005 erfolgt.

b) Mit Urteil vom 27. Januar 2005 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass unter "Entlassung" im Sinne der Richtlinie 98/59 EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen die Kündigungserklärung zu verstehen ist (EuGH vom 27. Januar 2005, C-188/03, NZA 2005, 213). Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige der Bundesagentur für Arbeit bereits vor Ausspruch der Kündigung zu erstatten hat, was im vorliegenden Verfahren nicht geschehen ist.

c) Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs entfaltet im Verhältnis der Privatrechtsparteien jedoch keine unmittelbare Wirkung, sondern betrifft nur die genannte Richtlinie, wobei die nationalen Gerichte gehalten sind, innerstaatliches Recht richtlinienkonform auszulegen, um dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel so weit wie möglich zur Geltung zu verhelfen (vgl. BAG vom 30. März 2004, 1 AZR 7/03, NZA 2004, 931 und vom 18. September 2003, 2 AZR 79/02 a.a.O.; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445, jeweils mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH). Dies setzt jedoch voraus, dass unter Anwendung der zulässigen nationalen Auslegungsregeln eine Deutung des nationalen Rechts im Sinne der EG-Richtlinien möglich ist. Steht die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Widerspruch zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, so darf eine solche Auslegung nicht erfolgen (BVerfG vom 11. April 2000, 1 BvL 2/00, AP Nr. 2 zu § 26 ArbGG 1979; BAG vom 18. September 2003, 2 AZR 79/02, a.a.O. und vom 30. März 2004, 1 AZR 7/03, a.a.O., jew.m.w.Nw.; vom 18. Februar 2003, 1 ABR 2/02, NZA 2003, 742; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445; str., a.A. Riesenhuber/Domröse, NZA 2005, 568: Rechtsfortbildung).

In Rechtsprechung und Literatur ist jedenfalls seit der genannten EuGH-Entscheidung streitig, ob der Begriff der "Entlassung" in §§ 17, 18 KSchG im Sinne von "Kündigungserklärung" verstanden werden kann (dafür ArbG Berlin vom 22. Juni 2005, 9 Ca 2728/05, EzA-Schnelldienst 2005, Heft 20 S. 11; ArbG Osnabrück vom 8. Juni 2005, 4 Ca 546/04, NZA-RR 2005, 475; ArbG Berlin vom 1. März 2005, 36 Ca 19726/02, NZA 2005, 213; ArbG Bochum vom 17. März 2005, 3 Ca 307/04, ArbuR 2005, 232; Dornbusch/Wolf, BB 2005, 885; Wolter, ArbuR 2005, 135; Osnabrügge, NJW 2005, 1093; Riesenhuber/Domröse, a.a.O.; dagegen LAG Hamm vom 8. Juli 2005, 7 Sa 512/05; LAG Köln vom 10. Mai 2005, 1 Sa 1510/04, ZIP 2005, 1524; ArbG Wuppertal vom 12. Mai 2005, 5 Ca 506/05; ArbG Krefeld vom 14. April 2005, 1 Ca 3731/04, NZA 2005, 582; ArbG Lörrach vom 24. März 2005, 2 Ca 496/04, NZA 2005, 584; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593; Bauer/Krieger/Powietzka, a.a.O.; wohl auch Grimm/Brock, EWiR 2005, 213). Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer ist dies nicht der Fall.

Insoweit ist allerdings festzustellen, dass allein der Wortlaut einer Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht entgegensteht. Nach allgemeinem Sprachgebrauch kann unter dem Begriff der "Entlassung" sowohl die Kündigungserklärung als auch die tatsächliche Beendigung verstanden werden. Der Gesetzgeber hat den Begriff der Entlassung nicht einheitlich verwendet (vgl. die - allerdings nur teilweise zutreffende - Auflistung bei Wolter, ArbuR 2005, 135 und in ArbG Wuppertal vom 12. Mai 2005, 5 Ca 506/05). Dies gilt auch für das Kündigungsschutzgesetz. Insoweit ist es nicht zutreffend, dass der Gesetzgeber in §§ 1 bis 16 KSchG den Begriff der Kündigung ausschließlich im Sinne von Kündigungserklärung verwendet hat und erstmals in § 17 von "Entlassung" spricht, so dass mit der bewussten Verwendung eines anderen Begriffes nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich etwas anderes gemeint ist (so aber LAG Hamm vom 8. Juli 2005, 7 Sa 512/05; ebenso LAG Köln vom 10. Mai 2005, 1 Sa 1510/04 a.a.O.; ArbG Wuppertal vom 12. Mai 2005, 5 Ca 506/05; ArbG Krefeld vom 14. April 2004, 1 Ca 3731/04, a.a.O.; ArbG Lörrach vom 24. März 2005, 2 Ca 496/04, a.a.O.; Bauer/Krieger/Powietzka a.a.O.). Denn wenn der Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 KSchG von Angestellten spricht, die zur selbständigen "Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern" berechtigt sind, so ist damit offenkundig die Berechtigung zur Abgabe von Willenserklärungen gemeint.

Im Übrigen ist auch der Wortlaut der Richtlinie 98/59 EG selbst nicht eindeutig. Wenn die Richtlinie nämlich in Art. 1 Abs. 2 festlegt, dass sie auf "Entlassungen im Rahmen von befristeten Arbeitsverträgen" mit den dort genannten Ausnahmen keine Anwendung findet, so kann damit kaum eine Kündigungserklärung gemeint sein, denn die "Entlassung" durch Fristablauf erfolgt regelmäßig gerade nicht durch Kündigung.

Allein der Wortlaut ist jedoch für die Auslegung nicht maßgeblich. Er bildet lediglich die Grenze jeder Auslegung in Abgrenzung zur Rechtsfortbildung. Der Wortlaut des Begriffs "Entlassung" gebietet zwar keine Auslegung im Sinne von tatsächlicher Beendigung, er steht ihr aber auch nicht entgegen. Vielmehr lässt der Wortlaut "Entlassung" auch eine Auslegung im Sinne von tatsächlicher Beendigung zu.

Alle weiteren Auslegungskriterien erlauben eine Auslegung des Begriffs "Entlassung" im Sinne von Kündigungserklärung nicht. Dies beginnt bereits mit der Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Norm (dazu ausführlich ArbG Krefeld vom 14. April 2005, 1 Ca 3731/04 a.a.O. und ArbG Wuppertal, vom 12. Mai 2005, 5 Ca 506/05; s.a. KR-Weigand, a.a.O. § 17 KSchG Rz. 1 ff.). Die Regelungen unter der Überschrift "Kündigungsschutz bei Massenentlassungen" waren bereits im Kündigungsschutzgesetz von 1951 enthalten. Der nationale Gesetzgeber hat auch nicht später lediglich die deutsche Übersetzung der Richtlinie wiederholt und deshalb die Richtlinie nur inhaltlich und sprachlich wiedergegeben, denn § 17 KSchG legt den Anwendungsbereich anders fest als Art. 1 der Richtlinie; die Zahlen-/Schwellenwerte sind nicht identisch.

Entscheidend ist jedoch der mit den gesetzlichen Regelungen zur Massenentlassung verfolgte Zweck. Denn die Auslegung darf insbesondere nicht den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verändern (vgl. BVerfG vom 11. April 2004, 1 BvL 2/00, a.a.O.; BAG vom 18. September 2003, 2 AZR 79/02, a.a.O.; vom 6. November 2002, 5 AZR 617/01, NZA 2005, 627).

Der mit der Vorschrift verfolgte Zweck lässt sich mit einer Auslegung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nicht erzielen. Die Anzeige ist der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten. Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit ist es nach § 280 SGB III, neben der individuellen Arbeitsförderung die Lage und Entwicklung der Beschäftigung und des Arbeitsmarktes im allgemeinen und nach Berufen, Wirtschaftszweigen und Regionen sowie die Wirkungen der aktiven Arbeitsförderung zu beobachten, zu untersuchen und auszuwerten. Um dieser Aufgabe nachzukommen ist es erforderlich, dass die Bundesagentur rechtzeitig Kenntnis über Vorgänge erhält, die Einfluss auf Lage und Entwicklung der Beschäftigung und des Arbeitsmarktes nehmen. Einfluss nimmt aber nicht die Erklärung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, sondern erst die auf die Kündigung folgende "Entlassung" des Arbeitnehmers auf den Arbeitsmarkt; nicht die Willenserklärung hat Einfluss auf den Arbeitsmarkt, sondern der Umstand, dass der Arbeitnehmer nunmehr zur Vermittlung zur Verfügung steht und Ansprüche aus dem Bereich der Arbeitsförderung geltend machen kann. Der arbeitsmarktpolitischen Zielrichtung der Vorschriften über die Massenentlassungen (vgl. dazu BAG vom 13. April 2000, 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144 und vom 24. Oktober 1996, 2 AZR 895/95, NZA 1997, 373 jew.m.w.Nw.; KR-Weigand, a.a.O. § 17 KSchG Rz. 7 ff.) wird eine Auslegung des Begriffes Entlassung im Sinne von Abgabe der Willenserklärung nicht gerecht.

Verstärkt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Regelungen zur Sperrfrist. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden räumt der Gesetzgeber der Bundesagentur in § 18 Abs. 1 KSchG eine gewisse Zeit ein, die ihr nach erfolgter Anzeige durch den Arbeitgeber verbleiben muss, um vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen. Weiterhin kann sich die Bundesagentur darauf einstellen, dass die den Arbeitsmarkt beeinflussenden Vorgänge nur innerhalb von 90 Tagen durchgeführt werden (sog. Freifrist). Diese, der Bundesagentur zur Verfügung gestellte Zeit verliert ihren Zweck, wenn maßgeblicher Vorgang nicht der Eintritt des Arbeitnehmers in den Arbeitsmarkt, sondern der Ausspruch der Willenserklärung wäre. Im Hinblick auf unterschiedliche Kündigungsfristen und die dadurch möglicherweise weit von einander entfernt liegenden Beendigungszeitpunkte kann sich die Bundesagentur für Arbeit gerade nicht mehr darauf einstellen, wann und wie sich die beabsichtigten Massenbeendigungen auf den Arbeitsmarkt auswirken werden. Denn wird der Begriff der "Entlassung" in den Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG durchgängig im Sinne von "Kündigungserklärung" verstanden, so ist der Bundesagentur nämlich nicht zwingend mitzuteilen, wann die Kündigungsfrist abläuft und wann sich die Kündigungserklärungen auf dem Arbeitsmarkt auswirken werden. Davon geht offensichtlich auch die Bundesagentur für Arbeit aus, wenn sie in ihrer Übergangsregelung vom 18. April 2005 annimmt, maßgeblicher Anknüpfungspunkt sei nunmehr die Kündigungserklärung, deren Wirkung nach Ablauf eines Monats nach erfolgter Anzeige eintreten dürfe, dafür bleibe die Freifrist in § 18 Abs. 4 KSchG künftig ohne Anwendungsbereich (abgedruckt in EzA-Schnelldienst Heft 10/2005, S. 15; i.E. ebenso wohl Dornbusch/Wolf, a.a.O.). Eine Auslegung, die den Anwendungsbereich einer gesetzlichen Vorschrift völlig entleert, lässt sich mit nationalen Auslegungsregeln nicht mehr in Einklang bringen.

Selbst wenn die kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften über die Massenentlassung auch dem Individualschutz dienen sollten (so ArbG Berlin vom 22. Juni 2005, 9 Ca 2728/05, a.a.O.; Riesenhuber/Domröse a.a.O., jew m.w.Nw.), so erlaubt dies keine Auslegung, die dem jedenfalls auch verfolgten arbeitsmarktpolitischen Zweck nicht mehr gerecht wird. Der Individualschutz entfällt hierdurch nicht. Auch nach bisherigem Verständnis im Sinne der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung konnte der Arbeitgeber trotz wirksamer Kündigung eine Entlassung nicht vollziehen, wenn er nicht vorher innerhalb der vorgesehenen Fristen eine den gesetzlichen Anforderungen Genüge leistende Anzeige abgegeben hatte (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG vom 16. Juni 2005, 6 AZR 451/04, NZA 2005, 1109; vom 18. September 2003, 2 AZR 79/02, a.a.O.; vom 13. April 2000, 2 AZR 215/99 a.a.O., jew.m.w.Nw.). Dabei verbleibt es.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis der eingangs genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der EG-Richtlinien anlässlich der Vielzahl der in der jüngsten Vergangenheit vorgenommenen Änderungen des Kündigungsschutzgesetzes hier eine Korrektur des Wortlauts im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nicht vorgenommen hat (so schon LAG Hamm vom 8. Juli 2005, 7 Sa 512/05).

Verbietet die Auslegung des nationalen Rechts ein Ergebnis im Sinne der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, so kann dieses Ergebnis auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung erreicht werden. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerte Gewaltenteilung kommt eine Rechtsanwendung gegen das geschriebene Gesetz im Wege der Rechtsfortbildung nur da in Frage, wo eine am Gesetz ausgerichtete Entscheidung zu schwer erträglichen Ergebnissen führen oder ein "Rechtsnotstand" drohen würde (vgl. auch LAG Köln vom 10. Mai 2005, 1 Sa 1510/04 a.a.O.). Dies ist angesichts der gesetzlichen Regelungen zum individuellen Kündigungsschutz und zur Betriebsratsbeteiligung offenkundig nicht der Fall.

d) Den Anforderungen der §§ 17, 18 KSchG im genannten Sinne hat der Beklagte Genüge geleistet. Mit seiner am 25. April 2005 erstatteten Anzeige hat er die für den 30. Juni 2005 vorgesehenen Entlassungen sowohl außerhalb der Sperrfrist als auch innerhalb der Freifrist durchgeführt. Die Anzeige genügt den gesetzlichen Erfordernissen und enthält alle erforderlichen Informationen. Die Klägerin hat insoweit auch keine Rügen erhoben. Unerheblich ist, dass eine Zustimmung der Bundesagentur für die Entlassungen nicht vorlag. Denn eine solche ist nur dann erforderlich, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 KSchG nicht eingehalten werden soll. Für die innerhalb der vorgesehenen Fristen beabsichtigten Entlassungen ist gesetzlich lediglich die Anzeige vorgeschrieben. Die Mitwirkung des Betriebsrats war vor Abgabe der Massenentlassungsanzeige erfolgt, der Anzeige war der Interessenausgleich beigelegt und damit das Anhörungs- und Beratungsverfahren nachgewiesen. Einer Unterrichtung des Betriebsrats über die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG bedurfte es nicht, da ausweislich der Regelung in § 5 des Interessenausgleichs zwischen dem Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter der Abschluss eines Sozialplans vereinbart war. Dieser ist zwischenzeitlich auch abgeschlossen worden.

5. Die dreimonatige Kündigungsfrist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO ist gewahrt. Die Kündigung ist der Klägerin am 31. März 2005 zugegangen. Der Beklagte hat erläutert, wie und wann er den Zugang bewirkt hat. Danach ist die Kündigung durch einen Mitarbeiter der PIN AG am 31. März 2005 um 13.30 Uhr bei der Klägerin zugestellt worden. Die Klägerin hat demgegenüber lediglich angegeben, ihr sei die Kündigung am 1. oder 2. April 2005 zugegangen. Was sie unter "Zugang" versteht, hat sie dabei nicht erläutert. Es ist daher nach dem Vortrag der Klägerin nicht auszuschließen, dass die Kündigung zu der vom Beklagten angegebenen Zeit in ihren Briefkasten eingelegt worden ist, sie ihren Briefkasten aber erst am nächsten oder übernächsten Tag geleert hat. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung, wie sie die Kündigung darstellt, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist danach zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Besteht für den Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme, so ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Der Einwurf in den Hausbriefkasten des Empfängers ist die verkehrsübliche Übermittlung von Schriftstücken. Denn unter gewöhnlichen Verhältnissen kann der Empfänger von dem Inhalt des Hausbriefkastens Kenntnis nehmen. Schließlich ist der Hausbriefkasten für diesen Zweck eingerichtet. Im Hinblick auf den konkreten Vortrag des Beklagten hätte die Klägerin daher näher erläutern müssen, warum gleichwohl ein Zugang zu diesem Zeitpunkt nicht bewirkt worden sein soll, wann sie ihren Briefkasten geleert und wie sie Kenntnis von der Kündigungserklärung erlangt hat. Ihr einfaches Bestreiten genügt nicht, denn gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. In welchem Maße eine Partei ihr Vorbringen durch die Darlegung konkreter einzelner Tatsachen substantiieren muss, hängt vom Einzelfall ab, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, ob sich die Geschehnisse, die Gegenstand des Parteivortrags sind, im Wahrnehmungsbereich der Partei abgespielt haben (vgl. BGH vom 15. Mai 2001, VI ZR 55/00, NJW-RR 2001, 1294 m.w.Nw.). Angesichts des konkreten Vortrags des Beklagten hätte die Klägerin daher die in ihrem Wahrnehmungsbereich liegende Kenntnisnahme von der Kündigungserklärung naher darstellen müssen um auszuschließen, dass die Kündigung rechtzeitig zugegangen und von ihr lediglich verspätet zur Kenntnis genommen worden ist.

6.

Nach alledem erweist sich die Kündigung als rechtswirksam, so dass auf die Berufung des Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen war.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 525, 91 ZPO. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG im Hinblick auf die umstrittene Rechtslage zur Massenentlassungsanzeige zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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