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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 14.11.2003
Aktenzeichen: 13 Sa 1382/03
Rechtsgebiete: BGB, EG-Vertrag


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
EG-Vertrag Art. 141
Wird wegen der Umstellung von Akkord- auf Leistungslohn für zwölf Monate ab der Umstellung eine Lohnabsicherung in Form einer Vergütungserhöhung um den bisherigen monatlichen Akkorddurchschnittsverdienst gezahlt, besteht kein Anspruch auf diese Lohnabsicherung für Arbeitnehmer, die sich in dieser Zeit im Erziehungsurlaub befinden.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes

13 Sa 1382/03

Verkündet Am 14.11.2003

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 17.10.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Wagner und Dykczak

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Juni 2003 - 76 Ca 36381/02 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Vergütungsdifferenz in Form einer Lohnabsicherung aus dem Tarifvertrag über die Lohn- und Gehaltssicherung für die Arbeitnehmer in der Berliner Metallindustrie vom 6. Februar 1979 in der Fassung vom 27. Januar 1988 (im Folgenden: TV Lohn- und Gehaltssicherung), in der es heißt:

"Ändern sich die Anforderungen an einem Arbeitsplatz durch technische und/oder organisatorische Änderungen auf Dauer und verringert sich dadurch der Lohn oder das Gehalt, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Weiterzahlung seines bisherigen Lohns oder Gehalts für die Dauer von 12 Monaten."

Diesen Anspruch verlangt die Klägerin auch aus der Betriebsvereinbarung vom 13. April 2000 (im Folgenden: BV). Dort heißt es unter anderem:

"1. Die bisher im Leistungslohn beschäftigten Mitarbeiter/innen erhalten ab 01. Mai 2000 Zeitlohn.

2. Die Höhe des individuellen Akkord-Durchschnittsverdienstes wird für die Dauer von maximal 12 Monaten als Lohnabsicherung zugesagt.

3. Sollte nach 12 Monaten kein neuer Arbeitsplatz mit Leistungsentlohnung gefunden sein, wird der Zeitlohn ohne den Absicherungsbetrag an die Mitarbeiter/innen gezahlt.

4. Die Höhe des Zeitlohnes für die von der Änderung betroffenen Mitarbeiter/innen ab 01. Mai 2000 ergibt sich aus der beigefügten Anlage, die wesentlicher Bestandteil dieser Vereinbarung ist."

In der Anlage zur BV ist die Klägerin mit einer Lohnabsicherung von 306,-- € pro Monat vermerkt (vgl. dazu die Anlage in Kopie Bl. 21 d.A.).

Im Begleitschreiben an die Klägerin vom 17. April 2000 heißt es:

"Zur Vermeidung besonderer Härten wurde dem Betriebsrat zugesagt, die Höhe Ihres bisherigen Durchschnittsverdienstes für die Dauer von maximal 12 Monaten durch Lohnabsicherung weiterzuzahlen.

Ab 01. Mai 2000 setzt sich Ihr monatlicher Zeitlohn wie folgt zusammen:

Tariflohn Lohngruppe 1 EUR 1.373,33 Leistungszulage EUR 295,00 Monatslohn gesamt EUR 1.668,33

Für die Dauer von 12 Monaten, also bis zum 30.04.2001, erhalten Sie als Lohnabsicherung zusätzlich monatlich EUR 306,--.

...

Solange Sie sich im Erziehungsurlaub befinden, also in einem ruhenden Dienstverhältnis, erfolgt natürlich keine Lohnzahlung."

Die Klägerin befand sich vom 6. August 1999 bis einschließlich 5. August 2002 im Erziehungsurlaub.

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 20. Dezember 2002 eingegangenen Klage und der Klageerweiterung vom 10. April 2003 (vgl. den Schriftsatz Bl. 10 ff. d.A.) hat die Klägerin unter Rücknahme von weiteren Klagebestandteilen zuletzt Zahlungen von August 2002 bis einschließlich Mai 2003 in Höhe von 3.060,-- € (zehn Monate à 306,-- €) nebst Zinsen verlangt.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 11. Juni 2003 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin auf die Ausgleichszahlungen keinen Anspruch aus der Betriebsvereinbarung habe, da diese einen Ausgleichszeitraum bis spätestens 30. April 2000 vorgeschrieben hätte. Zu diesem Zeitraum habe sich die Klägerin im Erziehungsurlaub befunden, so dass sie keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung gehabt hätte. Aus ihrem Arbeitsvertrag ergebe sich kein Anspruch auf eine Beschäftigung im Akkord, so dass sie auch keinen Anspruch auf den Durchschnittsakkordverdienst nach der Umstellung auf Zeitlohn hätte. Die Umstellung sei nach dem Lohnrahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Berliner Metallindustrie vom 9. Januar 1986 in der Fassung vom 27. Januar 1988 in Verbindung mit der Betriebsvereinbarung wirksam und letztere auch nicht wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nichtig. Ferner bestehe auch kein Anspruch nach § 3 des TV Lohn- und Gehaltssicherung, da keine dauerhaften technischen oder organisatorischen Veränderungen am Arbeitsplatz vorgenommen worden wären.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Parteivortrags erster Instanz wird auf das erstinstanzliche Urteil (Bl. 52-58 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 16. Juni 2003 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 9. Juli 2003 eingegangene und am 29. Juli 2003 begründete Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft grundsätzlich ihren Vortrag erster Instanz unter Klageerweiterung von weiteren zwei Monaten Vergütungsdifferenz (612,-- €) für Juni und Juli 2003, stellt aber klar, dass sie die nunmehr geltend gemachten zwölf Monate Vergütungsdifferenz aus der BV in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. aus § 3 des TV Lohn- und Gehaltssicherung verlangt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Juni 2003 die Beklagte zu verurteilen, an sie insgesamt 3.672,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die entsprechenden Klageteilbeträge seit Zustellung der Klageschrift vom 20. Dezember 2002, der Klageerweiterung vom 10. April 2003 und der Berufungsbegründung vom 28. Juli 2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags erster Instanz und hält insbesondere keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz für gegeben.

Wegen des konkreten Vortrags in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 28. Juli 2003 (Bl. 66 ff. d.A.) und 22. September 2003 (Bl. 79 ff. d.A.) sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 25. August 2003 (Bl. 75 ff. d.A.) und 15. Oktober 2003 (Bl. 83 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 1, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b), Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 519, 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Klage ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

Die Klägerin durfte auch die Klage um 612,-- € (Vergütungsdifferenz für weitere zwei Monate) in der zweiten Instanz erweitern. Insbesondere ist § 533 Nr. 2 ZPO nicht verletzt, da die Klageerweiterung vorliegend bereits keine Klageänderung gemäß § 264 Nr. 2 in Verbindung mit § 263 ZPO darstellt. Im Übrigen wäre eine Klageänderung auch sachdienlich und beruhte nicht auf einem neuen Sachverhalt im Sinne von § 533 Nr. 2 ZPO.

II.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die in der zweiten Instanz nur noch auf die Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung und dem Tarifvertrag für die Lohn- und Gehaltssicherung beschränkte Klage abgewiesen.

1.

Dabei unterstellt die Kammer zugunsten der Klägerin, dass die Einführung von Gruppenarbeitsplätzen, nämlich des sogenannten "LEO-Systems" bei der Beklagten, eine dauerhafte organisatorische Änderung am Arbeitsplatz im Sinne von § 3 des TV Lohn- und Gehaltssicherung darstellt. Da die Voraussetzungen der BV für die Klägerin vorliegen, wäre grundsätzlich ein Anspruch der Klägerin gegeben.

2.

Dieser besteht nach dem Wortlaut, der bei der Auslegung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zunächst heranzuziehen ist, sowohl der BV als auch des TV Lohn- und Gehaltssicherung aber nur für die Dauer von zwölf Monaten ab dem Zeitpunkt der Einführung des Zeitlohnsystems. Dies ergibt sich eindeutig aus Nr. 1 und Nr. 4 der BV. Denn dort wird sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 4 der Beginn des Zeitraums mit dem 1. Mai 2000 angegeben. In Nr. 2 und Nr. 3 wird die Dauer für die Zahlung des durchschnittlichen Akkordverdienstes von zwölf Monaten an den Beginn der Zahlung des Leistungslohns angeknüpft, in der Anlage zur BV wird zusätzlich für jeden einzelnen Mitarbeiter der neue Zeitlohn und der monatliche Ausgleichsbetrag aufgelistet.

Nicht anders verhält es sich mit dem Wortlaut des TV Lohn- und Gehaltssicherung, der eine Lohnabsicherung für maximal zwölf Monate vorsieht. Auch diese Absicherung knüpft an die organisatorische Änderung an, die vorliegend ab 1. Mai 2000 begann.

Etwas anderes ergibt such auch nicht aus dem Begleitschreiben vom 17. April 2000, welches ebenfalls den Beginn der Lohnabsicherung mit dem 1. Mai 2000 und das Ende ausdrücklich mit dem 30. April 2001 bestimmt, dabei aber darauf hinweist, dass während des Erziehungsurlaubs, "also in einem ruhenden Dienstverhältnis", keine Lohnzahlung erfolgt.

3.

Die Klägerin hat für den sich aus den beiden möglichen Anspruchsgrundlagen ergebenden Zeitraum 1. Mai 2000 bis 30. April 2001 keine Ansprüche geltend gemacht, sie hat aber auch keine Ansprüche für diesen Zeitraum.

a)

Die Klägerin hat für den Zeitraum 1. Mai 2000 bis 30. April 2001 keinen Anspruch eingeklagt, sie begehrt Zahlungen für den Zeitraum August 2002 bis einschließlich Juli 2003. Für diesen Zeitraum ergibt sich kein Anspruch nach dem TV Lohn- und Gehaltssicherung oder der BV.

b)

Die Klägerin hat für den Zeitraum 1. Mai 2000 bis einschließlich 30. April 2001 aber auch keinen Anspruch aus BV oder TV Lohn- und Gehaltssicherung, da ihr Arbeitsverhältnis aufgrund des Erziehungsurlaubs in diesem Zeitraum suspendiert war, so dass sie keinen Anspruch auf Zahlungen hat. Weder TV Lohn- und Gehaltssicherung noch BV gewähren ihr unabhängig von der tatsächlichen Beschäftigung einen bestimmten Ausgleichsbetrag.

aa)

Allerdings wäre eine derartige Zusage grundsätzlich möglich, etwa bei der Gewährung einer Gratifikation, mit der die Betriebstreue eines Arbeitnehmers honoriert werden soll (vgl. etwa LAG Köln 13.3.1997 LAGE § 611 BGB Gratifikation Nr. 36).

bb)

Vorliegend ist jedoch die Lohnabsicherung eine reine Entgeltsicherung. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut der in BV und TV Lohn- und Gehaltssicherung verwendeten Begriffe "Absicherungsbetrag", "Lohnabsicherung" und "Lohn- und Gehaltssicherung", sondern auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn mit der Absicherung wird einem Arbeitnehmer, der weiter für die Beklagte arbeitet, aber aufgrund des Zeitlohns nunmehr weniger Geld erhält, für eine Übergangszeit der bisherige Akkorddurchschnittsverdienst zusätzlich gezahlt, damit er ein Jahr Zeit hat, sich auf den geringeren Lohn in seiner persönlichen Lebensführung (z.B. bei laufenden Krediten etc.) einzurichten.

cc)

Bei derartigen reinen Entgeltzahlungen ist jedoch die im Bezugszeitraum erbrachte Leistung zusätzlich zu vergüten, ruht das Arbeitsverhältnis, erfolgt weder Grundzahlung noch zusätzliche Absicherung.

4.

Eine derartige Regelung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, § 612a BGB, § 15 BErzGG oder Art. 6 Abs. 4 GG, sie stellt auch keine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung dar, die gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, Art. 199 bzw. 141 EG-Vertrag oder die Richtlinien 76/207 und 92/85 verstoßen könnte (vgl. dazu EuGH 13.2.1996 EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 37; EuGH 21.10.1999 EuGHE I 1999, 7266; ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zuletzt etwa BAG 4.12.2002 EzA § 611 BGB 2002 Gratifikation, Prämie Nr. 3 mit weiteren Nachweisen), da nur an die geschlechtsneutralen Regelungen des synallagmatischen Arbeitsvertrages angeknüpft wird ("ohne Arbeit kein Lohn").

III.

Die Klägerin trägt die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO bei einem Streitwert von 3.672,-- € in der zweiten Instanz.

IV.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorlag.

Ende der Entscheidung

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